Liebe Besucher der Homepage des Arbeitskreises Dorfgeschichte

Liebe Besucher der Homepage des Arbeitskreises Dorfgeschichte Obermeiser!
Wir freuen uns über Ihr Interesse an unserer Homepage. Der Arbeitskreis hat vor einigen Monaten den
Grundstein für ein neues Buchprojekt gelegt. Nach den bisher erarbeiteten Themen haben wir uns nun
vorgenommen, der Geschichte der “Hochwasser, Schadfeuer und anderer Unglücksfälle in der Gemeinde
Obermeiser“ auf den Grund zu gehen. Das Buch soll im Herbst 2016 erscheinen und optisch den gleichen
Umfang und die gleiche Ausstattung wie unsere bisherigen Werke erhalten.
Bei den Arbeiten für das Projekt sind wir auf Mithilfe, insbesondere der älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger
angewiesen. In diesem Zusammenhang sind wir dankbar für jeden Hinweis und jedes Bild, dass uns leihweise
zum Thema überlassen wird. Im kommenden Winter werden wir daher auch einen Fragebogen bzw. einen
Flyer im Ort verteilen. Darin bitten wir Sie, uns aus Ihren eigenen Erlebnissen zu den genannten
Themenbereichen zu berichten. Wir werden z.B. fragen, wie Sie das Hochwasser 1965 oder 1984 erlebt haben
oder ob Sie Beobachtungen bei den Feuern im Dorf oder den schweren Verkehrsunfällen auf der Bundesstraße
7 gemacht haben. Haben Sie vielleicht Aufnahmen von diesen Ereignissen in Ihrem Album?
Um Ihnen einen Vorgeschmack auf das neue Buch zu geben, möchten wir Sie mit einem Text über den Absturz
eines britischen Bombers an der Gemarkungsgrenze Obermeiser/Westuffeln im Jahre 1943 vertraut machen.
Am 22. Oktober war der Jahrestag des schweren Luftangriffs auf die Stadt Kassel. Was würde für eine
angemessene Würdigung dieses schicksalshaften Tages besser geeignet sein, als eine genaue Beschreibung der
Ereignisse, die in ihrer Tragweite auch Auswirkungen bis in das Dorf Obermeiser hinein entwickelt haben.
Ganz besonders feut sich der Arbeitskreis Dorfgeschichte über das Engagement von Herrn Reinhard Saalfeld,
der als Freier Mitarbeiter zu uns gestossen ist und eine umfangreiche Berichterstattung zum Flugzeugabsturz
gefertigt hat. Reinhard Saalfeld, Jahrgang 1950, ist in Obermeiser aufgewachsen und lebt als Architekt seit
Jahren in Finnland. Er teilt mit den anderen Mitgliedern des Arbeitskreises die Liebe zu seinem Heimatdorf und
das Bestreben, geschichtlich interessante Themen zu erforschen, aufzubereiten und für die Zukunft und für
künftige Generationen zu erhalten.
Wir danken für dieses Engagement und laden Sie, liebe Leser, dazu ein, den nachfolgenden Bericht
aufmerksam zu studieren.
Obermeiser, im Januar 2016
Für den Arbeitskreis Dorfgeschichte:
Holger Neumeyer
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1943
Bomberabsturz am Oppermannsberg
Eine Dokumentation des tragischen Schicksals von Anna und David, stellvertretend für die ungezählten Toten
dieseits und jenseits des Ärmelkanals. Die Ereignisse in den letzten Oktobertagen des Kriegsjahres 1943 als vom
Himmel Eisen auf unsere Heimat regnete.
Eine Beschreibung aus der Sicht des Architekten Reinhard Saalfeld, Jahrgang 1950,
aus dem Dorf Obermeiser zwischen Warme und Nebelbeeke, wohnhaft in Finnland.
Schon als kleiner Junge spitzte ich die Ohren, wenn von älteren Spielkameraden oder in
geselliger Runde von Erwachsenen der Absturz eines “Bombers" am Huckenberg die Rede
war. Jahrzehnte vergingen und das geheimnisvolle Ereignis geriet in Vergessenheit. Fern der
Heimat Obermeiser machte ich plötzlich eine zufällige Entdeckung, die die Geschichte
wieder an die Oberfläche spülte. Bei einem meiner virtuellen Spaziergänge in der
Gemarkung am Computer erkannte ich eine auffällige Veränderung der Farbgebung des
Ackerlandes unterhalb des Oppermannsberges und meine eingefrorene Neugierde war
wieder aufgetaut. Ich wollte mehr wissen, möglichst alles. Die Interessengemeinschaft
"Arbeitskreis Dorfgeschichte Obermeiser" bot sich dazu als passende Plattform für meine
Nachforschungen an.
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TRÄNEN AUS EISEN - Riders on the storm
Ein Krieg mit nie dagewesener Härte, Brutalität, Rücksichtslosigkeit und Kompromisslosigkeit kehrt zu seinem
Ausgangspunkt zurück.
Der 22. Oktober 1943 ist für Anna Hold aus Obermeiser und David Gareth Rees aus Wales der letzte Tag in
ihrem kurzen Leben.
David Rees, Sohn von Tudor und Elizabeth Rees, kommt 1924 zur Welt In
seiner Familie und im Freundeskreis wird er liebevoll "Dewi" genannt.
Er stammt aus dem Vorort Pensarn der Stadt Carmathan, Süd-Wales.
Die Stadt mit 20.000 Einwohnern liegt 44 km von Swansea, der heutigen
Partnerstadt von Mannheim, entfernt. Ab 1940 ist die Stadt an der Küste
mit Metallverarbeitung und Schiffbau Ziel deutscher Luftangriffe, bei der
insgesamt 387 Menschen sterben. Im Februar 1941 wird das Stadtzentrum
durch den "Three Night Blitz" völlig zerstört, der Hafen und
Industrieanlagen bleiben jedoch unbehelligt.
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David Rees 1924 – 1943
kurz vor der Besteigung des
Bombers am 22.10.1943.
Anna Hold sollte am 26. Mai 1923 als 2. Tochter der Eheleute Heinrich
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Anna Hold 1923 - 1943
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Wilhelm Hold und Friederike, geb. Schwarz, in Obermeiser, geboren werden.
Es treten Komplikationen auf. Deshalb hält ihre Mutter das neugeborene
Mädchen nach einem Kaiserschnitt in einem Kasseler Krankenhaus in den
Armen. Ihre ältere Schwester Marie, geb. 1921, heiratet später den
Zimmermann Walter Friedrich, Vater von Wolfgang und Erika. Das
Fachwerkhaus auf der "Rische", nahe an der Tränke und Waschplatz des
Warmebaches plaziert, liegt am Rande des Dorfes.
