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NOVEMBER 2015
www.blix.info
DAS MAGAZIN
FÜR OBERSCHWABEN
SIGMARINGEN
EHRENSACHE
FILMFESTSPIELE
im Porträt
Seite 22
ohne geht nix
Seite 9
Vorhang auf
Seite 44
is
Grat
EDITORIAL
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Der November ist der Medienmonat. Scheinbar.
Denn auch im letzten Jahr hat sich BLIX in seinem Novemberheft ausführlich mit der oberschwäbischen Medienlandschaft auseinander
gesetzt. „Wohin Schweizer Kind?“ lautete die
Frage auf unserem Titel. Etwas kryptisch, zugegeben und fast so geheimnisvoll wie unsere
aktuelle Frage „Wo ist die Leiche?“. Im letzten
Jahr gingen wir auf Spurensuche, wem eigentlich das Wochenblatt gehört und kamen zu dem
Schluss, dass die Spuren, die in die Schweiz führen, „Verleitfährten“ sind, die den Spürhund, um
im Bild zu bleiben, in die Irre führen.
Ein ähnliches Phänomen gibt es auch in unserem aktuellen Fall, bei dem wir eine „Leiche“
vermissen. Oder wissen Sie, was ein Proxyserver
ist? Also wenn ich es richtig verstanden habe:
Sie wollen nicht, dass Sie als Absender einer
Nachricht, die Sie von Ihrem Computer aus jemandem anonym zukommen lassen, erkannt
werden, dann kommt es darauf an, dass Sie
Ihre IP-Adresse verschleiern. Diese IP-Adresse
ist nämlich ein Code, den jeder Computer hat
und wie ein Fingerabdruck ganz spezifisch ist,
so dass über die IP-Adresse schließlich auch der
Besitzer des Computers namentlich zu ermitteln
ist. Und wenn Sie das verhindern wollen, dann
müssen Sie Ihre Nachricht über einen Proxyserver leiten, der irgendwo in der Welt stehen kann,
Hauptsache er ist nicht zu kontrollieren - von
wem auch immer. Das ist dann so ähnlich wie die
Geschäftsbeziehung in die Schweiz … Man kann
mutmaßen, aber weiß es nicht (siehe oben).
Und wenn die Leiche fehlt, einen Täter dingfest
zu machen, ist schon deshalb schwierig, weil
in einem Rechtsstaat die Unschuldsvermutung
gilt. Und wenn jemand als schuldig der Öffentlichkeit preisgegeben wird, dann müssen
die Beweise hieb- und stichfest sein. Anonyme
Nachrichten in einem digitalen Gästebuch zu
hinterlassen, ist definitiv nicht strafbar, sondern
nicht selten gewollt.
Ich werfe dem Chefredakteur vom Südfinder
„Hinrichtungsjournalismus“ vor, weil er professionelle Regeln völlig außer Acht lässt, nur
damit die Story stimmt, die Rache statt Aufklärung ist. Es gibt nämlich keine Gründe dafür, dass ein Journalist eine Privatperson mit
Bild, Name, Arbeitsstelle und die dazugehörige
IP-Adresse ohne deren Einwilligung öffentlich
macht. Selbst bei einem Schuldspruch. Aber
auch davon kann keine Rede sein.
Mit meinem Verdikt verletze ich freilich auch
eine Regel. Nämlich die, wonach man unter Kollegen so etwas nicht tut, nach dem Motto: „Eine
Krähe hackt der anderen kein Auge aus!“ Dem
verweigere ich mich, weil ich davon überzeugt
bin, dass ein demokratisches Gemeinwesen nicht
nur darauf angewiesen ist, dass Medien kritisch
berichten, sondern dass Journalisten nicht nur
andere, sondern auch sich selbst mit Kritik nicht
schonen. Nur so bleiben sie glaubwürdig.
viel SpaSS
mit BLIX
Dr. Roland Reck, Chefredakteur
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AKTUELL
R oland
R eck
Wo ist die Leiche, Halle?
BIBERACH/RAVENSBURG. Eine unglaubliche Räuberpistole lieferte der Südfinder am 14. Oktober ab. Dass ein Boulevardblatt es
mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, ist nichts Neues. Statt
Wahrheit gilt größtmögliche Wahrnehmung als Richtschnur. Aber
„Hinrichtungsjournalismus“ überschreitet die Grenze zur Niveaulosigkeit
mehrfach. Eine Tatortuntersuchung.
