Das Akkordeon wird zum Tänzer

Das Akkordeon wird zum Tänzer
Goran Kovacevic bei der Probe zum Tanzstück «Peer Gynt». (Bild: Martin Preisser)
Morgen hat am Theater St. Gallen das Tanzstück «Peer Gynt»,
inszeniert von Beate Vollack, Premiere. Eine tragende Rolle
spielt dabei Goran Kovacevic, der mit seiner Musik die
Atmosphäre und Psychologie des Stücks entscheidend färbt.
MARTIN PREISSER
Ob er die Augen beim Spiel offen oder geschlossen hat, Goran
Kovacevic ist ganz in die Welt versunken, die er musikalisch
gestaltet. Da begleitet er auf der Bühne nicht einfach die
Tanzszenen, sondern seine völlige Hingabe an das Stück und dessen
Atmosphäre wird spürbar. Über eine Stunde trägt der Akkordeonist
das neue Tanzstück «Peer Gynt», inszeniert von Beate Vollack, mit.
«Ich muss mich selbst ganz in die Szenen hineinfühlen, ich muss
Teil der Geschichte werden. Ich muss Musik machen, als ginge es
um mich selbst», sagt Goran Kovacevic.
Sprachrohr der Seele
Der 1971 in Schaffhausen geborene Künstler und sein Akkordeon werden in
vielen Partien von «Peer Gynt» eins. Der Musiker mit serbischen Wurzeln
umarmt sein Instrument, wiegt es hin und her oder wird vom Akkordeon
selbst hin und her gewogen. «Ja, es ist wirklich das Sprachrohr meiner Seele,
wir atmen beide gleichzeitig», erzählt Goran Kovacevic von der innigen
Liebesbeziehung zu seinem Instrument. «Ich kann auf dem Akkordeon meine
Wut herausschreien, aber auch weinen und seufzen.»
Eine riesige Arbeit liegt hinter ihm. Er hat die Orchestermusik zu «Peer
Gynt» von Edvard Grieg für Akkordeon umgeschrieben und sich dabei
intensiv in Klangfarben und Stimmungen des Originals hineinhören müssen,
um dann den entsprechenden Klang auf seinem Instrument zu finden. Ein
Kraftakt ist auch die musikalische Leistung auf der grossen Bühne des
Theaters selbst. Sechzehn Kilo schwer ist das Akkordeon. Rund achtzig
Einsätze, punktgenau mit den Tänzerinnen und Tänzern koordiniert, muss
der Musiker beherrschen. Dazu kommt, dass Kovacevic den gesamten Abend
ohne Noten gestaltet. Das ist Zirkusartistik ohne Netz. «Ich habe mich fürs
Auswendigspielen entschieden. Ohne Notenständer, der eine Barriere bilden
würde, bin ich noch näher am Geschehen dran und noch direkter im Dialog
mit der Tanzkompagnie.»
Ein zerrissener Charakter
«Peer Gynt erlebe ich als eine verspielte, lebensfrohe Figur, oft kindlich, aber
auch als verzweifelt Suchenden. Ich versuche seinen Charakter, der irgendwie
auch ein zerrissener ist, mit allen Möglichkeiten meines Instruments
auszudrücken und einzufangen. Ich möchte Peers Seele, seine Sehnsucht,
seine Freude, seine Leidenschaft mit einer breiten Klangpalette darstellen.»
Kovacevic tut das nicht nur mit der Musik Edvard Griegs, sondern spielt
zusätzlich Musik, die das Geschehen atmosphärisch stark unterstreicht, etwa
von Sofia Gubaidulina oder György Ligeti. Zusätzlich steuert der AkkordeonVirtuose, der seit 1999 am Landeskonservatorium Feldkirch auch eine
Ausbildungsklasse leitet, eigene Kompositionen bei, etwa einen Tango oder
eine Nordwind-Phantasie. Und der Musiker wird nicht nur zum kongenialen
Begleiter der Tanzszenen, sondern selbst zur Person im Stück, zu Peer Gynts
Schatten, zu dessen musikalischem Alter Ego. Und auch das Akkordeon wird
zum Tänzer.
Im Liegen spielen
Die Choreographie der St. Galler Tanzchefin Beate Vollack bindet Goran
Kovacevic stark ins tänzerische Geschehen ein. Soweit, dass in einer
eindrucksvollen Szene der Akkordeonist Peer dem Tänzer Peer (Exequiel
Barreras) begegnet. Goran Kovacevic muss dabei im Liegen spielen. Und
Exequiel Barreras spielt eine kurze, zarte Melodie auf dem Akkordeon. Beate
Vollack ist auf Goran Kovacevic gestossen durch Kinsun Chan, der bei «Peer
Gynt» für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet. Chan, selbst
ausgebildeter Tänzer, kennt den Akkordeonisten von einer Inszenierung beim
Kreuzlinger See-Burgtheater, wo Kovacevic 2010 die Musik zu Jeremias
Gotthelfs «Die Schwarze Spinne» lieferte.
Goran Kovacevic scheint für die «Peer Gynt»-Inszenierung am Theater St.
Gallen eine Idealbesetzung. Choreographin Beate Vollack verlangt dem
Musiker viel Bühnenpräsenz und improvisatorisches Können ab. Und sie
kann das, weil der Akkordeonist über eine riesige Palette von musikalischen
Stilen verfügt und über natürliche Virtuosität, Kraft und Konzentration.
Schatzkiste voll Erfahrungen
Seit zwanzig Jahren ist Goran Kovacevic in vielen Musikrichtungen
unterwegs. Offenheit und Neugier liessen ihn in vielen musikalischen Welten
heimisch werden. 46 CDs zeugen von dieser Breite. Kovacevic spielt genauso
perfekt Barock oder Zeitgenössisches, wie er sich souverän im Tango, in der
Balkan-Folklore oder im Jazz bewegt.
«In all den Jahren hat sich eine Schatzkiste mit Erfahrungen angesammelt,
ein Rucksack, aus dem sich jetzt eine Choreographin wie Beate Vollack
einfach bedienen kann», sagt der Musiker. Ausgefeiltes Handwerk,
Leidenschaft des Ausdrucks, unabhängig vom jeweiligen Stil der Musik: Mit
fünf Jahren hielt Goran Kovacevic sein erstes Akkordeon in den Händen.
Jetzt, bei «Peer Gynt», tönt sein Instrument wie ein geheimnisvolles
Orchester, flexibel, farbig – und eben tanzend.
Premiere: Sa, 20.2., 19.30 Uhr, Theater St. Gallen