Sontheimer, Martin: Die Geistlichkeit des Kapitels Ottobeuren. Von

Sontheimer, Martin: Die Geistlichkeit des Kapitels Ottobeuren. Von dessen Ursprung bis zur
Säkularisation, Bd. 1, Verlag der Buchhandlung von Josef Feiner, Memmingen, 29.05.1912, 622 S.
Vorrede
In der Vorrede zu dem Buche, das im Jahre 1910 unter dem Titel „Die aus dem Kapitel Ottobeuren
hervorgegangene Geistlichkeit“ erschien, ist als weitere historische Arbeit angekündigt: „Das
Kapitel Ottobeuren in seinen Kapitularen.“ Von dieser Arbeit erscheint nun der erste Band, aber
nicht unter dem angekündigten Titel. Es wurde für dieselbe vielmehr der Titel „Die Geistlichkeit
des Kapitels Ottobeuren“ gewählt.
Das Werk enthält jene Geistlichen, welche im genannten Kapitel eine definitive Seelsorgestelle
inne hatten, nicht aber die unbepfründeten Seelsorgepriester. Jene aus dem Kapitel
hervorgegangenen Geistlichen, welche in demselben auch eine definitive Anstellung erhielten,
begegnen uns in diesem Buche wieder. Hier kommt aber nicht ihr Lebensgang, sondern ihre
Tätigkeit auf ihren Posten in Betracht. Die Reihe der Geistlichen auf den einzelnen Posten kann
jedoch nur auf relative Vollständigkeit Anspruch erheben, da unmöglich alles einschlägige
Aktenmaterial benützt werden konnte. Übrigens eine wesentliche Erweiterung hätte die Arbeit
auch bei Benützung alles nur in Betracht kommenden Materials nicht mehr erfahren, da dasselbe
nicht bis ins frühere Mittelalter zurückreicht.
Die Quellen, die uns über die Geistlichkeit des Bistums Augsburg, also auch des Kapitels
Ottobeuren, in der mittelalterlichen Zeit Aufschluss geben könnten, sind leider verloren gegangen.
In den Jahren 1084 und 1088 wurde nämlich das Bistum Augsburg schwer heimgesucht, indem
Herzog Welf die bischöflichen Lande verwüstete, auf beiden Zügen selbst Augsburg einnahm und
plünderte. Er nahm auch das ganze bischöfliche Archiv mit und barg es in der Burg Rotenfels. Aus
unbekannten Ursachen blieb dasselbe auch nach dem FriedensIV
schlusse zurück und kam nach und nach in völlige Vergessenheit. Erst im Jahre 1500 erfuhr der
gefeierte Augsburger Gelehrte Peutinger davon und erhielt vom Grafen von Montfort, dem
damaligen Gebieter von Rotenfels, die Erlaubnis, dieses Archiv zu benützen. Schon war er auf dem
Wege nach Rotenfels, als diese Burg und mit ihr das bischöfliche Archiv in Flammen aufging.
Dadurch waren die eigentlichen Quellen, die uns über das Bistum Augsburg und damit auch über
unser Kapitel während des früheren Mittelalters Aufschluss geben würden, für immer verloren. 1)
Aber auch für das spätere Mittelalter sind die Quellen vielfach zu Verlust gegangen. Im Jahre 1152
wurde das Kloster Ottobeuren ein Raub der Flammen.2) Im Jahre 1217 ereilte dieses Kloster
dasselbe traurige Los.3) Desgleichen ging das Heiliggeistspital in Memmingen im Jahre 1223 in
Flammen auf.4) Am 12. September 1569 brannte die Wohnung des bischöflichen Sieglers mit den
darin geborgenen wertvollen Registern nieder.5) In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1686 ging
der Pfarrhof in Ottobeuren in Flammen auf. Pfarrbücher und Urkunden wurden von den Flammen
verzehrt. Lauter unersetzliche Verluste für unser Kapitel! So erklärt es sich, warum die
Kapitelsgeistlichkeit im ganzen nur aus der neueren Zeit bekannt ist.
