566 BiBLiotHeKSreCHt Hinte erntezeit – was die entscheidung des Bundesgerichtshofs zu elektronischen Leseplätzen für Bibliotheken bedeutet oliver Hinte ❱ Nachdem die Urteilsgründe der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Betrieb von elektronischen Leseplätzen nach § 52 b Urheberrechtsgesetz (UrhG) zwischenzeitlich veröffentlicht worden sind,1 fragt sich die Bibliothekscommunity natürlich, welche Auswirkungen diese Entscheidung nunmehr für sie hat. Der betroffene Verlag hat jedenfalls schon seine Überlegungen abgeschlossen und laut einem Bericht im „Buchreport-Express“2 Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil eingelegt. Auf dem vom Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft am 15. Oktober 2015 in Berlin veranstalteten Workshop mit dem Titel „Sind Bildung, Wissenschaft und Vergütung europäische oder nationale Aspekte des Urheberrechts?“3 war das Urteil selbstverständlich auch eines der Themen. In Bezug auf diese Entscheidung des BGH stellten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter anderem fest, dass das Kriterium des „geboten“ nicht so weit interpretiert werden darf, dass ein bloßes Verlagsangebot die rechtlichen Regelungen der Schrankenbestimmung zu elektronischen Leseplätzen aushebeln könnte. Wie sollen sich Bibliotheken also in dieser Situation verhalten? 1. Für den Fall, dass die Bibliothek dem Rahmenvertrag zur Vergütung nach § 52b UrhG4 beigetreten ist, hat sie sich für die Dauer der Laufzeit des Vertrags an dessen Bestimmungen zu halten. Diese besagen unter anderem in § 2 Absatz 4 folgendes: „Die jeweiligen Einrichtungen haben geeignete Maßnahmen zu treffen, analoge oder digitale Vervielfältigungshandlungen durch Nutzer der elekt1 Aktenzeichen I ZR 69/11, abrufbar unter http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh& Art=pm&Datum=2015&Sort=3&anz=65&pos=1&nr=72304&linked =urt&Blank=1&file=dokument.pdf 2 Ausgabe vom 22.10.2015, S. 11 3 Ein Bericht zu der Veranstaltung kann unter http://urheberrechtsbuendnis.de/workshop-zusammenfassung-2015.html.de abgerufen werden. 4 Abrufbar unter http://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/ user_upload/DBV/vereinbarungen/2012-01-30_Gesamtvertrag_ Bibliothekstantieme_52b.pdf Bibli h k Inf i online 18 (2015) Nr. 6 T hnolo i ronischen Leseplätze (insbesondere Ausdrucken, Versenden per Email oder Abspeichern auf digitalen Speichermedien) zu verhindern. Dies bedeutet also praktisch, dass für diese Gruppe von Bibliotheken ihren Nutzern an den elektronischen Leseplätzen zurzeit nur die bisherigen Nutzungshandlungen, also das Lesen von Texten, Betrachten von Bildern, usw. gestattet ist. 2. Die Bibliotheken, die dem Rahmenvertrag nicht beigetreten sind oder ihre Mitgliedschaft gekündigt haben, sind nun an die gesetzlichen Regelungen und die Vorgaben aus den Entscheidungsgründen des BGH Urteils gebunden. Dabei geht es vor allen Dingen um folgende Passage des Urteils: In Randziffer 53 führt der BGH folgendes aus: „Betreiber elektronischer Leseplätze sind verpflichtet, die ihnen zumutbaren und möglichen Vorkehrungen zu treffen, um unbefugte Vervielfältigungshandlungen von Werken durch Nutzer der elektronischen Leseplätze zu verhindern. Eine Haftung der Beklagten5 käme daher etwa in Frage, wenn sie die Nutzer nicht darauf hinwiese, dass sie die an den elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachten Werke nur unter den – näher zu bezeichnenden -Voraussetzungen des § 53 UrhG vervielfältigen dürfen. Ferner käme eine Haftung der Beklagten in Betracht, wenn sie nicht durch ihr