pro natura magazin thema 05 | 2015 Oktober 11 Für die Rückkehr von Arten müssen die Lebensräume stimmen 2 4 Mit den Lebensräumen verschwinden die Arten 26 Mehrere einst in der Schweiz ausgerottete Tieroder Pflanzenarten haben in den vergangenen Jahr- Die Farbpalette der Blumenwiesen zehnten wieder den Weg in ihre alte Heimat zurückgefunden. Andere aber schafften es nicht, sich Hunderte von faszinierenden Wiesenbildern wurden hier wieder zu etablieren – weil die Lebensräume für den Pro Natura Fotowettbewerb eingereicht, die besten oft nicht mehr geeignet sind. neun wurden prämiert. Prämiert wurden auch die Gewinner der Wiesenmeisterschaften – wir stellen einen Andi Hofstetter Foto: Prisma/Bolliger, Illustration: Vera Trächsel Wiesenchampion vor. 18 14 Strengere Grenzwerte für die Labore Der staunende Beobachter Damit die Kantone wirksamer gegen die oft viel zu hohen Pestizidwerte in den Gewässern Weil Manuel Stahlberger in vorgehen können, will der seinen musikalischen Er- Bundesrat die Gewässerschutz- kundungen immer wieder Verordnung revidieren. Genau die Natur streift, wollte das das versucht das Bundesamt Pro Natura Magazin mehr für Landwirtschaft aber zu über die grüne Ader des Ostschweizer Sängers erfahren und begab sich mit ihm auf Christian Flierl verhindern. eine St. Galler Stadtrandtour. pro natura magazin Mitgliederzeitschrift von Pro Natura – Schweizerischer Bund für Naturschutz von der Zewo als gemeinnützig anerkannt. Impressum: Pro Natura Magazin 5/2015. Das Pro Natura Magazin erscheint fünfmal jährlich (plus Pro Natura Magazin Spezial) und wird allen Pro Natura Mitgliedern zugestellt. ISSN 1422-6235 Redaktion: Raphael Weber (raw), Chefredaktor; Florence Kupferschmid-Enderlin (fk), Redaktion französische Ausgabe; Judith Zoller, pro natura aktiv Layout: Vera Trächsel, Raphael Weber. Mitarbeit an dieser Ausgabe: René Amstutz, Michael Casanova (mc), Josephine Cueni, Nicolas Gattlen, Rico Kessler (rke), Sabine Mari, Kurt Marti (km), Lorenz Mohler (Übersetzungen), Jan Ryser, Bertrand Sansonnens (bs), Urs Tester (ut), Friedrich Wulf, Rolf Zenklusen (zen). Redaktionsschluss Nr. 1/2016: 17.11.2015 Druck: Vogt-Schild Druck AG, 4552 Derendingen. Auflage: 116 000 (85 000 deutsch, 31 000 französisch). Gedruckt auf FSC-Recyclingpapier. Anschrift: Pro Natura Magazin, Postfach, 4018 Basel; Tel. 061 317 91 91 (9–12 und 14–17 Uhr), Fax 061 317 92 66, E-Mail: [email protected]; www.pronatura.ch; P K‑40-331-0 Inserate: CEBECO GmbH, Webereistr. 66, 8134 Adliswil, Tel. 044 709 19 20, Fax 044 709 19 25, [email protected] Inserateschluss 1/2016: 27.11.2015 Friends of the Earth International. Pro Natura ist Gründungsmitglied der Internationalen Naturschutzunion IUCN und Schweizer Mitglied von www.pronatura.ch inhalt 3 editorial inhalt 4thema 4 Z wiespältiger Erfolg: Der Lichterglanz erfolgreicher Wiederansiedlungen verdeckt viele Misserfolge. Wie sehr soll man Heimkehrern helfen? 8 H eikle Eingriffe: Bei der Pflanzenwelt gestalten sich Wiedereinführungen als besonders delikat. Natura Magazins. Im vorletzten Sommer entdeckte ich auf unserer 10 Zuwarten oder helfen? Zwei Amphibienexperten schätzen den Handlungsbedarf unterschiedlich ein. zuvor nur abgegraste Weide ausgebreitet hatte. Ein genauer Blick 14köpfe 16in kürze 18 brennpunkt 18 P estizide: Die Umweltämter fordern EU-Grenzwerte, die Bauern- und Chemielobby blockiert. 22 Sabotage: Rechtsbürgerliche Politiker torpedieren die Umsetzung des Gewässerschutzgesetzes. Ein Spaziergang mit meinem Hund stand am Anfang dieses Pro grossen Spazierrunde plötzlich mehrere Orchideen, wo sich Tage bestätigte die spontane Vermutung: Spatenspuren; jemand hatte die Orchideen hier willentlich gepflanzt – eine Orchideenart, die ich zuvor noch nie auf dieser Weide gesehen hatte. Kopfschütteln war meine erste Reaktion – Kopfschütteln über Menschen, welche die Natur wie ihren Garten formen wollen, anstatt dieser freien Lauf zu lassen. Ich ging und dachte weiter: Hatte nicht ich selber die Pflanzung junger Eichen auf derselben Weide initiiert? Gewiss, doch diese Bäume sind heimisch, damit sollten die uralten Eichenbestände bewusst verjüngt werden. Doch gab es womöglich nicht ebenso gute Gründe für die Pflanzung dieser Orchideenart, die vielleicht auch einmal heimisch auf der Weide 24 Globale Nachhaltigkeit: Die UNO setzt sich ambitionierte Ziele - die NGOs helfen mit. war? 25 Klimagipfel: In Paris darf sich die Pleite von Kopenhagen nicht wiederholen. Arbeitstagen merkte, bei Pro Natura nicht alleine. Eine 26news 26 Fotowettbewerb: So schön sehen die prämierten Wiesenbilder aus. Mit dieser Ambivalenz bin ich, wie ich in den folgenden abschliessende Haltung, ob Wiederansiedlungen sinnvoll sind, gibt es auch unter meinen Kolleginnen und Kollegen nicht. Ein Teil sieht darin allenfalls ein legitimes und notwendiges Instrument, um regional ausgerottete Tiere und Pflanzen wieder in ihr ursprüngliches Ausbreitungsgebiet zurückzuführen. Ein anderer Teil 28: W iesenchampion: Bio-Bauer Emil Häfner ist stolz auf seine preisgekrönten Blumenwiesen. lehnt solche Projekte aber ab, weil die Ansiedlungsversuche iesenknopf: Ohne diese Futterpflanze geht bei 29: W den Moorbläulingen nichts. Nebenrisiken bergen. Beide Lager kommen in diesem Magazin zu mehrheitlich erfolglos geblieben sind und solche Aktionen auch emeindetümpel: Sollen nach dem Erfolg in der 30: G Romandie auch in der Deutschschweiz entstehen. Wort. egate: Ermöglichen grosse Hinterlassenschaften 32: L und stehen für bewegende Lebensgeschichten. Intakte Lebensräume bilden die Grundvoraussetzung für die 35leserbriefe 36service 38beobachtet 39 pro natura aktiv 46 shop 48die letzte In einem zentralen Punkt sind sich aber alle Naturschützer einig: Rückkehr lokal ausgestorbener Arten. Ob man ihnen dann bei der Rückkehr hilft, ist erst eine sekundäre Frage. Symptomatisch mag dazu der Fall des Fischotters sein: In den 70er-Jahren scheiterte eine Wiederansiedlung, weil damals die Gewässer noch zu stark verschmutzt und kanalisiert waren. 40 Jahre später, mit besserer Wasserqualität und renaturierten Gewässern, klopft der Otter nun von alleine wieder an die Türen der Schweiz. Und die Orchideen? Die habe ich diesen Sommer nicht wiedergesehen. Gärtnern in der Natur ist vielleicht doch nicht so einfach. Raphael Weber, Chefredaktor thema Raphael Weber (2) Ohne geeignete Lebensräume kehren keine Arten zurück Fischotter Lutra lutra Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Ende des 19. Jahrhunderts lebten in der Schweiz über 1000 Otter, vorwiegend im Mittelland, im Tessin und entlang der grossen Seen am Jurasüdfuss. Ausrottung Ausrottung in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts durch die Verschmutzung und Kanalisierung der Gewässer einerseits, andererseits durch die Jagd. Wiederansiedlung Ein Wiederansiedlungsprojekt aus dem Jahr 1975 im Gebiet der Sense und des Schwarzwassers scheiterte: Keiner der acht ausgesetzten Fischotter aus Bulgarien überlebte. Mehrere heimische Tierarten, die einst in der Schweiz ausgestorben waren, sind in den vergangenen Jahren wieder heimgekehrt – entweder von alleine oder durch aktive Mithilfe. Viele Wiederansiedlungsprojekte sind aber auch gescheitert. Illustrationen Vera Trächsel (2) 4 Eine ursprünglich ausgestorbene Tier- oder Pflanzenart kehrt dank eines Wiederansiedlungsprojekts wieder in ihren ange- folg hart erarbeitet werden muss. Wichtigste Voraussetzung ist, Die erfolgreichen Wiederansiedlungen zeigen, dass der Er- stammten Lebensraum zurück – welche Erfolgsgeschichte! dass die Gründe fürs Aussterben wegfallen und genügend ge- Ohne Wiederansiedlungsprojekte könnten wir keine Stein eigneter Lebensraum für die Art vorhanden ist. Danach brau- böcke bewundern, keine Dämme des Bibers entdecken und chen die Projekte einen langen Atem, damit auch Rückschläge im Frühjahr auch keine klappernden Störche hören. verkraftet werden können. So mussten die ausgesetzten Stein- böcke intensiv überwacht werden, damit sie nicht von Wilde- Wiederansiedlungsprojekte sind attraktiv. Wenn ein Luchs aus dem Käfig in die Freiheit springt oder ein Bartgeier in sein rern erlegt wurden. Aussetzungsnest getragen wird, sind Menschen mit Begeis- terung dabei, nehmen Medien Anteil. Doch wer sich intensi- Jahren Arbeit der Titel des ersten Berichts zur Wiederansied- ver mit Wiederansiedlungsprojekten befasst, stellt fest, dass lung der Störche. 40 Jahre Durchhaltewille brauchte es zuletzt, «Stirbt der Storch in der Schweiz aus?», lautete nach zehn es hinter dem Lichterglanz des Erfolges viele schattige Miss bis der Erfolg gut sichtbar wurde. Das Wiederansiedlungs erfolge gibt. Ich spreche auch aus eigener Erfahrung: Wäh- projekt des Bartgeiers läuft nun schon fast 40 Jahre. Es be- rend meiner Studienzeit war ich an zwei Wiederansiedlungs gann 1978, der erste Vogel konnte 1986 freigelassen werden, projekten des Laubfroschs in der Region Basel beteiligt. An ei- der erste in freier Wildbahn aufgewachsene Jungvogel flog nem Standort hat es geklappt, am anderen nicht. 1997 aus seinem Horst. Pro Natura Magazin 5/2015 thema Kleiner Rohrkolben Typha minima Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Markante Bestände entlang der grossen Flüsse Rhone, Aare, Rhein und Reiss. Die Auenpflanze besiedelt sandig-schlickige Pfützen, die nach einem Hochwasser langsam austrocknen. Verschwinden Im vergangenen Jahrhundert durch die Begradigung und Wasserkraftnutzung unserer Flüsse. Wiederansiedlung 1999 bis 2002 im Kanton Genf durch den Kanton selber und den Botanischen Garten. Kleine Rohrkolben wurden an drei Standorten ausgepflanzt, doch keine der Pflanzen überlebte den Jahrhundertsommer 2003 mit seiner Hitze und Trockenheit. Aktuelle Verbreitung Restliche Einzelvorkommen am Rhein und der Rhone im Wallis. Eine Diplomarbeit zeigte, dass geeignete Lebensräume, wenn überhaupt, nur noch sehr spärlich vorhanden sind. Mehrere Arten, die in der gesamten Schweiz oder in einzelnen Regionen ausgestorben waren, haben sich mittlerweile wieder erfolgreich hier etabliert; entweder durch eine Wiederansiedlung oder durch eine autonome Heimkehr. Eine Auswahl dieser Arten stellen wir in den grünen Boxen vor. Bei anderen Arten sind Wiederansiedlungsversuche gescheitert; sie werden in