Seite 1/5 Arbeit, Bier und Liebe Einen Strauß weißer Rosen unter

Seite 1/5 Arbeit, Bier und Liebe
Einen Strauß weißer Rosen unter dem Arm – Wasser tropfte von den Stielenden
auf meine rot-blauen Stiefel – durchsuchte ich vergeblich meinen Geldbeutel nach
Barem. Ich stand inmitten Tina’s Blumenladen und war offensichtlich blank. Nicht
ein einziger, rostiger Cent war in dem von nächtelangem Sitzen auf alten
Barhockern verformten Ledermäppchen mehr aufzufinden.
»Fuck«, läutete es in meinem Kopf, »fuck, fuck, fuck«.
Der freundliche Verkäufer versuchte meinen Blick zu ergattern, doch ich starrte
auf den Boden. Das Konto war schon lange leer, die sieben Biere gestern Abend
hatte ich auch nicht bezahlt und mein letzter Gedanke an Arbeit lag weit zurück.
Wie ich mir ausgerechnet jetzt die Hoffnung auf einen Strauß strahlend weißer
Rosen machen konnte, weiß keine alte Sau.
Treat yourself hieß es im Internet, verwöhne dich, unter dem Titel How to be your
own best friend. Das war meine Motivation gewesen, Tina’s zu betreten, aber auch
nur eine Sekunde nachgedacht hatte ich scheinbar nicht. Ich warf den Strauß
Rosen zurück in seinen räudigen Eimer und verließ den Laden so impulsiv, wie ich
gekommen war. Das aggressive Bimmeln der Eingangstür erschien mir hierbei
Gruß genug.
»Fuck«, dachte ich, »es hilft alles nix. Es muss wieder Geld ins Haus.« So lange
ich vom Großen Los ungeküsst blieb und meinen durchwegs mondänen Lebensstil
halten wollte, kam ich wohl um eine Schicht hin und wieder nicht herum. Heute
arbeiten zu müssen fand ich tragisch, aber die Voraussetzungen waren gut: Ich war
nüchtern und ich war wach.
Also schob ich mich und meine Stiefel über die Straße, durch den kleinen Park,
über den Kirchplatz, geradewegs zu, auf und anschließend hinein in: meine
Stammkneipe.
Der Chef saß am Tresen und ließ sich vom Display seines Smartphones das
Seite 2/5 Doppelkinn ausleuchten. Als er mich eintreten sah, wurde er sofort nervös. Seit
seiner Geburt, die zweimal so weit zurück lag wie meine, war er stark in mich
verliebt. Das hatte bisweilen ausschließlich Vorteile für mich gehabt. Und ich sage
nicht, dass ich ihn nicht auch geliebt hätte, aber was will man machen.
Die Kellnerinnen ahnten schon, was nun geschehen würde, denn für meinen
Routinebesuch war es zu früh am Tag. Vor Spätnachmittag legte ich eigentlich
keinen Gang ein. Dass ich zu dieser Stunde schon eine Tour drehte, hatte wenig
mit Durst zu tun. Ich schmiss die beiden Visionärinnen wortlos raus und
positionierte mich hinterm Tresen. Kein Haargummi in Reichweite, band ich mir
ein altes Geschirrtuch um den Kopf. Es roch nach Spezi. Der Chef hob zu einem
spröden Kompliment an, doch ich winkte liebevoll ab.
Nach einem alles klärenden Grunzen in die Küche sattelte ich mir das
Kellnerhalfter um die Hüften und checkte die Kasse. Es mussten heute noch einige
Tausend über den Tresen wandern, wenn ich in den nächsten Wochen nicht gleich
wieder ackern wollte. Prinzipiell habe ich ja nichts gegen Arbeit. Mit Sicherheit ist
Arbeit ein angenehmerer Zeitvertreib als beispielsweise Fernsehen. Fernsehen
empfinde ich anstrengend und es macht mich zusätzlich nervös. Diese vielen
Programme, die alle zeitgleich vom Sofa aus zu erreichen sind. Mit nur einem
einzigen Knopfdruck. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, ständiger
Betrieb. Kein Ruhetag, keine Sperrstunde, keine durch das Ordnungsamt bedingte
Schließung. Ich bin beim Fernsehen orientierungslos. Und aufgebracht. Wenn ich
eine Runde durch mein Viertel drehe, verspüre ich so eine Nervosität nicht. Eine
jede Kneipe in ihrer Straße, ein jedes Getränk an seinem Tresen. Das öffentliche
Programm habe ich schon lange im Blut und nicht zuletzt steht mir jederzeit offen,
es selbst zu sein.
Heute sogar von der Poleposition aus. Ich ging an den Zapfhahn, um einen
Kaltstart zu vermeiden. Zwei Helle auf Ex – und dann ab in das Rennen.
Ein Tablett nach dem anderen rauschte mit mir in den Biergarten. Fässerweise
Seite 3/5 schenkte ich den Gästen die Kehlen voll. Üppige Schaumkronen, heilendes
Wasser, niedergehopfte Entspannung. Ein Biergarten wie ein Hamam, nur anders.
Zu Essen trug ich hinaus, sechs, acht, zwölf Teller pro Gang. Ich verkaufte mit
Liebe und Stolz, manche aßen drei Hauptgerichte.
