Zuhören ist wichtig Roger Schürch spricht über seinen beruflichen Werdegang und über seine Erfahrungen in der Sozialarbeit Roger Schürch, Leiter der Fachstelle für Olten-Gösgen, dipl. Sozialarbeiter FH Interview: Jean-Pierre Simmen J.S.: Roger Schürch, wo sind Sie aufgewachsen? Roger Schürch: Ich bin 1960 geboren und in Kirchberg BE aufgewachsen. J.S.: Dort haben Sie auch die Schulen besucht? Roger Schürch: Ja, in der Region Kirchberg-Burgdorf. Zuerst absolvierte ich eine Lehre als Tiefbauzeicher, 1987 habe ich am Technikum Burgdorf das Studium zum Bauingenieur abgeschlossen. J.S.: Wie verlief dann Ihr beruflicher Weg weiter? Roger Schürch: Dann habe ich zehn Jahre als Bauingenieur und Projektverantwortlicher in den Bereichen Strassenbau, Kanalisationsplanung, Deponiesanierung und Gebäudestatik gearbeitet. Ich sammelte Erfahrungen an verschiedenen Arbeitsstellen in der Region Burgdorf-Bern. J.S.: Und nach diesen zehn Jahren? Roger Schürch: 1997 habe ich meinen beruflichen Weg neu überdacht. Ich spürte ein Bedürfnis nach Veränderung. J.S.: Warum? Roger Schürch: Es war in der Baubranche unruhig geworden; es war Bau- und Immobilienkrise angesagt. Dies war aber nicht der Hauptgrund: Ich interessierte mich immer mehr für die Menschen, suchte eine Beschäftigung, bei der ich enger und näher mit den Menschen zu tun hatte. Ich begann mich für soziale Berufe zu interessieren, gab meinen angestammten Beruf auf und machte ein einjähriges Praktikum in einem Sonderschulheim für Kinder und Jugendliche. Dort habe ich übrigens meine zukünftige Frau kennengelernt, sie ist Heilpädagogin. Es folgte ein vierjähriges, berufsbegleitendes Studium für Sozialarbeit an der Fachhochschule in Brugg. J.S.: Wie muss man sich das vorstellen, berufsbegleitend? Roger Schürch: Ich arbeitete vier Tage in der Woche als Sozialarbeiter, besuchte einen Tag pro Woche und während diverser Studienwochen die Fachhochschule. J.S.: Wo arbeiteten Sie im neuen Beruf? Roger Schürch: Ich arbeitete zuerst in der Lungenliga, dann im Sozialdienst Bereich Sozialhilfe der Stadt Burgdorf, und schliesslich sechs Jahre als Leiter der Abteilung Berufliche Integration bei der GEWA Stiftung in Zollikon; dort sammelte ich wertvolle Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der IV. J.S.: Und dann kam der zweite Einschnitt in Ihrer beruflichen Karriere: Sie haben sich bei Pro Senectute als Leiter der Fachstelle Olten-Gösgen beworben. Roger Schürch: Das Stelleninserat hat mich neugierig gemacht: Das Pensum war umschrieben mit 85 Prozent Sozialberatung und 15 Prozent Leitungsfunktion. Genau, was ich suchte: das Schwergewicht lag auf der konkreten Arbeit im direkten Kontakt mit den Kundinnen und Kunden, und mit den 15 Prozent Leitungsfunktion konnte ich die bisherige Führungserfahrung ebenfalls einbringen. J.S.: Sozialberatung – was bedeutet das für Sie? Roger Schürch: Was es nicht bedeutet: einfach Ratschläge geben. Sozialberatung ist für mich ein Dialog, bei dem der Kunde Experte in seiner eigenen Sache ist. Ich helfe ihm, zu klären, wo die Probleme liegen, und wir suchen gemeinsam nach Wegen und Lösungen. J.S.: Können Sie das an einem Beispiel konkretisieren? Roger Schürch: Die Tochter ruft mich an und sagt, sie mache sich sorgen um ihren Vater. Seine Frau ist vor 15 Jahren verstorben, und er vereinsamt nun immer mehr, hat keine sozialen Kontakte und Probleme bei der Führung des Haushalts. Ich lade Vater und Tochter zu einem Gespräch ein. Bald wird klar, dass der Vater das Hauptproblem bei den Haushaltarbeiten, insbesondere beim Putzen, sieht; ja, er habe wenig Kontakte, aber das sei nicht ein grosses Problem für ihn. Ich zeige ihm Möglichkeiten für Hilfe im Haushalt auf, Angebote von Pro Senectute, aber auch von andern Institutionen. Ich frage ihn, ob er jetzt entscheiden oder sich die Sache noch überlegen wolle; er bittet mich, für ihn den Aktiv Haushilfedienst der Pro Senectute zu organisieren. Ich frage nun nach seinen Bedürfnissen für Kontakte, informiere ihn auch hier über Angebote für Kurse, Wanderungen, Sport und Bewegung und so weiter. Er will sich nicht festlegen, ich respektiere das, er ist aber interessiert, Unterlagen mit nach Haus zu nehmen. Wir vereinbaren, dass ich ihn in drei Wochen anrufe, dann schauen wir weiter. J.S.: Was gibt Ihnen die Kraft, Tag für Tag für Ihre Kunden da zu sein? Roger Schürch: Bei der Sozialberatung ist Zuhören wichtig; der Kunde soll spüren, dass ich für die kommenden dreissig oder fünfundvierzig Minuten für ihn da bin, ihm konzentriert und interessiert zuhöre. Ich mache die Erfahrung, dass die Seniorinnen und Senioren diese ungeteilte Aufmerksamkeit sehr schätzen. Das gibt mir das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. J.S.: Herr Schürch, ich danke Ihnen für das Gespräch.
© Copyright 2024 ExpyDoc