Ein Herz für die Armen Lukas 6.36

Ein Herz für die Armen Lukas 6.36
Barmherzigkeit. Das ist ein Begriff, der mich in letzter Zeit nicht mehr loslässt. Ich spüre immer
wieder, wie der Heilige Geist hier an mein Herz appelliert und mir eine Dringlichkeit aufzeigt.
Gleichzeitig fühle ich mich bei diesem Thema "recht unbeholfen" – wie ein "Anfänger".
Nichtsdestotrotz möchte ich mich darin vertiefen und heute mit euch in dieses Thema
einsteigen. "Barmherzigkeit" ist eng verwandt mit dem Begriff "Nächstenliebe" (lat. caritas).
Darunter können wir uns vielleicht eher etwas vorstellen.
Das Synonymwörterbuch führt folgende Begriffe zu barmherzig auf:
• karitativ wohltätig, humanitär
• menschlich menschenfreundlich, sozial, mitfühlend, wohlwollend, menschenwürdig, gütig,
freundlich, tolerant, entgegenkommend, mild, hilfsbereit, gutherzig
• selbstlos uneigennützig, opferbereit, aufopfernd, edelmütig, grossherzig,
selbstverleugnend, hingebend, unegoistisch, gemeinnützig.
Ein hoher Anspruch! Und ziemlich konträr zur Selfie-Generation! "Barmherzig" zu sein, fordert
uns etwas ab. Schaffen wir das aus uns selbst?
Überleg mal, wo sind für Dich die Grenzen der Barmherzigkeit?
Als Christen haben wir den unschätzbaren Vorteil, dass wir nicht etwas aus uns selbst
produzieren müssen. Wir sind nicht dem Humanismus verpflichtet. Wir sind unserem Gott
verpflichtet! Und Er lässt uns nicht alleine. Er hat uns nach Seinem Ebenbild geschaffen. Wir
können lernen barmherzig zu sein, weil Er barmherzig ist! Bei IHM sind wir an der richtigen
Quelle. Lernt von mir, sagt Jesus, ich bin von Herzen gütig.
Gott stellte sich schon ganz früh im Alten Testament als der Barmherzige vor. Eine zentrale
Begegnung hatte Moses, als er zum zweiten Mal auf den Berg stieg mit den steinernden Tafeln
für die 10 Gebote. Die ersten hatte er ja in seinem Zorn erschlagen, als er realisierte, dass das
Volk in seiner Abwesenheit ein goldenes Kalb gemacht hatte, das sie nun anbeten wollten.
Auf dem Berg Sinai kam der Herr in einer Wolke hernieder und offenbarte sich so dem Moses.
2. Mose 34,6: Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber, und rief aus: HERR, HERR,
Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von grosser Gnade und Treue. (LU)
Kurz bevor Moses zum Herrn heimging, nahm er das Volk noch einmal zusammen und
erinnerte sie an das Wichtigste; quasi sein Vermächtnis. Er erklärte dem jungen Volk Israel:
"Ihr seid für den HERRN ein heiliges Volk, sein Eigentum. Gott hat euch nicht angenommen
und erwählt, weil ihr grösser oder besser seid als andere Völker, nein, eigentlich bist du das
Geringste – ein Volk von heimatlosen Sklaven. Er hat euch erwählt, weil er euch liebt! Und weil
er den Eid halten will, den er euren Vätern, Abraham, Isaak und Jakob, geschworen hat.
Deshalb hat er euch aus der Knechtschaft befreit."
Und dann kommt diese gewaltige Verheissung aus 5. Mose 7.9: So sollst du nun wissen, dass
der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit
bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten.
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Das ist das Wesen von Gottes Barmherzigkeit: Er erwählt und befreit aus Liebe. Nicht aufgrund
äusserer Vorzüge. Zudem: Auf unsere schlichte Liebe zum Herrn antwortet Er mit Barmherzigkeit und Treue bis in die tausendste Generation nach uns!
Gott war so berührt von Davids Liebe und Hingabe, dass Er Seinen eigenen Sohn Jesus auch
"Sohn Davids" nannte. Was für eine Ehre! Aufgrund von Davids ehrlicher Suche nach Gott,
erzeigte Er Davids Nachkommen Barmherzigkeit. Nicht weil die Nachkommen immer so treu
waren. Bereits Salomo hing sein Herz schon bald an andere Dinge. Vielleicht wurde ihm sein
unermesslicher Reichtum zum Fallstrick? Mit Reichtum und Segen muss man auch umgehen
können.
