2015: Impulse von Papst Franziskus und aus dem Generalkapitel SDB info / Juli / August 2015 2 GEGENAKZENTE SETZEN Barmherzigkeit und Gerechtigkeit leben I. Barmherzigkeit – mehr als billiges Mitleid Jede Form der Verkündigung des Evangeliums, so betont Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“, muss sich auf die Grundbotschaft der Heiligen Schrift stützen; diese lautet, dass Jesus Christus „uns durch seinen Tod und seine Auferstehung die unendliche Barmherzigkeit des Vaters offenbart und mitteilt“ (EG 164). Wenn die Pastoral nicht von diesem Identitätskern des Evangeliums ausgeht, dann besteht die Gefahr – so der Papst –, dass die Pastoral zu einer „Summe kleiner persönlicher Gesten“ wird und die Diakonie zu einer Art „Nächstenliebe à la carte“ (vgl. EG 180). Die biblische Barmherzigkeit wird in diesem Sinn oft missverstanden als gefühlsgeleitete Nachgiebigkeit oder „billiges“ Mitleid, wodurch die Gültigkeit bestimmter Normen geschwächt wird. In Wahrheit aber gründet echte Barmherzigkeit im Heilswillen Gottes, der unbeirrbar an der Rettung des Menschen festhält, auch wenn dieser immer wieder scheitert oder schuldig wird. Der biblische Gott ist kein gnaden- BARMHERZIGKEIT Barmherzigkeit ist eine der Haupttugenden und wichtigsten Pflichten im Christentum, Judentum und Islam, aber auch in anderen Religionen. Barmherzig sein meint: „Sich dem Armen mit dem Herzen zuwenden“. Die christliche Lebenskultur kennt sieben Werke der leiblichen und geistigen Barmherzigkeit. Gerechtigkeit bezeichnet einen idealen Zustand des sozialen Miteinanders mit einer gerechten Verteilung von Gütern und Chancen zwischen einzelnen und Gruppen. Das jeder Mensch zu seinem Recht kommt, ist Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben. loser Richter. Vielmehr wendet er sich gerade dem schuldig gewordenen Men„Barmherzigkeit und Gerechtigkeit will ich besingen“ schen immer wieder heißt es auf einem barocken Deckengemälde, das die beiden voll Erbarmen zu, um Tugenden als Frauenfiguren zeigt. ihn neu auf den Weg des Lebens zu führen. Gottes BarmherzigEntschiedenheit den jungen Menschen keit zielt nicht auf die Entmündigung des zuzuwenden, die arm sind oder in GefahMenschen, sondern will eine neue Form rensituationen leben, und auf ihren Hilfeder Gerechtigkeit verwirklichen. ruf zu hören. Bei den Mitbrüdern wächst die Sensibilität für eine Kultur der MenII. Für die Rechte Minderjähriger eintreten schenrechte, speziell für die Rechte von Worin besteht nun die neue Gerechtigkeit Minderjährigen, wie etliche prophetische Gottes? Der Theologe Gunther Wenz beEntscheidungen hinsichtlich der neutont, dass die Grundbotschaft Jesu „offenen Grenzbereiche und der ‘existentiellen bar nicht … auf das drohende Endgericht Randgebiete‘ zeigen.“ (Nr. 22) ausgerichtet ist“, in dem Gott als strenger Richter die Bösen verurteilt und die III. Orte schaffen, wo junge Menschen sich Guten belohnt. Jesus bringt vielmehr die aufgenommen und geliebt fühlen Botschaft, dass Gott sich den Armen, den In der gegenwärtigen von ökonomischen Sündern und den Verlorenen zuwendet, Interessen dominierten Weltgesellschaft „um sie zu erretten.“ gibt es viele „überflüssige Menschen“ Diese barmherzige Zuwendung nimmt (Z. Bauman); vor allem junge Menschen Jesus in seinem Handeln schon vorweg, zählen zu den Verlierern – wie Bildungsindem er immer wieder mit Sündern und benachteiligte, Behinderte, Kinder aus sozialen Außenseitern Tischgemeinschaft Familien mit prekären Einkommensverpflegt. Damit setzt er ein Zeichen, dass im hältnissen oder jugendliche Migranten. anbrechenden Reich Gottes alle, auch die Ihnen wird vielfach eine „gerechte TeilhaGescheiterten, zur Gemeinschaft der Gebe“ am Leben der Gesellschaft verwehrt. retteten gehören werden. Eine Kirche, die Dagegen muss jede salesianische Dienstaus den Verheißungen des Reiches Gottes gemeinschaft Gegenakzente setzen. Ganz lebt, empfindet daher – so Papst Franzisim Sinne des Präventivsystems sollte sie kus – „einen unerschöpflichen Wunsch, in konkreten Taten der Zuwendung erBarmherzigkeit anzubieten – eine Frucht fahrbar werden lassen, dass jeder Mensch der eigenen Erfahrung der unendlichen von Sozialkontakten, von VergebungsbeBarmherzigkeit des himmlischen Vaters reitschaft, von liebender Solidarität und und ihrer Tragweite.“ (EG 24). Und sie Annahme lebt. Letztlich geht es darum, setzt sich zugleich für „ein Wachstum in dass die salesianische Gemeinschaft durch Gerechtigkeit ein, das mehr ist als Wirtihr tägliches Handeln zum „Ort der ungeschaftswachstum“ (EG 204)! schuldeten Barmherzigkeit“ wird, „wo alle Solches Engagement für Barmherzigkeit sich aufgenommen und geliebt fühlen und Gerechtigkeit fordert das 27. Genekönnen, wo sie Verzeihung erfahren und ralkapitel der Salesianer Don Boscos für sich ermutigt fühlen können, gemäß dem die salesianische Jugendpastoral ein: „Die guten Leben des Evangeliums zu leben.“ Kongregation ist dabei, sich mit großer (EG 114) P. Dr. Karl Bopp
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