In der Wüste Stiefel gekauft

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TZ-SPEZIAL
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Eine Attraktion bei
jedem Ballon-Fest
und zugleich für
Familie Krieche ein
Highlight: das
Glühen.
MITTWOCH, 11. NOVEMBER 2015
In der Wüste Stiefel gekauft
Kerstin und Steffen Krieche landen mit Ballon in israelischem Dorf und werden wie Freunde empfangen
TORGAU. Gefunkt hat es bei Kerstin und
Steffen Krieche vor 16 Jahren am Chiemsee, als das Paar zum ersten Mal selbst Gast
in einem Ballon war. „Steffen hatte mir einen Gutschein dafür geschenkt. Nachdem
wir gelandet waren, haben wir uns abgeklatscht und waren uns gleich einig darüber, dass es geil war. Das wollten wir noch
öfter erleben“, erzählt die 54-jährige Kerstin. Ein Jahr später absolvierte das Torgau
Duo die so genannte Privatpilotenlizenz
zum Führen eines Heißluftballons. Die Ausbildung erstreckte sich über stolze zwölf
Monate. „Das ist notwendig, um das Ballonfahren richtig zu lernen, weil die Bedingungen im Sommer und Winter sehr unterschiedlich sind“, erklärt der gleichaltrige
Steffen. Vor einigen Wochen erlebte das
Paar eines seiner Highlights. Krieches landeten nach einer Fahrt in Israel nur wenige Kilometer entfernt vom Gazastreifen. Allerdings sahen sie in der Ferne aufsteigende schwarze Rauchfahnen und hörten seltsamen Donner, der wohl keinen Menschen
kalt lässt. „Es war schon ein beklemmendes Gefühl. Erst recht am Tag unserer Abreise, als dort die Unruhen wieder richtig
losgingen“, erinnert sich Steffen.
Etwas mehr als 600 Ballon-Fahrten haben
die Krieches bisher absolviert. „Wir waren
dabei fast immer zusammen. Ich meist als
Co-Pilotin oder Chauffeurin des Verfolgerfahrzeuges“, erzählt Kerstin. Dieses Auto
gehört stets dazu, um Ausrüstung und Passagiere zurück zum Startplatz zu bringen.
„Kerstin ist schon mehrfach über Felder gerast, um unserem Ballon zu folgen. Ich habe
sie dann von oben meist aufgrund der riesigen Staubwolke wahrgenommen“, ergänzt Steffen.
Krieches haben zahlreiche Fotos von den
zwei Standorten des Laubhütten-Festes geschossen. Die Leute ziehen dabei für eine
Woche aus der Stadt in Zelte, in einem
„Dorf“ standen 4000, in dem anderem
6000. „Die Einheimischen sind vor allem
wegen den Ballonen gekommen. Wir waren hoch emotional bewegt, wollten den
Gastgebern etwas zurück zugeben. Das
vergesse ich nie“, sagt Steffen.
ABSPRUNG VON BASE-JUMPERN
Auch in Israel sprangen aus dem Ballonkorb der Krieches bei jeder Fahrt zwei Base-Jumper ab. „Es war wie immer ein prickelndes Gefühl, wenn ich die Jungs rauslasse. Sie hocken sich auf den Korbrand
und lassen sich fallen. Da bekomme ich jedes Mal Gänsehaut, auch wenn ich das
schon oft erlebt habe. Ich bin dann erst beruhigt, wenn der Schirm aufgegangen ist“,
verrät Steffen seine Gefühle bei dieser Art
von Sprüngen, die sie oft erleben durften.
Der Kontakt mit dem Israeli und Veranstalter des Laubhüttenevents ist nicht abgebrochen. Stolz zeigt Steffen Krieche die von
ihm gesendeten Fotos ihres Treffs von vor
drei Wochen. Klar, dass der Torgauer auch
seine klasse Aufnahmen dem neuen
Freund geschickt hat.
Wer in der Region Torgau Lust hat, mal per
Ballon durch die Gegend zu düsen, kann
sich bei den Krieches melden. Mehr als
1000 Leute haben sie schon durch die Luft
chauffiert. „Das ist für uns Sport. Wir teilen
unsere Erlebnisse mit dem Ballon gerne mit
interessierten Gästen“, erklärt Steffen.
Was aber auch mal abenteuerlich, wenn
auch nicht gefährlich, enden kann. Einmal
sind die Torgauer Ballonenthusiasten auf
dem Schießplatz in Züllsdorf gelandet. „Wir
sind abends auf einer Schießbahn runtergekommen. Das war eine entspannte Landung. Die Angehörigen der Bundeswehr
waren freundlich, ließen unser Verfolgungsfahrzeug auf das Schießplatzgelände“, erinnert sich Steffen. Doch es gab ein
Problem, es existieren dort kaum Wege und
Krieches hatten natürlich auch keine Karten über dieses Areal, sodass Kerstin mit
dem Auto ihren Steffen mit seinen Gästen
erst gegen Mitternacht erreichte „Ich habe
nur die Brennerstöße in der Hülle flackern
sehen. Das war die einzige Orientierung.“
Trotz ihrer Begeisterung für den Ballonsport und der mittlerweile doch respektablen Erfahrung gibt Steffen zu, vor jedem
Start noch eine gewisse Anspannung zu
fühlen. „Das gehört einfach dazu. Es hat
nichts mit Angst zu tun.“
Freude auf den Start
bei Krieches: Von
Anspannung (noch)
keine Spur.
