SCHWERLASTFAHRERIN PORTRÄT Am Skandinavienkai belädt Kerstin Tödter ihren Tieflader alleine und sehr routiniert mit einer finnischen Erntemaschine FACHFRAU FÜRS SCHWERE Kerstin Tödter arbeitete einst als Hauswirtschafterin. Heute fährt die 1,55 Meter große Freundin starker Motoren mit dem Tieflader Forstmaschinen durchs Land. D „Kühe und Schweine haben mich dann doch nicht so interessiert. Ich brauche einfach Motoren. “ ©© Martin Egbert Kerstin Tödter, Schwerlastfahrerin 58 Trucker 12/2015 ienstagmorgen, kurz nach sechs Uhr auf dem Hof von Wahlers Forsttechnik im niedersächsischen Stemmen. Es ist noch nicht viel los um diese Zeit. Plötzlich wird die morgendliche Stille von lauten Motorengeräuschen unterbrochen. Es ist eine Forstmaschine vom Typ Ponsse ScorpionKing, die mit ihren 286 PS den unerwarteten Lärm verursacht. Der sogenannte Harvester, eine achträdrige Holzerntemaschine, wird vom firmeneigenen Tieflader gefahren, um Platz für eine neue Fuhre zu schaffen. Am Steuer: Kerstin Tödter, langjährige Wahlers-Angestellte mit besonderer Vorliebe für starke Motoren. Oben in der Kabine blickt die 48-Jährige konzentriert nach rechts und links aus dem Fenster, während sie das gut 21 Tonnen schwere Gefährt routiniert rückwärts über die beiden Hinterachsen des Tiefladers und schließlich auf den Hof steuert. Es ist Zentimeter-Arbeit, und doch sind die richtungsweisen- den Handbewegungen von Werkstattmeister Detlef Lustig überflüssig. „Da bewundere ich sie schon, wie sie das schafft, die Dinger gerade rauf- und runterzufahren“, sagt Lustig anerkennend. „Ich brauche meistens zwei oder drei Versuche, und im Hafen ist niemand, der ihr hilft – da muss sie das ganz allein machen.“ Die 48-Jährige auf dem Weg nach Lübeck-Travemünde Seit Juli 1992 steht Kerstin Tödter schon auf der Wahlers-Gehaltsliste. Sowohl der Start als auch die weitere Entwicklung ihrer Arbeitsstelle war durchaus kurios: Ihren Job bekam sie vor 23 Jahren nach einem auf Plattdeutsch geführten Vorstellungsgespräch im Haus des damaligen Seniorchefs Hans Wahlers per Handschlag. Allerdings nicht als Fahrerin, sondern in ihrem Beruf, als im landwirtschaftlichen Bereich ausgebildete Hauswirtschafterin. In kürzester Zeit entwickelte sich Kerstin zum sprichwörtlichen „Mädchen für alles“: Sie arbeitete im Garten, auf dem Hof und im Wald, fuhr Ersatzteile zu Kunden und bekam vom Trecker bis zum Chefwagen die unterschiedlichsten Fahrzeuge zur Verfügung gestellt. Hans Wahlers realisierte schnell, dass seine neue Mitarbeiterin am liebsten im Außenbereich unterwegs war – und fragte sie kurzerhand, ob sie nicht den LkwFührerschein machen wolle. Kerstin Tödter ▶ 12/2015 Trucker 59 BERUF PORTRÄT SCHWERLASTFAHRERIN 2 1 4 3 5 6 1 Fachmännisch überprüft Kerstin das Ladegut | 2 Die 1,55 Meter große Frau ist Profi im Be- und Entladen riesiger Forstmaschinen | 3 Für die Lasi braucht es Kraft | 4 Kerstin ist bei den Kunden anerkannt, der Papierkram Routine | 5 Die Selbstverpflegung spart Zeit und Geld | 6 Infos durch die Fahrerinnen-WhatsApp-Gruppe wollte. „Ich habe schon in meiner Ausbildung gemerkt, dass mich Kühe und Schweine nicht so sehr interessierten“, erzählt die 48-Jährige rückblickend. „Ich brauche einfach etwas mit Motor.