„MAN BRAUCHT EINEN BOTEN VON DER SCHLACHT“ Tomas van Houtryve fotografiert alltägliche Situationen in Erinnerung an Drohneneinsätze, bei denen Zivilisten ums Leben gekommen sind, wie bei dem Angriff auf eine pakistanische Schule, dem fast 70 Kinder zum Opfer fielen. 6 Die Vorstellung, die sich Menschen ohne eigene Kriegserfahrung vom Krieg machen, erwächst heute im Wesentlichen aus der Wirkung von Bildern. „Vor allem in der Form, in der Kameras dieses Leiden festhalten, wird es für einen kurzen Augenblick sichtbar, stösst auf die Anteilnahme vieler Menschen und verschwindet dann wieder aus dem Blick“, schreibt Susan Sontag in ihrem bekannten Buch „Das Leiden anderer betrachten“. Zu einem Gespräch über den Krieg und dessen Bilder trafen wir die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen. Interview von Gwendolyne Melchinger und Karolin Trachte kritischer beleuchtet, indem er zum Beispiel die grosse Schlachtrede von Heinrich V. als pathetische Kriegspropaganda entlarvt. Entsprechend empfindet der heutige Zuschauer die Rede bei Olivier weiterhin als ergreifend, bei Branagh jedoch als unerträglich. Ein Stück patriotistischer Furor spielt, wenn es um Krieg geht, wahrscheinlich immer eine Rolle und ein Stück Erschütterung auch. Und irgendwo in dieser grossen Spanne würde ich diese Bilder einordnen. Mich interessiert dann weniger, wie sie erzeugt werden, sondern welche Wirkung sie haben. Bei der neuesten Berichterstattung ist das Ziel normalerweise, dass man erschüttert ist. Man soll Verständnis und Empathie für die Opfer der Gewalt haben. Nimmt man hingegen die Bildwelt, die vom Islamischen Staat (IS) verwendet wird, der ja sehr geschickt und gezielt mit Bildern arbeitet, wird das umgedreht. Wir sehen diese brutalen Bilder an und finden: Was für ein Kitsch, was für eine Ästhetisierung von Gewalt. Der IS will damit ja möglichst viele junge Menschen dazu bringen, in Syrien mit ihm zu kämpfen. Karolin Trachte – Welche Rolle spielen Bilder – reale und fiktive – für unsere Wahrnehmung von Krieg? Gwendolyne Melchinger – Noch eine andere Ebene wird erreicht, wenn das Töten zu einer öffentlichen Inszenierung wird, wenn die Enthauptung von Menschen ins Netz gestellt wird – für jedermann sichtbar. Was macht das mit uns? Elisabeth Bronfen – Ich würde bei beiden fragen: Was ist der Sinn dieser Bilder? Er kann propagandistisch, patriotistisch oder eben kritisch sein. Ich würde noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Es ist nie „entweder oder“. Also selbst wenn die Intention patriotistischer Furor ist, kann man das gegen den Strich lesen – auch nachträglich. Heinrich V. ist ein schönes Beispiel. Der Stoff wurde von Laurence Olivier während des Zweiten Weltkrieges verfilmt. Er zeichnet ein heroisches Bild des Krieges, während Kenneth Branagh seinen Film „Henry V“ 1989 im Kontext der Falklandkriege dreht und den Krieg sehr viel EB Das Problem mit diesen gefilmten Enthauptungen ist ihre doppelte Codierung. Ich denke zum Beispiel an den amerikanischen Journalisten Daniel Pearl vom „Wall Street Journal“, der 2002 entführt und getötet wurde. Das Video seiner Enthauptung wurde einerseits als Druckmittel äusserster Brutalität eingesetzt. Aber für andere war das ein Werbespot: „Schaut mal, die dürfen da Köpfe abschlagen. Wenn wir uns ihnen anschliessen, dürfen wir das auch.