Anwälte stellen IV-Gutachten in Frage

Kantone
Sonntag, 13. Dezember 2015 / Nr. 50 Zentralschweiz am Sonntag
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Anwälte stellen IV-Gutachten in Frage
HORW Im Kampf um eine IVRente wehrt sich ein Pensionär
für seinen Neffen. Der Onkel
kritisiert die Qualität des
ärztlichen Gutachtens – und
steht damit nicht alleine da.
1988 – kam unter anderem zu folgendem
Schluss: «Josef verfügt im Alltag über
gute Kompensationsmöglichkeiten, welche aber bei der geringsten Anforderung
nicht mehr genügen. Dies trifft für
seine körperlich-motorischen Möglichkeiten ebenso zu wie für seine intellektuellen Leistungsfähigkeiten, welche in
geschütztem Rahmen recht gut sind.»
Klarer Fall von Dienstuntauglichkeit
THOMAS HEER
[email protected]
Hans Roth sitzt zusammen mit seinem
Neffen Josef Müller* am Sitzungstisch
von Anwalt Rémy Wyssmann. Müller
redet während der Besprechung wenig.
Seine Kernaussage lässt sich kurz zusammenfassen: «Ich will arbeiten.» Und
sein Onkel Hans Roth ergänzt: «Zur
Untätigkeit gezwungen, kämpft Josef
zusehends mit psychischen Problemen.»
Zur Klärung der Sachlage: Im Fall von
Josef Müller steht eine Teilrente im
Vordergrund. Von einer hundertprozentigen Arbeitsunfähigkeit redet in
diesem Beispiel niemand.
Er litt unter Sauerstoffmangel
Die Probleme von Josef gehen zurück
auf den 29. August 1969. Denn am Tag
seiner Entbindung kam es zu Komplikationen. Das Baby litt unter akutem
Sauerstoffmangel. In der Folge blieb der
Knabe in seiner Entwicklung zurück,
körperlich wie geistig. Ein Gutachten
zuhanden der Armee-Mediziner – ausgestellt von einem Oberarzt am 12. Juli
Nach Unfall –
81-Jährige verletzt
GEUENSEE red. Eine 81-jährige Fussgängerin wurde gestern Morgen
gegen 10.30 Uhr auf einem Fussgängerstreifen in Geuensee angefahren. Sie wollte gemäss einer Mitteilung der Luzerner Polizei den markierten Fussgängerstreifen auf der
Höhe der Liegenschaft Pilatusblick
überqueren, als sie von einem Personenwagen frontal erfasst und auf
den Boden geschleudert wurde.
Unfallhergang noch unklar
Die Seniorin wurde mit schweren
Beckenverletzungen ins Spital gebracht. Am Auto entstand ein Sachschaden von 2000 Franken, wie die
Polizei mitteilt.
Beim Autofahrer handelt es sich
um einen 68-jährigen Mann. Er war
auf der Kantonsstrasse von Geuensee
in Richtung Sursee unterwegs. Wie
es zum Unfall kommen konnte, ist
derzeit unklar. Der Unfallhergang sei
Gegenstand der laufenden Ermittlungen, schreibt die Luzerner Polizei in
der Mitteilung.
Kollisionen wegen
«Asphalt-Block»
NIDWALDEN red. Auf der Seestrasse von Hergiswil in Richtung Stansstad kam es am Freitagabend gegen
17 Uhr zu mehreren Unfällen, wie
die Kantonspolizei Nidwalden gestern
mitteilte. Grund dafür war ein «Asphalt-Block», der sich auf der Strasse
befand. Wie dieser auf die Fahrbahn
geriet und warum er so lange liegen
blieb, werde nun von der Polizei abgeklärt, heisst es in der Mitteilung.
Polizei sucht nach Zeugen
Ein Auto wurde bei der Kollision
mit dem Brocken derart stark beschädigt, dass es nicht mehr weiterfahren konnte. Es musste mit dem
Abschleppdienst abtransportiert werden, schreibt die Polizei weiter.
Personen, die sachdienliche Hinweise machen können und etwa gesehen haben, wie der «Asphalt Block»
auf die Fahrbahn geraten konnte,
sollen sich bei der Kantonspolizei
Nidwalden (Telefon 041 618 44 66)
melden.
Auch die Militärärzte kamen dann
rasch zum Schluss, dass Josef keinen
Dienst am Vaterland leisten konnte.
Müller fand trotz seiner Schwächen
einigermassen Tritt im Berufsleben.
Dies, weil er stets auf das Verständnis
von sehr rücksichtsvollen Arbeitgebern
zählen konnte. Ohne dieses Entgegenkommen hätte Josef Müller im Berufsleben kaum Chancen gehabt. Aufgrund
eines Konkurses sowie im anderen Fall
einer Firmenübernahme verlor Müller
seine Stellen. Seither lebt er nun seit
Jahren von seinem Zwillingsbruder, bei
dem er wohnt, und den knapp 500
Franken Sozialhilfe, die ihm eine Gemeinde im Raum Hallwilersee monatlich bezahlt.
