Predigt am 17. Januar 2016, ökumenischer Gottesdienst zum Abschluss der Bibelwoche, Ev. Christuskirche Niesky Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des hlg. Geistes sei mit uns allen. Amen. Eine Woche lang haben sich Christinnen und Christen aus vier Gemeinden unserer Stadt zusammengesetzt und miteinander Bibel gelesen. Wir haben einen Einblick in ein eher unbekanntes Buch bekommen können: Sacharja, einer der 12 „kleinen Propheten“ des Alten Testamentes. Vierzehn Kapitel Prophetie der besonderen Klasse: Wir sahen Nachtgesichte des Propheten von Reitern, die die Welt durchzogen, von Hörnern der Macht, die zuletzt zerschlagen werden. Wir sahen einen Mann, der mit einer Messschnur das neue Jerusalem ausmessen und planen wollte und der von Gott zurückgehalten wird, da Gott selbst die Stadt schützen, bergen, planen wolle. Wir sahen den Hohepriester, wie er neue Kleidung angezogen bekommt. Zwei Amtsträger des zukünftigen Jerusalem sind schon aufgetreten: eben jener Hohepriester, der neu eingekleidet wird sowie der messianische Spross. Wir hörten von einem neuen König, der ein Gerechter, eine Helfer sein würde, wir hörten von einem Durchbohrten, über den ganz Jerusalem sein Klagen erheben werde. Bei allen negativen, traurigen Bildern, die Sacharja für Jerusalem malt, gibt es zwei Lichtblicke: der Spross Davids, für den ein Thronsessel bereitsteht und der König, der in Herrschervollmacht und Armut – beides zusammen – als Friedefürst einziehen wird. Unser heutiger Bibeltext schaltet sich – ein Stückweit zurückgehend – in die Nachtgesichte ein. Er behandelt Grundsätzliches, Universales der Prophetie Sacharjas. Predigttext Sacharja 2,10-17 10 Auf, auf! Flieht aus dem Lande des Nordens!, spricht der HERR; denn ich habe euch in die vier Winde unter dem Himmel zerstreut, spricht der HERR. 11 Auf, Zion, die du wohnst bei der Tochter Babel, entrinne! 12 Denn so spricht der HERR Zebaoth, der mich gesandt hat, über die Völker, die euch beraubt haben: Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an. 13 Denn siehe, ich will meine Hand über sie schwingen, dass sie eine Beute derer werden sollen, die ihnen haben dienen müssen. - Und ihr sollt erkennen, dass mich der HERR Zebaoth gesandt hat. 14 Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR. 15 Und es sollen zu der Zeit viele Völker sich zum HERRN wenden und sollen mein Volk sein, und ich will bei dir wohnen. - Und du sollst erkennen, dass mich der HERR Zebaoth zu dir gesandt hat. 16 Und der HERR wird Juda in Besitz nehmen als sein Erbteil in dem heiligen Lande und wird Jerusalem wieder erwählen. 17 Alles Fleisch sei stille vor dem HERRN; denn er hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte! Ein Satz hallte mir in meinem Kopf und meinen Gedanken lang nach. Dieser Satz war es, der mir auf meiner Heimfahrt vom Pfarrkonvent am vergangenen Donnerstag im Kopf war: Es muss dem Herrn der Welt gefallen haben, dieses kleine altertümliche Dorf Jerusalem erwählt zu haben. Professor Dieter Vieweger war Gast im Pfarrkonvent. Professor Vieweger ist Leiter des deutschen evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des heiligen Landes in Jerusalem. (Das Institut wurde einst vom Nieskyer Gustaf Dalman begründet) Jerusalem – eine Stadt voller Geschichte, voller Gegensätze, voller Geborgenheit und Gefahr zugleich, eine Stadt der Verheißung. Gerade diese Stadt muss wohl Gott gefallen haben, so Professor Vieweger. Unser Prophet Sacharja blickt in die Zukunft und sieht dieses Jerusalem, vollendet, ein Ort an dem der Schöpfer wirken wird. Zu diesem Ort soll das Volk Gottes nun kommen. Der Prophet feuert an: Macht Tempo! Schnell nach Jerusalem, flieht in die Stadt! Es setzt voraus, dass zumindest noch ein Teil des Volkes im Exil ausharrt und sich dort eingerichtet hat. Einige konnten in der Fremde/im Exil sogar eine bescheidene Karriere machen, wie beispielsweise das Buch Esther berichtet. Andere scheuten den weiten Weg aus dem Exil zurück nach Juda, nach Jerusalem, den Rückweg durch weite Länder. Dieser direkte Rückweg durch die Wüste ist trostlos und gefährlich. Jene, die zurückgeblieben sind und nicht nach Jerusalem gegangen sind, trösten sich bis heute. Sie sind bis heute miteinander in der Sehnsucht nach dem Zion, nach Jerusalem verbunden: Jerusalem, meine Augen wollen dich schauen … eine scheinbar unerreichbare Sehnsucht. Und so ist es auch