1000 gute Ideen Eine Zukunftswerkstatt mit Kindern Für alle, die mit Kindern effektiv und unter größt möglicher Beteiligung ein Thema erarbeiten wollen an dieser Stelle ein Vorschlag zur Durchführung einer „MiniZukunftswerkstatt. „Mini“- nicht deshalb, weil Kinder die Hauptakteure sind. „Mini“, weil es möglich ist, die große Idee „Zukunftswerkstatt“ mit allen Phasen auf ca. 2, 5 Std. zusammenzuschieben. Mehr Ergebnisse und Ideen zur Verwirklichung, konkretere Forderungen und noch mehr Beteiligung sind natürlich zu erreichen, wenn die Zukunftswerkstatt über einen ganzen Tag stattfinden kann. Grundlagen Erfinder der Zukunftswerkstätten ist Robert Jungk (Psychologe und Soziologe, 1913-1994). „Als ich in den sechziger Jahren in Wien begann, Zukunftswerkstätten zu veranstalten, war mein wichtigstes Ziel die Aktivierung der Basis durch gemeinsame Kritik am Bestehenden und Entwerfen des Gewünschten in einem zukunfts-orientierten Spiel. Erst nach und nach wurde mir klar, dass ich damit eine soziale Erfindung gemacht hatte. Indem ich den Begriff der Demokratie ernstnahm und versuchte, dem demos (Volk) die Möglichkeit zu geben, sich intensiver und phantasievoller am politischen Prozess zu beteiligen als das sonst der Fall ist, hatte ich etwas Neues begonnen, das eigentlich schon viel früher praktiziert hätte werden müssen. (Robert Jungk, 1984) Zukunftswerkstätten schaffen Neues, indem möglichst viele Menschen an der Ausgestaltung zukünftiger Aufgaben beteiligt werden 1. Sie werden als Instrument der innovativen und demokratischen Gestaltung der Gesellschaft verwendet. Sie sind Ideenschmieden, Denkwerkstätten, Phantasiefabriken. Sie wollen soziale und politische Kreativität freisetzen und Mut machen zu einer aktiven Zukunftsplanung und -gestaltung. Zukunftswerkstätten sind ein Modell der Problemlösung, Ideenfindung, Planung und der Beteiligung von Betroffenen. Sie verstehen sich als „Kraftwerke der sozialen und politischen Innovation“.2 Sie nutzen die Ressourcen der Vielen, statt der wenigen Auerwählten. Zum Anspruch der Zukunftswerkstatt gehört es, dass alle Beteiligten 1 siehe auch: Beate Kuhnt und Norbert R. Müllert„ Moderationsfibel Zukunftswerkstätten“, Münster, 1996 2 aus: Planen mit Phantasie, Zukunftswerkstatt und Planungszirkel für Kinder und Jugendliche, Hrsg: Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein und Deutsches Kinderhilfswerk e.V., Berlin und Kiel, 1996, S. 16 • • • • angstfrei und ohne Einschränkung ihrer Phantasie über das zu bearbeitende Problem, die anstehenden Fragen nachdenken, neue Ideen für Veränderungen und Alternativen zu Bestehendem entwickeln, die Möglichkeit haben, ihre kreativen Potentiale freizusetzen und für Vorschläge zu nutzen, lernen ihre Ohnmachtgefühle „Wir können ja doch nichts ändern!“ überwinden und die Zukunft in die eigene Hand nehmen.3 Zukunftswerkstätten sind aber auch ein besonders praktisch-methodisches Instrument – vor allem durch die Verwendung • von Kreativitätsmethoden und Visualisierungsverfahren (alle Diskussionsbeiträge und Ergebnisse werden für alle sichtbar festgehalten), • von teilnehmerorientierten Moderationsmethoden (Kleingruppendiskussionen, Beteiligung aller, Moderator ist kein „Leiter“, sondern „Geburtshelfer“ für Ideen), • von Methoden und Medien, die Spaß machen (Spiele, lustige Produkte und Präsentationen ausdenken als Gegengewicht zur ergebnisorientierten Pinwand-Technik), • des charakteristischen Phasenschemas (Kritik, Phantasie, Umsetzung).4 Durchführung von Zukunftswerkstätten Die Phasen der Zukunftswerkstatt haben in ihrer „Urfassung“ folgenden Aufbau: 1. Kritik- und Beschwerdephase Spannweite des Unbehagens, der Kritik, des Defizits ergründen. Bestimmung des Ist-Zustandes. Zunächst werden zum jeweiligen Thema (Problem, Defizit, Frage) unzensiert Kritikstich-worte, Beschwerden, Vorbehalte, Ängste, Unmut auf Kärtchen oder Wandzeitungen gesammelt. Dabei macht jede/jeder mit. - Was passt mir nicht? Was gefällt mir nicht? Wo drückt der Schuh? Was sollte unbedingt geändert werden? Die Stichpunkte werden geordnet, andiskutiert. Anschließend werden die für die Gruppe wichtigsten Kritikpunkte für die Weiterarbeit ausgewählt. 