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Das 2-geschossige Gebäude Nr. 44 im typischen Kätner-Stil
ist rechtsseitig eingebaut und lässt linker Hand den Blick frei
in Richtung der bewaldeten Anhöhe des Rammelsberges.
Über Wiesen und Felder geht hier die Dorfstrasse von der
Wiege des Dorfes, dem Meierhof hinter der Kirche, in den
jetzt überwachsenen historischen Burgpfad zur Schartenburg
über. Deshalb auch die alte Bezeichnung "Haus am
Burgpfad". Anna Hold wird 1930 in die Schule an der
Holländischen Strasse aufgenommen. Ihr Lehrer Karl August
Kurz ist mit Sabine Elisabeth, geb. Zuschlag, verheiratet.
Seine Tochter Grete wird das traurige Schicksal von Anna
tag- und ortsgleich teilen.
Nach ihrer 8-jährigen Schulzeit erlernt Anna 1931 den Beruf
der Hauswirtschafterin. Sie ist bei der Bäckerei Wahrenholz
(Kassel, Sack 4) in Stellung. In diesem Gebäude in einer
kleinen Sackgasse vom Steinweg abbiegend und in
Tuchfühlung mit dem Friedrichsplatz wohnt sie ebenfalls.
Anna ist mit 20 Jahren noch ledig und besucht gern ihre
Eltern in ihrem 22 km entfernten Heimatdorf mit seinen gut
500 Einwohnern. Kassel liegt mit 216.000 Einwohnern zu
dieser Zeit geographisch im Herzen Deutschlands.
Das Haus am Burgpfad in den 1940er
Jahren.
Nicht wenige Gäste schwärmen von einer der
schönsten Städte Europas. Die vom mittelalterlichen
Baugefüge mit einzigartigen mehrgeschossigen
Fachwerkhäusern und vielen Bauobjekten des
Barocks und der Renaissance geprägte Stadt ist 1943
zudem ein wichtiger Baustein der NS –
Rüstungsindustrie mit einem grossen Einzugsbereich
bis weit in das Hinterland hinein.
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Das Eckhaus Sack 4 / Steinweg entspringt der
Baukunst der Renaissance. Das massive Erdgeschoss
trägt 2 Obergeschosse in Fachwerkbauweise, die
später verputzt werden. Nachkommen des Kasseler
Komponisten Johan Heugel (1510 - 1585) werden
1605 als Eigentümer benannt. Er bewohnt das Haus
zunächst mit seiner Familie. Es wird vermutet, dass
J. Heugel in Kassel vorher als Baumeister tätig war
und das Haus von ihm stammt. Die Gebrüder
Grimm ziehen 1785 nach Kassel und werden hier von
ihrer Tante während ihrer Schulzeit untergebracht.
Die Bäckerei Wahrenholz im Kasseler Stadtteil Mitte.
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Schulbild um das Jahr 1934.
Kassel liegt im Schnittzentrum kleinerer Nachbarstädte mit ungleich geringerem Rüstungspotential.
Erfurt/Gewehre, Fulda/Kugellager und Gummiwerke, Paderborn/Militärpräsens und Verwaltung und
Hildesheim/Boschteile für Panzermotoren sind ebenso im Focus der alliierten Kriegsführung. Für die Stadt
zu Füssen des Herkules ist jedoch höchste Priorität eingeräumt. Hier arbeiten zunehmend auch Frauen,
Kriegsversehrte und Zwangsarbeiter in den Fabrikanlagen u.a. der Fieseler Werke, Henschel, Junkers und
Wegmann. Der Eisenbahnknotenpunkt zur schnellen Belieferung der Frontabschnitte mit Lokomotiven,
Waggons, Panzern, Flugzeugen ist von enormer strategischer Bedeutung.
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Das 2. Schulhaus von Obermeiser in den 1940er Jahren.
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Das Kriegsgeschehen berührt noch nicht massiv den öffentlichen
Alltag der nordhessischen Bevölkerung. Erst Mitte 1942 mit den
ersten empfindlichen Luftangriffen auf Hamburg schreitet der
Tod unaufhaltsam ins Landesinnere. Luftschutzübungen,
Abwehrvorkehrungen und gezielte Propaganda der
Gauleitung wiegen die Einwohner in gespannter vermeintlicher
Sicherheit. Auch in dem kleinen Ort Obermeiser werden sog.
Volksgasmasken für den Notfall im Bürgermeisteramt, das
auch 1943 den Kindergarten beherbergt, gelagert. Von ca. 93
Stck. sind 2/3 für Frauen und 1/3 für Kinder markiert. Die
Niederlage in Stalingrad und die zunehmende Anzahl der
Sterbenachrichten gefallener Soldaten in der Tagespresse lassen
bei vielen Bürgern die ärgsten Befürchtungen aufkeimen.
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Volksgasmaske für den Zivilschutz.
Nachdem Mittel der herkömmlichen Kriegsführung nicht die angestrebte Wirkung erreichen, um die NSDiktatur zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen und als Reaktion auf deutsche Luftangriffe gegen
London oder Coventry wird auf Betreiben der Britischen Kriegsführung die Anwendung der "Moral-BombingStrategie" beschlossen. Das sieht im kriegstechnischen Sinn die Flächenbombadierung von dichtbesiedeltem
Gebiet vor. Rote, grüne und weisse Leuchtmarkierungen, sogen. "Christbäume" werden mit der Vorhut durch
die PFF "Pathfinder Force" abgesetzt. Danach kommen Luftminen zum Einsatz, die durch ihre Druckwellen
grosse Öffnungen in Dächer und Wände freilegen. Dann folgen Sprengbomben, die Gebäude zum Einsturz
bringen und Bunker sowie Luftschutzkeller verschütten. Brandbomben entfachen einen bewusst kalkulierten
Feuersturn, der alles zerstört, was er mit seiner todlichen Energie umschliesst. Ziel ist, die Moral der
Zivilbevölkerung zu brechen.
Die Crew der 166. Squadron der RAF "Royal Airforce" wird in der Vorbereitungsphase zum Einsatz gegen Kassel
dementsprechend eingewiesen. Die Bomberbesatzungen rekrutieren sich ausnahmslos aus Freiwilligen, die sich
ihrer Mission bewusst sind. Die No.166 "Schwere Bomber Staffel" der RAF wird im Januar 1943 neu formiert. Die
ED366 Besatzung trainiert ab 10.10.1943 in der HCU 1656 (Heavy Conversion Unit) der RAF Lindholme ihren
Lancaster-Einsatz und ist danach am Flugfeld von Kirmington stationiert, heute Humberside International
Airport.
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Das Dorf Kirmington mit rund 300
Einwohnern
liegt
nahe
an
der
mittelenglischen Ostküste, auf der Höhe von
Manchester. Westlich vom Dorfkern sind
3 Landebahnen überlappend angeordnet,
die ein Dreieck bilden, an deren Längsseiten
die Infrastruktur der RAF Basis angeordnet
ist.