Nur die echte Liebe zum Herrn kann uns davor schützen, dass uns unsere heutigen schier
unbegrenzten Möglichkeiten im Herzen nicht korrumpieren. Das sollte uns zu denken geben!
Vielleicht ist manchmal "weniger" Reichtum und Überfluss ein Segen für unser Herz!
Doch zurück zum Beispiel von David. Bist Du Dir bewusst: Deine Liebe zum Herrn, Deine
Hingabe und Treue, können Gottes Herz bewegen für viele Generationen nach Dir!
Persönlich habe ich nicht das Privileg, dass von mir eine Blutslinie weitergehen wird. Darüber
muss ich nicht deprimiert sein. Jesus hatte ja auch keine direkten Nachkommen. Dennoch
wurden durch IHN alle Generationen gesegnet: Alle, die an IHN glauben, sollen gerettet werden
und das ewige Leben erlangen, sagt die Bibel.
Aber es ist ein grosses Vorrecht, wenn wir den Segen Gottes an die nächste Generation
weitergeben dürfen. Deine Kinder dürfen dort beginnen in der Gunst des Herrn, wo du
angelangt bist.
Hast Du Dir schon mal überlegt: Wie viel von Gottes Segen in Deinem Leben der Treue Deiner
Vorfahren zu verdanken ist? – In meinem Fall ist das sicher eine ganze Menge, die mir einfach
so, unverdient, zugefallen ist.
Und wie gewaltig, wenn eine lange Blutslinie von gottfernen Vorfahren durchbrochen wird und
jemand zum Glauben findet! Da bricht Segen herein, nicht nur für eine einzelne Person; da
bricht Segen herein für eine Sippe, für die Nachkommen bis in ferne Zeiten.
Das ist Gottes Form der Barmherzigkeit!
Der berühmte Psalm 103 von David wird auch überschrieben als
Das Hohelied der Barmherzigkeit Gottes
1 Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! 2 Lobe den
HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: 3 der dir alle deine
Sünde vergibt und heilt alle deine Gebrechen, 4 der dein Leben vom Verderben erlöst,
der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit, 5 der deinen Mund fröhlich macht und
du wieder jung wirst wie ein Adler.
Gekrönt mit Barmherzigkeit: Wie das wohl aussieht? Sehen die Engel diese Krone?
Die geistliche Welt? Die Dämonen und die Herrscher der Finsternis?
Da steht gross "begnadigt" auf unserer Krone. Und daran kann niemand und nichts etwas
rütteln!
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Dumm nur, wenn Du selbst vergisst, dass Dir die Krone geschenkt ist. Wenn du vergisst, sie
aufzusetzen oder Dich nicht würdig fühlst, sie zu tragen. Die Krone gehört auf den Kopf – für
alle sichtbar – nicht in den Banksafe und nicht unter den Kleiderhaufen!
Wenn Du Dich also gerne verunsichern lässt, ob Du begnadigt bist, dann nimm schnell die
Krone hervor und setz sie wieder auf. Gerade jetzt in diesem Augenblick! Du bist gekrönt mit
Gnade und Barmherzigkeit!
Wenn Dich im Moment etwas trennt von Deinem Vater im Himmel, dann komm zu Ihm. Er
wartet längst auf Dich. Dann erzähl ihm, was schief gelaufen ist, bitte Ihn um Vergebung, –
Er ist geduldig und gütig – und dann darfst Du die Krone wieder mit Stolz und Würde tragen.
Jesus hat sie erworben für Dich. Das hat Ihn alles gekostet. Es wäre nicht recht, sie nicht
anzunehmen und zu tragen. "Der Dir alle Deine Sünden vergibt. Alle!"
Die Krone zeichnet Dich aber auch aus, als jemand der "barmherzig ist". Wer selbst Gnade
und Barmherzigkeit erfahren hat, ist prädestiniert, seinen Mitmenschen ebenso Gnade und
Barmherzigkeit zu erweisen.
Da können wir nicht die Mütze über die Krone ziehen mit der Aufschrift: "Bleib weg von mir!"
Oder einen Kapuzenpulli tragen mit dem Logo: "Null Bock auf Mitleid, Du Opfer!"
Gekrönt mit Seiner Gnade und Barmherzigkeit – das verpflichtet!