“ Diese doppelte Funktion ist Absicht. Und unsere Wahrnehmung ist ebenfalls eine doppelte, denn solche Videos spielen natürlich auch mit der voyeuristischen Lust des Menschen! → 7 TOMAS VAN HOUTRYVE, FOTOGRAF Van Houtryve ist auf der Suche nach Fotos, die – ähnlich wie das berühmte Bild des 9-jährigen Napalm-Opfers während des Vietnamkrieges – die Gräuel des Drohnenkrieges in einem Bild festhalten. Er stellt fest: es gibt sie nicht. Die Drohnenkriege finden statt, aber sie erzeugen keine Bilder. Für seine Serie „Blue Sky Days“ bringt er seine Kamera an einer kleinen Drohne an und lässt sie über Alltagsszenen in Amerika kreisen – Situationen, die andernorts zum Angriff amerikanischer Drohnen geführt hätten. Die Kriterien, nach denen Drohnenabschüsse durch das Pentagon genehmigt werden, sehen neben „personality strikes“ auch „signature strikes“ vor, bei denen auf die Identifikation der Personen verzichtet werden kann, wenn durch das Verhalten der Personen eine Nähe zu terroristischen Gruppierungen erwiesen scheint. 8 KT Diese voyeuristische Lust benutzt man im Film aber auch, selbst im Theater, würde ich sagen. Den Vorwurf der Gewaltdarstellung gibt es oft … EB Das Theater war immer – schon seit der Antike – gewaltsam. Auch Renaissancebilder sind ja unglaublich blutig! Wenn man genau hinschaut, sieht man die abgehackten Arme und Köpfe oder wie das Blut spritzt. Gut, auf der Shakespearebühne konnte man das so nicht darstellen. Aber man konnte es verbalisieren. Was unter Umständen mindestens so schrecklich ist. Das Entscheidende ist, dass es sich immer um eine ästhetische Formalisierung handelt. Der theatrale Raum oder eben die Gestaltung der Bilder bringen eine Form von Einschränkung mit sich, die einen Rahmen bildet. Allein schon der Rahmen ist eine Formalisierung. Das beschreibt Susan Sontag für das Thema der Kriegsfotografie: Man erzeugt einen Rahmen, ent- scheidet wie nah oder fern man ist und wer im Bild ist – und wer nicht. Das sind schon drei Formalisierungen … GM Was den Krieg anbelangt, übt das Theater ja sogar mediale Zurückhaltung. Kriege können dort meist nur indirekt dargestellt werden, über Botenberichte und Erzählungen und so weiter. Der Film hat natürlich ganz andere Möglichkeiten. EB Wobei auch da gilt: das ist ja alles noch immer Kino! Beim Kino bestehen diese Formalisierungen eben aus Schnitten. Nehmen sie die vielen Stunden Filmmaterial, die der amerikanische Filmer John Ford mit seinem Team während der Landung der Alliierten 1944 in Frankreich aufnahm – das ist kein Kino. Es wurden nur kurze Sequenzen daraus in den Wochenschauen verwendet. Eine Schlacht im Kino funktioniert ja nicht dann, wenn sie denkbar realistisch ist, sondern wenn mit Schnittabfolge, also über die Montage, etwas inszeniert wird – mit Nahund Fernaufnahme, mit Mise en Scène, mit Gruppierung und so weiter. Das heisst, auch das ist hochgradig formalisiert. Ausserdem verweisen Bilder immer einerseits auf sich selbst, andererseits auf schon Dagewesenes. Die Wirkung und Funktion dieser Bilder ist auch deswegen so komplex, weil sie mit der Gestaltung immer auch an Abstraktion gewinnen. Wenn man die Schlachtengemälde von Pablo Uccello als Beispiel nimmt – da geht es ihm in mancher Hinsicht einfach nur um Linien, Kreise und Bewegung oder Stillstand. GM Berühmt für seine Gewaltdarstellungen ist ja auch Quentin Tarantino. Seinen Film „Inglorious Basterds“ finde ich klug, weil er das Ganze formal so auf die Spitze treibt, dass – wie Sie in Ihrem Buch schreiben – im Film die Kriegsbilder auf der Leinwand buchstäblich zerstört werden, indem diese verbrennt. Aber Filme, die von Krieg oder anderen Katastrophen berichten, werden oft kritisiert, wenn sie ästhetisch wirken. Dürfen Bilder von Leid und Gewalt ästhetisch schön sein? EB Das ist ein kritischer Punkt. Ich denke, dadurch, dass das Bilder sind, sind sie unweigerlich schön. Jede Ästhetisierung ist schön; es ist eine Tautologie! Aber im Detail hängt es ab vom Untertitel, von der Geschichte, die erzählt wird, und vom rahmenden Kommentar. Das Moralische, das in der Frage nach dem „Dürfen“ steckt, würde ich erst mal beiseitelassen. Und man muss auch sagen, dass es in Europa zwar eine grosse Bildbesessenheit