abschlussprüfungen 201 s

GYMNASIUM MUTTENZ
Fachmittelschule
J[ J[
[F M S ]
ABSCHLUSSPRÜFUNGEN 201 S
08.00h - 12.00h
Montag, 18. Mai 2015
Fach:
Deutsch
Klassen F3a, F3b, F3c
~-
ExaminatorjExaminatorin
ExpertejExpertin :
Erlaubtes Hilfsmittel:
:
Ines Siegfried, Jan Pagotto,
Wilfried Ebert
Rudolf von Passavant, Rudolf
Käser, Christian Pilgram
Duden, die deutsche Rechtschreibung, Band 1
Teill: Arbeit am Text
Zeit: ca. 60 Minuten
Gewichtung: 25%
Lesen Sie zuerst alle Fragen dieses Teils durch, bevor Sie mit der Lektüre des Textes "Der Gott
der Natur und die Prothesengötter" und mit der Beantwortung der dazugehörigen Fragen
beginnen!
Aufträge:
1.
Schreiben Sie zum folgenden Artikel eine Zusammenfassung!
Der Umfang sollte etwa eine halbe Normalhandschriftseite umfassen. (10 Punkte)
2.
Beantworten Sie die folgenden Fragen als Vertiefung Ihrer Zusammenfassung in einem
Umfang von jeweils drei bis vier Sätzen: (insgesamt 9 Punkte für Inhalt und Sprache)
a)
Was meint die Autorin mit dem Begriff .Prothesengott" genau, was ist das Göttliche daran,
was das Prothesenhafte? (3 Punkte)
b)
Unterscheiden Sie .Draussen-Sein" und nÎn der Natur" aufgrund des Textes! (3 P.)
c)
was ist die zentrale Kritik der Autorin und welche Alternativen zeigt sie auf? (3 P.)
GYMNASIUM MUTTENZ
Fachmittelschule
[FJ[NJ[SJ
ABSCHLUSSPRÜFUNGEN 2015
Text zu Teil I und zum Thema 1 des II. Teils:
© Neue Zürcher Zeitung; 4. August 2010
Der Gott der Natur und die Prothesengötter
Jogging, Cycling, Biking, Nordic Walking treiben heutzutage den homo athleticus in die
Welt. Gerüstet für ein sportliches Training, gewappnet fürs Nicht-Abenteuer, verlässt er
sein Haus und kehrt, so hofft er, gesünder dorthin zurück. Sein Körper ist das Ziel; die
Welt draussen nur der asphaltierte Weg, es zu erreichen. Der Stadtpark, die Landschaft
werden zur Rennbahn, sie sind Teil eines nach aussen verlegten Fitnesscenters. Wie
dort drin, so braucht der Gesundheitsfanatiker dort draussen für die Körperpflege
Geräte: ein Fahrrad fürs Kreislauftraining, Teleskopstöcke aus Carbon-GlasfaserGemisch fürs Nordic Walking, die Pulsuhr und den Schrittzähler, ein weiteres Gerät, um
Blutdruck und Herzrhythmus zu messen, und wenn er eine medizinische Ausstattung
nicht besitzt, schützt er sich zumindest durch ein Headphone vor den Attacken der
Umwelt, die ihn von Körpertraining und Muskelaufbau ablenken könnten. Solche
Ausstattung scheint inzwischen Pflicht, auch wenn einer sich nur zwanzig Minuten im
Stadtpark sportlich bewegt.
Das Verschwinden der Stimmung
Der Mensch ist heute viel draussen, aber in der Natur ist er nicht. Der Spaziergänger
von einst, der, einsam oder mit einem Freund, sich in der Natur erging, ist zur Seltenheit
geworden. Mit ihm verschwindet aber auch eine Haltung, eine Einstellung zur Welt, die
für den Haushalt der Gefühle einstmals als notwendig angesehen wurde: die Stimmung.
Der Spaziergänger stammt aus einer Zeit, da die Stadtmauern fielen und Natur sich als
ungefährlicher Lebensraum öffnete. Durch die Wahrnehmung eines bisher
unbetretenen Teils dieser Erde, durch Verinnerlichung von bis dahin unbekannten
Weiten, Höhen, Himmeln, atmosphärischen Strömungen, erdnahen Gerüchen und
Geräuschen eroberte sich der Spaziergänger eine neue Welt. Diese Landnahme, die im
18. Jahrhundert begann, ging friedlich vor sich und liess das Gegenüber gelten; der
Spaziergänger genoss seine allein im Anschauen und als Ästhet. Der Gewinn bestand
in einem heiteren Gemüt und einem ruhig schlagenden Herzen, im Einverständnis mit
der Natur, die manchmal sogar für Gott gelten konnte.
Der neue Draussenmensch hingegen will von Entspannung nichts wissen. Dieser
Egozentriker vergisst die Welt, die ihn umgibt, über all seiner Plage, und die moderne
Technik mit ihren Erfindungen springt ihm bei, seine Leistungen zu messen. Sigmund
Freud hat in seiner Abhandlung «Das Unbehagen in der Kultur» bereits das neu zu
beobachtende Unbehagen in und an der Natur analysiert. Die Macht- und
Idealvorstellungen, die der Mensch von sich habe, projiziere er, so Freud, zunächst auf
Gott, dann in die Natur. Doch schuf sich der Mensch immer schon technische Mittel,
Hilfestützen, diese Macht an sich zu reissen: «Der Mensch ist sozusagen eine Art
Prothesengott geworden, recht grossartig, wenn er all seine Hilfsorgane anlegt.» Mit
Geräten ausgestattet, mache er sich zum Herrn der Welt und zum Schöpfer seiner
selbst. Über dieser Arbeit an seiner «Gottähnlichkeit» gehe ihm der Sinn für die übrige
Schöpfung verloren.
