Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist! Lukas 6,36 Der Leitgedanke der Barmherzigkeit ist ein ganz aktuelles, spannungsgeladenes Thema. Mit dem 8. Dezember 2015 ruft der Heilige Vater ein Jahr der Barmherzigkeit aus. In seinem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium vom 26. November 2013 betont Papst Franziskus den Vorrang der Barmherzigkeit beim kirchlichen Handeln. Damit hat Papst Franziskus die Barmherzigkeit zu seinem Programm gemacht: „Die Barmherzigkeit ist die wahre Kraft, die den Menschen und die Welt vor dem ’Krebsgeschwür‘ retten kann: dem moralischen Bösen, dem spirituellen Übel.“ Anfänglich ist Barmherzigkeit keine natürliche Eigenschaft des Menschen, sondern eine Eigenschaft Gottes, die der Mensch durch die ihm innewohnende Gottesliebe besitzt, und die ihm andererseits in höherer Form und unerschöpflich durch Gott zuteil wird. Jesus beschreibt Gott z. B. im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11– 32) als unendlichen, großzügigen und jederzeit vergebungsbereiten „Vater“ und vermittelt damit, was Barmherzigkeit bedeuten kann: Eine irdisch unverdiente, aber himmlisch großzügige Zuwendung in bedingungsloser Liebe. Aus Barmherzigkeit rettet Gott die Menschen aus der Verstrickung in ihrer Schuld (z. B. Eph 2,4–5), entweder weil sie ehrliche Reue gezeigt und Buße geleistet, oder weil sie zur Umkehr gekommen sind und Gutes getan haben. So bedeutet die Barmherzigkeit Gottes, dass der Schöpfer jede Sünde dem Menschen verzeiht, wenn Reue, Buße und Umkehr vorangehen. Die Barmherzigkeit Gottes gehört neben der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes zu den wesentlichen Eigenschaften Gottes. In Gen 5,1 steht, dass „als Gott den Menschen schuf, machte er ihn nach dem Bilde Gottes.“ Sofern wir das glauben, dass wir als gottebenbildliche Geschöpfe seinem Wesen nach gleichgestaltet werden sollen, dann ist dieses Ziel geistlichen Lebens, auch im eigenen Leben die Barmherzigkeit Gottes nachzuahmen. Immer im Bewusstsein, dass wir dies nur auf unvollkommene Weise tun können. Somit darf Jesus uns herausfordern, wie wir in Lk 6 lesen „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!” Damit dieser Auftrag und das Wort „Barmherzigkeit“ nicht abstrakt bleibt, hilft es uns, das Wort besser kennen zu lernen. Das hebräische Wort für Barmherzigkeit ist rachamim, die Mehrzahl von „rechem“, was eigentlich wörtlich Gebärmutter bedeutet. So bedeutet Gottes Barmherzigkeit: mütterlich, bergend, ein Ort an dem wir heranwachsen können. Er liebt uns zum Leben! Die Wortwurzel „cham“ bedeutet: Wärme.... Das ist ein ganz altertümliches Bild, das uns tief an der Wurzel unseres Seins anspricht (und weit mehr ist als Verzeihung) – die wärme- und lebensspendende Mütterlichkeit Gottes. Sie hat heilende Kraft. Die Botschaft von der Barmherzigkeit ist nicht nur eine rein spirituelle Botschaft; sie ist eine Botschaft vom Leben und hat dabei eine ihr wesentliche, leibhaftige, konkrete und soziale Dimension. Die erfahrene und angenommene Barmherzigkeit Gottes muss den glaubenden Menschen zur Handlung motivieren, und steht im engen Zusammenhang mit der Nächsten- und Menschenliebe. Jesus Christus hat in vielen Gleichnissen Barmherzigkeit verdeutlicht, z.B. im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37). Auch in der Bergpredigt ist von der Barmherzigkeit die Rede: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ (Mt 5,7) Seit dem Mittelalter zählt man in Abgrenzung zur Barmherzigkeit Gottes die sieben Werke der Barmherzigkeit auf, die den sieben Todsünden (Stolz, Neid, Zorn, Geiz, Unmäßigkeit, Unkeuschheit und eben Trägheit des Herzens) gegenübergestellt werden. Die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit: • Die Hungrigen speisen. • Den Dürstenden zu trinken geben. • Die Nackten bekleiden. • Die Fremden aufnehmen. • Die Kranken besuchen. • Die Gefangenen besuchen. • Die Toten begraben. Die sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit: • Die Unwissenden lehren. • Den Zweifelnden recht raten. • Die Betrübten trösten. • Die Sünder zurechtweisen. • Die Lästigen geduldig ertragen. • Denen, die uns beleidigen, gerne verzeihen. • Für die Lebenden und die Toten beten. Wenn wir nun die politische und gesellschaftliche Situation anschauen und dann unsere persönlichen Regungen und Gedanken wahrnehmen, kann uns das Gebot der Nächstenliebe und das Ausüben der Barmherzigkeit sehr herausfordern. Und genau da hinein spricht das Wort Gottes im Lukasevangelium: „Seid barmherzig wie der Vater!“ Wo stehe ich? Seid gesegnet! Euer P. Georg
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