16 technologie LEBENSRETTER AN BORD Fahrerassistenzsysteme für Lkw setzen dort an, wo die menschliche Sinneswahrnehmung ihre Grenzen hat – und retten so viele Menschenleben. MAN Nutzfahrzeuge entwickelt daher seit vielen Jahren moderne Sicherheitstechnologien wie das Fahrstabilitätssystem ESP, Abstandsradar ACC oder den Spurhalteassistenten LGS. Abstandsradar (ACC) Seit 2002 wird für Lkw das Abstandsradar Adaptive Cruise Control (ACC) angeboten, das den Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Verkehrsteilnehmer überwacht und selbstständig bremst, wenn er unterschritten wird. Busse werden seit 2006 mit ACC ausgestattet. Die neuesten Systeme bremsen mit bis zu 30 Prozent der maximal möglichen Bremsleistung und lassen sich ab einer Geschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde aktivieren. Seit 2007 rüstet MAN als erster Nutzfahrzeughersteller gängige Sattelzugmaschinen serienmäßig mit dem Elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) aus. Es überwacht den fahrdynamischen Zustand des Fahrzeugs und greift bei drohender Schleuder- oder Kippgefahr automatisch ins Motormanagement und Bremssystem ein. Infografik: Golden Section Graphics Stabilitätsprogramm (ESP) MAN forum 0 4 / 2 0 0 8 Spurhalter (LGS) Das videogestützte Spurhaltesystem Lane Guard System (LGS) wird seit 2002 eingesetzt. Es beobachtet die Fahrbahnmarkierungen und warnt den Fahrer, wenn das Nutzfahrzeug ungewollt die Spur verlässt. Abbiegeassistent Der Abbiegeassistent wird ab 2009 für die schweren Lkw-Baureihen TGX und TGS angeboten. Bis zu zehn Ultraschallsensoren, die über die Front und die rechte Seite des Fahrzeugs verteilt sind, tasten das Umfeld ab und warnen den Fahrer durch akustische und optische Signale. Mit diesem mehrstufigen System können künftig Abbiegeunfälle vermieden oder entschärft werden. 17 18 technologie >>> Bei MAN hat die Zukunft der Straßensicherheit schon lange begonnen: Seit den Achtzigerjahren forschen die Entwickler in der Nutzfahrzeugsparte an aktiven Sicherheitssystemen. MAN-Vorstandsvorsitzender Håkan Samuelsson, der den technischen Fortschritt auf allen Gebieten vorantreibt, betont: „Auch wenn die heute existierende Lkw-Flotte bereits über einen hohen Sicherheitsstandard verfügt, darf es in der Forschung und Entwicklung neuer, intelligenter Sicherheits- > L K W - U N FA L L A R T E N 10,6 % 6,7 % 10 8,7 % 12,1 % 20 16,6 % 18,9 % 30 26,5 % Gute Gründe für Assistenten Quelle: Statistisches Bundesamt, 2007 Unfall anderer Art Kollision mit einem stehenden Fahrzeug Seitliche Kollision mit einem Fahrzeug Abkommen von der Fahrbahn Kreuzungsunfälle Kollision mit dem Gegenverkehr Auffahren auf vorausfahrendes Fahrzeug 0 systeme kein Nachlassen geben.“ Bewährte und serienreife Assistenten sind zum Beispiel das Radar Adaptive Cruise Control (ACC), das drohende Auffahrunfälle erkennt, das Lane Guard System (LGS), das den Fahrer vor dem unbeabsichtigten Verlassen der Fahrspur warnt, oder das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP), das die Kippgefahr vermindert. Die radar- und kamerabasierten Systeme unterstützen den Lkw- und Busfahrer in seinem anspruchsvollen Beruf, beispielsweise bei Nachtfahrten, monotonen Streckenabschnitten, schlechter Sicht und dichtem Stadtverkehr. Weitere Lebensretter wie den elektronischen Abbiegeassistenten haben die MANIngenieure bis zur Vorserienreife entwickelt: Denn in modernen Nutzfahrzeugen sorgen sechs Spiegel zwar für einen guten Überblick – der klassische tote Winkel ist fast völlig verschwunden –, beim Rechtsabbiegen passieren aber dennoch viele Unfälle. Schwierige Fahrsituationen im dichten Stadtverkehr, Lärm und unübersichtliche Kreuzungen können den Fahrer trotz Spiegelvollausstattung überfordern. Vier Prozent der Lkw-Unfälle passieren in dieser Fahrsituation. Der elektronische Abbiegeassistent, den MAN Nutzfahrzeuge entwickelt, hilft, solche Unfälle zu vermeiden. Mit Ultraschallsensoren erkennt das System Radfahrer oder Fußgänger in der Gefahrenzone vor oder rechts neben dem Fahrzeug. Der Assistent warnt den Fahrer optisch und durch einen Signalton, wenn sich Personen in diesem Gefahrenbereich bewegen. Ende 2009 soll der Abbiegeassistent, der 2007 mit dem ADAC-Mobilitätspreis ausgezeichnet wurde, in Serie gehen. „Diese Systeme sind weder technischer Firlefanz noch Feigenblatt“, bekräftigt MAN-Chef Samuelsson, der auf mehrere Studien verweist: „Fahrerassistenzsysteme haben ein enormes Wirkungspotenzial.