00 Strategie & Management Einkauf 4.0 Wie die Digitalisierung die Wertschöpfungskette verändert Die smarten Fabriken – Version 4.0 – müssen völlig neu gedacht werden. Das beeinflusst nicht nur die Produktion, sondern auch traditionelle und bis anhin bewährte Prozesse in Einkauf, Logistik und Supply Chain Management über alle Branchen hinweg fundamental. Eine Auslegeordnung. ››Carsten Vollrath, Professor Herbert Ruile Die vierte «Industrielle Revolution» ist im vollen Gange – ob mit oder ohne uns. In dustrie 4.0 bedeutet eine Veränderung des gesamten Wertschöpfungsprozesses, der auf Selbstorganisation und Selbst steuerung der Systeme setzt und zudem mehr Kundenintegration bietet. Die Fab rik der Zukunft und alle damit verbunde nen Funktionsbereiche entlang der Wert schöpfung müssen völlig neu gedacht werden. Darum ist es naheliegend, dass sich neben Produktion auch Logistik, Ein kauf und SCM mit dem Thema befassen und sich bewusst werden, wie durch In dustrie 4.0 die bisherige Organisation, ihre Prozesse und Mitarbeiter beeinflusst und verändert werden. Industrie 4.0 aus Einkaufssicht Wie denkt der Einkauf in der Schweiz da rüber? Von Mai bis Oktober 2015 haben «procure.ch», der nationale Fachverband für Einkauf und Supply Management, so wie der Verein Netzwerk Logistik Schweiz und das Beratungsunternehmen IMP AG eine gemeinsame Studie durchgeführt, um die Sensibilität und die Bereitschaft des Einkaufs zum Thema Industrie 4.0 zu untersuchen. KMU-Magazin Nr. 3, März 2016 An der Umfrage beteiligten sich 254 Ein käufer aus den oberen und mittleren Ka derstufen aus der Schweiz. 68 Prozent da ! ›› kurz & bündig Industrie 4.0 bedeutet eine Veränderung des gesamten Prozesses der Wertschöpfung. Mit Industrie 4.0 wird auf die Selbstorganisation und Selbststeuerung der Systeme gesetzt und zudem mehr Kundenintegration geboten. Obwohl der Schweiz eine hohe Bereitschaft zu Industrie 4.0 attestiert wird, ist sie innerhalb des deutschsprachigen Raums zirka ein bis zwei Jahre hinter Österreich sowie Deutschland zurück, was die Umsetzung von Industrie 4.0 betrifft. Der Einkauf hat die Chance, die mit der Digitalisierung verbundenen neuen Möglichkeiten des eigenen Unternehmens zum Aufbau vernetzter und integrativer Geschäftsmodelle von Beginn an massgeblich zu prägen. ›› ›› von sind in der Industrie tätig, 13 Prozent im Handel und 19 Prozent in der Dienst leistungsbranche. Steigende Nachfrage Wie stark werden aus der Sicht der Ein käufer die Industrie 4.0 und die Möglich keiten der Digitalisierung die Branche verändern? Mehr als zwei Drittel der Un ternehmen erwarten durch Industrie 4.0 und die Möglichkeiten der Digitalisie rung eine starke bis sehr starke Verände rung ihrer Branche. Viele Unternehmen nehmen deutliche Veränderungen in ihrem direkten Markt umfeld wahr. 74 Prozent der Unterneh men verspüren eine verstärkte Nachfrage nach individualisierten Produkten, 72 Prozent einen verstärkten Wunsch, bis kurz vor Auslieferung Anpassungen vor zunehmen, und immerhin noch 61 Pro zent eine deutliche Tendenz zu kleineren Aufträgen. Offensichtlich beschäftigen sich viele Unternehmen bereits seit Län gerem mit den Möglichkeiten der Digita lisierung auf der Produkt- und Absatz seite. So geben viele Unternehmen an, dass sie bereits heute in der Lage sind, 00 Strategie & Management Produkte herzustellen, die digital ver netzbar sind (62 Prozent), Informationen über die Nutzung durch den Kunden lie fern (61 Prozent), eindeutig identifiziert (zum Beispiel durch RFID-Technologie) und dem individuellen Kunden zuorden bar sind (55 Prozent). Zukunftsfähigkeit Die intensive Einbindung der Lieferanten in die Produktentwicklung ist bei den meisten Schweizer Unternehmen bereits gängige Praxis. Rund vier von fünf Un ternehmen bestätigen, dass sie ihre Lie feranten in das Produktengineering, in