Und es macht uns auch fröhlich, so steht es in Vers 5, fröhlich – und jung. Jung und frisch im
Geist! Deshalb sitzt sie ja auf dem Kopf. Gottes Krone erneuert unsere Sinne, unser Denken, sie
heilt unser Gemüt, ja selbst unsere Gebrechen.
Schade, dass wir diese Krone nicht im Spiegel sehen können oder auf dem Kopf der anderen.
Ich glaube, wir hätten einen ganz anderen Umgang miteinander. Vielleicht wären wir dann
dankbarer, wenn wir täglich daran erinnert würden, dass wir mit der Barmherzigkeit Gottes
gekrönt sind!
Lasst uns darauf schauen, was Gott uns geschenkt hat! Nicht darauf, was wir ständig meinen,
fehle uns noch. "Begnadigt!" Das ist mehr, das ist weit mehr als wir verdient haben!
Im Vers 8 von Psalm 103 wird erneut das Wesen unseres Gottes geschildert, so wie wir es
schon von Mose her kennen: 8 Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von
grosser Güte.
Es fällt auf, dass in vielen Erwähnungen von Gottes Charakter "barmherzig" in Zusammenhang
mit "geduldig" genannt wird. Manchmal wird es auch mit "langmütig" oder "langsam zum Zorn"
übersetzt.
Geduld ist ja unsere grosse Stärke! Nicht wahr? – In der heutigen Zeit des Instant-Konsums
wissen wir kaum noch, wie man das Wort buchstabiert. Warum noch zuwarten, wenn ich es
auch unverzüglich haben kann? Ein Sofortkredit, ein One-Night-Stand, im Internet bestellen –
und nach einmal Tragen an der Party – wieder zurücksenden. So macht man das heute.
Doch unsere Ungeduld hat meist einen Geprellten. Und am Ende sind wir selbst die Geprellten,
je weniger wir unsere Ungeduld zügeln konnten. Zorn macht immer auch etwas mit uns, richtet
sich immer auch gegen uns selbst. Zorn mag kurzfristig Dampf ablassen, aber am Ende bleibt
trotzdem ein ungutes Gefühl.
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Geduld scheint da sowas wie ein Gegenmittel von Zorn oder von "Sich Ärgern" zu sein. Geduld
ist eine Geistesfrucht. Sie wird uns von Gott geschenkt, aber als Frucht, die zunächst
heranwächst. Geduld kann man nicht klauen im Gemüseladen um die Ecke!
Geduld lernen wir in der Lebensschule von Gott; in Seiner Charakterschmiede, dort wo wir uns
darauf einlassen. Geduld ist die Frucht von Seinem Lebensweg mit uns, durch alle Höhen und
Tiefen hindurch.
Doch dies ist eigentlich ein eigenes Thema, das ich nun gleich wieder verlassen muss. Dennoch
sagt die Bibel in Hebräer 6.11+12, dass wir ohne Glauben und Geduld unsere Verheissungen
nicht ererben werden. Prophetien und Verheissungen sind bei Gott meist an Bedingungen
geknüpft. Und eine davon ist, im Glauben geduldig auszuharren und dranzubleiben.
Hebräer 6.11+12: Wir wünschen aber, dass jeder von euch denselben Eifer beweise, die
Hoffnung festzuhalten bis ans Ende, damit ihr nicht träge werdet, sondern Nachfolger derer,
die durch Glauben und Geduld die Verheissungen ererben.
Barmherzigkeit wird so nicht als Frucht des Geistes erwähnt. Ich denke aber, sie ist in jener
Aufzählung gleich doppelt mit Güte und Freundlichkeit enthalten.
All diese Geistesfrüchte sollen mehr und mehr das Wesen Jesu in uns spiegeln. Der Geist hilft
unserer Schwachheit auf, so dass wir dahin wachsen können, mehr und mehr wie Jesus zu
werden, bis wir "vollkommen in Christus sind", sagt uns der Kolosserbrief.
Das ist Gottes Massstab! Aber in der Kraft des Geistes ist es uns verheissen. Können wir das im
Glauben annehmen? Durch Glaube und Geduld werden wir dorthin wachsen. Sofern wir es
zulassen, dass Er an uns arbeiten darf.
Lass uns einen Moment innehalten. Ich möchte Dich vor dem Herrn fragen:
Hast Du dieses innere JA dazu, dass der HERR Dich in Seine Charakterschmiede nehmen darf?
