Personenbeschreibung Wolfgang Wagerer uhören ist eine ganz wichtige Fähigkeit. Wer anderen Menschen zuhören kann, ist ein guter Gesprächspartner. Man kann aber auch sich selbst zuhören oder auf seine eigene innere Stimme achten – das ist ebenfalls ganz wichtig. Denn die Bibel sagt: „Der Glaube kommt vom Hören“ und erzählt von vielen Menschen, die sehr gute Zuhörer waren: Mose, Samuel, Salomo, Josef, Maria usw. Sie alle entdeckten, was Gott ihnen durch andere Menschen, durch die Natur oder durch ihre innere Stimme sagen wollte und sie öffneten ihr Herz dafür. Z Geschichte zu WEITE WELT Juni 11, S. 30–31 (Jung und weise) issmutig saß Sophie am Tisch im Wohnzimmer und kaute an ihrem Stift. „Was ist los?“, fragte Alex. „Muss einen Aufsatz schreiben“, klagte Sophie. „Machst ja sonst gern“, wunderte sich Alex. „Aber nicht so einen ...“, schnauzte Sophie zurück. „Was denn für einen?“ „Personenbeschreibung ...“, stöhnte Sophie. „Personenbeschreibung?“, wiederholte Alex fragend. „Ja, ich soll irgend eine Person beschreiben“, erklärte Sophie. „Aber nicht bloß das Äußere, das ginge ja noch irgendwie. Sondern das Innere, die Person halt, was sie ausmacht ... Was weiß ich ...“ „Beschreibst halt die Nachbarin, die redet eh immer so viel“, schlug Alex vor. „Ja, aber was weiß ich über sie als Person?“, fragte Sophie. „Können wir essen?“, rief Mama aus der Küche. „Alex deckst du bitte den Tisch!“ Alex verzog das Gesicht. „Wieso ...“ Aber Mama war schneller. „Sophie holst du bitte die Oma. – Und dreht bitte den Fernsehapparat ab, das mag die Oma nicht.“ „Oma hört noch Abendjournal“, entgegnete Sophie. „Das dauert noch fünf Minuten. Da will sie nicht gestört werden.“ „Richtig“, bestätigte Mama. „Dann warten wir noch kurz.“ Mama ließ ihre Blicke über den Tisch schweifen. „Alex, bringst du das Salz mit, bitte. … „Was macht dein Heft da, Sophie?“ „Ich muss noch einen Aufsatz schreiben“, gestand Sophie kleinlaut. „Jetzt!?“, fragte Mama entrüstet. „Hat mich nicht gefreut! – Aber vielleicht könnt ihr mir helfen ...“ „Was denn?“, fragte Mama. „Personenbeschreibung, Charakteristik ...“, stöhnte Sophie. „Und an wen denkst du?“, fragte Mama. „Wenn ich das müsste ...“, klagte Sophie. M mmer muss bei euch der Fernseher laufen“, beklagte sich Oma und suchte nach der Fernbedienung. „Hallo Oma“, sagte Sophie. „Das war der einzige, der heute Nachmittag mit mir gesprochen hat“, erklärte sie. „Wärst halt bei mir vorbeigekommen“, sagte Oma. „Du hast Musik gehört“, sagte Sophie, „da wollte ich dich nicht stören.“ „Du störst nicht“, widersprach Oma. „Das hab ich dir schon hundert Mal gesagt.“ „Was machst du eigentlich, wenn du Musik hörst?“, fragte Alex. „Ich hör einfach zu ...“, sagte Oma. „Aber das ist doch urlangweilig?“, meinte Alex. „Woran denkst du denn da?“ „Ich denk an gar nichts“, erklärte Oma. „Ich hör der Musik zu. Und dann seh ich Farben oder Landschaften, Sonne, Licht, manchmal tauchen auch Personen auf, Erinnerungen ...“ „Und dann denkst du nach, wie es früher war?“, fragte Sophie. „Nein, da denk ich überhaupt nichts“, widersprach Oma. „Da lass ich nur einfach die Bilder vorbei ziehen, sie kommen und sie gehen auch wieder ...