den roten Boxen vorgestellt und schwarz-weiss porträtiert. Weitere Tier- und Pflanzenarten sind entweder daran, selbstständig in ihre ursprüngliche Lebensräume heimzukehren, oder es wird diskutiert, ob sie hier wieder angesiedelt werden sollen. Gemäss dem Ampelsystem werden diese Arten in den orangen Boxen vorgestellt. Während die Erfolgschancen der Wiederansiedlungsprojek- ständig einwandernde Ringelnattern warten. Er setzte eine ost- te überschätzt werden, sind die Risiken unterschätzt. Woher europäische Ringelnatter-Unterart aus. Nun müssen diese Tie- kommen die Tiere oder Pflanzen, die man aussetzen möchte? re wieder eingefangen werden. Besteht die Gefahr, dass mit dem Wegfang der Tiere oder dem Ausgraben von Pflanzen eine noch intakte Population gefähr- dass Krankheiten freigesetzt werden oder sich sonst die Mit dem Aussetzen von Tieren besteht auch die Gefahr, det wird? Sind die zur Wiederansiedlung vorgesehenen Indivi- Lebensbedingungen für andere gefährdete Arten verschlech- duen genetisch vielfältig oder besteht die Gefahr von Inzucht? tern, sodass die Aktion anderen Tieren und Pflanzen schadet. Und: Verlieren die Tiere oder Pflanzen, wenn sie in Gefangenschaft gezüchtet werden, Fähigkeiten, die sie zum Überleben Das Instant-Natur-Syndrom in der Natur brauchen? Aus Zuchten stammende Auerhühner Das Beispiel mit der ausgesetzten Ringelnatter zeigt auch: Wir konnten in der Natur die Nadelholzknospen nicht mehr ver- leben in einer «Instant-Gesellschaft»: Wir sind es gewohnt, dauen, weil sich ihr Magen an nährstoffreiche Kost gewöhnt dass das, was wir haben wollen, auch sofort verfügbar ist. Die- hatte. ses Gefühl von sofortiger Verfügbarkeit wird auch auf die Na- tur projiziert. Als Pro Natura die Feldgrille zum Tier des Jah- Wichtig ist auch die Frage, ob die richtige Art oder Unter- art ausgesetzt wird. In einem Feuchtgebiet im Luzerner Mit- res wählte, haben wir Anfragen erhalten, wo man denn sol- telland konnte ein ungeduldiger Reptilienfan nicht auf selbst che Grillen für den eigenen Garten bekommen könne. Es war Pro Natura Magazin 5/2015 5 thema nicht einfach, die Anrufer zu überzeugen, dass ein Aussetzen die Lebensräume miteinander verbunden sein, damit Tiere im eigenen Garten wenig Sinn macht, weil der Lebensraum zu und Pflanzen geeignete Gebiete wieder besiedeln können. Mit klein und isoliert ist. ihrer Tümpeloffensive setzt Pro Natura auf diesen Effekt. Im Kreis der aktiven Naturschützer ist diese Ungeduld auch spürbar. Wir sehen ja, dass in der intensiv genutzten Land- Was macht man aber bei einer Art, die nur noch in Rest- beständen vorkommt? Da kann ein Wiederansiedlungsprojekt schaft die verbliebenen Naturflächen klein und isoliert sind. sinnvoll sein. Doch in erster Linie braucht es eine rasche Ver- Die Wahrscheinlichkeit, dass sich gefährdete Tiere und Pflan- besserung der Lebensbedingungen. So fördert Pro Natura im zen von alleine ausbreiten können, ist klein. Die Versuchung Rebgebiet des Vispertales den vom Aussterben bedrohten Lein- ist also gross, der Natur mit dem Aussetzen von ein paar Frö- krautscheckenfalter. In den Rebparzellen wächst die ebenfalls schen, ein paar Schmetterlingen oder Orchideen auf die Sprün- fast ausgestorbene Heida-Rebe. Dazwischen soll das zum Reb- ge zu helfen. Doch so wird nur attraktiven Arten «geholfen». bau gehörende Italienische Leinkraut wieder häufiger wachsen, Und die schnellen und improvisierten Aussetzungen sind sel- das den Raupen als Futter dient. So produzieren die Rebparzel- ten erfolgreich. Sie sind Symptombekämpfung statt Heilung. len im Vispertal wieder fruchtigen Heida-Weisswein und flat- Auf den isolierten Flächen verschwinden anspruchsvolle Ar- ternde Leinkrautscheckenfalter. ten in der Regel rasch wieder. Bei der Förderung der Artenvielfalt setzt Pro Natura des- halb primär auf die Verbesserung von Lebensräumen, auf die Zuerst die Lebensräume spezielle Förderung von bestimmten Arten und weniger auf Wer den gefährdeten Arten langfristig helfen will, verg rössert spektakuläre Wiederansiedlungsprojekte. und verbessert deren Lebensräume. Mit mehr dynam ischen Auengebieten, mehr Trockenweiden und Blumenwiesen, mehr Mooren mit einem funktionierenden Wasserhaushalt, mehr lichten Wäldern und mehr Naturwaldreservaten wäre einem grossen Teil der gefährdeten Arten geholfen. Zudem müssen URS TESTER leitet bei Pro Natura die Abteilung Biotope & Arten. www.pronatura.ch/unsere-standpunkte > Artenschutz (2005) Die Weltnaturschutzorganisation IUCN hat Regeln für die sorgfältige Wiederansiedlung von Arten ausgearbeitet (englisch): https://portals.iucn.org/library/sites/library/files/documents/2013-009.pdf Rebhuhn Perdix perdix Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Bis in die 1950er-Jahre lebten über 10 000 Rebhühner in den Ackerbaugebieten der Schweiz. Verschwinden Ab 1975 sorgte die Intensivierung der Landwirtschaft und die Zerschneidung der Landschaft durch Strassen und Siedlungen für einen rasanten Rückgang – obwohl zu dieser Zeit jedes Jahr mehrere Tausend importierte Rebhühner in der Landschaft freigelassen wurden. Pflugschar-Zungenstendel Serapias