2. Phantasie- und Utopiephase Positive, wünschbare, kreative Auswege erfinden, um neue Möglichkeiten, Alternativen, Lösungen sichtbar zu machen. Den Ist-Zustand mit Phantasie überwinden und den Wunschhorizont entwickeln. 3 4 a.a.O. S. 16 a.a.O. S. 17 Die festgelegten Kritikschwerpunkte werden beantwortet durch das Erfinden von Lösungen, Alternativen und Auswegen. Es entstehen (am besten in Kleingruppen) kreative Ideensammlungen, utopische Entwürfe, Träume, Visionen... In dieser Phase geht es um das von allen Sachzwängen, Vorschriften und sonstigen Ein-schränkungen befreite Sammeln großer Mengen neuartiger Vorschläge. - - Wie würden wir – wenn wir alle Macht und alle materiellen Ressourcen hätten – die kritisierten Zustände aus der Welt schaffen? Was wünschen wir uns? Wie erträumen und erhoffen wir uns einen besseren Zustand? Welche Ideen gibt es für Lösungen? Wie sieht unsere Vision aus? 3. Verwirklichungs- und Planungsphase Nach Durchsetzungsmöglichkeiten des Gewünschten und des Erfundenen fragen, Forderungen aufstellen. Den Wunschhorizont zu Forderungen, bzw. Projektansätzen verdichten und das Handlungspotential klären. Der letzte der Schritte von der kritischen Bestandsaufnahme über die Höhen der Utopien, Gegenentwürfe, Idealzustände und Lösungen führt zurück zu den realen Bedingungen. Die Vorschläge werden gesichtet und bewertet. Die interessantesten Vorschläge werden ausgewählt. - - Welche unserer Erfindungen wollen wir verwirklichen? Was ist vom Wünschbaren auch realisierbar? Wie können wir unsere Vorschläge und Ideen umsetzen und in die weitere Gestaltung unserer Arbeit einbringen? Was sind die ersten Schritte? Wie und wo fangen wir an?5 Aus diesem Grundmuster lässt sich das Prinzip einer Zukunftswerkstatt ersehen: In jeder Phase erfolgt sowohl ein „Öffnen“ durch Sammeln als auch ein „Entscheiden“ durch Auswählen. Am Ende jeder Phase wählt die Gruppe das aus, was sie interessiert. Das jeweils Ausgewählte verbindet die Phasen untereinander und ist zugleich der inhaltliche Ausgangspunkt. Die Zukunftswerkstätten sind eine Vorgehensweise, bei der die soziale Phantasie und der Gestaltungswille der Betroffenen in einer Art von sozialem Vorschlagswesen sich zeigen kann. Die Ideen einer demokratischen Zukunft sollten nicht länger von oben, das heißt von Experten, Funktionären, Abgeordneten alleine kommen. Sie sollten sich aus der Basis heraus entwickeln, und man sollte der Basis mehr Gelegenheit geben, hier sich zu betätigen. Was sind Zukunftswerkstätten? 5 a.a.o. S. 17 Zukunftswerkstätten sind nicht Institutionen, wo man hingeht wie man in eine Autowerkstatt geht. Zukunftswerkstätten sind eine andere Art des Zusammenkommens. Ein Zusammenkommen, in dem ein dialektischer Prozess stattfindet. Ein dialektischer Prozess, in dem in verschiedenen Phasen die Teilnehmer, und zwar sind es alle, die kommen wollen, beteiligt werden. (Robert Jungk in: Protokoll des Bundesangestelltentag des DGB, Düsseldorf, 1990) „...damit du leben kannst!