Auf einer ganzen Seite breitet der Chefredakteur des Südfinder „Hintergründe“ zu einer
Strafanzeige aus, die der Biberacher Rechtsanwalt Armin Schneider gegen Unbekannt bereits im Sommer gestellt hat, und präsentiert
einen „Schuldigen“ mit Namen, Arbeitsstelle
und IP-Adresse. Es stimmt, gegen den Biberacher Rechtsanwalt E. wurde ermittelt, das Ermittlungsverfahren ist kurz vor Abschluss, die
Staatsanwaltschaft wird nach Stand der Dinge
keine Anklage erheben, folglich wird es auch
keinen Schuldigen geben. Halle hat das auch
nicht behauptet, aber mit einem großen Aufmacherfoto, das einen Maskierten am Computer zeigt, so dargestellt. Nicht die Wahrheit
zählt, sondern die Wahrnehmung.
Der Stein des Anstoßes liegt Monate zurück.
Schneider sah sich beleidigt und verleumdet
von anonymen Gästebuchschreibern auf dem
Biberacher Internetportal weberberg.de. Auslöser war die wiederkehrende Berichterstattung Halles über den Millionenbetrug Artur
Maccaris, einem ehemaligen und inzwischen
verstorbenen Rechtsanwalt in Biberach. Der
Fall hat bundesweite Bedeutung und wird in
München verhandelt werden, und Halle hatte
offensichtlich Einblick in Ermittlungsunterlagen, aus denen er Details verwendete, um
den ehemaligen grünen Landtagsabgeordneten und Vorstand einer Raiffeisenbank Eugen
Schlachter unter Druck zu setzen, weil dieser
offensichtlich geschäftliche und persönliche
Beziehungen zu Maccari gepflegt hatte. Halles
Ziel war Schlachter („Der wandert ins Gefängnis“, teilte Halle dem Kollegen im Aufzug mit.),
Maccaris Machenschaften nutzte er dazu.
Aber woher kamen die Informationen, die Halle
umfänglich ausbreitete und eine kompetente
juristische Handschrift trugen?
Diese Frage war für einige, die sich dazu im
Gästebuch von weberberg äußerten, einfach
zu beantworten: Armin Schneider. Der Biberacher Rechtsanwalt war nicht nur laut Handelsregister bis 8. Januar 2013 Partner bei Maccari,
sondern hat inzwischen mit eigener Kanzlei
auch ein Mandat im Gläubigerstreit und wird
in Biberach von nicht wenigen als Vertrauter,
Einflüsterer und Quelle Halles gesehen. Und
damit waren die beiden Duz-Freunde gleichermaßen in der anonymen Kritik im Gästebuch
von weberberg, Häme, wilde Spekulationen
und Privates inklusive. Als Schneiders Privathaus, das er nach seinem Umzug von Riedlin6
gen nach Biberach zum Kauf anbot und als
Angebot auch im Internet zu finden war, nun
auch noch in besagtem Gästebuch auftauchte,
war für Schneiders Familie die Schmerzgrenze
erreicht und der Rechtsanwalt erstatte am 22.
Juni 2015 Anzeige wegen Verleumdung, Beleidigung und übler Nachrede – zwangsläufig
gegen Unbekannt, da die meisten Schreiber im
Gästebuch sich namentlich nicht zu erkennen
geben.
die digitale Spur, die zum „User“ und auch zum
Absender einer anonymen Nachricht führen
kann. Wer sie kennt und die rechtliche Befugnis dazu hat, der erfährt vom Provider den
Klarnamen hinter der IP-Adresse.
Der Schuldige ist gefunden, suggeriert Halle,
indem er E. namentlich und mit Foto präsentiert und wiederholt auf die Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft verweist. Die Belege für
die Schuld bleibt er allerdings schuldig. Mehr
als eine wachsweiche Unterlassungserklärung
von Rechtsanwalt E. gegenüber Rechtsanwalt
Schneider und dessen allgemeinen Feststellung, dass er (E.) „gelegentlich auf weberberg.
de Beiträge postet“, „im rechtlich zulässigen
Rahmen“, die selbstverständlich nicht den Tatbestand der Beleidigung und Rufschädigung
erfülle, kann Halle nicht präsentieren. Vollends
dünn sind seine aus dem besagten Gästebuch
Zuletzt saß Armin Schneider gemeinsam mit Robin Halle (rechts) am 15. Oktober auf einem
Podium in Riedlingen.