vomeracea Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Südlich der Alpen im Tessin und Misox. Wiederansiedlung 2004 bis 2007 Aussetzung von Rebhühnern im Klettgau (SH) in Zusammenhang mit einem mehrjährigen Programm der Schweizerischen Vogelwarte zur Förderung von Lebensräumen im Ackerbaugebiet. Verschwinden Die Art stand kurz vor dem Verschwinden in der Schweiz: Die Zahl der Standorte reduzierte sich von 81 (1881) auf deren 3 (2015). Gründe sind die Intensivierung der Landwirtschaft einerseits und die Nutzungsaufgabe schlecht zugänglicher Grundstücke andererseits. Aktuelle Verbreitung Im Klettgau ist das Rebhuhnvorkommen erloschen. In der Schweiz ist das Rebhuhn vom Aussterben bedroht, letzte Brutpaare leben im Kanton Genf. Art und Zeitpunkt der Rückkehr Durch ein Förderprojekt von ZHAW und Pro Natura: Isolierte Populationen werden fremdbestäubt und an gezielt ausgewählten Standorten in der Nähe von ehemaligen Vorkommen ausgebracht. Vera Trächsel (4) 6 Aktuelle Verbreitung Neun Standorte sind bekannt. Der Erfolg der anderen Ansaatflächen ist noch unbekannt. Pro Natura Magazin 5/2015 thema 7 Weissstorch Ciconia Ciconia Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Bis 1900 weit verbreitet, rund 140 Paare brüteten entlang der grossen Flüsse im Mittelland. Einführen, einwandern, wiederansiedeln … Verschwinden Bis 1949 ausgestorben wegen des Rückgangs von Feuchtgebieten und des ungünstigen Klimas. Wiederansiedlung Ab 1948 in Altreu Aufzucht von Störchen durch den «Storchenvater» Max Blösch. Erste Erfolge in den 1960er-Jahren, später durch die Gründung von 24 Aufzuchtstationen. Aktuelle Verbreitung Heute brüten wieder mehr frei lebende Störche in der Schweiz als zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Blauauge Minois dryas Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Noch im 19. Jahrhundert weit verbreitet, besonders in Gebieten mit traditioneller Streuenutzung. Förderprojekt 1992 Start eines Förderprojekts des Schmetterlingsforums Zürich im Gebiet Kappel/Rifferswil (ZH) mit Auslichtungen, Entbuschungen und Kultivierung von Riedflächen. Ausserdem Züchtung und Aussetzung von Raupen. Aktuelle Verbreitung Im Projektgebiet Erhöhung des Bestands von maximal 20 (1992) auf über 100 Falter (2001). Pro Natura Magazin 5/2015 Benoît Renevey (4) Bestandesrückgang Trockenlegung von Feuchtgebieten und Intensivierung der Landwirtschaft einerseits, Nutzungsaufgabe und Verbuschung von Riedflächen andererseits machten das Blauauge zur stark gefährdeten Schmetterlingsart. Immer wieder wird behauptet, der Wolf sei in der Schweiz wieder angesiedelt worden. Dies trifft nicht zu. Von einer Wiederansiedlung sprechen wir, wenn eine Tier- oder Pflanzenart in einer Region nicht mehr vorkommt und der Mensch danach bewusst Individuen dieser ausgestorbenen Tierart in der Region freilässt oder Pflanzen aussät und anpflanzt. Der Wolf ist aber von alleine wieder von Italien und Frankreich in die Schweiz heimgekehrt. In diesem Fall spricht man von einer Wieder besiedlung. Die Wiederansiedlung und die Wiederbesiedlung einheimischer Arten ist nicht vergleichbar mit der Verbreitung gebietsfremder Arten aus einem anderen Kontinent: Sind solche Arten unbeabsichtigt hierher gelangt, etwa als unerwünschte «Beilagen» von Warentransporten, spricht man von der Einschleppung einer Art. Von einer Einführung ist die Rede, wenn gebietsfremde Arten bewusst transportiert werden, von Freisetzung, wenn sie absichtlich in der Natur freigesetzt worden sind (was etwa bei zahlreichen Fischarten der Fall ist). Solche gebietsfremde Arten können sich mitunter alarmierend ausbreiten, Lebensräume verändern und dadurch einheimische Tier- und Pflanzenarten verdrängen. In diesem Fall spricht man von invasiven gebietsfremden Arten. Nur ein kleiner Teil aller gebietsfremder Arten ist invasiv. Gebietsfremde Arten, die sich in einem nicht heimischen Gebiet etabliert haben, werden auch als Neobiota bezeichnet, respektive als Neophyten (Pflanzen) und Neozoen (Tiere). Es gibt auch Tierarten, die natürlich aus umliegenden Gegenden in ein Gebiet wandern, in dem sie vorher nicht vorgekommen sind. In einem solchen Fall sprechen wir von Einwanderung. Im Gegensatz zur Einschleppung und Einführung ist dies ein natürlicher Prozess, der relativ häufig vorkommt. Während der Eiszeit mussten sich viele Pflanzen- und Tierarten aus dem vergletscherten Alpenraum zurückziehen. Seither kehren sie langsam wieder zurück. Es hat also nicht immer der Mensch seine Hand im Spiel, wenn am Teich eine unbekannte Libelle fliegt, oder im Garten eine unbekannte Grillenart zirpt. ut 8 thema Wisent Bison bonasus Historische Verbreitung in der Schweiz Jura, Mittelland. Ausrottung Letzter Nachweis der Art im 11. Jahrhundert. Jagd, Land- und Forstwirtschaft führten zum Aussterben des Wisents in der Schweiz. Wiederansiedlung Nächste wilde Population in Deutschland in der Nähe von Köln. Eine Gruppe von Biologen setzt auf die Idee einer aktiven Wiedereinführung des Europäischen Bisons im Schweizer Jura und sucht eine Region, die bereit ist, eine Wisent-Herde aufzunehmen. Die Tiere sollen nach einigen