Diese Lebenssituation soll nun nach
Ansicht von Anwalt Rémy Wyssmann
verändert werden. Und zwar indem
seinem Mandanten eine IV-Rente von
40 Prozent gewährt wird. Einerseits
hätte Müller dann die Möglichkeit, zusätzlich Ergänzungsleistungen zu beantragen. Andererseits könnte er in
einem Betrieb arbeiten, der geschützte
Arbeitsplätze anbietet. Denn nur IV-Be-
rechtigte haben die Chance, in einer nen könne man zum Vorneherein davon
ausgehen, dass die Versicherten auf der
solchen Firma zu arbeiten.
Am 30. November sprach Wyssmann Verliererstrasse landen, so Wyssmann.
Der Luzerner Urs Schaffhauser, Facham Aargauer Versicherungsgericht vor.
In seinem Plädoyer kritisierte er das anwalt für Haftpflicht- und Versichemedizinische Gutachten, welches zum rungsrecht, macht ähnliche ErfahrunSchluss kam, Josef Müller sei zwar nicht gen. Er sagt: «Das Ganze rund um die
Begutachtungen
voll arbeitsfähig, aber
muss neu aufgegleist
doch zu 80 Prozent.
werden. Ich fordere
Das heisst, für Müller
«Ich fordere eine
gibt es keinen Rappen
eine neutrale Stelle,
von der IV. Wyssdie sowohl von Verneutrale Stelle,
mann kritisiert unter
tretern der Versichedie auch von
anderem, dass das
rungen als auch von
Repräsentanten
Repräsentanten der
medizinische Gutder Versicherten
achten zum Schluss
Versicherten besetzt
kam, sein Mandant
ist.» Das sieht Wyssbesetzt ist.»
Müller sei auf einen
mann ähnlich. Er
U R S S C H A F F H AU S E R ,
fordert, dass in der
«verständnisvollen
LU Z E R N E R A N WA LT
Arbeitsgruppe QualiArbeitgeber angewiesen». Das heisst einen
tät des Bundesamtes
Chef, der über die
für SozialversicheSchwächen seines Arbeitnehmers hin- rung, selbstständig tätige Anwälte Einwegsieht und ihm die Möglichkeit bietet, sitz nehmen.
ohne Druck zu arbeiten und keinerlei
Ablenkung ausgesetzt zu sein. Tönt fast Gegen pauschale Abrechnungen
Rémy Wyssmann verlangt auch, dass
schon utopisch. Wyssmann fragte den
Richter dann auch rhetorisch: «Hand die Pauschalvergütungen abgeschafft
aufs Herz: Welcher Arbeitgeber würde werden. «Ich sehe nicht ein, weshalb
man nicht nach dem wirklichen Aufeinen solchen Mitarbeiter anstellen?»
wand, das heisst, nach Anzahl der aufVorhersehbare Entscheide
gewendeten Stunden abrechnen kann.
Wyssmann setzt zur generellen Kritik Mit dem System, das heute angewendet
an den ärztlichen Gutachtern an. Seiner wird, ist die Verlockung zu gross, dass
Meinung nach seien die Expertisen oft ein Begutachter seinen Aufwand miniqualitativ ungenügend, was auch etwa miert. Die Pauschale darf er ja trotzdem
dem Sozialversicherungsgericht des Kan- einstreichen.»
tons St. Gallen aufgefallen ist (Urteil vom
24. März 2009). Bei gewissen Institutio- *Name von der Redaktion geändert
Bundesamt wehrt
sich gegen Vorwurf
REPLIK eer. Gemäss Harald Sohns,
stellvertretender Leiter Kommunikation beim Bundesamt für Sozialversicherung, werde der Grossteil
der medizinischen Gutachten von
den Gerichten nicht bemängelt.
Sohns sagt: «Das ist ein klarer Hinweis dafür, dass die Qualität der
Gutachten in Ordnung ist.»
Wille des Bundesgerichts
Sohns stellt auch in Abrede, dass
die Gutachter lediglich pauschal
abrechnen. Es gebe verschiedene
Tarifansätze, abgestuft je nach Komplexität der Fälle. Das entspreche
den Vorgaben des Bundesgerichtes.
Ein System, wie von Anwalt Wyssmann (siehe Haupttext) gefordert,
wonach bei jedem einzelnen Fall
der exakte Aufwand detailliert abgerechnet wird, gibt es aber nach
wie vor nicht.
Was die Rechtsvertreter in der
Arbeitsgruppe Qualität anbelangt,
weist Sohns darauf hin, dass im
Gremium ein Anwalt und eine Anwältin der Institution Procap – finanziell namhaft unterstützt vom
Staat – vertreten sind. Gemäss Wyssmann sind das aber keine, wie von
ihm verlangt, selbstständig tätige
Anwälte.