“ Wäre die deutsche LkwFlotte mit ESP, ACC und LGS ausgestattet, rechnet Samuelsson vor, ließen sich 20 Prozent aller Unfälle vermeiden. Doch zu oft werde am falschen Ende gespart: Der Ausstattungsgrad von neuen Lkw mit Assistenzsystemen ist laut Samuelsson „noch nicht befriedigend“. SICHERHEIT IM PAKET MAN schnürt daher kostengünstige Sicherheitspakete, um die Nachfrage zu erhöhen. „Aber auch die Versicherer und der Staat können etwa durch günstigere Policen beziehungsweise Nachlässe bei der Autobahnmaut die Ausstattung von Lkw mit Fahrerassistenzsystemen fördern“, schlägt der Vorstandsvorsitzende vor. Die Initiativen sind dringend erforderlich, denn der Güterverkehr wird weiter zunehmen: Das Institut für Mobilitätsforschung (ifmo) prognostiziert für Europa bis zum Jahr 2025 einen Anstieg um rund 80 Prozent. Allein für Deutschland wird eine Verdopplung des Transitaufkommens auf der Ost-WestAchse vorhergesagt. Da die Infrastruktur nicht in diesem Tempo mitwachsen kann, steigen die Anforderungen an Fahrzeugtechnik und Lkw-Lenker. Die Potenziale bei den passiven Sicherheitssystemen sind dabei inzwischen ausgereizt: Seit 2002 ist etwa der Frontunterfahrschutz gesetzliche Vorschrift, den Heckunterfahrschutz wird MAN in eigener Initiative weiterentwickeln. Aktive Fahrsicherheitsassistenten an Bord sind daher der richtige Weg in die Zu- MAN forum 0 4 / 2 0 0 8 > LKW-VERKEHR 19 IN DEUTSCHLAND Steigende Transportleistung bei sinkenden Unfallzahlen + 71 % 60 % Transportleistung in Tonnenkilometern Schwerverletzte Todesopfer 40 % 20 % 0% – 20 % – 34 % – 40 % – 36 % 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 – 60 % Quelle: Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e. V., 2007 kunft. „Es geht hier aber nicht um das Entwickeln von automatischem Fahren“, erläutert Eberhard Hipp, Leiter der Vorentwicklung bei MAN Nutzfahrzeuge, „sondern vielmehr darum, welche Systeme eine echte Unterstützung für den Fahrer sind und somit helfen, Unfälle zu vermeiden.“ FAHRZEUGE KOMMUNIZIEREN MAN beteiligt sich dazu auch an der Forschungsinitiative AKTIV (Adaptive und kooperative Technologien für den intelligenten Verkehr), die insgesamt 29 Projektpartner an einen Tisch bringt und Lösungen für einen sicheren Gütertransport finden soll. Fahrzeuge, die untereinander kommunizieren und frühzeitig auf Verkehrsstörungen reagieren, verhindern Staus und schonen die Umwelt. Bei einer AKTIV-Präsentation auf dem Gelän- de der Bundesanstalt für Straßenwesen in Bergisch Gladbach stellten Hipp und sein Team kürzlich die neuesten Entwicklungen aus dem MAN-Labor vor: Das Notbremssystem für Lkw etwa arbeitet mehrstufig und der Situation angepasst. So gibt es warnende Systeme genauso wie solche, die gleichzeitig die Bremspedal-Kennlinie überwachen und einen geringen Bremsdruck vorsteuern. Automatische Notbremssysteme dagegen lösen situationsgerecht eine Notbremsung aus, wenn der Fahrer einen drohenden Auffahrunfall nicht mehr verhindern kann. „Entscheidend für die Serieneinführung eines solchen Systems ist eine klare Definition des Funktionsbereichs“, stellt Hipp klar. Auf jeden Fall müssten falsche Auslösungen vermieden werden. Eine weitere echte Herausforderung für die Entwickler ist die aktive Spurhaltung, die durch technische Eingriffe in die Lenkung funktioniert. Sogar die unerwünschte Einwirkung von Seitenwind kann so verringert werden. Mit einem Spurwechselassistenten könnte der Fahrer künftig zudem erkennen, ob ein Überhol- oder Ausweichmanöver gefahrlos möglich ist. Dazu beobachtet das System kontinuierlich den rückwärtigen Verkehr sowie Fahrzeuge auf der Nachbarspur links vom Lkw. Da ein Sensor allein diese Aufgaben nicht lösen kann, forscht MAN an einer Kombination aus mehreren Sensoren und einer zentralen Datenauswertung. Die Vision: „Das Ergebnis der Auswertung aller Daten stellt ein nahezu lückenloses und präzises Bild der Belegung der Fahrspuren um das Fahrzeug herum dar“, beschreibt Hipp. Schritt für Schritt kommt der MAN-Vorentwicklungschef damit dem Ziel näher, das die Europäische Kommission bereits in ihrem Weißbuch aus dem Jahr 2000 allgemein für den Straßenverkehr aufgestellt hat: Bis 2010 soll die Anzahl der Lkw-Verkehrsunfälle mit Todesopfern halbiert werden. Fahrerassistenzsysteme können sicherlich dazu beitragen. Doch die Technik hat Grenzen: den Menschen. MAN hat bereits Systeme entwickelt, die etwa Unaufmerksamkeit des Fahrers erkennen können, setzt sie jedoch lediglich im Simulator ein. „Kontrollmechanismen führen nur dazu, dass sie umgangen werden“, weiß Hipp. Systeme, die selbsttätig massiv ins Fahren eingreifen, bergen das Risiko von Fehlauslösungen. Deshalb warnen die von MAN entwickelten Systeme den Fahrer und bereiten das Fahrzeug auf Notmanöver vor. Der Fahrer bleibt weiterhin der Entscheider in kritischen Fahrsituationen. Hipp fasst dieses Prinzip zusammen: „Wir dürfen die Menschen nicht entmündigen.“ <
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