Jahren der Akklimatisierung in die Freiheit entlassen werden. Die Natur ist kein Garten Die Wiedereinführung von Pflanzen ist ein heikles Unterfangen mit unsicherem Ausgang. Pro Natura fordert, dass diese Praxis zurückhaltend angewandt wird, und engagiert sich stattdessen für mehr Biodiversität auf Wiesen. Aktuelle Verbreitung In Europa leben über 4600 Wisente, die meisten von ihnen in freier Wildbahn (Osteuropa), ansonsten in Parks oder Zoos. Jede Pflanzenart hat ihre besonderen biologischen und ökologischen Eigenschaften. Ob sie an einem bestimmten Standort gedeiht, hängt bekanntlich ab vom Feuchtigkeitsangebot, vom pH-Wert, von der Nährstoffkonzentration sowie von Sonneneinstrahlung, Höhe und Klima. Weitere Einflussfaktoren sind die genetische Struktur der Population, die Zerstückelung des Lebensraums und die Interaktion mit anderen Lebewesen, so auch dem Menschen. Während Tiere einen Lebensraum verlassen können, wenn er ihnen nicht mehr behagt, überlebt eine Pflanze nur, wenn sie sich dort anpassen kann, wo sie Wurzeln geschlagen hat. Heikle Eingriffe Das Verschwinden einer Pflanzenpopulation oder einer einzelnen Pflanzenart hat meist mehrere Ursachen. Diese sind komplex und können sich gegenseitig verstärken, so etwa Bodenentwässerung, Verbuschung, Änderung von Mähoder Weiderhythmus, Überdüngung, genetische Isolierung oder die vollständige Zerstörung des Lebensraums – ganz zu schweigen vom Klimawandel und der Stickstoffbelastung in der Atmosphäre unseres Planeten, die den Ökosystemen zusetzen. Die Wiedereinführung einer Pflanzenart oder die Stär- zena rten, entweder durch Aussaat oder durch Verpflanzung, Die Erfahrung zeigt: Die Wiedereinführung von Pflan kung eines Bestandes durch weitere Exemplare der gleichen bleibt in den meisten Fällen erfolglos, weil die erwähnten Art ist heikel und sollte mit Zurückhaltung eingesetzt wer- Punkte nicht gebührend berücksichtigt wurden. Zudem bildet den. Im Vorfeld einer solchen Massnahme müssen vorher die unklare kritische Grösse für eine langfristig überlebens sämtliche betroffenen Akteure eingebunden werden – also fähige Pflanzenpopulation einen weiteren Unsicherheitsfak- etwa Experten, Behörden, Naturschutzorganisationen. Zu- tor; Experten gehen von rund 200 Exemplaren aus. dem sind die Richtlinien der IUCN zur Wiedereinführung von Arten zu berücksichtigen. Insbesondere muss gewähr- Fragliche Erfolge leistet sein, dass die Art am fraglichen Standort schon frü- Gelegentlich mag die Wiedereinführung aber auch gelingen, her vorkam, dass die spontane und autonome Neubesiede- wenn auch teilweise nur knapp. Beispiele dafür wären der lung eines Lebensraums mittelfristig ausgeschlossen ist, dass Zarte Gauchheil im Kanton Waadt, dessen gestärkter Bestand die Gründe für das Verschwinden der Art bekannt sind und sich nur durch engmaschige Betreuung und intensive Pflege dass die Ökologie des Lebensraums sowie die Nutzungsart halten lässt, der Kleine Rohrkolben im Wallis, das Schwedi- die Erhaltung der Art begünstigen. Ohne sorgfältiges Abwä- sche Wimper-Sandkraut im Kanton Waadt oder der Kantige gen dieser Aspekte ist jeglicher Aufwand fehlinvestiert. Lauch im Kanton Bern. Ob hier wirklich schon von Erfolgen Pro Natura Magazin 5/2015 thema 9 Rothirsch Cervus elaphus Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz In der gesamten Schweiz, nicht nur im Alpenraum. Wolf Canis lupus Ausrottung Ausrottung bis Mitte des 19. Jahrhunderts durch Jagd mit Gewehren. Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Weit verbreitet im gesamten Land, nicht nur im Alpenraum. Wiederansiedlung Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wanderten wieder erste Rothirsche in die Schweiz ein. Ausbreitung dank Jagdbanngebieten und dem Schweizerischen Nationalpark. Ausrottung Ausrottung bis Ende des 19. Jahrhunderts durch Jagd mit Gewehren. Wiederbesiedlung Ab Mitte der 1970er-Jahre begann Italien, seine letzten Wolfsvorkommen besser zu schützen. Dadurch erholte und erweiterte sich die Population. 1995 erreichte der erste Wolf die Schweiz, weitere sind ihm gefolgt, zahlreiche wurden jedoch erlegt. Aktuelle Verbreitung Mittlerweile bestehen in den Kantonen Graubünden und Tessin je ein Rudel. Insgesamt wird die Wolfspopulation in der Schweiz auf rund 25 Exemplare geschätzt. In den französischen und italienischen Alpen leben rund 1500 Wölfe. Aktuelle Verbreitung Nach der Besiedlung des Alpenraums tauchen auch immer öfter Hirsche im östlichen Teil des Juras und in den Wäldern des Mittellands auf. Geschätzte 30 000 Rothirsche leben in der Schweiz. Weissrückenspecht Dendrocopos leucotos Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz In den tiefen Lagen der Alpen in Wäldern mit viel Alt- und Totholz. Verschwinden In der Mitte des 19. Jahrhunderts, weil der Wald bis ins Hochgebirge intensiv genutzt und teilweise kahl geschlagen wurde. Wiederbesiedlung Aus dem benachbarten Österreich, weil es auch in den Schweizer Wäldern wieder immer mehr alte und absterbende Bäume gibt. Aktuelle Verbreitung Einige wenige Brutpaare in Graubünden. Vera Trächsel (4) Raphael Weber (4) gesprochen werden darf, bleibt