gibt und einen Fokus auf das Visuelle, aber mit Bildern von Gewalt oder Zerstörung gehen wir hier recht zurückhaltend und nicht romantisierend um. Das ist aber erst ab dem Ersten Weltkrieg und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg so! Wenn man die Literatur anschaut – noch weit ins 19. Jahrhundert hinein gibt es diesen „Militärschick“ – die schicken Männer in ihren Uniformen und die verliebten Mädchen, die JaneAusten-Romane oder der Film „Der Kongress tanzt“ von 1933. In diesen Darstellungen ist der Krieg einfach aufregend. Er ist ein Thrill. Darin steckt auch eine Wahrheit. „Dürfen Bilder von Leid und Gewalt schön sein? Jede Ästhetisierung ist schön; es ist eine Tautologie!“ Elisabeth Bronfen Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen ELISABETH BRONFEN Veteranen erleben ja häufig, dass ihnen nach dem Krieg alles andere langweilig ist. Krieg hat auch etwas Begeisterndes. Ja, die Zerstörung des Anderen hat etwas Begeisterndes. Die Macht, die man über den Anderen hat, die Tatsache, dass für einen selbst alles auf dem Spiel steht. Gerade im Namen der Religion und im Namen der Nation ist man wirklich mit Begeisterung in den Krieg gezogen und hat auch mit Begeisterung grauenhafte Dinge getan, weil die Idee wichtiger war als der Einzelne. Das hat sich entsprechend auf die Bildsprache ausgewirkt. Elisabeth Bronfen ist Professorin für Anglistik am Englischen Seminar der Universität Zürich. In ihren Publikationen widmet sie sich neben Shakespeare sowie der angloamerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts auch der visuellen Kultur, dem Hollywoodkino und Quality-TV mit Schwerpunkt auf Genderstudies und Psychoanalyse. Ihr Buch „Hollywoods Kriege. Geschichte einer Heimsuchung“ ist 2013 im Fischer Verlag erschienen. KT Unser Stück „Der neue Himmel“ behandelt ein ernstes Thema – die Entwicklung der modernen Kriege hin zu einem Drohnenkrieg – in Form einer Komödie. Darf Krieg unterhalten? EB Ich persönlich habe die längste Zeit Schwierigkeiten mit Kriegskomödien gehabt. Aber bei Quentin Tarantino oder Ernst Lubitsch gelingt dieses Genre natürlich. Das Komödienhafte kann ja auch eine Form von Distanzierung sein, die zu einer Reflexion führt. Man könnte sagen, das Tragische einerseits hat einen Pathos, der einen sich darin vertiefen lässt und zu einer Form von Katharsis führt. Das ist eine Hyper-Identifikation, aus der man dann gereinigt wieder zurücktritt. Die Komödie andererseits doppelt diese Bewegung: Man vertieft sich und gleichzeitig macht man sich darüber lustig und stellt Distanz her. In den neuen amerikanischen Dokumentarfilmen erschüttert es oft, dass die Soldaten die ganze Zeit Witze machen. Also mitten im Einsatz in Afghanistan erzählen sie sich die schlimmsten Witze. Auch hier ist die Komödie eine Distanzierungsmöglichkeit. Nachzulesen bei Freud … → 9 Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen GM Erzählungen vom Krieg sind immer wieder Unterhaltung, auch ohne Komödie zu sein. Die Showtime-Serie „Homeland“ zum Beispiel ist ein packender Thriller, der auch über die Folgen des Krieges erzählt: die Erinnerungen an Gewalt und Folter, denen man nicht entkommt. EB Packend, ja – und das hat natürlich schon etwas mit Ablenkung zu tun. Diesen Aspekt darf man selbst beim Zeitunglesen nicht unterschätzen. Zeitung lesen wir vordergründig, weil wir informiert sein wollen. Aber es ist auch eine Ablenkung vom Alltag. Es gibt natürlich auch andere Formen der Kriegsberichterstattung. Mein Buch „Die Amerikanerin in Hitlers Badewanne“ erzählt von drei amerikanischen Kriegsjournalistinnen – im Zweiten Weltkrieg berichten zum ersten Mal Frauen als akkreditierte Journalistinnen von der Front –, die mit sehr viel Emphase ab 1944 Kriegsberichterstattung machen. Da soll niemand