6 IM GESPRÄCH | Lukas Schwyn «Männer reden erst, wenn es zu spät ist» Das Bäuerliche Sorgentelefon hat den ersten Prix Agrisano gewonnen. Das Geld hilft der Institution, ihren Dienst weiterhin anzubieten. «Wir machen das in unserer Freizeit, weil wir überzeugt sind, dass es eine gute Sache ist», sagt Lukas Schwyn, Präsident des Vorstands. schaftlichen Fragen in der Landwirt schaft ist. Wichtig ist auch, dass sie eine gewisse Reife haben, dass sie selbst schon Krisen oder schwierige Lebenssituationen durchgemacht haben. Herr Schwyn, wussten Sie von der Nominierung für den Prix Agrisano? Aufgrund welcher Sorgen wird am häufigsten angerufen? Lukas Schwyn: Ich hatte mal was gehört, das war mir aber völlig ent fallen. Entsprechend überrascht war ich, als ich per Telefon erfuhr, dass wir gewonnen haben. Wie werden die 20 000 Franken Preisgeld eingesetzt? Das Geld fliesst in die Infrastruktur. Denn seit letztem Jahr kann uns Agridea nicht mehr finanziell unter stützen, da ihr vom Bund die Mittel gekürzt wurden. Wir mussten uns etwas einfallen lassen. Der ganze Vorstand macht die Arbeit für das Sorgentelefon nun in seiner Freizeit für weniger Entschädigung als bisher. Doch wir alle wollen weitermachen und sind mit dem Herzen dabei. Auch im Freiwilligenteam, das den Telefondienst betreut, ist das Klima sehr gut. Wie viele Leute arbeiten im Freiwilligenteam? Derzeit sind es sieben Frauen und ein Mann. Einige sind schon über zehn Jahre dabei. Es geht den meis ten nicht nur im den Telefondienst, sondern auch darum, gemeinsam etwas zu machen. Warum ist der Frauenanteil so gross? Frauen haben einen stärkeren Bezug zu sozialen und seelsorgerischen die grüne | Nr. 11/2015 Fragen. Wir hätten gerne mehr Män ner im Team und sind aktuell auch wieder am Suchen. Rufen Männer beim Sorgentelefon an, sind sie manchmal froh, mit einem anderen Mann reden zu können – gerade auch bei betrieblichen Sorgen. Wir hatten schon einen höheren Männer anteil beim Sorgentelefon, doch Männer steigen aus betrieblichen Gründen schneller aus dem Telefon dienst aus als Frauen. Wie finden Sie die freiwilligen Helfer? Oft aus dem Umfeld der bestehenden Helfer. Wichtig ist uns, dass die Helfer entweder selbst Bäuerinnen und Bauern sind oder einen engen Bezug zum bäuerlichen Umfeld haben. So wissen sie aus Erfahrung, wie eng verknüpft die Verbindung zwischen Betrieb sowie familiären und partner Das sind Beziehungsthemen. Oft geht es um Generationenkonflikte. Zum Beispiel um Probleme mit einer dominanten Schwiegermutter, die sich nicht an Regeln hält und sich in die Erziehung der Kinder einmischt. Oder um Probleme mit Vätern, die ihre Grenzen nicht kennen und den Jungen dreinreden. Da muss man die Anrufenden ermutigen, selbst klare Grenzen zu setzen, weniger lieb und angepasst zu sein. Bei eini gen will die ältere Generation nicht abgeben. Bei anderen wollen die Jungen nicht übernehmen, trauen sich aber nicht, das zu sagen. Natür lich gibt es auch viele Familien, bei denen die Generationen gut zusam menarbeiten. Aber die rufen nicht bei uns an. Das Bäuerliche Sorgentelefon Das Bäuerliche Sorgentelefon ist ein gemeinnütziger Verein, der seit 1997 anonym und kostenlos seine Dienste anbietet. Jährlich werden bis zu 154 Anrufe registriert. Träger des Bäuerlichen Sorgentelefons sind die Schweizerische reformierte Arbeitsgemeinschaft Kirche und Landwirtschaft, die Schweizerische katholische Bauernvereinigung, der Schweizerischer Bäuerinnen- und Landfrauenverband und Agridea. Die freiwilligen Helfer und Helferinnen