Wie schon aus dem Titel des Werkes ersichtlich ist, war es dem Verfasser vor allem darum zu tun,
möglichst vollständige Kataloge der Kapitelsvorstände und Inhaber der einzelnen Pfarreien und
Benefizien herzustellen, nicht die Geschichte des Kapitels zu schreiben. Doch wollte derselbe auch
das Wirken der Geistlichen berücksichtigen und in die Arbeit aufnehmen. Bei den Geistlichen
früherer Zeit konnte freilich in der Regel nur die Veranlassung angegeben werden, bei welcher sie
vorkommen. Dagegen enthalten die Urkunden und Kanzleiakten viel über die Geistlichkeit der
neueren Zeit, doch nicht so viel, dass sich ihr Wirken durchweg in zusammenhängende Darstellung
bringen liess, ausgenommen Grönenbach, Theinselberg und Memmingen. Bei diesen Orten liegt so
viel Aktenmaterial vor, dass die Arbeit gegen die ursprüngliche Absicht des Ver______________________
1) Baumann I, 260. 2) Steichele, Archiv II, 29. 3) Feyerabend II, 263. 4) Baumann I, 308. 5) O. A., Siegelamtsreg. 6) Feyerabend III, 547.
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fassers beinahe zur Religionsgeschichte sich erweitert hat. Was speziell die Stadt Memmingen
betrifft, besitzen wir auch die vorzüglichen Arbeiten von Dabei und Rohling, welche die Tätigkeit
mehrerer in Memmingen bepfründeten Geistlichen, insbesondere eines Schappeler, auf Grund
eingehender Studien ausführlich geschildert haben. Doch liess sich auch hier noch manches
ergänzen aus den Akten des bischöflichen Ordinariats, welche die Genannten nicht benützten.
Wenn auch einige Seelsorgestellen in die Arbeit aufgenommen wurden, deren Inhaber nicht
kanonisch instituiert waren z.B. die Schlosskaplaneien in Kronburg und Fellheim, so geschah dies
nur der Vollständigkeit wegen. Aus dem gleichen Grunde wurden die Auszüge aus den
Stiftungsurkunden der Messpfründen der ehemaligen Reichsstadt Memmingen jeder einzelnen
Pfründe vorangesetzt, obschon manche Verpflichtungen der Inhaber bei allen Pfründen dieselben
sind.
Da in vielen geistlichen Persönlichkeiten des Kapitels die Zeit charakterisiert ist, in der sie lebten
und wirkten, dürfte die Arbeit, obschon sie sich auf das Kapitel Ottobeuren beschränkt, auch für
weitere Kreise von Interesse sein. Es gibt ja zwei Arten, Geschichte zu studieren. Die eine stellt ihre
Betrachtungen gewissermassen von der Höhe aus an, wo nur die grossen Ereignisse, die
gewaltigen Führerpersönlichkeiten sichtbar werden. Die andere aber steigt in die Tiefe hinab und
wählt sich einen räumlich beschränkten Kreis und die darin lebenden Personen zum Gegenstande
der Betrachtung. Erst die Vereinigung dieser beiden Arten des Geschichtsstudiums schafft
lebensvolle, bis ins einzelnste verständliche Bilder. In diesem Sinne hebt sich wohl auch
vorliegende historische Arbeit über das rein lokale Interesse hinaus.