allerdings abzuwarten, denn ler denken – in Schutzgebieten jedoch ist die Praxis mit äu- ob diese Bestände langfristig überleben, wird sich erst zei- sserster Vorsicht und restriktiv anzuwenden. Pro Natura for- gen müssen. dert deshalb, dass die Wiedereinführung zurückhaltend praktiziert und nur als letztes Mittel eingesetzt wird, wenn alle an- Keine trendigen Einzelaktionen deren Optionen ausgeschöpft wurden. Die Wiedereinführung von Arten liegt heute im Trend, das Vorrangig muss es darum gehen, den Pflanzen ausrei- mediale Echo auf Projekte dieser Art kommt nicht von unge- chend Lebensräume in der freien Natur anzubieten und die fähr. Zusätzlich zum aktuellen Hype haben einige Pflanzen angestammten Arten im Rahmen einer dynamischen und an freunde manchmal das Gefühl, die Natur sei ein Garten, und dauernden Entwicklung der natürlichen Lebensräume zu be- siedeln Pflanzen an, die dort natürlicherweise nicht vorkom- vorzugen. Im Rahmen des Projekts Regio Flora zeigt Pro Na- men würden. So geschehen mit Schlauchpflanzen in einigen tura, wie die Biodiversität verbessert werden kann. Das Pro- Mooren im Jura oder Cannabis in Naturschutzgebieten. Pro jekt fördert die Vielfalt auf Weiden durch den Einsatz von re- Natura hält nichts von solchen vermeintlich «ökologischen» gionalem Saatgut. Einzelaktionen. Bei der Einführung von Arten mag man in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Landschafts- und Gartenbau liberaPro Natura Magazin 5/2015 René Amstutz ist Leiter Schutzgebiete und Arten bei Pro Natura. www.regioflora.ch thema «Sinnvoll ist eine Wiederansiedlung nur dann, wenn die Arten geeignete Lebensräume vorfinden» Viele Arten in der Schweiz haben heute nur noch isolierte Bestände. Sollen sie zur Förderung der Biodiversität wieder aktiv in einst besiedelten Gebieten ausgesetzt werden? Die Amphibien-Spezialisten Heinz Durrer und Silvia Zumbach diskutieren Chancen und Risiken von Wiederansiedlungen. Pro Natura: Herr Durrer, Sie haben in den letzten 30 Jahren rund um Basel über 20 Weiher und Biotope für Amphibien geschaffen. Was hat sie dazu bewogen? Heinz Durrer: Ich habe hier in Basel miterlebt, wie sich der Laubfrosch schleichend verabschiedet hat, wie die Rufe immer seltener geworden sind und schliesslich ganz verstummten. Auch die Kreuzkröte und die Gelbbauchunke sind am Verschwinden. Weil wir ihre Lebensräume nahezu voll ständig zerstört haben. Das kann und will ich nicht einfach so hinnehmen. Bergkronwicken-Widderchen Zygaena fausta Sie haben in Ihren Biotopen rund um Basel immer wieder Amphibien ausgesetzt, die Sie in der Station «Arche Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Im gesamten Jura und im subalpinen Alpenraum auf locker bebuschten Magerrasen und südexponierten Waldrändern mit Felsfluren entlang von Kronwicken, ihren ausschliesslichen Futterpflanzen. Noah» züchteten. Wieso haben Sie nicht einfach gewartet, bis Amphibien die neu geschaffenen Lebensräume von selbst besiedeln? Durrer: Eine natürliche Besiedlung ist in diesen Fällen nicht möglich, weil die Lebensräume der Amphibien durch die Zersiedlung, durch Strassen- und Autobahnbau fraktioniert und Rückgang Starker Lebensraumverlust durch die Intensivierung der Landwirtschaft einerseits, durch die Bewirtschaftungsaufgabe andererseits. Im Kanton Baselland verschwand die Art vor rund 20 Jahren. isoliert wurden. Nun könnte man sehr wohl geeignete Passagen schaffen: Brücken, Tunnels und Trittsteinbiotope. Doch leider wird dies zu wenig getan. Also bleibt – als letzte Möglichkeit! – die künstliche Wiederansiedlung. Das sind doch, Frau Zumbach, gute Gründe. Trotzdem steht die karch solchen Wiederansiedlungen skeptisch gegenüber. Wieso eigentlich? Silvia Zumbach: Wir sind nicht grundsätzlich gegen Aussetzungen, vorausgesetzt, dass bestimmte Kriterien betreffend Genetik, Biotoppflege, Zucht, Dokumentation usw. erfüllt sind. Aber wir setzen andere Prioritäten. In erster Linie gilt es, die bestehenden Populationen zu erhalten, ihre Lebensräume auf- Lorenz Andreas Fischer (2) 10 Wiederbesiedlung Tagfalterschutz Baselland, ein Projekt von Pro Natura Baselland, hat in 27 Gebieten Fördermassnahmen für Tagfalter durchgeführt. 2012 wurden erstmals wieder Raupen des BergkronwickenWidderchens gefunden – einer von mehreren Erfolgen des Projekts. Aktuelle Verbreitung Spärliche Bestände im Jura und im Alpenraum. Pro Natura Magazin 5/2015 thema Steinbock Capra ibex «Aussetzungen gaukeln den Leuten vor, dass man alles zerstören und wieder neu erschaffen kann.» Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Weite Teile des Alpenraums. Silivia Zumbach, Leiterin karch Ausrottung Ausrottung bis Mitte des 19. Jahrhunderts durch Jagd mit Gewehren. Wiederansiedlung Erste Wiederansiedlungsversuche Ende des 19. Jahrhunderts misslangen. 