Ablenkung erfahren, sondern diese Berichte sollen informieren und davor bewahren, dass der Krieg zu Hause vergessen wird. Diese Berichte dienen aber auch dazu, den Amerikanern die Kriegsanstrengungen verständlich zu machen. Und diese Ambivalenz hat im Grunde jede Berichterstattung, aber auch „Homeland“. Man kann vieles daran kritisieren – aber es ist nicht proamerikanisch, sondern bleibt ambivalent. Es ist eben wirklich beides, Ablenkung und gleichzeitig didaktisch. GM Als die Jungfrau von Orleans dem englischen Soldaten Montgomery begegnet und ihn töten will, fleht er um sein Leben und appelliert an ihre Weiblichkeit, indem er sie mit seiner in der Heimat zurückgelassenen Braut vergleicht ... „Der IS ist eigentlich ein westliches Phänomen. Diese Bewegung von westlichen Jugendlichen nach Syrien ist Ausdruck von jugendlichem Unmut, den es immer gegeben hat. Nur sind sie in den 60er Jahren meditieren gegangen.“ Elisabeth Bronfen 10 EB Es gibt natürlich eine feministische Diskussion, die genau das angreift und sagen würde, die Reduktion der Frau oder des Weiblichen auf Liebe, Mitleid, Sympathie ist falsch und eine Emanzipation aller Frauen besteht darin, dass diese ebenso brutal, ebenso unnachsichtig und fanatisch sein können wie die Männer. GM Die Jungfrau von Orleans ist eine Projektionsfläche für die Männer. Sie übt eine grosse Faszination auf sie auf. Drei der Männer verlieben sich sogar in sie. Warum? EB Da kommt noch eine andere Komponente hinzu. Neben der Ästhetisierung von Gewalt ist eine Erotisierung des Krieges ein ganz entscheidender Aspekt. Ich meine, sie geht bis zu den Kriegswaffen wie Kanonen oder Panzern. Zum Beispiel das Bild von Marlene Dietrich, die auf US-Panzern sitzt, auf denen noch „Marlene“ geschrieben steht, das hat etwas; es hat Charme. Und dann gibt es noch die homoerotische Kraft im Krieg, wie man sie schon von Homer kennt. Oder in Shakespeares „Troilus und Cressida“, wo diese erotische Kampfmaschine Agamemnon einerseits den Liebhaber im Zelt hat und andererseits in die trojanische Prinzessin verliebt ist. Das ist „polymorphös“! (lacht) Die Kriegerin oder Soldatin selbst ist ja nicht nur die Milde, die gleichzeitig auch brutal sein kann, sondern sie ist eben auch ein erotisches Objekt. Entweder, weil sie mit einem kämpft oder weil man gegen sie kämpft. KT „Der neue Himmel“ und „Die Jungfrau von Orleans“ drehen sich jeweils um eine zentrale weibliche Figur, die als kriegerisches Wundermittel dargestellt wird. In „Der neue Himmel“ ist die schweigende Hauptfigur des zweiten Teils sogar selbst eine Art tödliche Drohne. Gibt es kulturgeschichtlich eine Tendenz, erfolgreiche Kriegerinnen in die Nähe des Übersinnlichen zu rücken, während erfolgreiche Soldaten schlicht als Helden gefeiert werden? EB Die Frau im Schlachtfeld erfährt eine Zusatzbedeutung, eine Allegorisierung, die der männliche Kriegsheld nicht erfährt. Eine Kriegsheldin gibt es nicht. Aber ich denke, es ist Teil eines grösseren Problems. Das Subjekt ist männlich und die Frau ist alles andere. Der Krieg hat die Vereinfachung Freund – Feind zur Folge und die funktioniert am besten, wenn beide vom gleichen Geschlecht sind, weil dann die Opposition klar erkennbar ist. In dem Moment, wo eine Frau mit in den Krieg zieht, wird eine zweite Front aufgezogen, da Frau und Fotos: Tomas van Houtryve (4); Isolde Ohlbaum Mann ja grundsätzlich Feinde sind. Wenn sie sich dann noch an der Kriegsfront begegnen, dann bedeutet das eine doppelte Feindschaft. Selbst dann, wenn sie gemeinsam auf einer Seite stehen. Sie ist „eine von uns“, aber eben doch nicht „so wie wir“. Man muss auch sehen, dass es im amerikanischen Militär zu so irrsinnig vielen Vergewaltigungen kommt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen heute von ihren