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Flugplatz der Royal Airforce am Dorf Kirmington, Mittelengland, 1943
Das Areal hat eine Gesamtfläche von 233 ha. Nachdem am 03. Sept. 1939 Grossbritannien dem Deutschen
Reich den Krieg erklärt hat, folgt Kanada am 10. September. Kanada ergänzt so auch die 166. Squadron mit
Personal.
Zur Besatzung der Avro Lancaster ED366 AS – C gehören:
Sergeant Kenneth Hurst, Flugzeugführer/Pilot, 22 Jahre, aus Middlesbrough, geb. 07.11.1920, Royal Air Force
Sergeant David Gareth Rees, Bordmechaniker/Flight Engineer, 19 Jahre alt,
Sohn von Tudor und Elizabeth Rees, Pensarn, Carmarthen, Royal Air Force
Sergeant John Saffrey, Navigator, 32 Jahre alt,
Sohn von Percival Gustave und Maria Jane Saffrey, Ehemann von Marjorie Barrie Saffrey, 56 Broadway, Mill
Hill, Middlesex, London N.W.7, Royal Air Force
Sergeant Ronald Harris Butler, Bombenschütze/Bomb Aimer, 24 Jahre alt,
Sohn von William und Hilda Butler, North River, Prince Edward Island, Kanada, Royal Canadian Air Force
Sergeant Walter George Gamage, Bordfunker, Bordschütze/Wireless Operator, Air Gunner, 20 Jahre alt,
Sohn von Sidney Walter George und Ellen Elizabeth Gammage, West Green, Middlesex, Royal Air Force
Sergeant John Terrance Costello, Oberer Geschützturm/Mid Upper Gunner, 22 Jahre, geb. 15.09.1921 in
Deutschland, Sohn von Herrn und Frau T.M. Costello, Goderich, Ontario, Kanada, Royal Canadian Air Force
Sergeant Michael Monaghan, Heckschütze/Rear Gunner, 24 Jahre alt,
Sohn von John und Hannah Monaghan, Barrow-in-Furness, Lancashire, Royal Air Force
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Treffunkt
der
Soldaten
und
des Personals
in ihrer Freizeit.
Nach Dienstschluss oder an freien Tagen trifft man sich im Pub "Marrowbone & Cleaver", vom RAF Personal
"Chopper" genannt. Die Crew wird an einer 4-motorigen Avro Lancaster MK.I ausgebildet. Die ED366 wurde
der 166. Squadron am 15. Okt. 1943 zur Verfügung gestellt. Die Maschine hat lediglich einen Fronteinsatz, am
18/19. Okt. 1943 gegen Hannover, zu verzeichnen. Dabei wurde der Maschine beim Überqueren der
niederländischen Küste auf dem Rückflug beträchtlicher Schaden durch Schwere Flak zugefügt (AIR 27/1089).
Die erwähnte Crew fliegt in dieser Besetzung ihren ersten Einsatz mit dieser Maschine.
Es ist der 22. Okt. 1943. Anna besucht an diesem Freitag ihre Eltern im Heimatdorf Obermeiser. Vielleicht hat
sie einen freien Tag oder Urlaub. Ihre Eltern machen sich grosse Sorgen wegen der Sicherheit in Kassel. Erst am
18. Okt. musste Hannover unter einem Grossangriff durch Bomber leiden. Sie ahnen, dass Kassel nicht verschont
werden wird. Trotz strengsten Verbotes ausländische Radiosender abzuhören, spricht sich die katastrophale
Gesamtsituation des Reichsgebietes herum. Heinrich und Friederike Hold bitten ihre Tochter inständig doch
über Nacht zu bleiben.
Aber alles Flehen hilft nichts. Anna stellt ihr Pflichtbewusstsein gegenüber ihrem Arbeitgeber über die Ängste
ihrer Eltern und wohl auch über ihre eigenen.
Der Tag neigt sich dem Ende und Anna bricht wieder die 22 km nach Kassel auf. Vielleicht mit einem Linienbus,
mit einem Bekannten oder mit dem Fahrrad. Wir wissen es nicht. Am Ortsende Richtung Westuffeln kann sie
über den herbstlichen Nebelschwaden der Nebelbeeke den kahlen Mühlenberg ausmachen, auf dem die
Kinder im Winter gerne rodeln.
Jetzt könnte dort oben in einer kleinen Kuhle eine Funkmess-Station oder Flugwache aufgebaut sein, die
feindliche Flieger im Anflug auf Kassel registriert. Solch einen “Horchposten“ meinen Einwohner wie Manfred
Neumeyer beobachtet zu haben.
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Ein Blick vom Mühlenberg auf das Dorf Obermeiser um 1940. Am linken oberen Bildrand ist der
Oppermannsberg zu erkennen. Dieser Blickwinkel bot sich auch den Posten auf dem Mühlenberg.
Sie kommt an der Steinernen Brücke vorbei, die die Grenze zwischen den Nachbardörfern markiert.
Wenn sie ihren Kopf nach rechts wendet, sieht sie im Dämmerlicht noch die Silhouette des
Huckenberges mit dem davor gelagerten Oppermanns Berg. Anna wird bei Dunkelheit im Steinweg,
unweit zum Zentrum am Friedericianum, angekommen sein.
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Eine britisch/kanadische Crew nimmt
Aufstellung vor einer baugleichen “Lanc“.
Im Gegensatz zu US-Soldaten haben
Kanadier keine eigene Befehlsgewalt und
waren der Royal Airforce untergeordnet.
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Nachdem der Marschbefehl erteilt ist, nimmt die "Area Bombing Directive" "Target Kassel" ihren
verhängnisvollen Lauf. Routineprozeduren schliesssen sich an. Volltanken, Bestücken mit der todbringenden
Fracht, Motoren-, Instrumenten-, Bewaffnungscheck. Der Bomber ist standardmässig mit einer 2.000 kg
Luftmine, 12 Behältern mit 90 Stabbrandbomben (je 1,7 kg) und 8 Phosphorbrandbomben (je 13,5 kg)
bestückt. Die Lancaster hat mit ihren 4 Rolls-Royce Triebwerken eine Leistung von je 1.145 PS.
Die Reichweite beträgt bei einer max. Bombenlast von 6.350 kg 2.675 km. Bei einer Entfernung nach Kassel
und zurück von ca. 2.000 km ist noch Reserve für Umwege im Notfall vorhanden.
Eine Lancaster Mark I mit einer
Flügelspannweite von 31 m
und einer Länge von 21 m.
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Verladen von Sprengbomben und einer
Luftmine (ca. 1.800 kg).