1911 erstmalige erfolgreiche Aussetzung im Weisstannental (SG). Basis für die Rückkehr bildete ab 1875 ein neues Jagdgesetz und die Gründung von Jagdbanngebieten. zuwerten und vor allem, neue Lebensräume zu schaffen. Denn Aktuelle Verbreitung 45 000 Steinböcke leben im gesamten Alpenraum, davon 15 000 in der Schweiz. zes Artenspektrum zu fördern. Idealerweise im Grossmassstab. nur so kann sichergestellt werden, dass die Tiere auch langfristig eine Überlebenschance haben. In kleinen Insel-Biotopen ist diese Chance kaum je gegeben, man muss dann immer wieder neue Individuen hinzutun. Wir ziehen wir es vor, ein gan- Das heisst? Zumbach: Es darf ruhig mehr «geklotzt» werden, indem Neuanlagen etwas grösser sind. Nicht zehn, sondern Hunderte, ja Tausende Amphibien sollen die aufgewerteten Lebensräume besiedeln. Damit steigt auch der Ausbreitungsdruck und die umgebenden Biotope werden natürlicherweise wiederbesiedelt. Dann erübrigt sich eine Aussetzung … … falls das Netz nicht zu grosse Löcher aufweist. Zumbach: Klar, die Vernetzung muss gewährleistet sein. Ich stelle aber auch fest, dass die Wanderfähigkeit der Amphibien oft unterschätzt wird. Und dass man den Tieren kaum mehr Zeit zugesteht. Wenn das Biotop errichtet ist, will man sofort auch die Zielarten sehen. Also bedient man sich in anderen Populationen, was zu gefährlichen Aderlassen oder zur Einschleppung von Krankheiten führen kann. Dabei ist es doch viel befriedigender, wenn man eines Tages die Früchte seiner Arbeit ernten kann, indem die Amphibien den Tümpel von selbst besiedeln. Durrer: Das alles mag auf übergeordneter Ebene zutreffen. Was aber wären die Folgen im Lokalen und für den Naturschutz? Es ist doch nicht «wurscht», ob es in Binningen die Unke noch gibt. Sie war hier einmal heimisch und hat im Verlauf der Zeit ihre Heimat verloren, der Mensch hat sie ihr entzogen. Jetzt ist ihr Heimatbiotop wieder entstanden und die Unke darf zurückkehren, wenn nicht anders möglich durch eine Wiederansiedlung. Viele Bürgerinnen und Bürger von Binningen unterstützen unsere Projekte, auch finanziell. Sie springen dort ein, wo die anonyme Eidgenossenschaft ausbleibt. So bewahren sie einen Teil ihres Naturerbes auch für ihre Nachkommen. Wenn die nächste Generation die Vera Trächsel (2) Unke nicht mehr kennt, wird sie dieses unscheinbare Natur Pro Natura Magazin 5/2015 erbe nicht einmal vermissen und auch nicht schützen wollen. Schliesslich ist Artenschutz auch Umweltschutz. Nur wer Sorge trägt zum kleinen Schönen, wird sich auch für eine intakte Umwelt einsetzen. 11 12 thema Fischotter Lutra lutra Bodensee-Steinbrech Saxifraga oppositifolia ssp amphibia Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Entlang der natürlichen Strandrasen am Bodenseeufer. Verschwinden Im vergangenen Jahrhundert durch die Regulierung des Bodensee-Wasserstands und die Befestigung der Ufer, zudem durch Algenwatten als Folge des nährstoffreicheren Seewassers. 1965 wurde das letzte Exemplar nachgewiesen. Wiederbesiedlung Momentan bewegen sich die Fischotter von Frankreich her entlang der Rhone wieder auf die Schweiz zu, wo mittlerweile wieder geeignetere Lebensräume vorhanden sind. Aktuelle Verbreitung 2014 Sichtung eines ersten Otters in Genf. Allenfalls weitere Vorkommen an der Aare bei Bern, wo im Tierpark Dählhölzli im Jahr 2005 bei einem Hochwasser Otter in die Freiheit schwammen. Es existieren in fast allen europäischen Ländern Otterpopulationen, auch in den Nachbarländern der Schweiz. Vera Trächsel (3) Diskutierte Wiederansiedlung Verbliebene (Samen-)Bestände wurden für ein allfälliges Wiederansiedlungsprojekt gesucht, doch weder in einer Samenbank noch in einem botanischen Garten gibt es noch Bodensee-Steinbreche. Deshalb ist diese Unterart wohl für immer ausgestorben. Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz Ende des 19. Jahrhunderts lebten in der Schweiz über 1000 Otter, insgesamt im Mittelland, im Tessin und entlang der grossen Seen am Jurasüdfuss. «Wenn die nächste Generation die Unke nicht mehr kennt, wird sie dieses unscheinbare Naturerbe nicht einmal vermissen.» Heinz Durrer, Professor für Biologie unsere Kräfte besser auf jene Arten konzentrieren, die es in der Schweiz noch gibt. Dem Schwund an heimischen Arten stehen neue Arten gegenüber, die in die Schweiz einwandern. Soll man diese willkommen heissen, ja mehr noch: zur Bereicherung gar neue Arten einführen? Oder soll sich der Artenschutz allein an der Vergangenheit orientieren – mit dem Ziel, die Zumbach: Das ist unbestritten. Andererseits aber können Aus- Artenvielfalt einem früheren Zustand anzugleichen? setzungen auch falsche Zeichen setzen. Sie gaukeln den Leu- Zumbach: In der Natur gibt es keinen statischen Zustand, ten vor, dass alles technisch machbar ist, dass man alles zer- sondern nur dynamische Gleichgewichte. Arten werden sel- stören und wieder neu erschaffen kann. tener und häufiger, die Lebensräume ändern sich. Also kann es auch nicht Ziel sein, irgendeinen Ur-Zustand wiederherzu- Sind wir moralisch dazu verpflichtet, bereits ausgerotte- stellen. Bei den einwandernden Arten handelt es sich aber oft te, einst heimische Arten wie etwa die Wechselkröte wie- um anspruchslose, weit verbreitete Generalisten, während die der anzusiedeln? heimischen Spezialisten verschwinden oder wegen ihrer gerin- Zumbach: Sinnvoll ist eine Wiederansiedlung nur dann, wenn gen Anzahl kaum noch eine Rolle im Ökosystem spielen. Gera- die Arten geeignete Lebensräume vorfinden. Die Wechselk röte de diese Spezialisten aber sind von besonderem Wert, weil sie ist ja nicht zufällig ausgestorben, die entsprechenden Habitate Vielfalt einbringen und die Ökosysteme robuster machen. Da- im Tessin sind zu klein und zu selten geworden. Wir sollten von profitieren viele weitere Arten. Pro Natura Magazin 5/2015 thema 13 zur sache «Hallo» sagte der Biber erst, als die Flüsse wieder frei flossen Fischadler Pandion haliaetus Ich erinnere mich noch gut – und gerne: 1997 wars, als der ers- Ursprüngliche Ausbreitung in der Schweiz In Gewässernähe, im Flachland, in den tiefen voralpinen Tälern und im Tessin. te Biber an die Tore zur Region Basel anklopfte und sich im Rechen des Kraftwerks Augst am Rhein verfing. 