GYMNASIUM MUTTENZ
Fachmittelschule
[F][NJ[SJ
ABSCHLUSSPRÜFUNGEN 2015
Die Natur als Hindernis
Für den Leistungssportier, als der sich der Mensch während seines Aufbautrainings
versteht, ist die Natur nichts als ein Hindernis, jeder Ast, jede Maus, jeder Spitzwegerich
könnte den Spurt bremsen, den Rhythmus der Herzschläge durcheinanderbringen. Er
braucht den Asphalt, der eine scharfe Grenze zieht gegen den ungeordneten Angriff der
Natur auf seinen Spurt. Kein Stein, kein aufgeweichter Boden, kein Pflänzchen kann die
Elastik der trittsicheren Sohle aus dem Gleichgewicht bringen. Die Natur würde
Verweilen, Um-sieh-Schauen fordern, Pausen, die nicht nur Verschnaufpausen sind;
doch das liefe dem Zeitmanagement zuwider. Dieses errechnet die verbrauchte Kraft
und kalkuliert Zeit mal Weg. Würde sich der Walker ins Gras legen, er spürte nicht
einmal die Feuchtigkeit der Erde, denn seine Kleidung, atmungsaktiv zwar, ist auf jeden
Fall wasserabstossend. Wetter gibt es ohnehin nicht für ihn, die Thermokleidung schützt
gegen jede Temperatur. Dieses Gemüt verliert sich an keine Atmosphäre, keine
Stimmung. Was einmal Landschaft war, ist zur Strecke gemacht und zur Strecke
gebracht.
Hannelore Schlaffer lebt als Essayistin und Publizistin in Stuttgart. Zuletzt erschien
2007 bei Suhrkamp der Band «Mode, Schule der Frauen».
Teil II: Aufsatz
Zeit: ca. 180 Minuten
Gewichtung: 75%
Wählen Sie eines der Themen und verfassen Sie einen Text gemäss AufgabensteIlung. Setzen
Sie einen eigenen Titel. Bezeichnen Sie jede Seite der Reinschrift mit "R" rechts oben und der
Seitennummer.
Thema 1 - Texterörterung
Nehmen Sie in einer Erörterung persönlich Stellung zu der Problematik, die die Essayistin und
Publizistin Hannelore Schlaffer im beiliegenden Text "Der Gott der Natur und die
Prothesengötter" darlegt.
GYMNASIUM MUTTENZ
Fachmittelschule
[F][NJ[SJ
ABSCHLUSSPRÜFUNGEN 2015
Thema 2 - Zitaterörterung
"An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die
ihn nicht verhindern."
Erich Kästner (1899-1974)
"Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu
seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein."
Kurt Tucholsky (1890-1935)
Setzen Sie sich mit dem Inhalt dieser beiden Zitate erörternd auseinander und beziehen Sie
diese auf eine aktuelle Situation aus dem privaten oder öffentlichen Leben.
Thema 3 - Erzählung
Stellen Sie sich vor, Sie kämen von einer Reise zurück an einen Ihnen vertrauten Ort. Nichts
hat sich verändert, alles ist so wie immer. Doch Sie sind nicht mehr derselbe Mensch. Entweder
sind Sie auf die Grösse eines Dreijährigen geschrumpft oder auf diejenige eines drei Meter
grossen Riesen gewachsen oder Sie müssen auf den Händen gehen. Wählen Sie eine dieser
drei Perspektiven und erzählen Sie die Geschichte dieses Perspektivenwechsels.
Thema 4 - Texterörterung
Erörtern Sie die beiliegende Keuner-Geschichte von Bertolt Brecht und illustrieren Sie diese mit
anschaulichen Beispielen.
Bertolt Brecht: Der hilflose Knabe (1948)
Herr K. sprach über die Unart, erlittenes Unrecht stillschweigend in sich hineinzufressen, und
erzählte folgende Geschichte: "Einen vor sich hin weinenden Jungen fragte ein
Vorübergehender nach dem Grund seines Kummers. "Ich hatte zwei Groschen für das Kino
beisammen", sagte der Knabe, "da kam ein Junge und riß mir einen aus der Hand", und er
zeigte auf einen Jungen, der in einiger Entfernung zu sehen war. "Hast du denn nicht um Hilfe
geschrien?" fragte der Mann.
"Doch", sagte der Junge und schluchzte ein wenig stärker. "Hat dich niemand gehört?" fragte
ihn der Mann weiter, ihn liebevoll streichelnd. "Nein", schluchzte der Junge. "Kannst du denn
nicht lauter schreien?" fragte der Mann. "Nein", sagte der Junge und blickte ihn mit neuer
Hoffnung an. Denn der Mann lächelte. "Dann gib auch den her", sagte er, nahm ihm den letzten
Groschen aus der Hand und ging unbekümmert weiter.
GYMNASIUM MUTTENZ
Fachmittelschule
[F ][MJ[S ]
ABSCHLUSSPRÜFUNGEN 2015
Thema 5 - Rede oder Kommentar
Gehen Sie zunächst auf die beiliegende Karikatur und deren vermutliche Aussagen ein, bevor
Sie in Form eines Kommentars oder einer Rede Ihre eigene Haltung zum Thema formulieren.
(Aus: !www.systemcrash.wordpress.com!. September 2012)