“ „Das ist ja wie Fernsehen“, meinte Alex. „Sag ich ja immer“, wiederholte sich Oma. „Ich I sag dir ja immer: Musikhören, Lesen, das ist wie Fernsehen im Kopf. Aber der Unterschied ist, dass ich mir dazu meine eigenen Bilder machen kann ...“ „Ist das besser?“, fragte Sophie. „Nicht besser“, meinte Oma. „Aber ich lass mich halt nicht gern berieseln.“ „Ja, die Oma ist eine große Zuhörerin. Der kann man alles erzählen“, sagte Mama und lächelte dankbar. „Das hat der Opa auch immer gesagt“, bestätigte Oma. „Und wenn die Frau Träger zur dir kommt, die Nachbarin, und sie quatscht dich stundenlang an“, fragte Sophie, „siehst du dann auch solche Bilder beim Zuhören?“ „Das ist anders“, erklärte Oma. „Da versuch ich mich in ihre Lage hineinzuversetzen und das geht am einfachsten, wenn ich mir vorstelle, welche Bilder ihr durch den Kopf gehen.“ „Das kannst du?“, fragte Alex erstaunt. „Du kannst die Bilder in ihrem Kopf sehen? – Dann siehst du ja auch fern!“, fügte er lachend hinzu. „Fern und nah“, lachte Oma. „Mit ein bisschen Erfahrung kann man sich schon ausmalen, was im Kopf oder im Herzen des anderen vorgeht. Und meistens ist einem der Mensch dann ganz nah!“ „Einfühlungsvermögen nennt man das!“, ergänzte Mama. „Menschen, die sich in andere einfühlen können, sind ganz besondere Zuhörer.“ „Mir wär das lästig“, meinte Sophie, „wenn mir jemand stundenlang immer die gleichen Geschichten erzählt.“ „Aber du hörst doch auch zu, wenn dich deine Freundinnen besuchen“, erinnerte Oma. „Stimmt eigentlich“, bestätigte Sophie, „aber da seh ich keine Bilder ...“ „Ich glaub schon“, meine Oma. „Vielleicht achtest du nur nicht drauf. Aber wenn man wirklich zuhört, sieht man immer Bilder.“ „Und das wird dir nie zuviel?“, fragte Alex. „Oh ja, schon“, bestätigte Oma. „Deshalb muss ich dann immer ein bisschen abschalten.“ „Und dabei unsere Wäsche bügeln“, sagte Mama. „Ja, beim Bügeln, da kann ich mich entspannen“, bestätigte Oma. „Wieso hörst du beim Bügeln eigentlich nicht Musik?“, fragte Sophie. „Oder siehst dabei fern, wie die Mama?“ „Da mal ich mir dann meine eigenen Bilder aus, da muss es ganz still sein. Da gehe ich Erinnerungen nach, denk an den Opa, an unsere Reisen, an Momente, die schön waren oder schwer ...“ „Wirst du dann traurig“, fragte Alex. „Höchstens ein bisschen“, sagte Oma. „Aber das geht schnell vorbei. Weil die eigenen Bilder, die sind eine Kraft, da steckt viel Leben drinnen. Das macht mir immer wieder Mut und Freude.“ „Und warum bist du gegen das Fernsehen?“, fragte Alex. „Ich bin nicht gegen Fernsehen. Aber wer sich ständig nur berieseln lässt, der hat dann mal gar keine eigenen Bilder mehr. Das stell ich mir vor, wie wenn man austrocknet!“ ann ich abräumen“, fragte Mama nachdem alle fertig gegessen hatten. „Gerne“, sagte Oma. „Es war köstlich. Der Schinken hat genau so geschmeckt, wie vor 20 Jahren, wie ich mit dem Opa in der Steiermark ...“ „Der Schinken ist aus der Steiermark!“, bestätigte Mama und umarmte ihre Mutter. „Kann ich Fernsehen?“, rief Alex. „Nein“, protestierte Sophie. „Ich brauch jetzt Ruhe. Ich schreib jetzt meine Charakteristik.“ „Und warum gehst du dafür nicht in dein Zimmer?“, fragte Alex verständnislos. „Weil da noch alle Bilder von der Oma herumschwirren“, sagte Sophie lächelnd. „Und die muss ich jetzt beim Schreiben nur mehr einfangen.“ K
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