200 Jahre, nachdem der letzte Biber an der Birs erlegt worden war, ebenfalls vor Ausrottung Letzte beobachtete Brut in Ellikon am Rhein (ZH) 1914. Gründe für das Aussterben: Wilderei, Fang von einzelnen Tieren durch Tierpräparatoren, Entnahme von Eiern durch Sammler, Fehlen von grossen alten Bäumen in Uferwäldern. Gelegentlich sind Einzeltiere auf dem Vogelzug zu beobachten. Der Zufall wollte es, dass Pro Natura im gleichen Jahr den Bi- ber zum «Tier des Jahres» erkor. Gründe genug damals für uns im Vorstand von Pro Natura Baselland, für die Biber aktiv zu werden. Die Hauptfrage lautete: Haben die Biber tatsächlich eine Chance, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Die gründlich analysierte Antwort lautete: Ja, aber ... Raphael Weber (3) Wiederansiedlung 2014 gestartetes Wiedereinführungsprojekt über den Zeitraum von fünf Jahren in der Region Chablais de Sugiez (FR), das von der welschen Vogelschutzorganisation «Nos Oiseaux» betreut wird. 60 Jungtiere aus europäischen Beständen werden in künstlichen Volieren-Nestern in die Schweiz eingeführt werden. den Toren Basels. Aktuelle Verbreitung 2015 wurden die ersten sechs Jungtiere aus Schottland in die Schweiz gebracht. In Europa gibt es mehr als 10 000 Fischadler (Russland, Baltikum, Skandinavien, Frankreich, Schottland). Aber? Sollen sie es tatsächlich schaffen, müssen wir sie ak- tiv dabei unterstützen: Biberlebensräume schaffen – also lebendige und vielfältige Fliessgewässer –, Ausbreitungsbarrieren wie Flusskraftwerke öffnen und Sympathie für die Biber schaffen. Gesagt, getan: Pro Natura Baselland startete im Jahr 2000 in der Nordwestschweiz die erste «Hallo Biber!»-Aktion. 15 Jahre später wissen wir: Der Kraftakt hat sich mehr als gelohnt. Der Sympathieträger Biber machte es möglich, dass verschiedenste Akteure wie Kraftwerksbetreiber, Fischer, Land wirte, Behörden sich für dieses Ziel begeistern liessen und ihren Beitrag leisteten für die erfolgreiche Rückkehr der Biber in ihre alte Heimat. Heute freuen sich unzählige Leute in der Nordwestschweiz an wieder vielfältigen und lebendigen Fliessgewässern – Durrer: Bei der Aussetzung von gebietsfremden Arten ist und an Beobachtungen des sympathischen Nagers. höchste Vorsicht geboten. Im Kanton Genf etwa paaren sich die ausgesetzten Alpenkammmolche mit den heimischen gestartet; im Mittelland, in der West-, Zentral- und in der Ost- Kammmolchen, mit dem Resultat, dass es fast nur noch Hy- schweiz. Nach dem gleichen Modell und mit ähnlichem Erfolg. Seither hat Pro Natura vier weitere «Hallo Biber!»-Aktionen bride gibt und die heimische Art langsam verschwindet. Die Der Biberbestand hat in dieser Zeit erfreulich stark zugenom- wissenschaftlichen Kenntnisse sind in vielen Fällen ungenü- men. Selbstverständlich nicht nur wegen «Hallo Biber!». Doch gend und die Folgen nicht abzuschätzen. Deshalb sollten wir die Rückkehr der Biber ist eine Erfolgsgeschichte, die uns zeigt, auf Experimente verzichten und unsere Anstrengungen auf die dass einigermassen intakte Lebensräume eine zentrale Voraus- bedrohten, lokal angepassten Arten konzentrieren. Interview: NICOLAS GATTLEN, freischaffender Journalist. Heinz Durrer ist emeritierter Professor für Biologie am Medizinischen Institut der Universität Basel. Für seine Verdienste als Förderer der Amphibien erhielt er 2013 den Naturschutzpreis von Pro Natura Baselland. Silvia Zumbach engagiert sich seit über dreissig Jahren für den Amphibienschutz. Die Berner Biologin leitet die Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch) mit Sitz in Neuchâtel. Sie hat mehrere erfolgreiche Vernetzungsprojekte begleitet. www.karch.ch setzung sind für die erfolgreiche Rückkehr von Arten. Ausgangspunkt dieser Erfolgsgeschichte bildeten allerdings Wiederansiedlungen von Bibern ab den 1950er-Jahren. Diese wurden jedoch unkoordiniert und mit völlig unklaren Erfolgsaussichten an verschiedenen Orten der Schweiz vollzogen. Der Durchbruch kam erst mit der Erkenntnis: Wir müssen Biber lebensräume schaffen und Biberbarrieren öffnen. Dank dieser Erkenntnis fühlt sich seit zwei Jahren auch in meiner Wohngemeinde an der Birs eine Biberfamilie wohl und lässt berührende und unvergessliche Einblicke in ihr Familien leben zu – Hallo Biber! Urs Leugger-Eggimann, Pro Natura Zentralsekretär Pro Natura Magazin 5/2015
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