“ Und so machte sie auf eigene Kosten den Führerschein Klasse 2 und wurde zur Hauptfahrerin des Forsttechnik-Fachunternehmens. Der Holzernter ist mittlerweile sicher abgestellt, der Lkw vollgetankt. In ihrem Fahrerhaus bereitet sich Tödter auf die heutige Tour vor. Das Ziel: der Hafen von Lübeck-Travemünde, wo zwei weitere aus Finnland importierte Forstmaschinen auf ihre Abholung warten. Die gebürtige Rotenburgerin überprüft noch einmal ihre Papiere und Unterlagen und kontrolliert, ob alles an seinem Platz ist. So gut es geht, hat sie es sich behaglich gemacht in ihrem „zweiten Zuhause“: In der Mitte der Frontscheibe baumeln zwei Würfel ihres Motorradclubs, eine kleine gelbe Quietsche-Ente und ein aus Finnland mit- gebrachter Elch. An der Sonnenblende hängt ein silbernes Herz mit dem Foto ihres Patenkindes. „Das hier ist also mein Arbeitsplatz“, sagt sie schmunzelnd. „Ich sitze vor meinem Bett, gucke aus dem Fenster und bekomme Geld dafür.“ Dann überlegt sie kurz. „Andererseits“, fügt sie schließlich hinzu, „kann man Millionen in den Sand setzen, wenn man einmal nicht aufpasst. IN ABSPRACHE MIT DEM MEISTER TEILT SIE SICH DIE FAHRTEN SELBST EIN Es geht los. Ein Navi braucht sie nicht: Diese Strecke fährt Kerstin Tödter so oft, dass sie sie vermutlich im Schlaf finden würde. Rund 140 Kilometer einfache Fahrt, vorbei an Hamburg, fünf Stunden hin und zurück, wenn es gut läuft. Wann immer die sonntägliche Fähre aus Helsinki eine Lieferung für einen Wahlers-Kunden an Bord hat, macht sie sich tags darauf auf den Weg, um sie zu holen. Diesmal waren es sogar drei Maschinen, und da sie am Montag nur eine davon geschafft hat, stehen die übrigen zwei Es gehört Kraft und Geschick zu dieser Arbeit. „Aber auch Respekt“, sagt sie. 60 Trucker 12/2015 für heute auf dem Plan. „Ich habe einen guten Job“, meint die Frau mit den dunkelblonden Haaren, die als äußeres Zeichen ihrer PS-Leidenschaft Ohrringe in Form von Motorrädern trägt. „Das Speditionsgewerbe ist knallhart, aber ich habe den Vorteil, dass ich meine Fahrten in Absprache mit dem Meister selbst einteilen kann. Und ich bin fast jeden Abend zuhause.“ Wenn sie nicht gerade nach Travemünde fährt, liefert sie die Holzernter und Rückezüge – im Fachjargon Forwarder genannt, aus oder bringt reparaturbedürftige Maschinen in die Werkstatt nach Stemmen. Von Zeit zu Zeit stehen auch Ersatzteilfahrten an. Besonders schätze sie an ihrer Arbeit die Vielseitigkeit, sagt sie. Landstraße, Autobahn, Stadt und immer wieder Wald: „Ich habe viele verschiedene Einsatz gebiete, das macht es abwechslungsreich.“ Kerstin Tödter ist als Tiefladerfahrerin eine Exotin unter den Exotinnen. „Die geringe Frauenquote bei Kraftfahrern wird branchenintern unter anderem mit der teils schweren körper lichen Arbeit (zum Beispiel bei Be- und Ent ladevorgängen) und der vermeintlichen Unsi- cherheit auf Rastplätzen begründet“, heißt es in einer BAG-Untersuchung. Einen Tieflader fahren, mit Forstmaschinen darauf? „Da kenne ich in Deutschland keine andere Frau“, sagt Tödter. Das Gespann, das sie da fährt, ist in der Tat Respekt einflößend: 20 Meter lang, ohne Ladung 19 Tonnen schwer und auf bis zu 23 Tonnen Nutzlast ausgelegt. „Respekt gehört dazu“, sagt sie, „aber man muss auch die Entfernung zu Hindernissen einschätzen können. Das fällt vielen Frauen schwer: Die fahren mit dem Auto nicht mehr da durch, wo ich mit dem Tieflader durchfahre.