Sagst Du JA zu Seiner Geduldsschule?
Sagst Du JA zu Seiner Schulung zum Beispiel in Freundlichkeit und Güte, in Barmherzigkeit?
Nimm Dir einen Moment Zeit und triff eine Entscheidung vor dem Herrn.
Unsere Antwort nimmt der Vater sehr ernst. Er wird nicht lange zögern, Dir die erste Lektion
über den Weg zu schicken. Güte und Freundlichkeit lernen wir dort, wo wir selbst nicht "nett"
behandelt werden. Alles andere ist ja nur Anstand und Höflichkeit. Geduld und Ausdauer lernen
wir dort, wo es keine sofortige Lösung gibt. Dort, wo wir uns bewähren müssen. Manchmal
über einen langen Zeitraum, ohne dass jemand Notiz von uns nimmt. Aber der Vater nimmt
alles genau wahr. Und zu Seiner Zeit wirst Du beschenkt werden mit der Frucht der Geduld, der
Langmut, der Treue, mit der Frucht der Freundlichkeit und Güte. Ja selbst mit Freude!
Auch Freude, – ich meine himmlische, tiefe, wahre echte Freude –, die erlebst Du nicht bei
Verstehen sie Spass oder Happy Day, nicht mal bei einem Lottogewinn! Wahre Freude ist ein
Geschenk des Himmels, inmitten schwieriger Zeiten.
Selbst wenn es unverdiente Geschenke sind, diese Geistesfrüchte, so kommen sie nur zur
Genussreife, wenn der Herr mehr und mehr unseren Charakter formen darf. Diese Früchte
lassen wir reifen – nicht für uns, in erster Linie! – für die Menschen um uns herum! Sie sollen
die Nutzniesser sein. Sie sollen berührt werden mit Jesu Wesen, mit dem Himmel. Auf diese
Weise möchte der Vater unsere Mitmenschen segnen, selbst noch Generationen nach uns!
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Eine klare Verheissung hat Jesus in Seiner Bergpredigt ausgesprochen:
Matthäus 5,7: Glückselig (glücklich, gesegnet) sind die Barmherzigen; denn sie werden
Barmherzigkeit erlangen.
Einerseits macht Barmherzigsein glücklich. Denn darauf liegt Gottes Segen, ob Du nun darum
weisst oder nicht. Es ist ein göttliches Prinzip, dass Dir selbst Barmherzigkeit widerfährt, wenn
Du barmherzig bist. Früher oder später. Ich glaube, zu diesem Prinzip steht der Herr, egal, ob
ihn jemand kennt oder nicht. Es gibt Menschen, die entdecken diese innere Befriedigung, die
tiefe Freude, wenn sie sich um Notleidende kümmern.
Dabei spielt oft der Faktor "herzig" eine katalysierende Rolle. Es fällt uns viel einfacher
barmherzig zu sein, wenn etwas herzig ist. Die süssen kleinen Katzen- und Hundebabies
werden viel eher gerettet als "stark duftende" Zweibeiner, die ebenso auf der Strasse leben
müssen. Die Spenden für Hilfsorganisationen fliessen wesentlich besser mit süssen
Kindergesichtern auf Hochglanzprospekten. Das Attribut "herzig" mag unsere natürliche Seele
anrühren zur Barmherzigkeit. Gottes Barmherzigkeit geht aber weit darüber hinaus!
Unser Wort Barmherzigkeit stammt aus dem Althochdeutschen barmherzi, abgeleitet von
irbarmen (erbarmen) und ist eigentlich ein Lehnwort aus dem Lateinischen misericordia. Miser
steht für unglücklich, arm und elend. Und in cor steckt das Herz drin. Ein Herz für die Armen.
Ein Herz für die Armen orientiert sich nicht nur am "Herzigen", nicht mal nur am Mitleid. Ein
Herz für die Armen sieht die Notleidenden mit Gottes Augen; nimmt die Bedürftigen wahr, so
wie Gott sie sieht. Und Er hat sie nicht vergessen! Auch wenn es manchmal den Anschein
macht. Der VATER will sie Dir und mir "ans Herz legen".
Egal ob sie dringend eine Dusche bräuchten oder mit Ausschlägen übersät sind, vielleicht
missgebildet oder sonst alles andere als herzig. Jesus hatte diesbezüglich nie Berührungsängste. "Lernt von mir", sagte Jesus.
