Nach dem Motto «Think global, drink local» erobern

Luxus Spirituosen
Schweizer
Geist
Einst Golffreunde, ­
heute Gin-Produzenten:
­Gustav Inglin (l.) und
Beat Sidler, Breil Pur
in Breil/Brigels GR.
Nach dem Motto «Think global, drink local» erobern derzeit
hiesige Gins und Whiskys den Markt – während traditionelle ­Obstbrände
­mit Innovationen auf sich aufmerksam machen.
Monique Rijks Text / Sylvan Müller Fotos
Einziger Gin
mit Bündner
Alpenwacholder:
Breil Pur.
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W
er jüngst eine
Weinund
Spirituosenhandlung besucht
hat,
dürfte ob den
zahlreichen
Schweizer Whiskys und Gins gestaunt
haben. Vor allem bei Letzterem schnellt
der Anteil «made in Switzerland» fast so
schnell in die Höhe, wie Liguster den
Gartenzaun hochklettert. Gin ist in. «Die
hiesigen Produzenten erfinden nicht
Neues, sie springen auf einen Trend auf.
Nicht zuletzt, weil es erstens relativ einfach ist, Gin zu produzieren, und zweitens die Produktionskosten tief sind»,
sagt Urs Ullrich, Geschäftsführer der
Paul Ullrich AG. Er ist überzeugt, dass
der Erfolg eines Gins weniger von seinem
Geschmack als von der Marketing-Begabung des Produzenten abhängig ist.
Dieser Überzeugung dürften Beat
Sidler und Gustav Inglin zumindest teilweise widersprechen. Seit die beiden
den Breil Pur Gin produzieren, gleicht
ihr Leben einem Krimi. Spannende
­Momente und Unwegsamkeiten gehören
zum Alltag der beiden wie das Tonic
zum Gin.
Wacholder im Glas. Zum Gin sind die beiden Golffreunde, der eine ehemaliger
Banker, der andere gelernter Wirtschaftsjurist, wie die Jungfrau zum Kinde gekommen. Nach einem Spiel in Brigels
sass man zusammen, sinnierte über das
Leben im Allgemeinen und die eigene
Biografie im Besonderen. Der Wunsch,
nach dem 50. Geburtstag nochmals
«etwas zu machen», paarte sich mit genauen Vorstellungen: Das Neue sollte mit
Genuss und mit Graubünden zu tun
haben und nicht bereits in hundertfacher
Ausführung erhältlich sein. Recherchen
zeigten, dass kulinarische Spezialitäten
im Bündnerland breit gefächert und Nischen selten sind. Die zündende Idee lieferte schliesslich der Zufall in der Gestalt
einer Einladung zu einer Gin-Degustation, auf deren Rückseite verschiedene
Kräuter abgebildet waren. «Kräuter? Im
Bündnerland wachsen viele Kräuter,
Kräuter sind Botanicals – warum machen
wir nicht einen Gin?»
Gedacht, getan! In den nächsten zwölf
Monaten tüftelten die beiden an ihrem
Produkt. Sie nahmen Kontakt mit dem
britischen Chemiker David Clutton auf,
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Entwickelte den
ersten sortenreinen
Kirsch mit: Beat
­Humbel, ­Humbel
Spezialitäten­
brennerei
in Stetten AG.
Altes Kulturgut –
neu aufbereitet:
­sortenreiner Basler
Langstieler Kirsch
von Humbel.
«Plötzlich entdeckten die Leute, dass
Kirsch nicht ‹nur› Kirsch ist, sondern
ein besonderes Produkt.»
der auch als Dr. Gin bekannt ist. Nachdem Inglin und Sidler die Zutaten für
«ihren» Gin zusammengetragen hatten,
pröbelte er damit so lange herum, bis die
Rezeptur für den klassischen London
Dry Gin stand, der den beiden vorschwebte: «Wir wussten ziemlich genau,
wie unser Gin schmecken sollte», erinnert sich Sidler.
Es brauchte – trotz kundiger Beratung
– einige Monate, bis das Destillat aus BioAlkohol, Alpenwacholder, Alpenrosenblüten, Schokolademinze, frischem
Bündner Quellwasser und weiteren – •
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geheimen – Zutaten so abgestimmt
war, dass es sowohl den geschmacklichen Vorstellungen von Sidler und Inglin
entsprach als auch den hohen qualitativen Anforderungen von Dr. Clutton genügte. Als endlich alle zufrieden waren,
brannte der begabte Brenner Candinas
in Surrein den ersten Breil Pur Gin.
