Antje Bones Auf dem Grund des Zaubersees Planet Girl 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 3 15.04.14 11:49 Ist das denn normal? Es ist einfach so, dass der eigene Geburtstag der allerbeste Tag im ganzen Jahr ist. Das ist klar wie This Kloßbrühe! Die nettesten Leute versammeln sich, das Lieblingsessen wird gekocht, Kuchen wird gebacken, das Haus wird geschmückt, es gibt eine schöne Feier mit Musik und Limonade ohne Ende. Und obendrauf gibt es auch noch tolle Geschenke. Für eine Weile scheint sich die ganze Welt nur um das Geburtstagskind zu drehen … Obwohl seit ihrem Geburtstag inzwischen schon ganze drei Tage vergangen waren, schwelgte Jette noch immer so süß und verträumt in ihren Erinnerungen, als wäre sie gerade erst nach dem 5 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 5 15.04.14 11:42 Abschlusstanz ins Bett gefallen. Und so nahm sie zuerst auch gar nicht dieses leise Wimmern und Brummeln wahr. Erst als das Brummeln zu einem wirklich lauten Gebrumme anschwoll, wurde Jette allmählich wieder klar, dass sich für die nächste Weile die Welt eher um jemand anderen drehen würde. Eben noch hatte sie geschwärmt: »Nun bin ich zwölf Jahre alt. Zwölf Jahre …«, als Liv vor ihr auftauchte. »Ja, meine liebe Jette, du bist jetzt zwölf Jahre alt. Das wissen wir nun seit drei Tagen! Aber vergiss bitte nicht, dass du seit drei Tagen auch Grumbatz-Mama bist«, sagte Liv grinsend und wollte Jette das kleine brummende Päckchen, das sie eben vorsichtig aus seinem Körbchen gehoben hatte, überreichen. Jette war überhaupt nicht böse, dass ihre Freundin sie aus ihren Gedanken gerissen hatte. Denn was konnte es Schöneres geben, als in die zufrie- 6 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 6 15.04.14 11:42 denen und unschuldigen Augen eines Neugeborenen zu blicken? »Ja ...«, säuselte Jette. »Ich bin eine GrumbatzMama …« »Genau! Würdest du die Kleine jetzt bitte nehmen?«, drängelte Liv. »Ich kann sie langsam nicht mehr halten.« »Selbstverständlich! Gerne!«, sagte Jette und streckte verzückt ihre Arme aus. Sie drückte das Knäuel sanft an sich und schob dann mit ihren Fingern vorsichtig die rote Kuscheldecke zur Seite, um die Kleine zu begrüßen. »Ja, wer ist denn da?«, sagte sie mit piepsiger Stimme. Und noch ein zweites Mal: »Ja, wer ist denn da?« »Der Himmel ist zu Füßen der Mütter«, flüsterte Thi – für ihre Verhältnisse sogar ziemlich leise, denn sie wollte ein wenig Rücksicht nehmen auf das kleine Grumbatz-Mädchen. Schließlich war sie nun die Ältere und wollte als solche einen 7 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 7 15.04.14 11:42 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 8 15.04.14 11:42 guten Eindruck machen. Aber ein Rollen mit den Augen konnte sie sich trotzdem nicht verkneifen. Das Drachenmädchen saß auf Livs Bettkante, baumelte mit den Beinen und kaute Kaugummi – seit der Geburtstagsfeier ihre neue Lieblingsbeschäftigung. Zuerst war sie nur scharf auf die runden Dinger, weil es eben schöne, glänzende und bunte Kugeln waren. Als sie dann aber noch erkannt hatte, dass sie süß schmeckten und man ausgezeichnet und stundenlang drauf rumkauen konnte, gab es kein Halten mehr. Überall hatte sie nach den Kaugummis gesucht und schließlich so viele gesammelt, dass sie locker bis zum nächsten Jahr reichen könnten. Könnten … Liv nickte zustimmend und setzte sich zu Thi aufs Bett. »Und jetzt sag ich dir mal was: Eine Mutter ist der einzige Mensch auf der Welt, der dich schon liebt, bevor er dich kennt.« Thi staunte. Sie war beeindruckt, so etwas Weises 9 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 9 15.04.14 11:42 und Poetisches aus Livs Mund zu hören. Als Zeichen ihrer Bewunderung formte sie eine besonders schöne Kaugummiblase – die leider direkt vor Livs Nase zerplatzte. »Die Frage ist allerdings, ob sie dich auch noch liebt, wenn sie dich dann einmal kennt …«, alberte Liv und küsste das kleine Drachenmädchen auf den Kopf. »Entschuldige bitte, meine kleine Thi. Dich muss man einfach lieben! Jeder liebt dich. Sogar ich!« Darüber musste das Drachenmädchen erst einmal nachdenken. Und solange sie nachdachte, kaute sie einfach weiter auf ihrem Kaugummi. Während die zwei sich neckten, widmete sich Jette ganz ihrer neuen Aufgabe: Obwohl das kleine Grumbatz-Mädchen brüllte und schrie, ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Jette lächelte es trotzdem an, wog es hin und her und machte eine 10 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 10 15.04.14 11:42 erstaunliche Entdeckung: »Ich finde, Flecki sieht jeden Tag ein bisschen anders aus.