Tests und die Validierung von entwickel ten Konzepten und Prototypen sowie in die frühe Phase der Ideenfindung mit ein binden. Während über 80 Prozent der Befragten Industrie 4.0 sowie die revolutionären Entwicklungen der Digitalisierung als re levant bis sehr relevant für die Zukunfts fähigkeit des eigenen Unternehmens be urteilen, schätzen gleichzeitig vier von fünf Unternehmen ihren aktuellen Kennt nisstand zum Thema Industrie 4.0 und Digitalisierung als gering bis ungenügend ein. Diese Kompetenzlücke signalisiert ei nen deutlichen Handlungsbedarf in den Schweizer Einkaufsorganisationen, das Thema mit Priorität auf die Einkaufsleiteragenda zu nehmen sowie entspre chende strategische Hebel und Ansätze zu entwickeln, wie der Einkauf den digi talen Transformationsprozess des eige nen Unternehmens auf der Beschaffungssowie der Lieferantenseite zielgerichtet begleiten kann. Unternehmensstrategie verfolgen und umsetzen können. Bei der Beschäftigung mit den zukünftigen durch Industrie 4.0 induzierten Anforderungen an den Ein kauf stehen die Schweizer Einkaufsorganisationen noch ganz am Anfang. Nur 5 Prozent geben an, sich systematisch mit der Frage beschäftigt zu haben, welche neuen Rollen des Einkaufs sich durch In dustrie 4.0 ergeben werden. Induzierte Rollen im Einkauf Vergleichbare Befragungen im Nachbar land Österreich kommen zu ähnlichen Er gebnissen. Lediglich 14 Prozent geben an, in die «Industrie 4.0»-Strategieent wicklung eingebunden zu sein. Knapp 80 Prozent der Einkaufsvertreter sehen durch Industrie 4.0 hohe Anforderungen an Qualifikation und Ausbildung der Ein käufer. Zudem sehen 68 Prozent der Be fragten einen hohen Veränderungsbedarf in Bezug auf die Organisationsform und Führungsstruktur im Einkauf. Fazit: Bis heute geht die Strategiediskus sion in den Unternehmen weitgehend am Einkauf vorbei. Auf die Frage, welche zu künftigen Anforderungen und Rollen im Einkauf von hoher Bedeutung sein wer den, wurden die folgenden Rollenbilder und Aufgaben im strategischen Einkauf der Zukunft von einer teilweise deutli chen Mehrheit der Schweizer Unterneh men bestätigt. Treiber statt Getriebener Die Wahrnehmungen aus Wissenschaft und Praxis hinsichtlich der Auswirkung auf Organisation, IT-Einsatz und Kompe Anzeige Arenenberg KÖNIGLICHER GENUSS AM KAISERLICHEN ARENENBERG Es gibt Orte, die haben etwas Magisches. Der Arenenberg gehört zweifelsfrei dazu. Dem Besucher eröffnet sich ein einzigartiger Blick. Auf die Schönheit der Natur und die faszinierende Geschichte Napoleons. Nebst vielfältigem Rahmenprogramm finden Veranstalter ideale Bedingungen für ihre Seminare, Events und Feiern. www.arenenberg.ch Nur rund ten 50 Minu h c ri ü von Z en ll a G t. &S Digitalisierungsstrategie Analog dem signalisierten Nachholbe darf bezüglich des Kenntnisstandes ha ben bisher auch erst 20 Prozent der Un ternehmen nach eigener Aussage eine Digitalisierungsstrategie für das eigene Unternehmen entwickelt, demnach be sitzen 80 Prozent noch keine klare Stra tegie, wie sie die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung innerhalb der eigenen Pauschale «Schlosstraum» CHF 225.– pro Person Zwei Seminartage, eine Übernachtung im Einzelzimmer mit VP, ein Museumseintritt KMU-Magazin Nr. 3, März 2016 00 tenzschwerpunkt überlappen sich: Pro dukt, Prozess, Mensch und IT werden noch stärker verschmelzen. Und dabei wird das Management von internen und externen Netzwerken zum Kompetenz schwerpunkt. Die Umfrageergebnisse belegen die hohe Relevanz sowie gleichzeitig auch den starken Veränderungsdruck, der aus dem Industrie-4.0-Trend auf den Einkauf der Zukunft resultiert. Bisher haben erst we nige Einkaufsleiter diesen strategischen Wandel für sich erkannt beziehungsweise begonnen, diesen Transformationspro zess im Einkauf mit konkreten Überle gungen oder Massnahmen