Die Degustation in Fachkreisen begeisterte. «Die vielen positiven Feedbacks haben uns über das erste Jahr geholfen. Denn mit der Rezeptur war es
noch längst nicht getan, wie wir feststellen mussten», erinnert sich Inglin. Das
erste Jahr sei tückenreich gewesen. «Als
Quereinsteiger sagt man schnell: ‹Okay,
das machen wir›, und realisiert erst später, was man sich aufgehalst hat.» Etwa
den Entscheid, den Gin bio-zertifizieren
zu lassen, oder die Beschaffung von einheimischem Alpenwacholder. «Weil wir
die Ersten waren, die unbedingt mit einheimischem Wacholder arbeiten wollten,
mussten wir ziemlich lange suchen, bis
wir einen Sammler fanden.»
Laut Sidler war es oft ein «Learning by
doing». Allen Widrigkeiten zum Trotz
möchten die beiden ihren neuen Alltag
nicht missen: «Heute ist die Natur unser
Boss – das verlangt zwar eine gewisse
Flexibilität, dafür gleicht kein Tag dem
anderen.» Zwei Jahre nach den ersten
Schritten gilt der Breil Pur unter Kennern
und Liebhabern als «eigenständiger und
besonders gut gemachter Gin».
Kirschenzauber. Bereits 16 Jahre sind es
her, seit die Liberalisierung des Alkoholmarkts in der Schweiz rechtskräftig
wurde. Damals fielen die unterschiedlichen Steuersätze für in- und ausländische Destillate weg. Der Preis von importierten Spirituosen sank über Nacht um
fast 50 Prozent, während die Preise einheimischer Produkte konstant blieben.
Der Absatzmarkt veränderte sich dramatisch: Bis 1999 stammten 80 Prozent der
konsumierten harten Getränke aus der
Schweiz, heute beträgt der einheimische
Anteil noch 15 Prozent. Besonders hart
hat es die Kirschbrenner getroffen.
«Kirsch», sagt Ullrich, «ist ein Kulturgut,
dessen Herstellung viel Handwerk, Wissen und Erfahrung voraussetzt.» Dies
gehe leider immer mehr verloren.
Alles andere als konservativ arbeiten
die beiden Cousins Lorenz und Beat
Humbel. Die beiden führen den Familienbetrieb in Stetten, der seit drei Genera98 BILANZ 17/2015
Die Brauerei Locher
brennt für 27 Gast­
häuser im Alpstein­
gebiet je ­einen eigenen
­Whisky: Säntis Malt.
«Gerste und Wasser sind für
Whisky – wie beim Bier – die
wichtigsten Ingredienzen.»
tionen dasselbe Ziel verfolgt: gute Obstbrände aus heimischen Kirschen zu
fairen Preisen zu brennen.
1995 – die beiden hatten den Betrieb
erst gerade übernommen, als das neue
Alkoholgesetz ratifiziert wurde – las Lorenz Humbel das Buch «Die Kirschensorten der deutschen Schweiz» des ehe­
maligen Direktors der Wädenswiler
Forschungsanstalt, erschienen 1937. Fast
800 verschiedene Kirschensorten findet
man in der Schweiz – warum diese nicht,
statt wie üblich zu mischen, einzeln verarbeiten? Die Idee war so einfach wie bestechend, nur war bis anhin noch nie je•
mand darauf gekommen.
Gehört zu den
Whisky-Pionieren
der Schweiz: Karl
Locher, Brauerei
Locher in Appenzell.
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Lockende Versuchung
Zehn Schweizer Edelschnäpse zum Entdecken.
1. Tschin. Die farbenfrohe Etikette des Gins von Käsers Schloss verspricht
Besonderes. Tatsächlich: Der Reckholder, wie der Wacholder im Fricktal
genannt wird, paart sich mit Kirschblüten und verleiht dem Getränk eine
aussergewöhnlich fruchtige Note. 52 Franken.
2. Summer Gin. Nginious hat einen leichten Gin mit Pfirsich-, Limetten-,
Rhabarber- und Heidelbeeraromen gebrannt. 59 Franken.