Lancaster Bomber werden im Nachteinsatz geflogen und so startet die Maschine um 17:55 Uhr als eine von 569
Bombern zum Sammelgebiet gen Kassel. 444 Maschinen erreichen das Zielgebiet Kassel (AIR 14/3411). Bei einer
Marschgeschwindigkeit von 338 km/h wird mit dem Eintreffen bei ungestörtem Ablauf um 21:00 Uhr
gerechnet.
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Aufgrund von Täuschungsmanövern über Frankfurt und Köln wird in Kassel erst mit kurzer Vorwarnzeit Alarm
ausgelöst. Um 20:17 Uhr heulen die Sirenen, zeitgleich in Hofgeismar (Alarmbuch Luftschutzwarnkommando).
Trotz Verdunkelung herrscht an diesem beginnenden Wochenende die übliche Beschäftigkeit in der Innenstadt.
Es ist nicht der erste Fliegeralarm und der erste Angriff auf das Zentrum an der Fulda. So eilen die Bürger
eingeübt, aber nichtsahnend was Ihnen bevorsteht, in die Bunker und Keller.
Auch Anna begibt sich zusammen mit dem Bäckermeister August Wahrenholz (1881 – 1943) und seiner Frau
Sabine (1883 – 1943) in den Keller ihres Hauses Sack 4. Deren Tochter Erna, verh. Becker, sucht im Haus Sack
3 im Gewölbe Schutz.
Schon 20 Minuten später um 20:37 Uhr fallen die ersten Bomben, nachdem vorher Leuchtmarkierungen
abgeworfen wurden. Ein apokalyptisches Inferno breitet sich über der gesamten Innenstadt aus. Um 21:30 Uhr
drehen die letzten Bomber ab.
Es gibt keine Entwarnung, weil die meisten Nachrichtenverbindungen unterbrochen sind. So irren viele
Eingeschlossene, teils fürchterlich schreiend oder verzweifelt apathisch, im Chaos orientierungslos zwischen den
vorsorglich durch Mauerdurchbrüche verbundenen Kellerräumen umher. Viele Ausgänge sind zudem
verschüttet.
Das Höllenfeuer raubt den Eingeschlossenen und Fliehenden den Sauerstoff zum Atmen oder setzt
Kohlenmonoxid frei. Die meisten fallen in einen Schlaf, aus dem sie niemals mehr erwachen. Weit über 10.000
Menschen ersticken, werden von Trümmern erschlagen oder verbrennen.
Schnell breitet sich das grauenhafte Schicksal der Stadt und ihrer Bewohner im Umland aus. Auch von
Obermeiser aus können Bürger noch den Feuerschein am Firmament beobachten.
Anna, 20 Jahre, lebt nicht mehr. Sie ist im Keller erstickt, ebenso die Familie Wahrenholz. Die traurige Nachricht
erreicht am nächsten Tag ihre Eltern. Ein Pferdefuhrwerk mit eisenbeschlagenen Speichenrädern und einem
leeren Holzsarg auf der Ladefläche macht sich auf, um den Leichnam nach Hause zu holen. Anna wird zu ihrer
"letzten grosse Reise" über holpriges Kopfsteinpflaster zur Leichenhalle hinter den grossen alten Linden des
Friedhofs Obermeiser gefahren, wo sie und drei weitere Personen am 28.10.1943 ihre Ewige Ruhe finden.
Rena Sünder, damals 10 Jahre alt, erinnert sich dazu: "Die beiden Hitlerjungen August Sünder, mein späterer
Ehemann, und Helmut Neumeyer begleiteten den Transport des Leichnams."
Der Grabstein von Anna Hold könnte noch heute an die Sinnlosigkeit des Krieges und an die dunkelste Zeit
Neuer Geschichte zeitlos mahnen. Das Grab wurde nach Ablauf der Frist beseitigt, der Stein ist nicht mehr
vorhanden.
Auf einer Flughöhe von ca. 20.000 feet/6.000 m klinkt der Bombenschütze Ronald Butler seine stählerne Last
aus.
Er befindet sich in der “Nase“ an exponierter Stelle in der gläsernen Kanzel des Flugzeuges. Hier liegt im
Fußboden eine einmalig entfernbare Luke als Notausstieg für ihn und die 4 Insassen des Cockpites. Hier sitzen
nebeneinander der Pilot und der Bordmechaniker, hinter ihnen der Navigator und der Bordfunker.
In der Mitte des Rumpfes kontrolliert der MG-Schütze den oberen Luftraum. Es herrscht klares und windstilles
Wetter bei hellem Mondlicht in dieser Freitagnacht. So kann der Pilot, aus südlicher Richtung kommend, die
Markierungen gut ausmachen. Die Rauchsäulen der brennenden Ziele steigen senkrecht bis auf ca. 15.000
feet/4.500 m, bevor sie sich verflüchtigen (Protokoll RAF). Die Hecksicherung gibt den Blick frei auf die
brennenden Überreste einer vor einer halben Stunde noch intakten Stadt.
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In der Bildmitte sind die erdgeschossigen Mauerreste des Hauses
Ecke Steinweg/Sack 4 zu erkennen. Der Zugang zur Sackgasse ist
durch Trümmerteile versperrt. Die Aufnahme zeigt das frühwinterliche
Stadtbild Kassels Mitte November 1943.
Irgendwann zu dieser Zeit wird die Maschine aus einer der Flak-Stellungen getroffen, die zum Schutz im
Umkreis der Stadt postiert sind. Gemäß "Luftlage" ist ein Flak-Treffer um 21:22 Uhr für "Wer(s)tuffeln registriert.
Für die Flughöhe der Bomberflotte kommt nur eine der 15 schweren Flak-Batterien in Frage, wie sie z.B. in
Obervellmar stationiert ist. Zur Unterstützung der Abwehrmaßnahmen befinden sich zudem ScheinwerferSuchstellungen in der Region.
Dieter Riegel aus Meimbressen erinnert
sich dazu:
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Zwischen Westuffeln und Meimbressen
befand sich während des Krieges eine
Stellung, in der große Scheinwerfer
stationiert waren. Sie wurden dazu
benutzt, mit ihren Lichtkegeln die
gegnerischen Bomberverbände nachts
für die Flugabwehr sichtbar zu
machen. Direkt an der Kreisstraße
waren Baracken für die Aufnahme
des Bedienungspersonals errichtet. Die
Offiziere waren in Privatquartieren in
Meimbressen untergebracht.
Baracken des Bedienungspersonals bei Meimbressen.
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Ein Nachtjäger der Luftwaffe taucht auf und attackiert die beschädigte Lancaster. Sie verliert an Höhe und
Geschwindigkeit, ist aber weiter flugfähig und versucht qualmend in westlicher Richtung zu entkommen.
Harald Leck aus Obermeiser ist 1943 ein Schuljunge. Die Erinnerung an diese Nacht und an den darauf
folgenden Tag hat sich bei ihm unlöschbar eingebrannt:
Harald erzählt, dass er am Abend des Luftangriffs zusammen mit seinem älteren Bruder Ewald, mit Heinz
Bringmann und Heinz Himmelmann auf der Kreuzung vor dem Gasthaus Himmelmann gestanden habe.