einzuleiten sowie damit gleichzeitig die strategische Begleitung des Digitalisierungsprozesses im eigenen Unternehmen auf der Be schaffungs- und Lieferantenseite proak tiv zu unterstützen. Fazit Als Fazit lässt sich festhalten, dass Indus trie 4.0 den Einkauf nachhaltig verändert und zusätzliche Rollen eingenommen werden müssen. Die damit einhergehen den Qualifikationsanforderungen sind immens hoch. In der Schweiz hat der Transformationsprozess im Zuge der Ini tiative «Industrie 2025» gerade erst be gonnen. Obwohl der Schweiz eine hohe Bereitschaft zu Industrie 4.0 attestiert wird, ist sie innerhalb des deutschspra chigen Raums zirka ein bis zwei Jahre hinter den konkreten Umsetzungen in Ös terreich und Deutschland zurück. Vorausschauende Einkaufsorganisatio nen haben die Chance, jetzt an der Spitze der Entwicklung von Beginn an mit dabei zu sein und den Transformationsprozess in Richtung Digitalisierung als Treiber und Motor mitzugestalten. Dies ist ein grosser Unterschied gegenüber den Ver änderungsprozessen in der Vergangen heit (Global Sourcing, Kaizen etc.), bei denen der Einkauf vielfach Getriebener war und erst relativ spät und oftmals auf Druck von aussen Veränderungen einge leitet hat. KMU-Magazin Nr. 3, März 2016 Strategie & Management Zudem hat der Einkauf die Chance, die neuen Möglichkeiten des eigenen Unter nehmens zum Aufbau vernetzter und in tegrativer Geschäftsmodelle von Beginn an massgeblich zu prägen. Der Wertbei trag, den der Einkauf hier leisten kann, ist enorm. Ein proaktives Herangehen im Einkauf ist erfolgskritisch. ››Bestandsaufnahme Einkauf 4.0: Ana lyse des aktuellen Status im eigenen Einkauf: Strategie, Prozesse, Organisa tion, Services, Qualifikation, Technolo gie, Kultur (zu stellende Frage: wo ste hen wir derzeit?) ››Entwicklung eines wirklich zukunfts weisenden Einkauf-4.0-Leitbilds Nächste Schritte Die Umsetzung des Industrie-4.0-Poten zials liegt in den Händen von Industrie, Handel und Dienstleistern. Evolutionäre Entwicklungen sind naturgemäss ein «bottom up»-Prozess. Damit diese An sätze jedoch wachsen können, liegen fol gende Schritte im Verantwortungsbe reich des Einkaufsmanagements: ››Neugestaltung der Wertschöpfungslogik 4.0: Einkaufsorganisation, -pro zesse und -systeme, Einkäuferrollen und -qualifikationen ››Die Adaption und Entwicklung neuer, ››Sensibilisierung aus dem Umfeld: Ana lyse von Trends und Entwicklungen zum Einkauf 4.0. Reflexion mit dem Managementteam innovativer Geschäftsmodelle: Der Ein kauf beeinflusst die Etablierung neuer Geschäftsmodelle durch eine aktive Rolle im Technologie- und Innovations management, durch den Aufbau von Wertschöpfungsnetzwerk-Partner schaften sowie neue Ansätze im Kreis laufmanagement. « Studie und Arbeitskreis Die Studienergebnisse zeigten, auch der Einkauf muss sich auf die Auswirkungen der Digitalisierung vorbereiten. In einem Arbeitskreis entwerfen Fachkräfte und Experten aus der Praxis und Forschung gemeinsam innovative Ansätze zu Einkauf 4.0 und Handlungsschwerpunkten zur Transformation des Einkaufs. Weitere Informationen: www.procure.ch/Einkauf-der-Zukunft Porträt Rolf Jaus Geschäftsführer Rolf Jaus ist Geschäftsführer des Fachverbands für Einkauf und Supply Management «procure.ch». Seit über 50 Jahren begleitet der Fachverband Einkaufsverantwortliche in Industrie-, Handels sowie Dienstleistungsfirmen auf ihrem Berufsweg. Im Verband vernetzen sich rund 950 Firmen unterschiedlicher Branchen und Grössen sowie 500 Privatpersonen. Sein Fokus ist, durch kontinuierliche Weiterbildung und beste Vernetzung Beschaffungsprofis für ihren Berufsalltag zu befähigen. Im Rahmen spezifischer Plattformen widmet sich der Verband auch neuen Trends und der künftigen Ausrichtung der Beschaffung. Kontakt [email protected], www.procure.ch
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