Er kann heute die Elenden nicht mehr in Seine Arme umschliessen. Dazu braucht Er Dich und
mich. Wir sind Seine Hände! – Da fühle ich mich echt herausgefordert! Und ich will bei Weitem
nicht sagen, dass ich es schon ergriffen habe.
Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist (Lukas 6.36), forderte Jesus Seine
Jünger auf. Die Elberfelder ergänzt als Alternativübersetzung:
So werdet nun barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!
Es ist an der Zeit, Barmherzigkeit zu lernen und zu praktizieren. Der Herr möchte, dass wir von
Ihm lernen, dass wir darin wachsen. Deshalb schickt er uns auch Übungsfelder über den Weg.
Nun, alles hat doch schliesslich auch seine Grenzen, werden einige einwenden. Ich sage nicht,
dass es dazu nicht auch göttliche Weisheit braucht.
Ich bin selbst schon auf Trickbetrüger reingefallen vor etlichen Jahren. Eine junge Frau,
angeblich aus dem Balkan, bat mich an der Bushaltestelle um Geld. Nach den ersten zwanzig
Franken erzählte sie mir von ihrem 5-jährigen Sohn, der noch in der Heimat sei mit ihrem Mann
und dringend eine Operation bräuchte. Sie zeigte mir ein herziges Foto von dem Jungen. Sie
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müsse dringend noch heute nach Hause. Ob ich nicht mehr geben könnte? Ich gab ihr noch
mein letzte Hunderternote. Sie bedankte sich, blieb aber hartnäckig. Nun wurde die Szene
etwas merkwürdig.
"Gott hat Dich mir über den Weg geschickt. Gesegnet seist Du, liebe Schwester! Du bist doch
eine Schwester im Herrn, ich sehe doch Deine Ausstrahlung. Bitte hab Erbarmen! Du hast doch
sicher eine Bankkarte. Ich komme mit Dir zum Bankomaten. Wie hoch ist Deine Tageslimite?"
Jetzt wurde es etwas ungemütlicher. Nicht dass ich ihr das Geld, was dazumal etwa einem
Monatslohn von mir entsprochen hat, nicht gerne gegeben hätte, aber irgendwas fand ich doch
nicht ganz koscher. Unter Tränen beteuerte sie, sie würde mir das Geld eines Tages zurückzahlen, wollte meine Adresse.
Nun, die Freude einer barmherzigen Tat wollte sich bei mir nicht mehr so richtig einstellen. Ich
fühlte mich eher etwas übertölpelt und war verunsichert: Wollte mich der Herr nun benutzen,
um einer ausländischen Schwester aus der Not zu helfen? Dann soll sie gesegnet sein! Oder
war ich doch gutgläubig auf eine raffinierte Betrügerin reingefallen?
Nachts hatte ich einen merkwürdigen Traum. Ich träumte von der jungen Frau. Plötzlich
verwandelte sie sich vor meinen Augen in einen Wolf, der mich mit gehässiger Fratze anfauchte.
Erschrocken bin ich aufgewacht. Was wollte Gott mir sagen?
Wenige Tage später hatte ich die junge Frau am Telefon. Ganz aufgeregt bat sie: "Können wir
uns treffen? Es ist sehr wichtig. Ich brauche Deine Hilfe, liebe Schwester."
Im Kafi Brändli liess ich sie was bestellen, sie erzählte mir wieder lang und breit eine Story.
Komischerweise ging es diesmal um ihr kleine Tochter. Sie zückte ein ganz anderes Foto. Das
Mädchen sei bei ihrem Grossvater in Ungarn, aber der sei schwer krank. Etwas konsterniert
fragte ich nach dem Jungen in Serbien und nach Dingen, die sie letztes Mal erzählt hatte. Zuerst
wand sie sich, verstrickte sich in strube Szenarien. Dies alles in gebrochenem Deutsch. Plötzlich
wollte sie kurz aufs Klo. Ich habe sie nie mehr gesehen, das Essen hat sie stehen gelassen.
Ich war froh, hatte mich Gott durch den Traum gewarnt und diesmal vorsichtiger agieren lassen.
Es ist traurig, wenn solche jungen Menschen von Schlepperbanden dazu gezwungen werden,
mit Lügengeschichten Leute zu betrügen und auszunutzen. Vermutlich hauste sie tatsächlich
irgend in einem Loch und musste alles Erbettelte gleich wieder abgeben.