Eigentlich sei ihnen aufgetragen worden, in einen Splittergraben (als Bunkerersatz) zu steigen, der sich hinter
dem Haus von Familie Schwarz (Schwarz-Schnieder) befunden hat.
Die Jungen hatten jedoch Bedenken in dem engen und nach oben offenen Graben gefangen zu sein und
blieben daher im Freien. In der Endphase der Bombardierung haben sie das Flugzeug aus Richtung Kassel
kommend am Himmel deutlich sehen können. Harald sagt, er habe erkennen können, dass die Maschine
qualmte bzw. brannte und nur langsam fliegen konnte. Kurze Zeit später habe man am Horizont rote
Leuchtkugeln gesehen.
Diese seien offenbar das Signal dafür gewesen, dass die Flak aufhören sollte zu schießen. Nach seinen Angaben
sind unmittelbar danach zwei deutsche Jagdflugzeuge am Himmel aufgetaucht, die den Bomber angriffen.
Harald meinte, dass diese Maschinen evtl. von dem Flugplatz am Schachter Triesch (dort befand sich ein
kleiner Stützpunkt mit Graspiste) aufgestiegen seien.
Eine der Maschinen habe mit Leuchtspurgeschossen auf den beschädigten Bomber gefeuert. Harald sagt, er
habe den Eindruck gehabt, die Jäger hätten versucht, den Bomber immer tiefer herunterzudrücken.
Am Nachthimmel sei dann deutlich zu sehen gewesen, dass sich zwei Fallschirme von dem Flugzeug lösten.
Wohin diese getrieben wurden, konnten die Jungen jedoch nicht mehr erkennen. Harald berichtet ausserdem,
der Flieger in Laar sei angeblich mit Beinbruch verletzt gewesen.
Was mit der zweiten Person geschehen ist, sei ihm nicht bekannt. Er bestätigt aber ebenfalls, dass an der
Steinernen Brücke ein Fallschirm gelegen habe. Am nächsten Tag seien die Jungen der Klasse zusammen mit
dem Lehrer Kurz an der Absturzstelle gewesen. Harald bezweifelt, dass es sich um einen klassischen Absturz
gehandelt habe.
Offenbar sei versucht worden, die Maschine auf dem Bauch aufzusetzen. Man habe deutlich Spuren gesehen,
die auf ein Rutschen oder Gleiten des Wracks auf der Wiese gedeutet hätten.
Er habe auch beobachtet, dass nicht der gesamte Treibstoff verbrannt war. Einige Lachen hätten sich in die
vorhandenen Mäuselöcher auf der Wiese ergossen und dort weitergebrannt. Der mit dem Fallschirm
abgesprungene Flieger war nach seiner Einschätzung nicht der eigentliche Pilot.
Am Wrack angekommen, meint Harald gesehen zu haben, dass die beiden Piloten bzw. die Personen, die im
Cockpit vorn gesessen haben, immer noch in ihren Sitzen angeschnallt und stark verkohlt waren. Deutsches
Militär, nach Haralds Ansicht Angehörige der SS, habe die verkohlten Leichen mit langen Haken von ihren
Sitzen gezogen.
Harald berichtet weiterhin, dass Moritz Hold, der Großvater von Reinhard Hold, noch in der Nacht mit seiner
Schrotflinte zu dem Wrack aufgebrochen sei. Vor dem Wald sei allerdings schon deutsches Militär gewesen. Um
ein Haar sei auf ihn geschossen worden, weil man ihn für einen Gegner gehalten haben habe.
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Die Avro Lancaster mit Kennung ED366 AS - C kommt nach einer Bruchlandung um 22:30 Uhr (Angabe
Bürgermeister Reinhardt) nördlich vom Oppermannsberg, einem rechteckigen einzelnen kleinen Waldstück
zwischen Obermeiser und Westuffeln, zum Liegen.
Dabei brennt das Wrack auf Westuffelner Seite nahe an der Uffelner Beeke aus. Das Rinnsal entspringt am
Huckenberg und markiert die Gemeindegrenze.
Es erfolgt keine Explosion und das Heck bleibt relativ unbeschädigt. Der Pilot Sgt. Kenneth Hurst überlebt die
missglückte Notlandung durch Fallschirmabsprung. Er sitzt als Einziger einer Lancaster-Crew während der
ganzen Operation auf seinem Fallschirm angeschnallt. Die übrige Crew soll ihren Schirm erst im Notfall
anlegen.
Er flieht in den angrenzenden Wald und stellt sich am nächsten Tag, Samstag, den 23.10.1943 um 18:00 Uhr in
Laar (Angabe Bürgermeister Reinhardt), einem Gutshof vor Zierenberg. Luftlinie ca. 3 km vom Unglücksort.
Nach schwer zu entschlüsselnden Bemerkungen der RAF Verlustmeldung (Loss Card 22) könnten die Soldaten
Gamage, Rees und Butler durch vorausgehenden Beschuss (killed in afore fire) getötet worden sein. Es sind
keine Aussagen des Geretteten zum Hergang bekannt. Ebenso werden keine Kontaktmeldungen während des
Fluges registriert. Der Verlust des Bombers wird mit fehlender Ursache und Ortsangabe unter AIR 27/1089
dokumentiert.
Lancaster mit fast identischer Startzeit landen noch kurz vor 24:00 Uhr auf dem Heimatflughafen Kirmington
(Protokoll RAF).
Es sind Nachtjäger des ganzen Reichsgebietes in dieser Nacht im Grossraum Kassel im Einsatz. Nach Angaben
der “Luftlage Reich vom 23.10.1943“ kommen diverse Nachtjäger-Beteiligungen beim Absturz infrage. Eine
eindeutige Zuordnung eines Nachtjäger-Piloten ist nicht machbar.
Folgende Angabe erscheint möglich: Uffz. Klaus Möller, Uhrzeit 21:15 Uhr, 25 km westlich Kassel, 12. Staffel, NJG
3, Flughöhe 4600 m, Schema Lancester. Von der “Luftlage“ werden am 22./23.10.1943 57 sichere Abschüsse
gemeldet. Nach englischen Aufzeichnungen (AIR 11/3411) wurden 42 Bomber mit Verlust verzeichnet. 8
feindliche (deutsche) Flugzeuge werden abgeschossen.
Es ist nicht anzunehmen, dass Nachtjäger am 22.10.1943 auf dem Feldlandeplatz Schachten zum Auftanken
zwischengelandet sind, da die Graspiste erst 1944 angelegt und vom 24.11.44 bis 15.12.44 durch das
Jagdgeschwader 3 "Udet" genutzt wird.