“ Ihr Motto: einfach machen. „Der Tieflader kommt schon hinterher“, meint sie und grinst. In all den Jahren ist es nur ein einziges Mal passiert, dass sie hinten angeeckt ist – bei tausenden von Fahrten eine ziemlich gute Quote. In seltenen Fällen kann aber auch sie nervös werden. Vor allem in Situationen, die sie selbst nicht kontrollieren kann. Glätte zählt da zu, aber auch mancher extrem langsame oder auch von rechts heranschießende Autofahrer. Da ist es gut, wenn man sich mit Gleichgesinnten austauschen kann. Kerstin Tödter hat dafür eine WhatsApp-Gruppe, in der sich rund 15 Truckerinnen zusammengefunden haben. Ihre „Mädelsgruppe“, wie sie sie nennt. Da geht es um Staus, Baustellen und andere berufliche Themen, aber auch um Privates. „Was immer uns beschäftigt, teilen wir der Gruppe mit“, erzählt sie. „Das ist mir sehr wichtig.“ Mit männlichen Kollegen hat sie seltener Kontakt. Aber sie werde von ihnen respektiert: „Blöde Sprüche habe ich noch nie zu hören bekommen.“ Wenig später erreicht sie den Skandinavienkai. Im Einfahrtsbereich an den Kontrollhäuschen ist es sehr eng. Ein Kollege aus den Niederlanden wendet lieber – Kerstin fährt durch. Die beiden Forstmaschinen, ein Rückezug und ein Holzernter, wurden vom Hafenpersonal direkt vor der Auffahrt zur Finnlines-Fähre „Nordlink“ geparkt. Kerstin überprüft die Lieferung auf mögliche Transportschäden. Beim Rückezug ist alles okay, die rostigen Greifspuren an den Reifen sind normal und stammen von der Verladung. Nicht normal ist, was am Harvester zu sehen ist: Beim Abstellen der Maschine hat offenbar jemand einen falschen Knopf gedrückt, die Greifer haben ein Loch in den Boden geschlagen und sich im Beton verkeilt. Bei näherer Betrachtung wird glücklicherweise deutlich, dass das Gerät unbeschadet davon blieb. EIN JOB MIT AUSSICHT: KLETTERTOUREN SIND AB UND ZU NICHT VERMEIDBAR Normalerweise benötigt sie keine 45 Minuten, um eine Forstmaschine zu laden, heute dauert das Ganze fast zwei Stunden. Zuerst muss der Forwarder auf den Tieflader gefahren und in einem echten Kraftakt mit mehreren Zehn-Tonnen-Ketten befestigt werden. Anschließend ist für den nächsten Transport des Tages schon einmal der Harvester zu sichern. Es braucht eine ganze Weile und viel Geschick, bis das Aggregat unter dem Kran eingeklemmt und damit für die Fahrt geschützt ist. Zum Anbringen der Sicherungsgurte muss Tödter mehrere waghalsige Klettertouren auf der Maschine veranstalten. „Bei gutem Wetter ist das ja alles okay“, ruft sie von oben, „aber wehe, es ist nass und rutschig.“ Zeit für eine kurze Mittagspause mit Bratwurst und Kartoffelsalat aus dem kleinen LkwKühlfach, bevor es später als geplant zurück nach Stemmen geht. Kurz hinter Hamburg klingelt das Handy. Ein Kunde aus dem Landkreis Rotenburg hat Schwierigkeiten mit einem älteren Holzernter und möchte, dass die Maschine noch heute zur Reparatur aus dem Wald abgeholt wird. Mit der zweiten Tour nach Travemünde wird es jetzt mit Blick auf die Lenkzeit knapp: Eventuell muss Kerstin Tödter heute unterwegs übernachten. „Kein Problem“, sagt sie, „ich habe ja alles. Fernseher, Bett, Telefon, Kühlschrank – was brauche ich mehr?“ Anne-Katrin Wehrmann MIT DEM TRUCKER IN BESTER GESELLSCHAFT. In der Rubrik „Beruf“ bestens informiert über Recht, Ausund Weiterbildung und Servicethemen. Bewährt und geschätzt als Magazin. Oder komfortabel als E-Paper auf www.trucker.de und als App für Tablet und Smartphone. IM BESTEN ABO: TRUCKER.DE/ABO
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