Traurig ist auch, was es mit unseren Herzen macht. Weil wir misstrauisch werden, vielleicht
auch da, wo echte Not ist. Gerade diese Woche hatte meine Mutter ein Erlebnis mit der selben
Maschen. Als sie der Frau erklärte, sie würde ihr das Ticket nur bezahlen, wenn sie selbst mit ihr
an den Bahnhof käme und sie in den Zug setze, ist die Frau nicht wie versprochen gekommen.
Immerhin, den angebotenen Znüni hat sie gegessen.
Ich will gerne Barmherzigkeit lernen, aber wir brauchen auch dringend die nötige Weisheit und
die Gabe der Unterscheidung! Einem Suchtkranken Geld geben für den vielleicht letzten Schuss,
möchte ja niemand. Dennoch sind es Notleidende. Da bin ich sehr dankbar, dass wir hier in der
Schweiz gute Institutionen haben, mit reicher Erfahrung, wie man diesen Menschen auf
konstruktive Weise helfen kann. Das ist ein grosses Privileg.
Wie gut, dass ich den Heiligen Geist bitten darf, dass Er mich leitet. Manchmal ist es ja bereits
ein liebes Wort und ein liebes Lächeln, ein Wahrnehmen und Annehmen, dass unsere
Mitmenschen aufbaut.
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Und dann haben wir die Möglichkeit, zuallererst dort zu helfen, wo unsere Geschwister leiden.
Ich meine jetzt "echte, wahre Geschwister". Gottes Gemeinde ist ein so tolles Netzwerk. Da
kennt man sich persönlich, weiss konkret, wo die Not ist. Man kann vielleicht selbst einen
Augenschein nehmen vor Ort, so wie das mittlerweile viele von uns mit der Partnergemeinde in
Rumänien gemacht haben. Man weiss um ein Kollektiv an Leitern und Diakonen, die darüber
wachen, dass unsere Hilfe am richtigen Ort ankommt.
Mich beeindruckt zutiefst, wie unsere rumänischen Geschwister barmherzig sind, obwohl sie
selber auch nicht auf Rosen gebettet sind. Wir sollten sie uns zum Vorbild nehmen!
Dahinein gehört zum Beispiel auch unsere solidarische Weihnachtsaktion für Geschwister, die in
unserer eigenen Gemeinde schmal durchmüssen. Für den einzelnen bedeutet es vielleicht nur
einen kleinen Zustupf für die Adventszeit. Aber es soll auch ein Liebeszeichen sein, dass wir sie
wertschätzen und wahrnehmen in unserer Mitte.
Die Sonderkollekte von letztem Sonntag hat übrigens 2755 Franken ergeben. Wenn Du nicht da
warst und Du unsere finanziell schwächer gestellten Geschwister ebenfalls segnen möchtest,
kannst Du sicher gerne noch eine Einzahlung machen mit dem Vermerk Weihnachtsaktion.
In der katholischen Tradition gibt es seit dem Mittelalter die 7 Werke der Barmherzigkeit,
basierend auf Matthäus 25.34–46. (Für das 7. Werk: Tob 1.17–20.)
Werke der Barmherzigkeit
Die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit
• Die Hungrigen speisen.
• Den Dürstenden zu trinken geben.
• Die Nackten bekleiden.
• Die Fremden aufnehmen.
• Die Kranken besuchen.
• Die Gefangenen besuchen.
• Die Toten begraben.
Daneben stehen (gleichberechtigt) die
Die sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit (zurückgehend auf Augustinus)
• Die Unwissenden lehren.
• Den Zweifelnden recht raten.
• Die Betrübten trösten.
• Die Sünder zurechtweisen.
• Die Lästigen geduldig ertragen.
• Denen, die uns beleidigen, gerne verzeihen.
• Für die Lebenden (und die Toten) beten.
Über den allerletzten Punkt wären wir uns wohl nicht einig, ob das tatsächlich Sinn macht.
Aber die zweimal 7 Werke der Barmherzigkeit bringen es ansonsten sehr gut auf den Punkt.
Der eine ist vielleicht praktischer veranlagt, der andere hat es mehr mit den sogenannt
"geistigen Werken der Barmherzigkeit". Beides ist wichtig und beides ist vonnöten!