arbeiten ehrenamtlich. www.baeuerliches-sorgentelefon.ch Telefon 041 820 02 15 Mo 8.15 bis 12 Uhr Do 18 bis 22 Uhr Lukas Schwyn | IM GESPRÄCH 7 Bild: Cornelia von Däniken Zur Person Lukas Schwyn (61) hat Theologie studiert und machte anschliessend eine Zusatzausbildung zum Industriepfarrer. «Ich bin der Meinung, dass die Ökonomie massgebend das Leben und seine Möglichkeiten mitbestimmt», erklärt er dazu. Neben einer 50 Prozent Anstellung als Pfarrer in Signau BE amtet Lukas Schyn seit fünf Jahren als Geschäftsfüher der Schweizerischen reformierten Arbeitsgemeinschaft Kirche und Landwirtschaft. Zudem ist er als Dozent für Wirtschaftsethik an der Berner Fachhochschule tätig. Das Bäuerliche Sorgentelefon betreut er seit fünf Jahren. Rufen mehr Männer oder Frauen an? Generell sind es etwas mehr Frauen, vor allem bei den 30 bis 49-Jährigen. In der Altersklasse 50 bis 59 sind es aber eindeutig mehr Männer. Diese Altersgruppe macht auch den grössten Anteil unserer Anrufer aus. Der Männeranteil steigt seit einigen Jahren. Dass der Anruf bei uns anonym ist, kommt den Männern sehr entgegen. So können sie mit jemandem reden, ohne sich eine Blösse zu geben, vermute ich. Frauen wünschen sich eher eine Bezugsperson. ‹chrampfen› schon länger über ihre Grenzen hinaus und schleppen sich nur noch mühsam bis zur Pensionierung durch. Es ist für Männer sehr schwer, sich einzugestehen, dass sie am Ende ihrer Kraft sind. Das wollen sie gegen aussen nicht zeigen. Zudem definieren sie sich sehr über ihren Körper. Welche Unterschiede gibt es zwischen den Anrufen von Männern und Frauen? Frauen rufen früher an und wollen wissen, was sie tun können, um eine Beziehung zu retten oder zu verbessern. Männer melden sich erst, wenn es zu fast spät ist oder wenn die Part- Warum rufen mehr Männer zwischen 50 und 59 an? Schwer zu sagen, wir haben nur die statistischen Angaben der anonymen Anrufe. Doch es könnte sein, dass diese Altersgruppe den Veränderungsdruck durch die aktuelle Agrarpolitik stark spürt. Nicht alle kommen mit dem raschen Wandel zurecht. Viele arbeiten enorm viel bei kleinem Verdienst. Der ständige Druck äussert sich dann in somatischen und psychischen Erkrankungen. Diese Männer Mit dem Prix Agrisano zeichnet die Agrisano-Krankenkasse alle zwei Jahre uneigennütziges Engagement aus. nerschaft schon zerbrochen ist. Dann wird ihnen bewusst, dass sie selbst und der Betrieb ein Riesenproblem haben. Das hängt auch damit zusammen, dass sich die Rolle der Bäuerin stark am Verändern ist. Was ändert denn? Der Wechsel des Rollenverständnisses muss von den Männern begleitet werden. Wie die Anrufe beim Bäuerlichen Sorgentelefon zeigen, ist das Verständnis für die Bedürfnisse der Frauen und ihr verändertes Selbstverständnis ungenügend vorhanden. Viele jüngere Frauen haben eine gute bis sehr gute Berufsbildung, möchten sich nicht nur als Bäuerin, sondern auch in ihrem erlernten Beruf verwirklichen, stellen Ansprüche in Bezug auf Entschädigung der Arbeit und soziale Absicherung, erwarten, dass der Mann nicht nur betriebsorientiert, sondern auch familienorientiert ist und möchten mitreden bei betrieblichen Entscheidungen, die ja den Gesamthaushalt betreffen. Es ist offensichtlich, dass ein Teil der Männer diesen Wandel nicht genügend zur Kenntnis nimmt oder damit überfordert ist. Dramatische Trennungssituationen und Familienbetriebe, deren Existenz dadurch gefährdet ist, sind die Folge. || Interview: Cornelia von Däniken Nr. 11/2015 | die grüne
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