Der Sommer zog ins Land, dann kommt Robin
Halle und präsentiert „Verdächtige im Visier
der Staatsanwaltschaft“ (Südfinder, 14. Oktober 15, S.6). Er schießt aus allen Rohren, nennt
Details der Ermittlungen und schmückt diese
mit dem Foto des Oberstaatsanwalts KarlJosef Diehl, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft in Ravensburg. Eine wasserdichte Story,
eine investigative Glanzleistung. Halle vermeldet: „Offiziell ist die Sache topsecret, doch der
Südfinder erfuhr: (…) Am 9. September konnte
der leitende Ermittler den ersten ‚Treffer‘ ausmachen.“ Der Getroffene wird mit Foto und
vollem Namen vorgeführt, sein Unternehmen
genannt und seine ihm zugeordnete IP-Adresse mehrfach aufgeführt. Diese IP-Adresse ist
zitierten „Posts“, jene anonymen Meinungsäußerungen, die eigentlich die Schwere des Vergehens offenbaren müssten. Da steht dann zu
lesen: „… das einzig rätselhafte am südfinder
ist, woher er seine Insider-Informationen zum
Augustinum (Fall Maccari; Anm. d. BLIX-Red.)
bekommt und warum er über manche viel, über
andere nix schreibt!!!“
Darüber kann man nachdenken. Es gibt fürwahr dümmere Beiträge in besagtem OnlineGästebuch. Aber Halles bewusst gewählte
„Posts“ sind völlig unzureichend, um mit einer
reißerischen Aufmachung eine Privatperson
öffentlich an den Pranger zu stellen. Das ficht
den stolzen Chefredakteur nicht an, stattdessen motzt Halle seine Story mit einer ominösen
AKTUELL
Ankündigung auf. Es gäbe nämlich neben dem
dingfest gemachten E. noch zwei Unbekannte, verkündet die Schnüffelnase. Die Staatsanwaltschaft ermittle zwar noch, aber aller
digitalen Verschleierungsversuche zum Trotz:
Halle kennt bereits die bösen Jungs, deren
„Beiträge noch geschäftsschädigender“ seien.
In seinem Kommentar macht er die Leser heiß:
„Wenn die IP-Adressen den beiden Verdächtigen gerichtsfest zugeordnet werden können,
wird Oberschwaben den Kopf schütteln.“ Man
lese und staune: „Die Herren sind überregional
bekannt.“
Zeit, die Staatsanwaltschaft einzuschalten.
Was weiß sie, und was weiß Halle von der
Ermittlungsbehörde? Die Antworten werfen
neue Fragen auf. Aber die Staatsanwaltschaft
zieht klare Grenzen. Halle habe in dem Fall
zuletzt im August Kontakt mit der Behörde
aufgenommen. Und selbstverständlich habe
Halle keine Namen und auch keine IP-Adressen
genannt bekommen, beteuert Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl gegenüber BLIX. Diehl
teilt aber auch Erstaunliches mit: Halle habe
der Staatsanwaltschaft zwei Namen zur Überprüfung angetragen und der Anzeigeerstatter
Videokameras die Besuchermassen des Schützenfests in den Überwachungsblick nehmen
wollte. Er obsiegte klar.
Nun also die Frage an ihn, ob er Halle oder
Schneider IP-Adressen seiner Gästebuch-User
überlassen habe. Bezüglich Schneider ein
klares Nein, kein Kontakt, keine IP-Adressen;
bezüglich Halle ist der Kontakt der beiden Medienmacher offenkundig, man interviewt sich
gerne gegenseitig, so zuletzt am 14. Oktober
zu seinen Enthüllungen. Halle fragt Andresen nach dem Innenleben seines Gästebuchs:
„Sehr beliebt sind Verschwörungstheorien.“
Andresen verneint gegenüber Halle, dass er
von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
gegen Gästebuch-User wisse. „Aber es interessiert mich brennend.“ Auf die wiederholte Frage von BLIX, ob er Halle IP-Adressen gegeben
habe – schweigt der pensionierte Lehrer eisern.
Er dementiert folglich auch nicht.
Als nächstes schweigt auch Armin Schneider
bei der Frage, von wem er die IP-Adressen erhalten hat, die er der Polizei mit seiner Anzeige
zur Ermittlung überlassen hat. „Das ist Berufsgeheimnis“, aber von Robin Halle habe er sie
nicht. Aber dieser habe von ihm „als Privat-
sich der 38-Jährige dagegen, dass er mit dem
Chefredakteur eine intensive Bekanntschaft
oder gar Freundschaft pflege. „Der will doch
mit allen Kumpel sein.“ Ebenso wenig hätte Halle seine Insiderinformationen zum Fall
Maccari von ihm. Er vertrete einen Mandanten
in dem Fall und sei „doch nicht lebensmüde“.
So viel dazu.
Die Staatsanwaltschaft wird nach eigenem
Bekunden die Ermittlungen demnächst abschließen und den Fall zu den Akten legen.