Der Verfasser war bemüht, sein eigenes Urteil so wenig als möglich hervortreten, vielmehr die
Urkunden und Akten durch wörtliche oder auszugsweise Mitteilung selbst reden zu lassen. Ob eine
Urkunde oder ein amtlicher Bericht zu gunsten oder zu ungunsten einer geistlichen Persönlichkeit
lautete, galt ihm gleich viel. Da aber die Kanzleiakten vielfach die einzigen Quellen bilden, lernen
wir die Kapitelsgeistlichkeit hauptsächlich von der ungünstigen Seite kennen. Denn „in Kanzleien
kommen die Regelmässigkeiten und Tugenden nur wenig
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zur Sprache, so dass die Nachwelt aus solchen Quellen weit mehr Trübes als Helles kennen lernt“. 1)
Unsere Kapitelsgeistlichkeit weist denn auch gerade nach der sog. Reformation Schattenseiten auf,
die vielleicht mancher verschwiegen haben möchte. Doch jeder rechtlich Denkende wird auch in
dieser Beziehung die volle Wahrheit wünschen. Die Kirche braucht die Wahrheit nicht zu fürchten,
da ebenso historisch gewiss ist, dass sich jene Zustände in einer Weise gebessert haben, die das
Walten der göttlichen Vorsehung handgreiflich erkennen lassen. Was aber speziell die
Pfarrvisitationsberichte betrifft, die vom Verfasser vom zweiten Bande an unzähligemal wortgetreu
und vollständig in die Arbeit aufgenommen wurden, so kehren dieselben noch mehr als alle
andern Quellen die Schattenseiten hervor. Es sind aber diese Berichte als Geschichtsquellen von
eminenter Bedeutung, indem sie für lokal und namentlich für kulturgeschichtliche Forschungen
ungeheures Detail an die Hand geben. Gerade aus letzterem Grunde wurden sie so zahlreich in die
Arbeit aufgenommen. Zudem sind sie von der denkbar grössten Zuverlässigkeit. Denn „diese
Berichte sind alle aufgebaut auf eigener, unmittelbarer Anschauung der Verhältnisse der
betreffenden Zeit, sie enthalten fast durchweg nur Fakta, nicht etwa Reflexionen oder bloss
Ansichten der Visitatoren; sie tragen ferner alle den Charakter amtlicher Dokumente an sich, die
darum, so lange nicht das Gegenteil bewiesen werden kann, als wirkliche Tatsachen enthaltend
angesehen werden müssen“.2)
Die Aufnahme der Visitationsberichte, welche leider erst mit 1575 beginnen, sowie der Citate aus
Urkunden geschah nach folgenden Grundsätzen: 1. Die in älteren Urkunden üblichen Abkürzungen
sind fast durchweg aufgelöst worden. 2. In lateinischen Citaten sind nur die Eigennamen und
Anfangsworte neuer Sätze gross, die übrigen Wörter klein geschrieben. 3. In solchen Citaten sind
auch die Buchstaben u und v in ihrer jetzigen Bedeutung gesetzt, so dass z.B. nicht uulgo, sondern
vulgo geschrieben wurde. 4. Die deutschen Citate aber wurden fast durchweg genau im
Originaltexte wiedergegeben, da hiedurch die Arbeit in mehrfacher Hinsicht gewinnen dürfte. So
erhellt beispielsweise, wie schwankend
______________________
1) Heimbucher I, 70 (2. Aufl.). 2) Lingg I, 2.
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in früheren Zeiten die deutsche Rechtschreibung war. Das nämliche Wort wird oft in ein und
derselben Urkunde mit f und mit v geschrieben z.B. fasten und vasten. 5. Die Interpunktion ist
meistens der jetzigen angepasst worden. Die Arbeit schliesst aus mehreren Gründen mit der
Säkularisation ab. Über die Kapitelsgeistlichkeit des 19. Jahrhunderts mag in späteren Zeiten eine
andere Feder schreiben. Möge das Werk, die Frucht mehrjähriger, mühevoller Arbeit, trotz der aus
seinem Wesen hervorgehenden Unvollständigkeit und seiner dem Verfasser als Autodidakt zur Last
fallenden sonstigen Mängel als ein brauchbarer Baustein sich erweisen zum Ausbau der Geschichte
des Schwabenlandes und insbesondere auch der Kulturgeschichte! Es erübrigt mir noch, für die
freundliche Unterstützung, die mir von so vielen Seiten zuteil wurde, meinen wärmsten Dank
öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Insbesondere sei mir gestattet, das wohlwollende
Entgegenkommen des bischöflichen Archivars Herrn Riedmüller, der Herren Vorstände und
Beamten im kgl. baierischen Reichsarchiv in München, im kgl. Kreisarchiv zu Neuburg a. D., im
Fugger'schen Archiv zu Augsburg, sowie in den Stadtarchiven zu Memmingen und Kempten und
insbesondere noch des Herrn Stadtbibliothekars Dr. Miedel in Memmingen dankend zu rühmen.
Lachen, den 29. Mai 1912.
Der Verfasser.
Hinweise zur Abschrift des Vorworts: Sontheimer verwendete kein „ß“ (wurde so beibehalten), bei
Wörter, die wir mit „j“ schreiben, wurde seine Schreibweise mit „i“ verändert. Die Absätze sind
erhalten geblieben. Diese Abschrift ist hier auch als Word und pdf-Datei abrufbar. Der Gesamtband
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Abschrift: Helmut Scharpf, 25.03.2016