Fedrige «Postboten» zeigen ihre schönste Seite
SURSEE 40 Aussteller
präsentieren in der Stadthalle
ihre besten Brieftauben. Auch
in heutiger Zeit figurieren die
Tiere als Briefträger – vielfach
für dubiose Zwecke.
Es flattert in der Surseer Stadthalle:
Bis heute Sonntag sind die sportlichsten
und schönsten Schweizer Brieftauben
an der 59. Nationalen Brieftaubenausstellung zu bestaunen. Ihr Leistungsausweis hingegen reicht Jahrtausende weit
zurück: Schon in der Antike wurden
Brieftauben als Postboten eingesetzt. Als
erste Form von «Luftpost» wurde per
«Taubenpost» – wie diese Art Transport
später benannt wurde – manche militärische Botschaft und politische Nachricht über Hunderte von Kilometern an
ihren Bestimmungsort überbracht.
Bis zu 600 Kilometer am Stück
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde
der Botendienst der Tauben zunehmend
durch moderne Kommunikationsmittel
verdrängt. In der Schweizer Armee zum
Beispiel haben die gefiederten Briefträger seit Beginn der 1990er-Jahre ausgedient.
Bei der Armee hat sodann auch die
Thurgauerin Rita Schmidlin die schnellen und überaus intelligenten Tiere
kennen gelernt. Seit 20 Jahren ist sie
passionierte Taubenzüchterin und betreibt Brieftaubensport. «Es hat mich
gepackt», sagt sie. Bis zu 600 Kilometer
weit fliegen die Tauben bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern. Die Spitzenwerte liegen mit
bis 150 Stundenkilometern deutlich
höher, sagt Schmidlin.
Zwölf Wettflüge pro Jahr
Gestern Samstagmorgen war Rita
Schmidlin mit Hugo Bühler, dem OKPräsidenten der 59. Nationalen Brieftaubenausstellung in der Stadthalle Sursee anzutreffen. 40 Aussteller aus der
ganzen Schweiz haben ihre Tiere mitgebracht – es sind die Leistungsstärksten
und die Schönsten im Lande.
Hugo Bühler nimmt eines der gurrenden, trippelnden Tiere aus dem Käfig.
Am Fuss trägt die Taube einen Ring.
Das ist quasi ihr Personalausweis, der
kurz nach dem Schlüpfen verpasst und
ein Leben lang mitgetragen wird. Bühler streicht der Taube liebevoll über das
Gefieder: «Die Flügel sind wichtig», sagt
Vorne lang und nach hinten fein abgestuft: So müssen laut Experten die Federn sein.
Noch heute können an der Brieftaubenausstellung in Sursee die Tiere bestaunt werden.
Bild Corinne Glanzmann
er. Vorne müssen die Federn schön lang
sein, dann nach hinten fein abgestuft.
«Wie Seide muss sich das Gefieder anfühlen. So ist es optimal wasserabstossend», sagt Bühler.
Bei der Ausstellung werden die Tiere
von Experten bewertet. 100 Punkte im
Maximum werden vergeben. Doch das
hat noch nie eine Taube geschafft. «94
erreichte Punkte sind ein absoluter Spitzenwert», sagt Bühler. Der Fachmann
erklärt, dass die Tauben aktuell «Winterpause» machen. Im Frühling gehe es
dann wieder los mit den Wettflügen.
Deren zwölf gibt es in der Schweiz pro
Jahr. Doch bedeutet das nicht auch viel
Stress für die Tiere, wie etwa Tierschützer immer wieder monieren? «Nein»,
sagt Rita Schmidlin. «Die Tiere sind
jeweils hoch motiviert.» Der Stress finde
vielmehr in der Natur statt, wenn natürliche Feinde wie Sperber oder Habicht
ihre Opfer jagen.
Tauben transportieren Drogen
Doch braucht es den Einsatz von
Brieftauben im digitalen Zeitalter überhaupt noch – abseits des Sports? Nun,
in abgelegenen Gebieten würden etwa
medizinische Proben in Ausnahmefällen
noch per Taubenpost transportiert, sagt
Rita Schmidlin. Und immer wieder sei
etwa zu vernehmen, dass die schnellen
Tiere auch für kriminelle Zwecke missbraucht werden. So etwa für den Transport von Wertgegenständen wie Diamanten oder Rauschgift. «Aber Genaues weiss man darüber nicht.»
Nun, in Sursee ist nichts dergleichen
der Fall. Hier freuen sich die Brieftaubenzüchter auf viele Besucher und auf
allenfalls jüngere, neue Fachbegeisterte.
«Auch wir haben wie viele andere Vereine eine Überalterung im Verein», sagt
Schmidlin. Viele Interessierte hätten
Respekt, sich Tauben zu halten wegen
der 365-Tage-Betreuung, welche die
Taubenzucht mit sich bringe.
Diesbezüglich sei man unter den
Züchtern aber erfinderisch geworden,
sagt Schmidlin. Mit sogenannten
«Schlaggemeinschaften», teilt man sich
die Arbeit – und entlastet sich so zunehmend gegenseitig.
HANNES BUCHER
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