“ – eine Zukunftswerkstatt mit Kindern Der folgende Vorschlag ist ein Versuch, mit Kindern eine Zukunftswerkstatt in ca. 2,5 Std. durchzuführen. Solch eine Mini-Zukunftswerkstatt lässt sich zu jedem Thema oder Anliegen der Kinder durchführen, bei dem eine größt mögliche Beteiligung der Kinder angestrebt wird. Zahlreiche Beispiele für Zukunftswerkstätten mit Kindern finden sich in dem Reader „Planen mit Phantasie“ von Waldemar Stange.6 Wir schlagen vor die Phasen einer Zukunftswerkstatt mit Kindern wie folgt zu benennen: 1. Motzen (Beschwerde- und Kritikphase) 2. Träumen (Phantasie- und Utopiephase) 3. Klotzen (Verwirklichungs- und Praxisphase) Praxisbeispiel: Das Thema der Mini-Zukunftswerkstatt ist Artikel 27 der UN-Kinderrechtskonvention: Kinder haben ein Recht auf angemessenen Lebensbedingungen. Unsere Idee ist, mit den Kindern entweder zur Frage „Was brauche ich, bzw. was fehlt mir zu einem guten Leben?“ zu arbeiten oder alle Kinder der Welt in den Blick zu nehmen und zu fragen „Was brauchen Kinder, bzw. was fehlt Kindern zu einem guten Leben?“.. Den persönlichen Lebenszusammenhang und das Leben aller Kinder auf einmal zu bearbeiten ist sicher in der Kritikphase möglich, aber für die Entwicklung von Utopien 6 Waldemar Stange: Planen mit Phantasie, Herausgeber Aktion „Schleswig Holstein – Land für Kinder“ und Deutsches Kinderhilfswerk. Zu beziehen über: Deutsches Kinderhilfswerk e.V., Rungestrasse 20, 10179 Berlin, Tel: 030/2795656, Schutzgebühr lag bei DM 10,-- Der Eurobetrag ist uns nicht bekannt. Ein Exemplar kann über das Amt für Jugendarbeit der EKiR, Tel. 0211/3610-284 ausgeliehen werden. ist eine Entscheidung zwischen dem unmittelbaren Lebensumfeld der anwesenden Kinder mit eventuellen Themen wie „keine geeigneten Räume für Kinder in der Gemeinde, zu wenig Spielplätze, zu viel Verkehr, zu viel Hausaufgaben, zu strenge Eltern, nervige Geschwister, kein eigener Fernseher... “ oder Kindern der Welt mit Themen wie „Krankheit, Hunger, kein Zugang zu sauberem Wasser, Kinderarbeit, keine Schulbücher, Krieg, Flucht ...“ nötig. Die Zukunftswerkstatt lässt sich mit kleinen und großen Gruppen durchführen. Ab 15 Kindern empfiehlt es sich in der „Träum-Phase“ in Untergruppen zu arbeiten. Wenn viele Kinder teilnehmen, die noch nicht so gut schreiben und lesen können, bitte genügend Mitarbeiter/innen oder ältere Kinder einladen, die die Ideen der jüngeren Kinder auf Zuruf aufschreiben. Benötigtes Material: Viel großes Papier, bunte Kartonpapierkärtchen, Stifte, Wachsmaler, Tesakrepp, evtl. Stellwände und Pin-Nadeln, Schere; Evtl. Klebepunkte Ablauf für ca. 2,5 Std. (Pause einplanen, mind. 15 min wo es gerade inhaltlich passt!) Phasen Einführung Einzelschritte Kennen lernen (falls nötig), z.B. auf Ballzuwurf den Namen sagen Kurze Einführung in die Methode „Zukunftswerkstatt“ Motzphase Kurze Einführung in die Thematik (Artikel 27 der UNKinderrechtskonvention) Einführung in die Motzphase Was fehlt mir/was fehlt Kindern für ein gutes Leben? An der Wand oder auf dem Boden große Papierbahnen ausbreiten, das Thema der Motzphase in die Mitte schreiben. Die Kinder werden aufgefordert, ihre Kritik, Beschwerden, das Unbehagen kurz und laut zu nennen und/oder kreuz und quer auf die Papierbahnen zu schreiben (oder die Kinder nennen ihre Punkte und ein Erwachsener schreibt. Dauert etwas länger) Gewichten der genannten Kritik, z.B. durch Punktevergabe. Alle Nennungen werden unter Auslassung von doppelten Stichworten noch einmal vorgelesen. Die Kinder vergeben Punkte (Punkt malen oder Klebepunkte) für Themen , die ihnen jeweils besonders wichtig sind. Je nach Größe der Gruppe bekommt jedes Kind 1-3 Punkte und kann seine Punkte unterschiedlich verteilen oder ein ihm besonders wichtiges Thema mit allen Punkten versehen Die hochbepunkteten Themen werden ausgeschnitten oder auf ein gesondertes Blatt geschrieben Zeit 5 min ______ 3 min _____ 2 min 3 min _____ 15 min ______ 10 min ______ 2 min Träumphase Klotzphase Einführung in die Träumphase (hier gilt vor allem: nichts 5 min ist unmöglich! Alle Ideen werden festgehalten, egal wie utopisch sie sind. Alle Vorschläge werden angehört, egal wie verrückt sie klingen) Evtl. den Kindern erzählen, dass