Gelangweilt? Höchste Zeit, 60 Text Josua Schmeitzky Ich beobachte, wie sich die Äste einer Föhre im Wind bewegen und ein paar Spatzen von Ast zu Ast fliegen. Wie toll wäre es doch jetzt, dort oben ein Baumhaus zu bauen. Mein Blick schweift zurück ins Klassenzimmer zur Lehrerin, die irgendwelche seltsamen Regeln für die Veränderung von Worten an die Tafel schreibt. Mit dem Baumhaus, das ich in mein Schulheft skizziere, haben sie definitiv nichts zu tun! Dies waren mehr oder weniger die Gedankengänge meines 18 Jahre jüngeren Ichs während des Schulunterrichts. Sie haben es erraten: Ich war einer der gelangweilten Schüler, die kaum auf die nächste Pause warten konnten. Was meinen wir eigentlich genau, wenn wir von Langeweile sprechen? Fachleute beschreiben Langeweile meistens als negatives Gefühl, welches durch die Empfindung von Sinnlosigkeit geprägt sei. Daraus folgt jedoch nicht automatisch ein «Nichtstun», sondern oft das Bedürfnis, irgendetwas Sinnvolles zu tun. Langeweile signalisiert also gleichzeitig ein Fehlen von und ein Suchen nach Sinn. Ob etwas sinnvoll ist oder nicht, liegt wie bei der Schönheit im Empfinden des Betrachters. Fest steht: Jemandem, der gelangweilt ist, erscheint fast alles, was diese Langweile vertreibt, als sinnvoll. Es gelingt aber nicht allen und vor allem nicht immer, Langeweile in etwas Positives umzugestalten. So weisen mehrere Studien darauf hin, dass Menschen aus Langeweile in Tätigkeiten flüchten, die negative Konsequenzen haben wie Alkoholund Drogenkonsum, Delinquenz oder im Schulunterricht die Lehrerin ignorieren und Baumhäuser skizzieren, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Fritz+Fränzi, #5 im Juni 2014 Im Alltag werden wir immer wieder zu der Verfolgung von Zielen gedrängt, die uns persönlich als sinnlos erscheinen. So wollte man mich vor 18 Jahren für Lernziele motivieren, deren Sinn ich nicht einsah. Die Planung meines zukünftigen Baumhauses – welches leider bis heute noch nicht steht – erschien mir jedoch ausgesprochen DER AUTOR Nach seinem Studium in Entwicklungspsychologie und Gender Studies begann Josua Schmeitzky sein Doktorat zum Thema Langeweile und Zielorientierung an der Universität Zürich. Zudem wirkt er als Doktoratssprecher für die Universität Zürich in der International Max Planck Research School LIFE, einem internationalen und interdisziplinären Doktorandenprogramm der Lebensspannenforschung, mit. Hier befasst er sich auch mit Altersunterschieden hinsichtlich des Empfindens von Langeweile. Seinen bisherigen Forschungsergebnissen zufolge sind wir mit zunehmendem Alter weniger oft gelangweilt. Forschung den Sinn zu suchen! sinnvoll. Ich entkam also meiner Langeweile, indem ich mich vom Unterricht abund meinem Baumhausprojekt zuwandte. Wie kann man gegen diese «tödliche» Langeweile ankämpfen? Eine Strategie wurde schon genannt: sein Ziel ändern. Also anstatt lernen (Ziel: den Satz des Pythagoras begreifen) in die Badi gehen (Ziel: Sport treiben). Das funktioniert natürlich nur kurzfristig, denn letztlich muss der Satz des Pythagoras ja doch gelernt werden. So tauscht man das Vermeiden von Langeweile gegen Prüfungsstress ein. Deshalb kann es von Vorteil sein, im vorgegebenen Ziel einen Sinn bzw. ein alternatives sinnvolleres Ziel zu suchen, und sei es nur, eine bessere Note zu erreichen. Wie das Zusammenspiel zwischen unserer Zielwahrnehmung und der Langeweile funktioniert, untersuche ich zusammen mit Alexandra Freund, Professorin am Lehrstuhl für Angewandte Psychologie der Universität Zürich. Hierzu führten wir Studien durch, bei denen wir viele Leute bewusst langweilten. In einer dieser Studien mussten unsere Probanden Buchstabenreihen abschreiben. Für jede richtig abgeschriebene Buchstabenreihe spendeten wir einen Betrag für eine humanitäre Hilfsorganisation. Auf diese Weise verbanden wir eine an Es ist also wichtig, eine Verknüpfung zwischen einer langweiligen Tätigkeit und einem sinnvollen Ziel herstellen zu können. Gelingt dies, erhöht die Fokussierung auf das Ziel die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit und vermindert die Langeweile. Ob dieses Wissen damals dem elfjährigen Knaben vor 18 Jahren beim Erlernen der Deklinationsregeln geholfen hätte? Meine damalige Langeweile wirkte sich nicht gerade positiv auf meine Schulleistung aus, war aber im Rückblick keinesfalls nur negativ, weil sie mir erlaubte, abzuschweifen und anderweitig kreativ zu sein – zumindest auf dem Papier. Jacobs Foundation Die International Max Planck Research School LIFE an der Universität Zürich wird seit 2007 von der Jacobs Foundation gefördert. Als eine der weltweit führenden gemeinnützigen Stiftungen verpflichtet sich die Jacobs Foundation seit 25 Jahren der Forschungsförderung im Bereich der Kinder- und Jugendentwicklung. Die Stiftung möchte künftige Generationen durch die Verbesserung ihrer Entwicklungsmöglichkeiten nachhaltig unterstützen, damit sie produktive und sozial verantwortungsbewusste Mitglieder der Gesellschaft werden können. Fritz+Fränzi, #5 im Juni 2014 61 Wenn man sich vergegenwärtigt, was wir alles zu tun bereit sind, um ja nicht gelangweilt zu sein, ist es nicht verwunderlich, dass das häufige Empfinden von Langeweile mit einer geringeren Arbeitsleistung, Lebenszufriedenheit und sogar Lebenserwartung einhergehen kann; die Redensart «zu Tode gelangweilt sein» ist leider nicht völlig aus der Luft gegriffen. sich völlig sinnlose Tätigkeit mit einem sinnvollen Ziel. Nun wollten wir wissen, welche Faktoren dazu beigetragen hatten, wie sehr sich die Leute beim Abschreiben langweilten. Unsere Daten zeigen: Die Intensität der Langeweile hängt unter anderem davon ab, wie stark man sich auf das Ziel konzentriert. Je stärker die Probanden an die Spende (Ziel) dachten, desto sinnvoller empfanden sie das Abschreiben der Buchstabenreihen und desto weniger langweilten sie sich dabei.
© Copyright 2024 ExpyDoc