Was bleibt ist ein veritabler Presseskandal, der
laut Prof. Burkhardt von der Kanzlei LöfflerWenzel-Sedelmeier PartG mbB in Stuttgart für
den Chefredakteur des Südfinder ein gerichtliches Nachspiel haben wird. Der ausgewiesene
Medienexperte vertritt in diesem Fall den „an
den Pranger gestellten“ Biberacher Rechtsanwalt E.
Und als Letzter schweigt auch Robin Halle, der
geschwätzige Boulevardjournalist antwortet
auf die dringende Bitte um ein Gespräch nur
knapp schriftlich: „Wenn ich als Schwäbisch
Media-Mitarbeiter in Deinem Blatt stehe, ist
das selten gut …“ Recht hat er!
(Siehe nächste Seite Interview.)
Der Chefredakteur des Südfinder Robin Halle hatte zur Diskussion über „Integration und Fremdenhass“ geladen.
Fotos: Jacqueline Kirsch
Am 14. Oktober erschien in mehreren Ausgaben des Südfinder diese Seite. Das Aufmacherfoto zeigt einen Täter. BLIX fragt den Enthüllungsjournalisten: Wo ist die Leiche, Halle?
habe bei seiner Anzeige gleich verdächtige
IP-Adressen mitgeliefert. Hoppla, wie kommt
Armin Schneider zu IP-Adressen, die von anonymen Absendern stammen und nicht bei
ihm, sondern im Computer von weberberg.de
zu finden sind?
Dierk Andresen ist Betreiber des Internetforums und Verfechter öffentlicher Kommunikation, die auch Anonymität zulässt. Diese
findet sich in seinem Gästebuch reichlich bis
zum Erbrechen inklusive heftigen persönlichen Anfeindungen ihm gegenüber, die er als
Überzeugungstäter hinnimmt. Bürgerliche
Selbstbestimmung und Datenschutz hat ihn
vor einigen Jahren als Einzelkämpfer auf die
Barrikaden gejagt, als die Stadtverwaltung per
leserbrief
person“ die Informationen zum Rechtsanwalt
E. erhalten. Sein Motiv: Der Beschuldigte habe
schließlich auch gegen den Chefredakteur und
sein Blatt gelästert: „Halle wurde auch angefeindet.“ Wenn es einen anderen Betroffenen
gegeben hätte, hätte er diesen auch informiert,
rechtfertigt sich Schneider ohne preiszugeben,
wie er den Namen seines Kollegen hinter der
IP-Adresse herausgefunden hat. Aber er beharrt darauf, dass der einfachste Weg über die
Ermittlungsakte, die sein Rechtsanwalt angefordert haben könnte, nicht zutreffe. Er habe
keine Informationen aus den Ermittlungsakten.
Und was der Boulevardjournalist schließlich
aus seinen Informationen gemacht habe, sei
dessen Entscheidung. Und entschieden wehrt
Liebe Frau Kirsch,
jetzt muss ich mal ganz ehrlich sagen, dass
ich Ihren Artikel „Der Not gehorchend“
(Ausgabe Oktober 2015) überragend finde. Wenn Sie auch nur einen, der über diese Menschen schimpft, ohne etwas über
ihre Schicksale zu wissen, zum Nachdenken
angeregt haben, hat sich diese Ausgabe
mehr gelohnt als alle anderen in diesem
Jahr. Ich danke Ihnen als jemand, der täglich
mit diesen Menschen zu tun hat zutiefst und wünsche mehr Menschen den Einblick, den Sie bekommen haben – wohlgemerkt in Ihrem Urlaub.
Ferdinand Schaab, Altheim
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R oland
reck
„Eindeutig unzulässig“
STUTTGART. Prof. Dr. Emanuel H. Burkhardt (Foto) ist ausgewiesener
Medienexperte. Der Rechtsanwalt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt
Presse- und Medienrecht, insbesondere Äußerungsrecht, ist auch
Lehrbeauftragter an der Hochschule der Medien in Stuttgart.
Herr Prof. Burkhardt, wann darf ein Beschuldigter mit Namen und Foto
medial öffentlich gemacht werden?
Es muss ein Interesse der Öffentlichkeit gerade auch im Hinblick auf die
Person des Täters, zum Beispiel besondere Prominenz, sowie die Tat vorliegen. Dies ist im Regelfall nur bei schweren Straftaten der Fall. Unterhalb
der Grenze der Schwerkriminalität bedarf die namentliche Nennung einer
besonderen Rechtfertigung dadurch, dass die Straftat die Öffentlichkeit im
besonderen Maße berührt und hierdurch ein Informationsinteresse gerade
in Bezug auf die Person des Beschuldigten vorhanden ist.