eigenen Mitsoldaten vergewaltigt werden, ist wesentlich höher als von einem Feind. Darüber wird in Amerika viel diskutiert. KT Sexuelle Gewalt spielt im Krieg allerdings immer eine Rolle. Man müsste sich dazu auch die Zahl der Vergewaltigungen unter Männern anschauen ... EB Ja, das wollte ich auch noch ergänzen. KT Unsere beiden Produktionen sprechen zwei Entwicklungen der modernen Kriegsführung an: einerseits Terroranschläge, die mit extrem wenig Kämpfern und wenig Einsätzen extrem hohe Aufmerksamkeit erzeugen, andererseits die Drohnenkriege, die fast keine Aufmerksamkeit erzeugen, sondern aus Wolken verhangenem Himmel un- gezählte Todesopfer fordern. So erzeugt der Tod von Vielen – viele Hunderte Zivilisten wurden in den letzten Jahren von amerikanischen Drohnen getötet – fast keine Aufmerksamkeit. Der Tod eines Einzelnen in Gefangenschaft von Terroristen hingegen erzeugt durch die Potenzierung der Gewalt in den Medien hohe Aufmerksamkeit. Inwiefern sind die modernen Kriege immer Kriege um Aufmerksamkeit? „Die Drohne ist zur wichtigsten Waffe im sogenannten ,AntiTerror-Krieg‘ geworden. Wir leben in einer so mediendurchzogenen Welt und doch hat die amerikanische Öffentlichkeit kein Bild, kein visuelles Narrativ der Drohnenkriege. Es ist ein Geheimkrieg, der es leichter macht, ihn zu vergessen oder über ihn nur im abstrakten Sinne nachzudenken“, sagt Tomas van Houtryve. Hier fotografiert er eine Freiluft-YogaKlasse in einem Park in San Francisco. EB Aufmerksamkeit wird nur erzeugt, indem es irgendeine Form von Berichterstattung gibt. Ob das jetzt Bilder oder Texte sind, ist wahrscheinlich nicht das Entscheidende. Man braucht einen Berichterstatter, einen Boten von der Schlacht. Dieser Bote muss das, was in der Schlacht passiert, in Kategorien umsetzen, die diejenigen verstehen, die nicht in der Schlacht waren. Es geht um das Übersetzen. Das ist die eine Seite. Und die andere ist, dass in unserer heutigen bildüberfluteten Welt die Berichterstattung immer dramatischer werden muss, damit man sie bemerkt. Wir schauen im Moment praktisch nur nach Afrika und in den Nahen Osten. Heisst das, dass alle in Südamerika oder Fernostasien friedlich geworden sind? Eigentlich nicht. Aber unsere → 11 Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen • DIE JUNGFRAU VON ORLEANS Friedrich Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ spielt im Hundertjährigen Krieg. Der Krieg ist ein blutiges Geschäft, das auf dem Schlachtfeld ausgetragen wird, der Tod sein ständiger Begleiter. Die Jungfrau kämpft auf der Seite der Franzosen gegen die Engländer und führt sie von Sieg zu Sieg. Anders als die historische Jeanne d ’Arc ist sie nicht nur Symbolfigur und Fahnenträgerin, sondern eine Kriegerin, die im Auftrag Gottes eigenhändig tötet. Regie Stephan Kimmig Mit Klaus Brömmelmeier, Michael Neuenschwander, Wolfgang Pregler, Marie Rosa Tietjen, Edmund Telgenkämper, André Willmund Unterstützt von der Hans Imholz Stiftung • DER NEUE HIMMEL Die Uraufführung des Autorenduos Nolte Decar erzählt von einer Reihe brutaler Raketeneinschläge auf dem ganzen Globus. Wie sie zusammenhängen, löst sich erst in einem kriminologischen Kammerspiel auf, in dem die Drohne uns im westlichen Wohnzimmer aufsucht. Regie Sebastian Kreyer Mit Ludwig Boettger, Benedict Fellmer, Julia Kreusch, Miriam Maertens, Lisa-Katrina Mayer, Johannes Sima Aufmerksamkeit wird gerade nicht dorthin gesteuert. Ein weiteres Beispiel für Aufmerksamkeitslenkung: Im Moment sind wir wieder sehr aufgebracht wegen der Polizeigewalt gegen junge schwarze Männer in Amerika. Ist das etwas Neues? Nein, das hat es schon immer gegeben, aber gerade fokussieren wir unsere Aufmerksamkeit darauf. Weil Aufmerksamkeit mit Information einhergeht. KT Gilt das auch für die IS-Kämpfer? EB