Nach der überlieferten Erzählung des Zeitzeugen Dietrich Lohne, der damals als Bürgermeister von Obermeiser
das Flugzeugwrack an der Gemarkungsgrenze aufgesucht hat, ist der Obere Bordschütze, Sergeant Costello,
mit beiden Händen an seinem "Browning 303"-Geschütz sitzend, tot aufgefunden worden. Dietrich Lohne
äußerte die Vermutung, dass der Schütze offenbar bis “zur letzten Patrone“ gefeuert habe.
Frau Dora von Starck berichtet am 30.08.2015 über die Ereignisse:
Am Sonntag nach dem Bombenangriff, also am 24.10.1943, befand sich ein befreundeter Gartenbaumeister zu
Besuch auf Gut Laar. Er ging an diesem Vormittag spazieren in Richtung Hohenborn. Bei dieser Gelegenheit
hat sich ihm offenbar Kenneth Hurst aus dem Wald heraus zu erkennen gegeben.
Er ist dann mit zum Gut gekommen und wurde dort zunächst verköstigt. Später wurden dann die Behörden
informiert und er wurde abtransportiert. Mir ist allerdings nicht bekannt, wo er hingebracht wurde. In Laar hat
er offenbar schon erklärt, dass er nach seinem Fallschirmabsprung zur abgestürzten Maschine gelaufen ist. Dort
konnte er allerdings nichts mehr ausrichten. Ich meine mich zu erinnern, dass in den Überlieferungen stand, dass
ein zweiter Flieger versucht habe, aus der Maschine auszusteigen.
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Das sei ihm aber nicht lebend gelungen. Ob der Schirm nicht aufgegangen war oder er sich anderweitig
verletzt hatte, konnte ich nicht sagen. Aus meiner Zeit in Westuffeln kann ich bestätigen, dass die sterblichen
Überreste der Flieger in einer einzigen großen Holzkiste bestattet wurden.
Am 10.09.2015 bestätigt Frau Dora von Starck schriftlich das vorab mündlich geschilderte Geschehen wie folgt:
Bei dem schweren Luftangriff im Oktober 1943 auf Kassel stürzte ein britischer Lancaster Bomber des Typs
Mark I brennend ab und zerschellte am Oppermannsberg in der Gemarkung Westuffeln an der Grenze zu
Obermeiser.
Der Pilot des Fliegers war abgesprungen, sicher gelandet und hatte sich im Wald verborgen. 6 Insassen
verbrannten, es waren 4 Briten und 2 Kanadier, die zunächst in einem Kameradengrab auf dem Friedhof in
Westuffeln beerdigt wurden.
Nachdem der überlebende Pilot frühmorgens bei dem ausgebrannten Flugzeug feststellte, dass kein Kamerad
überlebt hatte, stellte er sich am Morgen des 24. Oktober am Hagenfeld (Hohenborn) dem dort
spazierengehenden Artur Glogau, der ihn mit nach Laar ins Haus nahm.
Dort wurde er erstmal verköstigt und dann von den zuständigen Behörden abgeholt und gefangen
genommen.
Artur Glogau (1874 – 1960), Gartenarchitekt und Hochschullehrer in Geisenheim, war 1943 längere Zeit zur
Gestaltung und Anlage eines neuen Parkweges in Laar.
In einer Untersuchung der RAF vom August 1946 gibt der Bürgermeister von Westuffeln, A. Reinhardt, seine
Beobachtungen zu Protokoll:
Er bestätigt das Flugzeug in Flammen gesehen zu haben. Es sei aus einer Höhe von ca. 500 m mit steilem
Sinkflug abgestürzt und schliesslich in einem Feld ca. 2 km westlich des Dorfes zerschellt.
Der Bürgermeister von Laar Gunter Starck gibt zu Protokoll:
Er habe gesehen, dass die Maschine von der Flak und dann von einem Nachtjäger getroffen wurde. Im Licht
der Flammen habe er beobachtet, dass eine Person herausgeschleudert wurde. Das Flugzeug sei nach unten
getrudelt und in horizontale Fluglage gekommen, bevor es ausser Sichtweite abstürzte.
Beide Bürgermeister hatten die Unglücksmaschine am nächsten Morgen in Augenschein genommen. Nach
ihren Angaben war der vordere Teil schlimm demoliert und ausgebrannt. Es gab anscheinend keine Explosion
und der Rest der Maschine hatte nicht gebrannt. Beide Bürgermeister bestätigen 6 Leichen. 3 weitgehend
verkohlt, 3 unverbrannt in voller Kleidung. Es sei ihnen nicht möglich gewesen, die ursprüngliche Lage der
Körper festzustellen, da die Wehrmachtssoldaten sie am Näherkommen gehindert haben. Nach Angaben des
"Returning POW Reports" weist der Pilot Sgt. K. Hurst bei seinem Aufgreifen nur oberflächliche Verletzungen
auf.
Anmerkung:
In den Berichten der Augenzeugen wird ein zweiter Fallschirm erwähnt. Inwieweit der Schirm sich ganz oder
teilweise geöffnet hatte oder ob mit ihm ein weiteres Besatzungsmitglied aus der Maschine lebend oder tot
befördert wurde, bleibt ungeklärt. Als Fluchtmöglichkeit kommen neben dem Ausstieg aus der PlexiglasKanzel des Bombenschützen noch die Ladetür infrage. Dagegen soll die Öffnung im Dach des Cockpits nicht
zum Fallschirmabsprung genutzt werden. Auch die beiden Ausstiege im Dach des Rumpfes sind nur bei der
“Wasserung“ der Maschine zu gebrauchen.
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So mag sich dem
Betrachter am Boden
das Bild eines
überfliegenden
Lancaster-Bombers
dargestellt haben.
Die Wrackteile und die persönlichen Gegenstände der Soldaten werden von der Wehrmacht geborgen und
nach Hofgeismar gebracht. Ebenfalls wird der Pilot K. Hurst nach Hofgeismar überstellt (Angabe Bürgermeister
von Westuffeln A. Reinhardt).
Sgt.Hurst kommt vom 24.10.1943 bis 06.11.1943 zunächst ins Vernehmungslager DULAG Luft, am Ortsrand von
Oberstedten, heute Stadtteil von Oberursel. DULAG Luft wurde ab 1943 AWSW (Auswertestelle West) genannt
und vom Roten Kreuz tangiert. Danach wird er ins STALAG IV B, Mühlberg an der Elbe interniert (POW,
Prisoner of War, Camp 4 B, No. 261211). Von da verliert sich die Spur des Überlebenden vom Oppermannsberg.
Das Lager wurde am 23.04.1945 durch die Rote Armee befreit und danach von der Sowjetunion für politische
Gefangene weitergeführt.