3. Gin 1948. Die beiden Kindschi-Brüder – die vor allem für ihren Bündner
Röteli bekannt sind – destillieren ihren Gin zweimal, mit neun einheimischen Botanicals und nach einem Rezept des Grossvaters. 36 Franken.
4. Dry Gin Ojo de Agua. Dieter Meiers Leidenschaft für Argentinien ist
auch in seinem Gin spürbar: Mate-Tee und getrocknete Schalen von
­Zitrusfrüchten aus Tucumán verleihen dem Ojo de Agua eine würzige, fast
geheimnisvolle Note. 39.50 Franken.
5. Nutmeg Gin. Wie der Name schon sagt, spielt die Muskatnuss in diesem
ungewöhnlichen Gin der Brennerei Matter-Luginbühl die Hauptrolle. Er
eignet sich besonders gut zum Mixen von Cocktails. 40 Franken.
6. Heimat non-age. Der Whisky aus dem Hause Z’Graggen überrascht mit
seinen frischen Fruchtaromen: Zitrus, Quitte, Apfel und Aprikose paaren
sich hier mit delikaten Holznuancen. 59 Franken.
7. Swiss Highland Single Malt «Ice Label». Die Berner Oberländer Brauerei
Rugenbräu lässt ihren Whisky in einer Eishöhle auf dem Jungfraujoch im
Oloroso-Sherry-Fass reifen: würzig, warm und männlich. 164 Franken.
8. Luzerner Hinterländer Single Malt Nr. 5. Die Brauerei Stadelmann in
Altbüron lagert ihren Whisky in einem klassischen, gebrauchten Bordeaux-Fass, was dem bernsteinfarbenen Getränk Aromen von Vanille,
Bananen und Honig beschert. 62 Franken.
9. Old Woodpecker Bio-Whisky. Der Aufenthalt im Chardonnay-Fass verleiht diesem aus biologischer Braungerste hergestellten Whisky von Langatun eine leichtfüssige Note. 65 Franken.
10. Our Beer Whisky. Die Kooperation mit dem Basler «Unser Bier»-Produzenten hat die Brauerei Humbel zu diesem biologischen Single Malt inspiriert. Vollmundig, würzig und rauchig. 74 Franken.
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Höchster Whiskytrek. Ist es beim Kirsch
die Kirsche, die dem Branntwein seinen
ganz besonderen Geschmack verleiht,
fällt diese Aufgabe beim Whisky dem
Fass zu. Das wissen nicht mehr nur die
Schotten – Whisky wird mittlerweile an
vielen Orten auf der Welt produziert,
etwa in Indien, Japan, Taiwan und in der
Schweiz. «Die ersten hiesigen Whiskys
tauchten vor gut 15 Jahren auf dem Markt
auf und führten lange ein Schattendasein. Mittlerweile können sie von der
Qualität her mit internationalen Produkten mithalten», stellt Urs Ullrich fest.
Zu den Schweizer Whisky-Pionieren
gehört die Brauerei Locher in Appenzell.
Seit 1886 steht das Hauptgebäude des
­Familienunternehmens am Ufer der Sitter im Herzen der Kleinstadt. Bis heute
wird hier das beliebte Appenzeller Bier
­gebraut; und seit 1999 wird im hinteren
Teil des Brauhauses Whisky gebrannt.
«Brauen und Brennen sind ähnliche Vorgänge – zudem sind Gerste und Wasser
sowohl beim Bier wie auch beim Whisky
die wichtigsten Ingredienzen. Der Schritt
vom Bier zum Whisky ist dementsprechend logisch», sagt Urs Dähler, Verantwortlicher für den Spirituosenbereich
der Brauerei.
Auf den Whisky kam man in Appenzell aber eher zufällig. Der Fund alter
Bierfässer im Keller weckte bei Karl Locher, der zusammen mit seinem Cousin
Raphael die Brauerei in der fünften Generation leitet, die Lust am «Experimentieren». Er brannte verschiedene Schnäpse
ohne klares Ziel vor Augen und füllte sie
in die gefundenen Fässer ab. Als er eines
Abends im Freundeskreis von seinen Versuchen erzählte, klärte ihn ein Bekannter
auf: «Was du da machst, ist Whisky!»