Wo fängt das öffentliche Interesse an und endet der Persönlichkeitsschutz?
Dies hängt von einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls ab, insbesondere von der Prominenz der Person und der Art der Tat und deren
Bedeutung für die Öffentlichkeit. Entschieden werden kann dies nur jeweils
im Einzelfall. Im vorliegenden Fall der Berichterstattung des Südfinder mag
dies hinsichtlich des Umstandes, dass ein Ermittlungsverfahren wegen
des Anfangsverdachts von äußerungsrechtlichen Straftaten zum Nachteil
eines Rechtsanwalts im Hinblick auf den Blog weberberg.de durchgeführt
wird, noch vorhanden sein. Eine namentliche Nennung eines Beschuldigten
ist meines Erachtens jedoch unzulässig. Da nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts für eine Darstellung in Bild grundsätzlich eine
besondere Rechtfertigung erforderlich ist, wird durch die Bebilderung
darüber hinaus das Recht am eigenen Bild des Beschuldigten erheblich verletzt. Es besteht insgesamt die Gefahr einer öffentlichen Vorverurteilung,
obwohl die Äußerungen nach meiner vorläufigen Einschätzung keinen
Straftatbestand erfüllen und das Verfahren daher wohl einzustellen ist.
Welchen Rechtsstatus haben IP-Adressen? Sind sie gleichzustellen mit der
persönlichen Adresse?
Eine abschließende rechtliche Klärung steht insofern noch aus. Der
Bundesgerichtshof hat im Jahre 2014 dem Europäischen Gerichtshof hierzu Fragen vorgelegt, insbesondere auch hinsichtlich der Differenzierung
zwischen dynamischen und statischen IP-Adressen. Eine abschließende
Entscheidung durch den EuGH hierzu steht noch aus. Die Europäische
Kommission ist bislang der Auffassung, dass IP-Adressen personenbezogene Daten sind und mithin dem Datenschutzrecht unterliegen. IP-Adressen
sind auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Daten,
welche dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung unterfallen und
zusätzlich durch Artikel 13 Abs. 1 GG geschützt sein können. Damit sind
jedenfalls statische IP-Adressen wie eine persönliche Adresse zu behandeln
und entsprechend geschützt. Mein Mandant beziehungsweise dessen
Kanzlei haben eine solche statische IP-Adresse.
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Darf mit IP-Adressen gehandelt
werden?
Nur
soweit
das
geltende
Datenschutzrecht dies ausdrücklich
vorsieht, z. B. in § 29 BDSG.
Dürfen IP-Adressen von zum
Beispiel einem Gästebuchbetreiber
an Dritte weitergegeben werden?
Soweit eine Einwilligung nicht
vorliegt, darf die IP-Adresse nur
aufgrund gesetzlich geregelter
Ansprüche weitergegeben werden. Eine sonstige Weitergabe
wäre unzulässig. Soweit gleichwohl
eine solche Weitergabe erfolgt,
sind straf- und zivilrechtliche
Konsequenzen zu prüfen.
Welchen presserechtlichen Status nehmen Anzeigenblätter wie der
Südfinder ein? Wie unterscheiden sie sich rechtlich von Tageszeitungen?
Aus verfassungsrechtlicher Sicht können Anzeigenblätter dieselben Ansprüche aus dem Grundrecht auf Pressefreiheit herleiten wie
Tageszeitungen. Insofern besteht kein Unterschied. Im Rahmen der
redaktionellen Berichterstattung unterliegen Anzeigenblätter denselben Sorgfaltspflichten wie Tageszeitungen. Insofern besteht keinerlei
Privilegierung oder ähnliches. Vielmehr dürfen auch Anzeigenblätter nicht
rechtsverletzend berichten.
Erfüllen die Ihrem Mandanten zugeordneten Gästebucheinträge den
Straftatbestand der Beleidigung, Verleumdung und/oder Rufschädigung?
Nach vorläufiger Einschätzung der mir vorliegenden Einträge, vergleich die
Südfinder-Publikation, ist dies nicht der Fall. Auch kann ich nicht erkennen,
dass zivilrechtliche Ansprüche bestünden.
Ist die Berichterstattung von Herrn Halle im Südfinder, 14. Oktober 2014,
Seite 6, rechtlich zulässig?
Ich bin der Überzeugung, dass die Berichterstattung unter Namensnennung
mit Publikation eines Fotos des Beschuldigten eindeutig unzulässig ist. Darüber hinaus wird durch die Nennung der IP-Adresse
und des Anschlussinhabers das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der
Anwaltsgesellschaft verletzt.
Vielen Dank!