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Das
Eingangsportal
des STALAG IV B in
Mühlberg an der Elbe
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Die Trümmerteile der abgestürzten Maschine werden am Tag nach dem Absturz von einem der extra
abgestellten Wachposten der Wehrmacht fotographiert, der bei der Famile Leimbach in Westuffeln
einquartiert ist. (Geschichtsverein Westuffeln)
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Die Aufnahme zeigt den
hinteren
Teil
des
Flugzeugrumpfes,
der
noch
die
geringsten
Beschädigungen erlitten
hat. Deutlich zu sehen
sind
Fragmente
der
Kennbuchstaben
(ED
AS) auf der Beplankung.
Im
Hintergrund
die
Baumwipfel
vom
Opermannsberg.
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Die zweite Photographie
zeigt den vorderen bzw.
mittleren
Teil
des
Flugzeugwracks. Hier ist
deutlich die durch den
Aufprall und das Feuer
verwüstete Partie mit
den
Überresten
der
Motoren
und
den
verbogenen Propellern
zu sehen.
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Diese Aufnahme zeigt den Rumpf
aus südlicher Richtung. Vorn
rechts die Kennung ED AS.
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Die
vierte
Aufnahme
zeigt
ausschließlich
Trümmer,
die
offensichtlich
dem
Feuer
ausgesetzt
waren.
Bei
den
erkennbaren Objekten könnte es
sich
um
einen
SauerstoffDruckbehälter und den Unterbau
eines Sitzes handeln.
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Nach Angaben von Ortsbewohnern aus Obermeiser wird an oder unter der Steinernen Brücke ein Fallschirm
gefunden.
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Die Steinerne Brücke an der Gemarkungsgrenze zwischen
Obermeiser und Westuffeln. Hier, unter bzw. an der
Brücke, wurde am Tag nach dem Luftangriff ein Fallschirm
gefunden. Im Hintergrund sieht man die damals noch
unbebauten Gemarkungsteile, in der sich heute die
Neubausiedlung von Westuffeln befindet. Die Aufnahmen
entstanden Ende der 1930er Jahre und stammen aus dem
Bilderarchiv von Familie Hermann Neumeyer.
Mit grosser Wahrscheinlichkeit handelt es sich um den Fallschirm des Piloten, der ihn hier nach der Landung
versteckte. Im Zusammenhang mit dem Absturz kommt 1947 eine Anzeige bei der Besatzungsmacht zur
Sprache. Durch Meldung eines Einwohners aus Obermeiser erfolgt eine ergebnislose Anhörung des
Dorfgastwirtes durch die Amerikanische Kontrollinstanz in Hofgeismar. Dabei soll der zu Unrecht Beschuldigte
einen verletzten englischen Soldaten am Flugzeugwrack getötet haben.
Der Kriegsalltag in Obermeiser ist durch Trauer, Verzweiflung, Hoffen, Bangen gekennzeichnet. In der Schule ist
der Bomberabsturz, besonders für Jungen, das vorherrschende Thema. Vielleicht auf Drängen seiner
neugierigen Schüler und auf Anordnung macht sich der Lehrer Karl August Kurz mit seiner Klasse auf den Weg
zum Wrack vor dem Oppermannsberg.
Wir wissen nicht wie schwer es "Molli", so nennen ihn seine Schüler, gefallen ist, diesen schweren Gang
anzutreten. Wir können nur ahnen, was in seinem Herzen vorgeht. Seine Tochter Grete Seydler, die in Kassel
verheiratet war, ist ebenfalls in gleicher Nacht den Bomben zum Opfer gefallen.
Die sterblichen Überreste der 6 Männer der Bomberbesatzung werden gemeinsam in einer grösseren Holzkiste,
hergestellt aus groben Brettern, in der südwestlichen Ecke des Friedhofs Westuffeln anonym beigesetzt. Dabei
werden gemäss RAF Verlustmeldung (Loss Card 23) Sgt. Saffrey und Sgt. Costello zunächst identifiziert.
Polnische Zwangsarbeiter heben auf Anordnung des Ortsgruppenleiters aus Ehrsten das Grab aus und nehmen
die Beerdigung vor. Nach der Besetzung des Ortes durch die Amerikanischen Streitkräfte wird dieser politische
Vertreter des NS Regimes verhaftet. Vermutlich wird auf Druck der SS und der Wehrmacht sowie mit
vermutlicher Billigung des Kreisleiters den toten Soldaten kein ortsübliches Begräbnis zu Teil.
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Die Herzen derer, die das könnten, bleiben verschlossen. Ihnen sind die Hände zum stillen Gebet, zum
Abnehmen der Mütze, gebunden. Zu unvorstellbar schwer lastet das Inferno der vergangenen Nacht und
erdrückt eine angemessene und humane Regung.
VERSTEINERTE HERZEN - Heart of Stone
Dazu vermerkt der Lehrer Alexander Vial in der Westuffelner Schulchronik:
Die 6 toten Flieger wurden auf Anordnung des Ortsgruppenleiters aus Ehrsten in sehr unwürdiger Weise, ohne
militärische und kirchliche Ehren, begraben. Wie roh und unmenschlich war doch ein grosser Teil des deutschen
Volkes durch den Nationalsozialismus geworden (Geschichtsverein Westuffeln).
Herbert Richeling, damals ein Schüler aus Obermeiser, am nächsten
Morgen an der Unglücksstelle mit dabei, erinnert sich an die Worte
seines Lehrers Karl August Kurz beim Anblick der Leichen:
“Das sind auch nur Menschen, obwohl sie unsere Feinde sind und nicht
unsere Freunde sein können.“
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Sergeant John T. Costello
Oberer Geschützturm
Nach Meldungen des Landratsamtes des Kreises Hofgeismar werden die
6 Toten am 09.06.1947 nach ihrer Exhumierung nach Hannover
überführt. (Siehe Meldeformular vom 04.07.1947, Geschichtsverein
Westuffeln).
Seitdem ruhen die Gebeine der gefallenen Soldaten auf dem
Soldatenfriedhof Hannover. Sgt. John Costello befindet sich in einem
Einzelgrab, David Rees zusammen mit seinen Kameraden. Die erneute
Bestattung erfolgte am 11.6.1947 (Graves Concentration Report).
Ein
Gedenkstein
für
Ronald Harris Butler in
Cornwall, Prince Edward
Island (Kanada)
“Flight Sergeant Ronald
H. Butler, …killed in
action over Germany,
October 22. 1943…“
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Sergeant Ronald Harris
Butler, Bombenschütze
Nach handschriftlichen Angaben in den britischen Verlustunterlagen (Loss Card 22) findet sich in der
Rubrik von Sergeant Butler die Eintragung "baled out (mit dem Fallschirm abgesprungen)". Damit
könnten sich die Angaben von Zeitzeugen zu einer zweiten Fallschirmsichtung bestätigen lassen.