„KICK“ IN DER HEIMATREGION
Meist fahren die Krieches in circa 300
Meter Höhe. Wenn dort der Wind
nicht ausreichend ist, steigen sie in
Luftschichten, wo die Fahrt dann
schneller geht. Selbst nach Jahren, verrät Steffen, seien die
Touren in der Region
manchmal noch mit einem „Kick“ verbunden.
Er meint damit das
Überfahren von Annab u r g e r,
ISRAEL ALS EIN HÖHEPUNKT
Beide lieben diese Art der Fortbewegung
am Himmel. „Man muss schon ein bisschen
verrückt sein. Unser Leben hat sich durch
das Ballonfahren völlig verändert. Wenn
schönes Wetter ist, ziehen wir los“, verrät
Steffen, seit 25 Jahren selbständiger Kommunikationstechniker. Kerstin, Vertriebsingenieurin im Außendienst (Heizkostenabrechnung, Firma ist), setzt noch lachend einen drauf: „Ich lasse dann zu Hause alles
stehen und liegen. Auch wenn sich der
Dreck stapelt.“ Steffen erklärt schmunzelnd
die Folgen ihres aufwendigen Hobbys: „Wir
haben nur noch Schlecht-Wetter-Freunde.“
Israel war einer der Höhepunkte von Krieches Luftaktivitäten. Ein Israeli, den die
Torgauer im Januar bei einem Ballonfest in
Österreich kennen gelernt hatten, lud sie
für Ende September/Anfang Oktober aus
Anlass des jüdischen Laubhüttenfestes in
seine Heimat ein. Die Ballone gelten bei
diesen Events in den Regionen Gilboa und
Eshkol als die Attraktion. Und die Krieches
aus dem fernen Torgau durften gemeinsam
mit Teams aus sieben Ländern in der Negev Wüste in die Luft gehen, nachdem sie
ihren Ballon per Luftfracht nach Israel geschickt hatten. Und sie beteiligten sich dort
auch gern am so genannten Ballonglühen.
Dabei werden die Ballone am Abend mit
dem Brenner beleuchtet, so dass die verschiedenfarbenen Hüllen und Formen ein
imposantes Bild ergeben. Die Augen der
Krieches strahlen noch immer, wenn sie davon berichten.
Dübener und Dahlener Heide. „Das kann
schon mal kritisch werden, wenn der Sonnenuntergang naht. Da ;hängen’ wir über
der Heide und hoffen, dass unser Gas ausreicht. Im Wald wäre die Landung zwar
weich, aber der dünne Hüllenstoff würde
das nicht überleben und eine neue Hülle ist
sehr teuer.“
DER SOMMER WAR ZU HEISS
Der vergangene Sommer war für die Krieche-Familie ein ungünstiger, was ihr Hobby betrifft. „Ab 30 Grad am Boden wird es
im Ballonkorb zur Tortur. Aufgrund des
Brenners in der Ballonhülle sind die Temperaturen oben noch mal zehn Grad höher.
Bei solchen Bedingungen starten wir nicht,
das ist für uns und unsere Gäste unzumutbar“, berichtet Steffen.
Übrigens war es für ihn keine Überraschung, als die TZ vor kurzem über die extrem wanderlustige Familie Lenz berichtete, die regelmäßig extreme Touren in extreme Höhen oder mit extremen Längen bestreitet. „Die Verrückten kennen sich doch
alle. Erst recht, weil es davon in der Region Torgau nicht so viele gibt.“ Ob Steffen
Krieche mit dieser Annahme recht hat?
Norbert Töpfer
Gänsehautgefühl für die Ballonbesatzung Krieche: Ein Base-Jumper
löst sich vom Korb in die Tiefe.
Nach dem Start in Eshkol landeten die
Sachsen nach einer Stunde in dem kleinen
Dorf Einhabsor, nur fünf Kilometer vom Gazastreifen entfernt. „Was wir dort erlebten,
werden wir nie vergessen. Wir wurden
herzlich empfangen, obwohl die Menschen
zunächst nur schlaftrunken dem Fauchen
des Brenners gefolgt sind. Plötzlich waren
wir nur so von netten Leuten umringt. Und
das am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang“, erinnert sich Kerstin sogar an
Einzelheiten. „Die Israelis haben fast alle
mit angefasst beim Zusammenpacken der
Ballonhülle und anderer Ausrüstungsgegenstände. Ich brauchte nur Anweisungen
zu geben, damit sie es richtig machen. Uns
hatten sie gleich nach der Landung mit Kaffee und Kuchen versorgt“, ergänzt Steffen.
Und Kerstin fällt noch eine nette Begebenheit ein. „Ich habe mich gewundert. Die
Frauen dort haben alle die gleichen Stiefel
getragen, wahrscheinlich sind sie ideal bei
dem Wüstensand. Mir haben sie auch
gleich gefallen und die aufgeregten Dorfbewohner haben uns in einen Art Landhandel geführt, wo die Stiefel zum Verkauf
standen. Inmitten von Regalen mit Motorölen und Traktorenreifen standen die
Stiefel. Ich war glücklich, dass ich passende fand und kaufte sie. Mitten in der Wüste.“
Für die Torgauer ein unvergesslicher Augenblick: ihr Start in Richtung Wüste in Eshkol (Israel).
Fotos: privat
Glückliche Kerstin Krieche: Soeben
hat sie Wüstenstiefel gekauft, aber
sie zeigt die Teile nicht.