mögliche und zumutbare Maßnahmen dafür sorgte, dass die Nutzer – den Voraussetzungen des § 53 UrhG entsprechend – nur einzelne Vervielfältigungsstücke oder kleine Teile eines Werkes und keine graphischen Aufzeichnungen von Werken der Musik oder im wesentlichen vollständigen Bücher oder Zeitschriften vervielfältigen. Insoweit treffen die Beklagte, die die Möglichkeit zu Vervielfältigungen an den elektronischen Leseplätzen schafft, Kontroll- und Überwachungspflichten, um eine unbefugte Vervielfältigung von Werken durch Nutzer möglichst weitgehend auszuschließen. 5 Gemeint ist in diesem Fall die Bibliothek. www.b-i-t-online.de BiBLiotHeKSreCHt Hinte Darüber hinaus könnte ein Hinweis der Beklagten an die Nutzer geboten sein, dass die aufgrund der Schrankenregelung des § 53 UrhG erstellten Vervielfältigungsstücke gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 nicht verbreitet werden dürfen.“ Folgende Vorgaben für Bibliotheken lassen sich daher herausfiltern: a) Es besteht eine Hinweispflicht für Bibliotheken, dass die Nutzer der elektronischen Leseplätze die ihnen dort zugänglich gemachten Werke nur unter den Voraussetzungen des § 53 Abs. 1, 2 und 3 UrhG vervielfältigen und nach § 53 Abs. 6 UrhG nicht verbreiten dürfen. Sinnvollerweise könnte dieser Hinweis mit dem angezeigten Wortlaut des § 53 UrhG als zu akzeptierender Disclaimer an den Leseplätzen angezeigt werden. b) Darüber hinaus besteht für Bibliotheken die Verpflichtung, durch ihr mögliche und zumutbare Maßnahmen dafür zu sorgen, dass die Nutzer gemäß § 53 Abs. 3 UrhG nur kleine Teile eines Werks, Werke von geringem Umfang oder einzelne Beiträge aus Zeitschriften oder Zeitungen vervielfältigen können. Als mögliche und zumutbare Maßnahmen in diesem Sinne sind Softwarelösungen zu verstehen, die die Vervielfältigung entsprechend dieser Vorgaben begrenzen. Der Gesamtvertrag zur Vergütung von Ansprüchen nach § 52a UrhG vom September 20076 sieht als Orientierungsgröße bei einzelnen Werken folgenden zulässigen Umfang vor. Danach gelten unter anderem als 6 Abrufbar unter http://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/vereinbarungen/Gesamtvertrag_ Ansprueche_52a.pdf 567 aa) kleine Teile eines Werkes maximal 12 % eines Werkes, bei Filmen jedoch nicht mehr als 5 Minuten Länge, bb) Werk geringen Umfangs: -- ein Druckwerk mit maximal 25 Seiten, bei Musikeditionen maximal 6 Seiten, -- ein Film von maximal 5 Minuten Länge, -- maximal 5 Minuten eines Musikstückes, -- alle vollständigen Bilder, Fotos und sonstigen Abbildungen. Bei der Programmierung der Softwarelösungen haben die Bibliotheken daher darauf zu achten, dass die an den elektronischen Leseplätzen angebotenen Werke nur entsprechend der in aa) und bb) genannten Vorgaben in einem Schritt vervielfältigt werden können. Diese Konsequenz folgt daraus, dass die Bibliotheken nicht erkennen können, zu welchem Zweck die Nutzer die Werke vervielfältigen. Daher haben sie sich an der durch den BGH vorgegebenen Untergrenze zu orientieren. Wer in welchem Umfang die Vervielfältigungen zukünftig zu vergüten hat, ist eine Frage, die in den Vertragsverhandlungen zum zukünftigen Rahmenvertrag zur Vergütung nach § 52b UrhG von den beteiligten Parteien noch zu klären ist. ❙ Oliver Hinte Geschäftsführer Fachbibliothek Rechtswissenschaft Rechtswissenschaftliches Seminar Universität zu Köln Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln [email protected] www.b-i-t-online.de www.b-i-t-online.de 18 (2015) Nr. 6 Biblioth k Inf ti online T hnolo i
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