Barmherzig sein, wie unser Vater im Himmel barmherzig ist! Darin wollen wir wachsen! Egal,
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wie sich die Welt um uns herum entwickelt. Die kommenden Zeiten werden uns diesbezüglich
bestimmt noch sehr herausfordern!
Wir wollen Barmherzigkeit üben, nicht aus purem Mitleid heraus, sondern aus Seiner Weisheit
und Güte; aus Seiner Freude an überfliessender Grosszügigkeit. Weil Er uns begnadigt hat! Weil
Er uns gekrönt hat mit Gnade und Barmherzigkeit!
Lasst mich schliessen mit einem Vers aus 2. Korinther 1,3:
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und
Gott allen Trostes. (LU)
4 Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not
sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden. (EIÜ)
Anregungen für die Kleingruppen
1. Zeichnet ein Bild von Gottes Barmherzigkeit auf, am besten auch anhand von
persönlichen Zeugnissen.
2. Nehmt euch vor, diese Woche ganz bewusst die Krone der Gnade und
Barmherzigkeit (Ps 103.4) zu tragen. Was wird das auslösen?
3. Sagst Du JA zu Gottes Charakterschule, damit Seine Früchte des Geistes in Dir zur
Genussreife heranwachsen können?
– Welche Frucht begehrst Du / brauchst Du am meisten?
– Welche Frucht ist Deine grösste Herausforderung?
– Darf der Vater Dir diesbezüglich Übungslektionen über den Weg schicken?
– Wie können wir uns gegenseitig in diesem Heranreifen unterstützen?
4. Was für Erfahrungen habt ihr gemacht mit barmherzigen Taten?
– Glücklich sind die Barmherzigen... Habt ihr dies schon so erlebt?
– Falls darunter negative Erfahrungen sind: Können wir uns davon lösen und dem Herrn
vertrauen, dass Er uns verstärkt mit Seiner Weisheit und Unterscheidung leitet?
– Haben wir die Augen offen für unsere bedürftigen Mitmenschen? Oder schauen wir
lieber weg oder schieben Wichtigeres vor?
5. Werke der Barmherzigkeit
– Welche Werke der Barmherzigkeit liegen euch am nächsten, entsprechen eurer
Begabung, euren Möglichkeiten?
–Gibt es einen Punkt, von dem Du Dich neu herausfordern lassen willst?
Betet füreinander, dass wir wachsen dürfen in dem Prozess "Barmherzig zu werden,
wie unser Vater im Himmel barmherzig ist".
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Die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit (gemäss Matt 25.34-46)
•
•
•
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•
•
•
Die Hungrigen speisen.
Den Dürstenden zu trinken geben.
Die Nackten bekleiden.
Die Fremden aufnehmen.
Die Kranken besuchen.
Die Gefangenen besuchen.
Die Toten begraben.
Die sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit (zurückgehend auf Augustinus)
•
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Die Unwissenden lehren.
Den Zweifelnden recht raten.
Die Betrübten trösten.
Die Sünder zurechtweisen.
Die Lästigen geduldig ertragen.
Denen, die uns beleidigen, gerne verzeihen.
Für die Lebenden (und die Toten) beten.
Als mögliche Ergänzung:
Die sieben Werke der Barmherzigkeit für Thüringen (entstanden 2006/07):
Einem Menschen sagen:
Du gehörst dazu.
Ich höre dir zu.
Ich rede gut über dich.
Ich gehe ein Stück mit dir.
Ich teile mit dir.
Ich besuche dich.
Ich bete für dich.
"...das habt ihr mir getan."
Du gehörst dazu
Menschen, die am Rand stehen, einbeziehen (z.B. Behinderte, sozial Schwächere,
Ausländer).
Ich höre dir zu.
Zeit und persönliches Interesse für die aufbringen, denen keiner zuhört, an deren
Leben niemand Anteil nimmt.
Ich rede gut über dich.
Denen Ansehen geben, die übersehen, abgeschrieben oder verurteilt werden.
Ich gehe ein Stück mit dir.
Orientierungslosen Rat und Hilfe anbieten, einen schweren Weg mitgehen.
Ich teile mit dir.
Jene nicht leer ausgehen lassen, denen das Nötigste zum Leben fehlt.
Ich besuche dich.
Einsame, Fallengelassene, die „Fortschrittsverlierer“ aufsuchen.
Ich bete für dich
Auf Gott aufmerksam machen, "ich bete für Dich", für Mitmenschen beten.
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