geblieben bis auf den heutigen Tag, denn mit dieser Sehnsucht nach Jerusalem verbindet sich mehr als (nur) der heutige Staat Israel. Aus dem Land des Nordens kommen sie. Es ist der Weg über die fruchtbaren Ebenen des Zweistromlandes, weg aus Babylon nach Jerusalem. Es ist der Weg, den einst der Stammvater Abraham ging, auf dem er das „Glauben“ lernte. Das fruchtbare Land hat die Form eines Halbmondes. Sie gehen nach Westen, von dort weiter in den Süden über Syrien, von dort an auf der Küstenstraße nach Palästina, direkt auf die Stadt und den Tempelberg zu. Überall dort, wo einst Israeliten sehnsüchtigst gen Jerusalem zogen, wird heute gekämpft, herrscht heute Krieg. Das Land wo Abraham „glauben lernte“ ist heute umkämpft und verwüstet. Und dann sticht ein Nebensatz hervor – und doch ein wichtiger Glaubensgrundsatz: Denn so spricht der HERR Zebaoth, […]: Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an. Augapfel – dieses Wort ist einmalig im ganzen Alten Testament. Es zeigt die besondere Nähe des Volkes Israel zu Gott. Jeden Angriff gegen Israel spürt auch Gott. Gott leidet mit, wenn Israel leidet. Das Volk ist ihm so nahe, wie sein eigenes Auge. Darum wird auch Gott das Unrecht, was seinem Volk getan wird, nicht hinnehmen, so seine Zusage. Wenn die Völker Israel mit Hass und Unrecht überziehen, dann vergilt Gott es ihnen, aber nicht auf gleiche Weise, so sagt der Prophet weiter. Nur die Schätze und der Reichtum werden den fremden Völkern genommen, Gott nimmt den fremden, feindlichen Völkern weder das Leben noch deren Erstgeburt. Gott nimmt ihnen nicht einmal die Zukunft. Er belohnt sie vielmehr, denn auch die Völker werden einen Platz in Gottes großer Zukunft am Zion haben. Schwer vorstellbar, wenn wir uns die aktuelle Lage im Nahen Osten ansehen. Doch der Prophet blickt in die Zukunft, es ist eine Vision, die noch auf ihre Wirklichkeit wartet. Die endgültige, entscheidende Rückkehr des Gottesvolkes zum Zion steht noch aus. Aber wenn Gottes Volk endlich am Zion angekommen sein wird, dann wird nichts mehr so bleiben: Neue strategische Debatten über die Lage in Israel werden überflüssig sein. Der Streit darum, wer alles ein Recht darauf hat, in Israel zu leben, wird vorbei sein. Die Frage, wie viele Staaten es um den Zion herum geben soll, wird nicht mehr gestellt werden. Dann wird Gott mitten unter den Menschen wohnen, er wird aus seiner Wohnstätte treten und alles wird schweigen. Diese über 2500 Jahre alte Vorhersage klingt nach mehr. Sie klingt nach unbändiger Freude. Jubel wird unweigerlich in Zion ausbrechen und alle Welt wird staunen darüber. Dieses kleine Dorf Jerusalem – es hat dem Herrn der Welt gefallen. Nun können Sie fragen, wann soll das denn sein? Nun können wir sagen: Schöne Utopie. Oder optimistischer: Lasst uns doch damit anfangen. Schon viele Menschen meinten Sie könnten eben jene Verheißung Sacharjas umsetzen und ihr zur Wirklichkeit verhelfen. Sie kennen die politische Bewegung des Zionismus, die ja bis heute von orthodoxen Juden abgelehnt wird, weil ohne den ersehnten Messias ein neues Israel errichtet wurde. Nein, Sacharja ist nicht jener Prophet, der zu überhöhten menschlichen Aktivitäten auffordert. Ebenso wenig wie seine Zeitgenossen sind auch wir heute nicht zu kühnem Aktionismus aufgefordert. Zu uns spricht der Prophet: Alles Fleisch sei stille vor dem Herrn, denn er hat sich aufgemacht. Alles Fleisch sei stille – wir sind nicht am Zug. Das Volk Israel ist nicht am Zug. Es kommt nicht auf unsere Bewegungen an, Gott bewegt sich. Wir Christen haben diese Heilsbewegung in Jesus Christus deutlich vor Augen, Gott macht sich auf den Weg. Es wäre zum Scheitern verurteilt, wenn wir uns einbilden könnten, diese Verheißung selbst verwirklichen zu können. Alles Fleisch sei stille – wir sind nicht am Zug. Juden, Christen, Muslime – alles Fleisch sei stille. Nicht unser Planen, nicht unser Hadern, nicht unser Bekriegen, nicht unser Plappern wird die Verheißungen verwirklichen. Die Verheißungen für Jerusalem stehen fest. Wie, wann und in welcher Form Jerusalem dieses erleben wird, das hat der Prophet nur ausgedrückt in einen Rat an uns: Sei stille, denn es hat dem Herrn der Welt gefallen dieses kleine altertümliche Dorf Jerusalem zu erwählen. Gott macht sich auf den Weg, ihm gegenüber können wir nur schweigen, warten, staunen. Amen.
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