Normen und Stand der Technik in der Verwaltungspraxis (aus dem Blickwinkel des Oö. Baurechts) Fachtagung „Normen und Stand der Technik in der Öffentlichen Verwaltung“ 12. November 2015, Landhaus Dr. Herbert Strasser Magistrat Linz, Magistratsdirektion [email protected] Übersicht „Stand der Technik“ Bedeutung von Technischen Normen (Richtlinien) im Verwaltungsrecht Entwicklung der technischen Bestimmungen am Beispiel des Oö. Baurechts OIB-Richtlinen und deren rechtliche Umsetzung Anpassung bestehender Gebäude an den Stand der Technik Stand der Technik § 2 Z 25 Oö. BauTG 2013: „Auf den einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhender Entwicklungsstand fortschrittlicher bautechnischer Verfahren, Einrichtungen und Bauweisen, deren Funktionstüchtigkeit erprobt oder sonst erwiesen ist“ Ähnliche Definitionen in anderen Materiengesetzen (zB § 71a Abs 1 GewO 1994, § 2 Abs 8 AWG 2002) und in der Judikatur (zB VwGH 19.12.2013, 2011/03/0160) Normen und Richtlinien sind gesichertes Fachwissen dokumentieren den jeweils aktuellen Stand der Technik bilden die Basis für geordnete Abläufe in allen Bereichen von Wirtschaft und Verwaltung dienen der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit behördlicher Entscheidungen sollen zur Harmonisierung von Vorschriften im föderalen Staatsaufbau beitragen sind KEINE RECHTSQUELLEN (Gesetze, Verordnungen) Beispiele für Normen ÖNORM: eine von Austrian Standards Institute veröffentlichte nationale Norm OIB-Richtlinien: dienen der Harmonisierung der bautechnischen Vorschriften in Österreich; herausgegeben vom Österreichischen Institut für Bautechnik ÖAL-Richtlinien: beschäftigen sich mit Lärmschutz; herausgegeben vom Österreichische Arbeitsring für Lärmbekämpfung TRVB: Richtlinien betreffend Brandschutz; herausgegeben vom Österr. Bundesfeuerwehrverband Verbindlichkeit - Unverbindlichkeit Art. 18 Abs 1 B-VG: Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden. Technische Normen (Richtlinien) sind grundsätzlich rechtlich unverbindlich (Empfehlungen) Sind nur dann normativ, wenn sie durch Gesetz oder Verordnung für verbindlich erklärt werden (vgl. § 5 Normengesetz 1971). Können als einschlägiges Regelwerk und objektiviertes, generelles Gutachten von einem Sachverständigen als Grundlage in seinem Gutachten etwa für die Beurteilung des Standes der Technik herangezogen werden (VwGH 24.07.2014, 2013/07/0154) Beispiel: „bebaute Fläche“ § 2 Z 6 Oö. BauTG 2013 (Legaldefinition): Jener Grundstücksteil, welcher von den äußersten Begrenzungen des Grundrisses einer über das Gelände hinausragenden baulichen Anlage bedeckt wird. ÖNORM B 1800: Regelt detailliert die Ermittlung von Flächen und Rauminhalten von Bauwerken und zugehörigen Außenanlagen VwGH 24.02.2004, 2001/05/1155: Generell ist es nicht unzulässig, ÖNORMEN zur ergänzenden Auslegung des Gesetzes heranzuziehen. Es geht aber nicht an, an Stelle der gesetzlichen Definition des Begriffes "bebaute Fläche" in § 2 OÖ BauTG jene der ÖNORM B 1800 anzuwenden. Entwicklung technischer Bestimmungen im Oö. Baurecht – 01.01.1977 bis 31.12.1994 Oö. Bauordnung, LGBl. Nr. 35/1976: Gesetzliche Regelung lediglich durch Generalklausel (§ 23): „Bauliche Anlagen müssen … nach den Erfahrungen der technischen Wissenschaften so geplant und errichtet werden, dass sie … den Anforderungen der Sicherheit, der Festigkeit, des Brand-, Wärme- und Schallschutzes, … entsprechen …“ Umfassende Ermächtigung der Oö. Landesregierung, sämtliche technischen Anforderungen an Bauvorhaben durch Verordnung zu regeln (§ 24 Oö. BauO 1976) Oö. Bauverordnung 1985 VfGH 06.10.1988, G240/87, V146/87: Aufhebung von Teilen des § 24 Oö. BauO 1976 und der Oö. BauVO 1985 wegen formalgesetzlicher Delegation. Verfassungsrechtliche Sanierung durch Neuerlassung der Oö. BauVO als Landesgesetz (LGBl. Nr. 37/1989) Entwicklung technischer Bestimmungen im Oö. Baurecht – 01.01.1995 bis 30.06.2013 Oö. Bauordnung 1994 und Oö. Bautechnikgesetz (LGBl. Nr. 66 und 67/1994) Kodifizierung der grundlegenden technischen Bestimmungen für das Bauwesen in einem eigenen Gesetz (Oö. Bautechnikgesetz) Verordnungsermächtigung an LReg zur Detailregelung von technischen Bestimmungen inkl. Ermächtigung zur Verbindlicherklärung von Normen und Richtlinien (§ 64 BauTG) Oö. Bautechnikverordnung (LGBl. Nr. 106/1994) § 40 Oö. BauTG: „Soweit in einer nach diesem Landesgesetz zu beurteilenden Angelegenheit Übereinstimmung mit allgemein anerkannten nationalen oder internationalen Normen und Richtlinien gegeben ist, wird - auch wenn diese nicht für verbindlich erklärt sind - vermutet, dass in der betreffenden Angelegenheit dem jeweiligen Stand der Technik entsprochen ist. Der Gegenbeweis bleibt zulässig.“ Entwicklung technischer Bestimmungen im Oö. Baurecht – ab 01.07.2013 Oö. Bautechnikgesetz 2013 (LGBl. Nr. 35/2013): Regelungstechnik und Regelungsdichte grundsätzlich wie im Oö. BauTG Rechtsvermutung des § 40 Oö. BauTG nunmehr in § 52 Oö. BauTG 2013 Oö. Bautechnikverordnung 2013 (LGBl. Nr. 36/2013): Verbindlicherklärung von OIB-Richtlinien und den dort verwendeten Begriffsbestimmungen sowie den in den OIB-Richtlinien zitierten Normen und sonstigen technischen Regelwerke Sonderregelungen, die von den OIB-Richtlinien abweichen. Besondere bautechnische Vorschriften für Bereiche, die von den OIBRichtlinien nicht erfasst werden (zB Wohnungsgrößen, Kfz-Stellplätze) Verbindliche OIB-Richtlinien (lt. Oö. BauTV 2013, LGBl.Nr. 36/2013 idF LGBl.Nr. 61/2015) Richtlinie 1 „Mechanische Festigkeit und Standsicherheit“ (Oktober 2011) Richtlinie 2 „Brandschutz“ (Oktober 2011 idF der Revision vom Dezember 2011) Richtlinie 2.1 „Brandschutz bei Betriebsbauten“ (Oktober 2011) Richtlinie 2.2 „Brandschutz bei Garagen, überdachten Stellplätzen und Parkdecks“ (Oktober 2011) Richtlinie 2.3 „Brandschutz bei Gebäuden mit einem Fluchtniveau von mehr als 22 m“ (Oktober 2011) Leitfaden „Abweichungen im Brandschutz und Brandschutzkonzepte“ (Oktober 2011) Richtlinie 3 „Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz“ (Oktober 2011) Richtlinie 4 „Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit“ (Oktober 2011) Richtlinie 5 „Schallschutz“ (Oktober 2011) Richtlinie 6 „Energieeinsparung und Wärmeschutz“ (Oktober 2011) Leitfaden „Energietechnisches Verhalten von Gebäuden“ (Oktober 2011 idF der Revision vom Dezember 2011) Richtlinie „Begriffsbestimmungen“ „Zitierte Normen und sonstige Regelwerke“ (März 2012) OIB-Richtlinien 2015 Am 26. März 2015 wurde in der Generalversammlung des Österreichischen Instituts für Bautechnik (OIB) die dritte Auflage der OIB-Richtlinien beschlossen. Die Überarbeitung der Richtlinien verfolgte den Zweck weiterer Vereinfachungen in der Bautechnik und von Kosteneinsparungen im Wohnbau. Die Übernahme aller neu herausgegebenen Richtlinien in das Oö. Landesrecht ist im Jahr 2016 geplant. Die OIB-Richtlinien 2015 stellen derzeit kein geltendes und von den Baubehörden anwendbares Recht dar. Regelungstechnik im Oö. Baurecht Oö. BauTG 2013 legt technische Anforderungen für Sachbereiche (zB Brandschutz) allgemein und abstrakt