Deutsche Zeitung, 10. Juni 1930 (Paul Zschorlich) Schönberg-Heuchelei bei Kroll Auf Arnold Schönberg bezogen klingen die beiden Titel „Erwartung“ und ,,Die glückliche Hand“ wie ein Hohn. Wir „erwarten“ gar nichts von ihm, schon seit Jahren nicht, und das er eine höchst unglückliche Hand hat, wissen wir längst. Wir wissen noch mehr: daß Herr Schönberg seinen Ruf fast ausschließlich den zahlreichen Konzertskandalen zu verdanken hat, die seinen künstlerischen Lebensweg zieren, und das mau auf diese Art unfreiwilliger Berühmtheit seit Jahren ein Geschäft aufzubauen sucht. Er ist Autodidakt und, was wichtiger ist, der Schwager Alexander von Zemlinskys, des Kapellmeisters der Kroll-Oper. Dieser dirigierte auch die „Erwartung“. Vastehste! Seit opus 6 hat Schönberg eine Reihe schwerer künstlerischer Fehlgeburten gehabt, die uns vor das seltsame Problem stellten, daß auch sterile Individuen unter Umständen fruchtbar sein können. Das ,,Schaffen“ Schönbergs stellt sich dar als eine Verneinung aller deutschen Musikkultur, als eine Vernichtung des Geschmacks, des Gefühls, der Überlieferung und aller ästhetischen Grundsätze. Schönberg aufführen heißt so viel wie Kokainstuben fürs Volk eröffnen. Kokain ist Gift. Schönbergs Musik ist Kokain. In berechtigter Selbstwehr hat sich das deutsche Konzertpublikum jahrelang gegen diese Vergiftung gewehrt, zuletzt noch im Dezember 1929 bei Furtwängler. Jetzt aber ist es schlaff geworden, in der Kroll-Oper gab es keinen Skandal, sondern nur Langeweile. „Erwartung“ ist ein Monodrama. Richtiger: ein Monotonodrama. Eine Frau begibt sich nachts in einen Wald. Was tut sie dort? Was sucht sie in der Dunkelheit? Wir erfahren es nicht. Sie stellt sich vor uns auf und redet und redet. Wir verstehen auch nicht, was sie redet, denn das Orchester deckt das Meiste zu und die Worte bleiben unverständlich. Aber wenn die Frau auch nichts weiter sucht, so findet, sie doch etwas. Sie stößt plötzlich mit dem Fuß an einen Körper, und das ist nicht einmal ein Fremdkörper, sondern – die Leiche ihres Geliebten! Dieser Anstoß genügt, um sie länger als eine halbe Stunde wimmern, sich in hysterischen Anfällen und epileptischen Krämpfen ergehen zu lassen. Denn sonst ist niemand auf der Bühne. Die Szene wird von dieser Frau allein bestritten. Herr Schönberg macht dazu eine Musik, die eine Gipfelleistung erfinderischer Impotenz wie rohester Klangscheußlichkeit ist. (Allein schon das Gequäke der hervorstechenden Oboen muß jedes feinere Ohr beleidigen.) Man wird auf eine Folter gespannt. Nirgends auch nur ein Ausblick auf einen schöpferischen Gedanken. Wenn man unter einem Dilettanten einen Mann versteht, der möchte und nicht kann, so haben wir es hier mit dem Musterbeispiel von Dilettantismus zu tun. Aber ich meine: wenn es auch traurig ist, das dergleichen mehr als vierzig Jahre nach Wagner geschrieben und dem deutschen Volk angeboten wird, schlimmer noch ist es, das sich ein Operninstitut dazu hergibt, dergleichen aufzuführen. Das Allerschlimmste aber, daß die Hörer es mit Schafsgeduld hinnehmen und so tun, als ob sie etwas davon verstünden. Zwar handelt es sich dabei nur um einen ganz kleinen Kreis, denn obwohl man überreichlich Frei- und Steuerkarten ausgegeben hatte, war das Haus am Pfingstsonnabend nur mäßig besucht. Die SchönbergKlemperer-Klique war ganz unter sich. Daher denn auch der „Erfolg“, dem nicht die mindeste Bedeutung zukommt und der sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit zustande kam. Die Musik Schönbergs ist für mich indiskutabel. Ich weiß, daß sie es auch für andere ist, selbst für solche, die sonst allem „Modernen“ leicht zugänglich sind. Ich sprach in der Pause mit einigen Personen, die bekannten, sich entsetzlich gelangweilt zu haben. Aber keiner muckte auf, als der Vorhang fiel. Sie nahmen die Sache hin wie ein unentrinnbares Verhängnis. Man ist müde, in der Musik wie in der Politik. Man läßt die Dinge laufen. Es ist ein Jammer! Ich habe mich nicht überwinden können, die ,,Glückliche Hand“ noch anzuhören. Ich hatte die Empfindung, damit Schönberg zu viel Ehre anzutun. Daß sein Opus 18 genau so indiskutabel ist wie sein Opus 17, weiß ich im Voraus. Es kann nicht Aufgabe der Musikkritik sein, dem nackten Dilettantismus Vorschub zu leisten. Mögen es die besorgen, die sich Schönberg verwandter fühlen! Auch über die künstlerischen Leistungen ist nichts zu sagen, denn es gab keine. Das Bühnenbild von Teo Otto – das Erzeugnis eines kaum durchschnittlichen handwerklichen Könnens. Man sah eine Wandeldekoration, deren Technik an eine Provinzschmiere erinnerte. Die Inszenierung eines Herrn so und so – ich möchte wissen, was es da zu „inszenieren“ gab. Da sonst niemand auf der Bühne stand, kann der Mann nur die Sängerin Moje Forbach inszeniert haben, die zur Trägerin dieser albernen Szene verdammt war. Vielleicht hat sie die Töne richtig getroffen. Vielleicht nicht. Was liegt schon daran? Wichtig zu wissen wäre nur, ob Herr Schönberg selber das mit Sicherheit zu beurteilen vermag. Woran ein Zweifel erlaubt ist. Auch diese ,,Erstaufführung“ segelte unter dem Allerweltstitel „Berliner Kunstwochen“. Damit war ein Tiefpunkt erreicht, der ein Skandal an sich ist, gleichviel ob er ausbrach oder nicht.
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