Ganz besonders. Eigentlich ist diese Bewegung von westlichen Jugendlichen nach Syrien ein Ausdruck von jugendlichem Unmut, den es immer gegeben hat. In den 60er Jahren sind viele westliche unzufriedene Jugendliche nach Indien gegangen, um zu meditieren. Das war weniger zerstörerisch, als das, was sie jetzt machen. Manche haben sich eher selbst umgebracht und jetzt bringen sie eher andere um. Es gelingt, weil die Propaganda des IS die Jugendlichen an der richtigen Stelle anspricht: Sie operiert ganz stark mit Filmen und Bildern, die sie aus dem Videospiel, aus dem Film, aus dem Fernsehen kennen. Diejenigen, die das manipuliert, die darauf ansprechen, sind ja meistens aus dem Westen. Es ist also ein westliches Phänomen! Der Westen produziert sein eigenes Symptom. In 30 Jahren wird man das wie so eine Art Seismograf für unsere Zeit lesen. KT Sie schreiben von der Autorität, die die Fotografie oder die Filmbilder von Kriegsereignissen in Anspruch nehmen, „weil sie tatsächlich geschehen sind“. Im Theater diskutieren wir vor allem in Bezug auf Dokumentartheater, aber auch bei Stücken, die wahre Fälle behandeln, Ähnliches – nicht nur auf Krieg bezogen. Wie entsteht daraus eine Autorität? EB In seinem Buch über das 20. Jahrhundert spricht Alan Badiou von einer „Obsession mit dem Realen“. Man will gegen alle Bilder, gegen alle Vorstellungen das Reale hochhalten. Das Reale ist die letzte Keule, die man als Argument in der Hand hält. Das ist dann selten frei von Pathos. Aber ich würde trotzdem immer darauf bestehen – nur so kann ich Kriegsfilme und Kriegsliteratur als eine politische Plattform verstehen – dass dieses Reale in der Kunst einen Unterschied macht. 12 Beispielsweise eben bei Tarantino. Sowohl „Django unchained“ wie auch „Inglorious Basterds“ sind gerade so wirkungsmächtig und für mich ethisch richtig, weil dieser Kampf um die Kriegsbilder und das Eingebundensein in Kriegsbilder ganz reale Konsequenzen hat. Und wir können darin eine für uns klare ethische Position einnehmen. GM Und wie lassen sich ethische Positionen und Drohnenkriege vereinbaren? EB Drohnenkriege sind ein wirklich ganz grosses Problem. Politisch und moralisch. Das kommt noch auf uns zurück. Und zwar in dem Moment, wo die Drohnen auch bei uns sind, uns überwachen und auf uns schiessen. Diese Eskalierung der Drohnen- einsätze muss man der Obama-Regierung wirklich negativ anlasten – das hat völlig Überhand genommen. Und vor allem die Implikation, die dahinter steckt: Man erzeugt diese sauberen Bilder vom Krieg und der Zerstörung, als führe man keinen Krieg. KT Die Grenze zwischen erweiterten Geheimdienstaktionen und gezielten Kriegshandlungen wird verwischt. EB Ja. Es ist wirklich schrecklich. Auch wenn man darüber nachdenkt, wohin sich das entwickelt ... KT Sehen Sie einen wesentlichen Unterschied im Umgang mit Bildern in Amerika und in Europa? EB Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa, was das betrifft, völlig amerikanisiert worden ist – ob einem das Amerikanische nun gefällt oder nicht: Die Menschen denken, reden, bewegen sich wie Amerikaner, weil sie ja praktisch nur noch amerikanisches Kino schauen und amerikanische Werbung oder amerikanische Fernsehserien, sei es „Homeland“ oder „The Wire“. Wenn man doch nach einem Unterschied sucht, denke ich, dass Amerikaner ihrer Populärkultur gegenüber grundsätzlich ironischer eingestellt sind. Es ist schwer für Europäer, das zu verstehen. GM Was genau meinen Sie mit „ironisch“? EB Mit ironisch meine ich, dass sie wissen, dass das Bilder sind. Sie lassen ihnen die ganze Überzeugungskraft, aber wissen, sie sind austauschbar. Da bin ich mir nicht so sicher, ob das für die Europäer so stimmt. Es ist eine andere Bildtradition.
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