In den nächsten Jahren entstanden
vier verschiedene Whiskys – der klassische Säntis Malt, die rauchige Edition
Dreifaltigkeit, die fruchtige Edition Sigel
und die mit Rahm angereicherte Edition
Marwees. Sie alle heimsten im In- und
Ausland unzählige Preise ein.
Der Erfolg beflügelte die Fantasie der
Bierbrauer und bereitete den Boden für
ihre «verrückte» Idee: Jedes der 27 Gasthäuser im Alpsteingebiet sollte einen eigenen Whisky erhalten, der exklusiv im
jeweiligen Lokal erhältlich wäre.
Ein ambitioniertes und, wie sich herausstellte, abenteuerreiches Unterfangen. Nicht nur die Beschaffung von 27
verschiedenen Fässern führte die Mitarbeiter der Brauerei Locher in alle Ecken
der Welt, auch deren Transport zu den
einzelnen Gasthöfen entpuppte sich als
«grosse Herausforderung»: «Je nach Lage
mussten wir die Fässer mit Pferdewagen,
Oldtimer-Schlitten, auf Maultieren oder
gar zu Fuss anliefern.» Heute stehen die
Bottiche aus Sibirien, Malaga oder Bordeaux über den ganzen Alpstein verteilt
in sehr unterschiedlichen Umgebungen.
Auf dem Rotsteinpass etwa füllt das Fass
die Telefonkabine aus, auf dem Säntisgipfel lagert es in einer Steingrotte, und
auf der Tierwies liegt es in einem Schopf,
auf dessen Dach die Sonne oft und lange
scheint. «Nebst dem jeweiligen Holzfass
hat die unterschiedliche Art der Lagerung einen grossen Einfluss auf den Geschmack des Whiskys», sagt Dähler.
Die Alpstein-Whiskys übrigens kann
man nur in den Alpstein-Gasthäusern
kaufen. Wer sie probieren will, muss die
Wanderschuhe anziehen und sich auf den
ausgeschilderten Whiskytrek aufmachen.
Dafür kommt er nicht nur in den Genuss
sehr guter Whiskys, sondern entdeckt
auch eine einzigartige Landschaft.
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www.breilpur.ch // www.humbel.ch //
www.saentismalt.ch // www.whiskytrek.ch
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Sind die fetten
Jahre vorbei?
Fotos: PR
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Holzfass und Art der Lagerung
haben einen grossen Einfluss auf
den Geschmack eines Whiskys.
In den nächsten Monaten widmete
Lorenz Humbel seine Nächte fast ausschliesslich dem Kirsch, bis im Herbst
1996 der erste sortenreine Kirsch aus
Hemmiker Kirschen erschaffen war.
Heute werden jedes Jahr bis zu 30 verschiedene Destillate gebrannt, davon
sind ungefähr zehn sortenrein. Etwa der
Seppetoni-Kirsch aus der seltenen Seppetoni-Kirsche, die nur in den Fricktaler
Gemeinden Mumpf, Obermumpf und
Schupfart wächst und sich im Edelbrand
als markante Marzipannote manifestiert.
Oder der weisse Traubenkirsch aus der
gleichnamigen Frucht, der nach Zimt,
Chili und Gras schmeckt.
«Die sortenreinen Brände revolutionierten die Kirsch-Szene, plötzlich entdeckten die Leute, dass Kirsch nicht ‹nur›
Kirsch sein musste, sondern ein besonderes Produkt sein konnte», sagt Stefan
Müller, Verkaufsleiter der Spezialitätenbrennerei Humbel. «Diese Brände sind
nicht für den Massenmarkt gedacht, wir
produzieren kleine Mengen, unsere Kirschen stammen aus der Umgebung, unsere Ressourcen sind nicht grenzenlos.»
Derzeit entdeckt ein junges, urbanes
Publikum die Tradition des Kirsches wieder. Das freut Müller ganz besonders.
Denn: «Wer unsere Brände verkaufen
will, muss ein bisschen Aufwand betreiben, die Eigenheiten und die Vielfalt des
Angebotes erklären können.» Ganz nebenbei könne man dabei auch das Interesse für alte Kirschsorten wecken.
Wen wir ins eidgenössische Parlament wählen, prägt die Zukunft des Schweizer Tourismus.
SRF stellt die Kandidatinnen und Kandidaten der Wahlen 2015 vor und liefert Meinungen, Fakten
und Hintergründe. Im Radio, im Fernsehen und online. srf.ch/wahlen