« »Wie meinst du das?«, wunderte sich Liv. »Als ich sie eben aus ihrem Bettchen geholt habe, sah sie eigentlich aus wie immer.« »Nein … Ja … Doch … Ich meine …« Liv und Thi schauten sich verwundert an: »Mütter!« »Ich finde einfach, dass sie sich jeden Tag verändert. Versteht ihr denn nicht, was ich meine?« Liv und Thi nickten eifrig mit dem Kopf, um den mütterlichen Frieden nicht zu stören. »Sie sieht heute zum Beispiel nicht mehr ganz so unschuldig aus wie gestern. Sie bekommt so etwas Freches im Blick. Gerade so, als ob sie etwas ausheckt. Irgendwie draufgängerisch …« »Aha. Verstehe. Klar«, antwortete Liv – ebenfalls ein bisschen frech. Jette schaute sie nur verständnislos an. Um ihre liebste und beste und offen- 11 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 11 15.04.14 11:42 sichtlich hoffnungslos verliebte Freundin nicht weiter zu reizen, lenkte Liv ein, so gut sie konnte: »Okay. Sie sieht draufgängerisch aus. Und was denkst du, von wem sie das hat?« Jette lachte. »Sorry, auch wenn ich ihre Mutter bin, dafür kann ich nun wirklich nichts.« »Da hast du eindeutig recht. Du bist ja nicht die biologische Mutter. Man sollte allerdings den Einfluss, den die sogenannte Bezugsperson auf so ein kleines Lebewesen hat, auch nicht unterschätzen!«, erklärte Liv und war mal wieder ganz in ihrem Element. Das Grumbatz-Baby unterbrach an dieser Stelle ihren Vortrag und schrie aus Leibeskräften. »Also, was Fleckis gesunden Appetit angeht, hast du aber ganz offensichtlich den größeren Einfluss«, meinte Jette halb im Spaß und doch auch irgendwie im Ernst. Denn sie war ein wenig besorgt, dass das Grumbatz-Mädchen überdurchschnittlich viel 12 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 12 15.04.14 11:42 Futter brauchte und vielleicht etwas nicht mit ihm stimmte. »Wir müssen runter in die Küche und ihr ein Fläschchen Milch aufwärmen«, meinte Liv und öffnete die Tür, damit Jette zusammen mit ihrem Anhängsel vorsichtig die Stufen hinuntersteigen konnte. Lenny ging langsam und bedächtig vor ihnen her, so als wollte er ihnen den Weg weisen. Liv tätschelte seinen Kopf. »Du bist ein ganz braver Hund, Lenny! Du passt immer gut auf Frauchen auf!« »Und auch auf Grumbatz-Babys und Drachenmädchen«, fügte Thi grinsend hinzu, während sie sich in hohem Bogen eine rote Kaugummikugel in den Mund warf. Unten wurden sie von Tante Sophie in Empfang genommen. »Guten Morgen, meine Mädchen! Guten Morgen, Jette, Liv, Lenny, Thi und guten Morgen, Flecki! Unsere Familie wird immer grö- 13 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 13 15.04.14 11:42 ßer. Genau das habe ich mir immer gewünscht: dass Gut Nordwind wächst und gedeiht.« Sie 14 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 14 15.04.14 11:42 lächelte zufrieden und kitzelte den kleinen Grumbatz an der Nase. »Treibt dich der Hunger zu mir in die Küche, meine Kleine? Ja? Treibt dich der Hunger zu mir?« Thi flatterte Liv auf die Schulter und flüsterte ihr ins Ohr: »Wenn ihr Menschen mit Babys sprecht, warum sagt ihr dann eigentlich immer alles gleich zwei Mal hintereinander?« Liv zuckte ratlos mit den Schultern – und Thi wäre beinahe heruntergefallen. Aber die Kleine fing sich und schnatterte gleich weiter: »Ich dachte, du kannst mir das bestimmt sagen. Du hast doch immer auf alles eine Antwort!« »Tut mir leid, hier muss ich passen. Vielleicht einfach nur vor lauter Glück und Liebe. Aus vollem Herzen eben …«, überlegte Liv, und dann plapperte Thi gleich wieder drauflos: »Gegen die Sprache des Herzens ist der Verstand machtlos. Das hat schon Großmutter Hui-Fen immer 15 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 15 15.04.14 11:42 gesagt. Und sie hatte wirklich immer eine Erklärung für alles. Darum hieß sie schließlich auch Hui-Fen, die klug und süß duftend ist! Apropos süß duftend. Da duftet doch schon mein Süppchen.« Schnuppernd flatterte das kleine Drachenmädchen von Livs Schulter herunter auf den Tisch. Für Flecki gab es Milch. Kaum setzte Jette das Fläschchen an, da saugte und trank und trank und saugte die Kleine, so kräftig sie konnte. »Du hast aber wieder einen guten Appetit«, stellte Sophie lächelnd fest. »Ja, sie scheint immer einen Bärenhunger zu haben, obwohl sie doch nur ein kleiner Grumbatz ist«, stimmte Jette ihrer Tante zu. Und Flecki gierte nach mehr. Sie schielte schon nach dem zweiten Fläschchen, das auf dem Herd vor sich hin köchelte. Jette schaute etwas verzweifelt in die Runde. »Ist das denn normal?«, wollte sie wissen. 16 50438_Bones_MG4_Zaubersee.indd 16 15.04.14 11:42
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