WIRTSCHAFT UND POLITIK Gedanken nach der letzten Bundesratswahl Gesucht: Mr. oder Mrs. Ostschweiz Seit Anfang Jahr ist unser Landesteil nicht mehr im Bundesrat vertreten. Nicht ganz unschuldig daran sind die Ostschweizer Bundesparlamentarier, die sich lieber um ihre nationale Agenda kümmern. So ging es der SVP bei der Besetzung des Exekutivamtes primär darum, ihr Wählerpotenzial in der Westschweiz zu aktivieren. Doch wir brauchen Politiker, welche die Interessen der Ostschweiz ins Zentrum stellen. Die Hoffnungen ruhen auf den neugewählten Hermann Hess und Marcel Dobler. Dr. Kurt Weigelt Direktor IHK Die Ostschweiz ist SVP-Land. Bei den vergangenen Natio- die besonderen wirtschaftlichen Bedürfnisse der Ost- nalratswahlen erreichte die SVP im Kanton Schaffhausen schweiz. Im Gegenteil. einen Stimmenanteil von sage und schreibe 45,3 %. Auch im Kanton St.Gallen ist die SVP mit 35,8 % mit Abstand Parlamentarische Gruppe Ostschweiz stärkste Partei. In Oberriet wählte mehr als die Hälfte der Seit 2012 besteht in Bundesbern eine Parlamentarische Stimmbürger nationalkonservativ. An der Spitze der Partei Gruppe Ostschweiz (PGO). Administrativ geleitet wird steht mit Toni Brunner ein bodenständiger Toggenburger. diese von der Ostschweizer Regierungskonferenz, der ge- Im Bündnerland ist die Dynastie des SVP-Übervaters wich- mäss Statuten auch inhaltlich eine bestimmende Rolle zu- tigste Arbeitgeberin. Ist die Ostschweiz wirklich SVP- kommt. Darüber hinaus soll die PGO ein gemeinsames Land? Spätestens wenn es ums Eingemachte wie die Wahl Forum von Wirtschaft und Gesellschaft bilden. Und in der eines Bundesrates geht, ist alles Makulatur. Obwohl meh- Tat: Vor einiger Zeit durften wir mit einer Barspende einen reren Ostschweizer SVP-Vertretern Bundesratsformat zu- Gratisapéro für hungrige Parlamentarier mitfinanzieren. gebilligt wird, hatten diese parteiintern keine Chancen. Es gab Bündner Rohschinken, Glarner Beggeli, Appenzel- Das Rennen machte vielmehr ein Bewerber, der, so Toni ler Mostbröckli, St.Galler Olma-Bratwurst, Schaffhauser Brunner, in der Romandie 4 % Wählerstimmen bringen Bölledünne, Gottlieber Hüppen, dazu Weine, Biere und dürfte. Es geht nicht um die Schweiz und schon gar nicht Destillate aus der Ostschweiz. Seither herrscht Funkstille. um die Ostschweiz. Was zählt, ist einzig die Parteitaktik. Besser kann man die Hilflosigkeit der Ostschweizer Interessenspolitik nicht beschreiben. Nationale Agenda Was uns fehlt, ist eine Persönlichkeit, die unabhängig von Dass Toni Brunner als SVP-Parteipräsident die Interessen institutionellen Interessen die Sache der Ostschweiz ins der Partei stärker gewichtet als diejenigen seiner Wähler- Zentrum der eigenen politischen Arbeit stellt. Uns fehlt in basis, ist die zwingende Folge seiner nationalen Karriere. Bundesbern ein Mr. oder eine Mrs. Ostschweiz. Bekannt- Damit ist er nicht alleine. Vergleichbares gilt für Paul Rech- lich stirbt jedoch die Hoffnung zuletzt. Mit Marcel Dobler steiner als Gewerkschaftsboss, Barbara Gysi als SP-Vize- und Hermann Hess wählte das Volk im vergangenen präsidentin und Markus Ritter an der Spitze des Bauern- Herbst zwei äusserst erfolgreiche Unternehmer ins Parla- verbandes. Sie alle führen eine nationale Agenda. Die ment, die in jeder Beziehung unabhängig sind und nie- Subventionsmilliarden für die Landwirtschaft können nur mandem mehr etwas beweisen müssen. Perfekte Voraus- mit Koalitionen über die Partei- und die kantonalen Gren- setzungen, um für unsere Region Gutes zu tun. Und wer zen hinaus gesichert werden. In der gewerkschaftlichen weiss, vielleicht liefert Toni Brunner nach dem Rücktritt als Agitation gibt es keinen Platz für die Rücksichtnahme auf SVP-Präsident sogar sein Comeback als Ostschweizer. Nr. 1/2016 25
© Copyright 2024 ExpyDoc