07.01.2016

Tagblatt Online: 7. Januar 2016, 02:35 Uhr
Literarisches Kikeriki
Die Literatur-App findet sich unter www.literiki.com
Es gibt angenehmere Weckrufe als der krächzende Schrei eines Hahns. Zum
Beispiel eine Geschichte zum Aufwachen. Die ehemalige Lehrerin Isabella Hoegger
hat mit der App Literiki einen literarischen Wecker ins Leben gerufen.
MIRJAM BÄCHTOLD
ST. GALLEN. Schrilles Weckergeklingel, grauer Nebel, Negativschlagzeilen in den Nachrichten:
Unsere Tage beginnen oft wenig positiv. Dem wollte Isabella Hoegger entgegenwirken. Unter dem
Stichwort Literiki hat sie eine App kreiert, mit der man jeden Morgen eine dreiminütige
Kurzgeschichte hören kann, die zum Schmunzeln anregt. «So wird der Start in den Tag positiver
gestaltet», sagt sie. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte sie die Idee für die App. Inspiriert wurde
Isabella Hoegger von den Morgengeschichten im Radio. «Die muss man aber hören, wenn sie
gesendet werden. Für mich war das oft unpassend und ich wollte eine Möglichkeit schaffen, die
Geschichten zu hören, wann man will.» Aus diesem Gedanken wurde die immer konkretere Idee für
die Literiki. «Irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich nicht mehr zurück konnte, ich musste
es einfach machen, es war wie ein Versprechen an mich selbst.»
Literatur alltäglich machen
Also hat Isabella Hoegger ihre Stelle bei der Berufsschule gekündigt, wo sie die Fächer Sprache
und Kommunikation, Recht und Gesellschaft unterrichtet hatte. In der Schule war wenig Platz für
die Literatur, sagt die 54-Jährige. Auch sie selbst habe nur wenige neue Autoren gekannt. «Literatur
wird oft als etwas Elitäres wahrgenommen. Ich wollte etwas Alltägliches daraus machen, das für
jeden zugänglich ist.» Anfangs suchte Isabella Hoegger in Buchhandlungen nach lustigen
Kurztexten für die App. Trotz des riesigen Angebots fand sie nicht, was sie suchte. «Für die
Urheberrechte hätte ich dem Verlag ausserdem pro Seite etwas bezahlen müssen. Ich wollte das
Geld lieber direkt den Autoren zahlen.» Sie machte sich auf die Suche nach Autoren und schrieb
Autorenverbände an, die ihre Idee in den Newslettern vorstellten. Daraufhin meldeten sich einige
Autoren, inzwischen sind es 143, die Isabella Hoegger mit Kurzgeschichten beliefern. «Ich habe
nicht die Autoren gefunden, sondern sie mich», sagt sie.
Nur für einen Tag abrufbar
Die Zusammenarbeit mit den Autorinnen und Autoren aus der Schweiz, Deutschland und
Österreich ist für Isabella Hoegger sehr bereichernd. «Ich habe meine Kündigung noch nie bereut.
Meine neue Aufgabe erfüllt mich mit Spass und Energie, aber auch mit Ehrfurcht für die Autoren.»
Einige sind bereits mit Preisen ausgezeichnet worden, andere sind noch unbekannt. «Alle wollen,
dass das Projekt gelingt und die App erfolgreich ist.» Reich wird Isabella Hoegger mit ihrer neuen
Arbeit jedoch nicht. Die Programmierung der App war teuer und auch die Autoren bezahlt sie mit
100 Franken pro Geschichte. Ihr Ziel ist es, dass die App irgendwann kostendeckend ist. Für zwei
Franken kann man die Kurzgeschichten für drei Monate herunterladen. Eine Geschichte kann
immer nur für einen einzigen Tag gehört werden, dann verschwindet sie im Äther. «Wegen der
Urheberrechte wollte ich es so einfach wie möglich halten.» Eine gedruckte Sammlung der
Geschichten kann sich die Literiki-Gründerin nicht vorstellen. Die Texte seien zum Hören gedacht,
sie leben auch von der Vielfalt der verschiedenen Dialekte. Die meisten Autoren lesen ihre
Geschichten selbst und schicken Isabella Hoegger eine Audiodatei, die sie noch bearbeitet.
Manchmal muss sie die Lautstärke anpassen, manchmal schneidet sie Pausen heraus. Nach der
Bearbeitung lädt sie die Dateien auf einen Server, wo sie für die App verfügbar gemacht werden.
Auch die Webseite zur App aktualisiert sie monatlich mit Informationen zu den Autoren.
Neue Autoren gesucht
Für die nächsten acht Monate hat Isabella Hoegger bereits alle Geschichten zusammen. Trotzdem
ist sie auch auf der Suche nach neuen Autoren. «Sie dürfen auch jung, frisch und frech sein. Das
Wichtigste ist, dass die Geschichte die Hörer zum Schmunzeln bringt und sich auf etwa 2000
Zeichen begrenzt.» Den Begriff Humor fasst Isabella Hoegger weit: Er darf abstrakt sein, schräg,
schwarz, britisch und sarkastisch, aber nicht verletzend. Wenn die App gut läuft, möchte sie
dasselbe auch für den englischen Sprachraum umsetzen. Dafür ist sie mit ihrer Cousine in New
York in Kontakt, die Autoren kennt und sie bei der Umsetzung unterstützen würde.