In der vielen Zeit, die ich nicht mit Arbeiten verbringe, bilde ich mich gerne
weiter. Damit ich in der wenigen Zeit, die ich arbeite, effizient bin. So weiß ich,
eine Mischung aus Erfahrung und Bildung hat es mich gelehrt, dass man jeden
Gast alles Essen machen kann. Es spielt keine Rolle wie der Gast sich sonst
ernährt, es ist völlig egal, ob er das Gericht kennt oder nicht. Wenn man dem Gast
lange und tief genug in die Augen sieht, wenn man ihm unentwegt Komplimente
macht und wenn man geschickt in der Konversation verteilt, etwas aus seinem
Privatleben (kann auch gelogen sein) preisgibt, dann wird der Gast essen, was du
willst. Das Teuerste, das Älteste, das geringste Übel. Er wird dir in die Augen
sehen und sagen, dass er selten so glücklich war. Denn die Menschen sind doch
einfach gestrickt. Wenn man sie verbal ein bisschen anfüttert und psychisch etwas
krault, dann kann man sie ganz nach Gusto mästen. Kaum einer, der in der
Wirtschaft sitzt, weiß doch wirklich, was er will. Aber man ist für alles offen.
Kneipen, Gärten und Wellnessbädern vertraut man.
Nach nur einer Stunde hatte ich den Umsatz vom Vortag einkassiert, bis zum
frühen Abend den der vergangenen Woche. Der Geldbeutel in meinem Halfter zog
mir die Jeans über den Hintern. Das gab noch mehr Trinkgeld. Die Köche schrien
nach Lebensmitteln. Der Chef besorgte ihnen mehr Ware. Die Brauerei fuhr mit
dem Lkw vor. Die Lieferanten krachten mit den vollen Fässern in den Keller, der
Chef trug Klöße auf seinem Bauch und Stadtwürste um den Hals in die Küche. Der
Laden bebte, es war Rock ’n’ Roll. Es wurde gesungen und gesoffen. Nicht auch
nur eine Beschwerde.
Bis mich eine stattliche Frau mittleren Alters an den Tisch rief. Ein kurzer Blick in
ihre entsetzten Augen ließ mich wissen, dass sie bereits fünf Bier, einen Kaffee,
Seite 4/5 zwei Willi und die vegane Rosenkohlcreme auf dem siffigen Deckel hatte. Nun
stand ein astreines Schnitzel vor ihr. Schön groß, kross gebraten und mit ordentlich
Kartoffelsalat. All meine Erfahrung und mein Wissen sagte mir, dass diese Dame
Ketchup wollte. Doch es kam zu einer Ausnahme.
»Sehen Sie mal, junge Frau«, sagte die stattliche Dame. Dann klemmte sie das
Schnitzel zwischen Gabel und Messer und wendete es einmal. Ich zuckte
zusammen. Das Schnitzel war unten so schwarz wie das uralte Altöl aus meinem
Moped. »FUCK«, schrie ich, »Der Depp« und nochmal »Fuck«. Dann schlug ich
mit der Flachen Hand das Schnitzel zurück in sein Kartoffelsalatbettchen, entriss
der Frau den Teller und schmiss ihn einmal über den ganzen Biergarten hinüber,
durch das offene Küchenfenster, an die Wand über dem Herd. Dort zerschellte er.
Der lebenslustige Koch sprang zurück. Kartoffelsalat glitt über die Fliesen nach
unten, das zweigesichtige Stück Fleisch lag zwischen verbrannten Essensresten auf
dem fettigen Herd. Koch und Beikoch starrten erst auf das Schnitzel und dann auf
die Bibel zwischen den Kochbüchern. In den Garten sahen sie nicht.
Es muss unangenehm sein, einen schlechten Job zu machen. Ich brachte der
traurigen Frau eine angemessene Menge Obstbrand und registrierte im
Unterbewusstsein, wie ein neues Schnitzel brutal zerklopft wurde. Vier Kaffee mit
Cognac brauchte ich, um den kleinen Scherz aus der Küche zu vergessen und
schwupps war ich wieder im Modus.
Noch einmal richtig Vollgas, den Abend zerlegt, den Garten gerissen. Teller,
Gläser, Besteck an den Gast verfüttert. Ein Halleluja der Servicekunst. Der Kies
unter meinen Stiefeln staubte, die viel zu tief sitzenden Jeans waren steif. Das
Geschirrtuch saß fest auf meinem Kopf, mein Lippenstift klebte an Schnaps und
Biergläsern neben der Kasse. Die Hölle tobte und alle waren glücklich.
Doch man muss die Dinge auch gut sein lassen. Um Punkt Mitternacht war
Zapfenstreich. Ich scheuchte lässig alle davon.
Die hartnäckigen restlichen Gäste klappte ich in ihren Stühlen zusammen und warf
Seite 5/5 allesamt in die Gartenlaube. Das Licht im Garten löschte ich, aber eine
Taschenlampe steckte ich mir unter meinen kleinen Turban auf den Kopf. Dann
holte ich mir ein ganz frisches Bier und setzte mich alleine in den stillen Garten.
Die ramponierten Stiefel kickte in über den Zaun zum Nachbarn, nahm einen
genüsslichen Schluck und leerte dann den Geldbeutel auf den Tisch.
29.000 Euro Umsatz. Konnte ich sofort sagen. Was für ein wohliges Gefühl. An
einem einzigen Tag, alleine im Service, kaum 100 Plätze im Garten. Ich war tief
beruhigt. Dazu kamen 4873,10 Euro Trinkgeld. Zwei Drittel davon bekam die
Küche, ich bin ja nicht so. Als ich mir drinnen das nächste Bier holte, schmiss ich
dem Chef die Hälfte vom Umsatz auf den Tresen. Stundenlohn nahm ich keinen.
Gegen halb elf morgens rüttelte mich die Frühschicht wach. Es war ein schönes
Gesicht. Allerdings verschwommen. Ich hatte zum Feierabend noch 17 Helle und
einen Schnitt Bock getrunken. Verdient. Meine klammen Socken zog ich aus.
Dann hievte ich mich auf und ging barfuß, mit rund 16.125 Euro im BH, nach
Hause.