fest. Oö. BauTV 2013 normiert, dass bei Einhaltung der zitierten OIB-Richtlinien den jeweiligen Anforderungen des Oö. BauTG 2013 entsprochen wird (= unwiderlegliche Rechtsvermutung!). Möglichkeit der Abweichungen von den OIB-Richtlinien: wenn der/die Bauwerber/in nachweist, dass das gleiche Schutzniveau wie bei Einhaltung der Richtlinien erreicht wird (§ 8 Oö. BauTV 2013) Im Rahmen von „Bauerleichterungen“ (§ 53 Oö. BauTG 2013) Spezielle Ermächtigung durch OIB-RL (zB in OIB-RL 2 „Brandschutz“ iVm Leitfaden „Abweichungen im Brandschutz“) Beispiel „Brandschutz“ Oö. BauTG 2013 §8 Ausbreitung von Feuer auf andere Bauwerke (1) Bauwerke müssen so geplant und ausgeführt sein, dass der Ausbreitung von Feuer auf andere Bauwerke vorgebeugt wird. (2) Die Außenwände von Bauwerken müssen so ausgeführt werden, dass das Übergreifen eines Brandes auf andere Bauwerke weitestgehend verhindert wird oder, sofern dies auf Grund der Größe und des Verwendungszwecks der Bauwerke genügt, ausreichend verzögert wird. Eine solche Ausführung der Außenwände ist nicht erforderlich, wenn die Bauwerke in einem entsprechenden Abstand voneinander errichtet werden. Dabei ist auch die zulässige Bebauung auf Nachbargrundstücken zu berücksichtigen. (3) Dacheindeckungen, Dachaufbauten und lichtdurchlässige Elemente in Dächern (zB Dachflächenfenster, Lichtkuppeln, Lichtbänder) müssen so ausgeführt und angeordnet sein, dass eine Brandentstehung durch Flugfeuer oder Wärmestrahlung weitestgehend vermieden wird. Für Dachaufbauten und lichtdurchlässige Elemente in Dächern gilt Abs. 2 sinngemäß. Oö. BauTV 2013 Beispiel Brandschutz (§ 2 Oö. BauTV 2013) § 2 Brandschutz (Auszug) (1) Den in den §§ 5 bis 10 Oö. Bautechnikgesetz 2013 festgelegten Anforderungen wird entsprochen, wenn – vorbehaltlich des Abs. 2 – folgende Richtlinien des Österreichischen Instituts für Bautechnik eingehalten werden: 1. Richtlinie 2 „Brandschutz“ vom Oktober 2011, in der Fassung der Revision vom Dezember 2011; 2. … (2) Die im Abs. 1 Z 1 genannte Richtlinie 2 gilt mit folgender Maßgabe: 1. Die Punkte 3.7, 3.8 und 3.9.5 bis 3.9.10 gelten nicht. Die Bestimmungen der Oö. Heizungsanlagen- und Brennstoffverordnung bleiben unberührt. 2. Punkt 4.1 gilt – über Punkt 4.2 hinaus – nicht für a) offene Ständerbauten, Bootshütten, Schutzdächer und ähnliche bauliche Anlagen bis zu 50 m² Brutto-Grundfläche; b) Dachvorsprünge und ähnliche Vorbauten in EI 30 oder mit einer entsprechenden Verkleidung. 3. ... OIB-Richtlinie 2 Anpassung von Gebäuden an den Stand der Technik Entspricht der Zustand einer baulichen Anlage nicht dem Stand der Technik, jedoch der Baubewilligung, bedarf die Durchbrechung des Baukonsenses einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung: § 46 Oö. BauO 1994: Nachträgliche Vorschreibung von Auflagen (Bedingungen), wenn der konsensgemäße Zustand der baulichen Anlage zu einer Gefährdung für das Leben und die körperliche Sicherheit von Menschen oder eine unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft führt. § 38 Oö. BauTG 2013: Aus Anlass von bewilligungspflichtigen Baumaßnahmen nach § 24 Abs. 1 Z 1 und 3 Oö. Bauordnung 1994 oder einer anzeigepflichtigen größeren Renovierung nach § 25 Abs. 1 Z 3 lit. a Oö. Bauordnung 1994 müssen die obersten zugänglichen Decken von beheizten Räumen des gesamten Gebäudes oder die unmittelbar darüberliegenden Dächer so gedämmt werden, dass den Anforderungen der OIB-RL 6 entsprochen wird. (Ausnahmen!) Danke für die Aufmerksamkeit
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