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Der Bomberabsturz ist schon lange kein dörfliches Gesprächsthema mehr, als plötzlich ein Fund aufhorchen
lässt. Heinz-Georg Himmelmann erzählt dazu folgende Geschichte:
Wir hatten über Jahre hinweg ein Feld hinter dem Oppermanns Berg bewirtschaftet. In den 1970er Jahren hat
mein Vater Heinz am Ende des Feldes in einer Hecke eine Taschenuhr gefunden. Die Uhr war stark korrodiert
und die Zeiger waren abgebrochen. Die Aufschriften waren aber noch lesbar und haben den englischen
Ursprung der Uhr nachgewiesen. Er hat die Uhr dann an das Rote Kreuz geschickt und darum gebeten, die Uhr
den Angehörigen der Flieger zuzuleiten. Ich habe die Uhr damals mit eigenen Augen gesehen.
FRIEDEN UND STILLE - Nights in White Satin
70 Jahre nach Ende des II. Weltkrieges überspannt der Nachthimmel den Oppermannsberg mit Stille und
Frieden. In der Stadt Kassel hinter dem Horizont der aufgehenden Sonne ist neues pulsierendes Leben
eingekehrt, fernab der Ereignisse dieser schrecklichen Zeit. Hinter uns liegt die Asche der Väter. Vor uns die
Hoffnung auf ein friedliches und respektvolles Miteinander der Nationen, sowie die Erkenntnis, dass es im Krieg
nur Verlierer gibt.
Reinhard Saalfeld, im Oktober 2015
Meinen herzlichen Dank an alle, die zum Entstehen dieser Dokumentation mit Engagement, Informationen,
Aufzeichnungen und Bildmaterial beigetragen haben:
Holger Neumeyer
Wolfgang Friedrich
Harald Leck
Herbert Richeling
Heinz-Georg Himmelmann
Manfred Neumeyer
Bildnachweis
RAF Museum Kirmington
National Archive Canada
Anna Leimbach
Wolfgang Friedrich
Dieter Riegel
Eirwen Wesley
Dora von Starck
Reinhard Saalfeld
Geschichtsverein Westuffeln
Dieter Riegel
Mark Chamley
Mark Chamley
Eirwen Wesley
Holger Neumeyer
Graham Chaters
Stadtarchiv Kassel
Fred Vogels
David Swallow
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Dom Howard
(www.lancasterbombers.net)
Nachtrag:
Sgt. Kenneth Hurst
Sollte es die übliche Befragung durch die Royal Airforce (confidentials) des überlebenden und aus der
Gefangenschaft entlassenen Piloten gegeben haben, so sind die Protokolle weiterhin unter Verschluss
des National Archive von England. Sgt. Hurst kam ursprünglich aus Middlesbrough, England. Hier ist
1948 die Heirat eines Kenneth Hurst mit Doreen Middleton verzeichnet.
Sgt. John Saffrey
Der Navigator nahm an
der
Bombadierung
Hamburgs am 27.7.1943
teil. Danach noch an
Einsätzen zum Minenlegen
an der niederländischen
und französischen Küste.
Seine posthum verliehenen
Auszeichnungen wurden
im Dezember 2015 in einer
Auktion
versteigert.
Dazugehörig die orginale
Versandschachtel an seine
Ehefrau Mrs. M. - B.
Saffrey.
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Kopierschutz
Grabinschrift in Gedenken an
John Saffrey, mit Erwähnung
Kassels als Sterbeort, auf dem
Grabstein seiner Eltern.
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Zuordnung von einer Auswahl von
Oppermannsberg vom Oktober 2015
Relikten
der
abgestürzten
Lancaster
Karabinerhaken eines Fallschirms.
Fundort: Zwischen Absturzstelle und
Nähe Waldrand.
Material: Eisen, stark verrostet.
Feder aus Edelstahl.
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Bauteil des "Oxygen economiser".
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Dieses Gerät befand sich in der
Bugkanzel und erkannte bzw.
steuerte einen bedrohlichen Verlust
des
Luftsauerstoffes.
Es
ist
anzunehmen, dass Teile davon bei
der
frontalen
Bruchlandung
herauskatapultiert worden sind.
Fundort: Am Waldrand, waldseitig.
Material: Kupfer, durch Hitze leicht
deformiert.
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Seite | 22
am
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Eisenrohr zum Oxygen economiser zugehörig.
Durchm. 20 mm, Länge 38 cm. Ein Ende abgeflanscht einschl. Verschraubung.
Fundort: zusammen mit dem Oxygen economiser Kupfer Bauteil.
Material: Eisen, stark verrostet.
Bruchstücke der
Aussenverkleidung, 1,2
und 0,8 mm.
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Fundort 1,2 mm: am
Waldrand
Fundort 0,8 mm: an der
Aufschlagstelle.
Material:
Aluminium
oder Legierung.
Bruchstück von 2 mm
Kristallglas, leicht
gewölbt.
Vermutlich zu einer
Instrumentenverglasung
gehörig.
Fundort wie Plexiglas.
Bruchstück von
Plexiglas, 4 mm.
Vermutlich zum Cockpit
gehörig. Auch andere
Verglasungspunkte sind
denkbar.
Fundort: in der Nähe
der Aufschlagstelle.
Material: Acryl. Engl.
Bezeichnung Perplex,
brennbar.
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Bruchstücke der
Aussenverkleidung, 1,2
und 0,8 mm.
Fundort 1,2 mm: am
Waldrand
Fundort 0,8 mm: an der
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Deformiertes und verschmolzenes Metall
mit 3 Nieten, Durchm. 5 mm, Abstand 16 mm, sowie Einschluss einer Messingschraube 4/13 mm für
Verbindung von Holz und Metall. Im mittleren Teil des Rumpfes wurde zur
Gewichts/Treibstoffeinsparnis ein leichtes Holzrahmenwerk aus Rottanne im Kopfbereich
eingebaut. Andere Holzbauteile wurden in die Unterkonstruktion der Flügelspitzen und hinter den
Motoren flügelunterseitig integriert.
Material des Metallstücks: Alclad. Alclad verbindet die Korrosionsbeständigkeit reinen Aluminiums
mit der Stabilität einer Aluminium, Kupfer, Mangan und Magnesium Legierung. Die Legierung ist
dabei unlösbar mit dem Alu beidseitig beschichtet.
Der Schmelzpunkt liegt bei ca. 500 Grad Celsius. Fundort: Waldrand, waldseitig.
Patronenhülse, Durchmesser 11,5 mm.
Kopfprägung: RG 1942, WI
Fundort: wie Glas
Identifikation: Britische
303 Patrone zur
Verwendung mit der
Browning 303
Bewaffnung.
RG: Royal Ordnance
Factory Radway Green.
WI: Armour Piecing MK.1
Material: Messing.
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Identifikation der Relikte mit freundlicher Unterstützung von facebook, Avro Heavy Lancaster.
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