sie für die nächsten 30 min König/Königin sind und alle Macht der Welt und alles Geld der Welt haben, um all dass, was sie kritisiert haben positiv zu verändern. (Evtl. jedem Kind eine Krone aus Papier aufsetzen. Das Symbol der Krone unterstreicht seine/ihre Macht. ______ In einer ersten Runde werden die ausgewählten Kritik10 min bzw. Motzpunkte positiv umformuliert, gewissermaßen auf den Kopf gestellt. Am besten nimmt die Gruppenleitung einen nicht ausgewählten Kritikpunkt und wandelt ihn als Beispiel um. Aus z.B. „nervigen Geschwistern“ werden „stets freundliche Geschwister“. Alle positiven Formulierungen werden auf Karten oder einzelnen Blättern festgehalten. ______ Die so entstandenen positiven Themen, Forderungen, 20 min Wünsche werden in einem nächsten Schritt kreativ in Kleingruppen umgesetzt: Jede Gruppe nimmt sich eine gleich große Zahl an Karten oder Blättern mit Themen, Forderungen, Vorschlägen. Die Kinder malen, basteln, schreiben dazu ihre Ideen, wie das jeweilige positive Ziel zu erreichen sein könnte (Nicht vergessen: Alles ist erlaubt und sei es noch so unrealistisch. Es geht in dieser Phase um den Spaß am Phantasieren. Nervige Geschwister können mittels Zauberbonbon in freundliche Geschwister verwandelt werden.). ______ Anschließend präsentieren alle Kleingruppen ihre 10 min Ergebnisse und die gesamte Gruppe hat die Möglichkeit die vorgelegten Träume zu ergänzen (auf Blättern oder Karten festhalten). ______ Abschließend muss wieder aussortiert werden. Die 5 min Kinder entscheiden sich erneut durch Punkte für ihre Lieblingsträumerei. Dran denken: Noch ist Träumphase, beim Auswählen muss nicht darauf geachtet werden, was am ehesten verwirklicht werden kann. Einführung in die Klotzphase: 5 min Es beginnt das Konkretwerden, das Planen und das Prüfen, welche Chance in welcher Idee steckt, was wie verwirklicht werden kann. Die faszinierenden Ideen der Träumphase nutzbar zu machen heißt, Übersetzungsarbeit zu leisten und zu überlegen, ob es eine solche Idee vielleicht schon irgendwo gibt. ______ Die ausgewählten Träume werden ausgeschnitten 15 min oder je auf ein gesondertes Blatt geschrieben. Gemeinsam wird überlegt, was hinter der jeweiligen Idee steckt und wie der jeweilige Traum so mit anderen Worten ausgedrückt werden kann, dass eine Verwirklichung möglich wird. Das Zauberbonbon zum Verwandeln der Geschwister wird z.B. in „Lieblingsessen kochen“ übersetzt. Die „Über-setzungen“ werden in Stichworten festgehalten. - - - Forderungen aufstellen: Die Träume und Ideen werden mit ihren „Übersetzungen“ sichtbar aufgehängt. Kleingruppen suchen sich je nach Zahl der Träume 1-3 drei Themen aus und überlegen sich Forderungen. Was muss gefordert werden, damit die Träume und Ideen tragfähig werden? Gut lesbar auf Plakate schreiben. Um die Forderungen der anderen kennen zu lernen, müssen die Gruppen nicht unbedingt hintereinander alles vorlesen. Die Gruppen können sich auch vor dem Plakat je einer anderen Gruppe versammeln, Traum und Forderung lesen und anschließend zum nächsten Plakat wechseln. Über diese Gruppen-rotation lernen alle Gruppen, alle Forderungen kennen. In einer letzten Gesprächsrunde im Plenum sammelt die Gruppe Ideen zur Verwirklichung ihrer Forde-rungen oder befasst sich mit einer – vorher mit Mehrheitsentscheidung – ausgewählten Forderung. Eine Hilfestellung zur Entwicklung einer praktischen Idee sind die sog. 5-W-Fragen: Was wollen wir tun? (Eine Forderung präzisieren) Wie wollen wir es tun? (Vorgehensweise und Inhalte nennen) Wer mit wem tut es? (Unterstützung und Hilfe einbeziehen) Wann wird begonnen? (Termin bestimmen) Wo geschieht das Ganze? (Ort des Beginns festlegen) ______ 15 min ______ 5 min ______ 10 min Erika Georg-Monney, 2004
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