man braucht einen boten von der schlacht

„MAN
BRAUCHT
EINEN BOTEN
VON DER
SCHLACHT“
Tomas van Houtryve fotografiert
alltägliche Situationen in Erinnerung an Drohneneinsätze, bei denen Zivilisten
ums Leben gekommen sind, wie bei dem Angriff auf
eine pakistanische Schule, dem fast 70 Kinder zum Opfer fielen.
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Die Vorstellung, die sich Menschen
ohne eigene Kriegserfahrung vom
Krieg machen, erwächst heute im
Wesentlichen aus der Wirkung von
Bildern. „Vor allem in der Form,
in der Kameras dieses Leiden festhalten, wird es für einen kurzen
Augenblick sichtbar, stösst auf die
Anteilnahme vieler Menschen und
verschwindet dann wieder aus dem
Blick“, schreibt Susan Sontag in
ihrem bekannten Buch „Das Leiden
anderer betrachten“. Zu einem
Gespräch über den Krieg und
dessen Bilder trafen wir die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen.
Interview von
Gwendolyne Melchinger
und Karolin Trachte
kritischer beleuchtet, indem er zum Beispiel die grosse Schlachtrede von Heinrich V. als pathetische Kriegspropaganda
entlarvt. Entsprechend empfindet der heutige Zuschauer die Rede bei Olivier weiterhin als ergreifend, bei Branagh jedoch als
unerträglich. Ein Stück patriotistischer Furor spielt, wenn es um Krieg geht, wahrscheinlich immer eine Rolle und ein Stück
Erschütterung auch. Und irgendwo in dieser grossen Spanne würde ich diese Bilder
einordnen. Mich interessiert dann weniger,
wie sie erzeugt werden, sondern welche
Wirkung sie haben.
Bei der neuesten Berichterstattung ist das
Ziel normalerweise, dass man erschüttert
ist. Man soll Verständnis und Empathie für
die Opfer der Gewalt haben. Nimmt man
hingegen die Bildwelt, die vom Islamischen
Staat (IS) verwendet wird, der ja sehr geschickt und gezielt mit Bildern arbeitet, wird
das umgedreht. Wir sehen diese brutalen
Bilder an und finden: Was für ein Kitsch,
was für eine Ästhetisierung von Gewalt.
Der IS will damit ja möglichst viele junge
Menschen dazu bringen, in Syrien mit ihm
zu kämpfen.
Karolin Trachte – Welche Rolle spielen Bilder
– reale und fiktive – für unsere Wahrnehmung
von Krieg?
Gwendolyne Melchinger – Noch eine andere Ebene wird erreicht, wenn das Töten zu einer öffentlichen Inszenierung wird,
wenn die Enthauptung von Menschen ins
Netz gestellt wird – für jedermann sichtbar.
Was macht das mit uns?
Elisabeth Bronfen – Ich würde bei beiden
fragen: Was ist der Sinn dieser Bilder? Er
kann propagandistisch, patriotistisch oder
eben kritisch sein. Ich würde noch einen
Schritt weiter gehen und sagen: Es ist nie
„entweder oder“. Also selbst wenn die Intention patriotistischer Furor ist, kann man
das gegen den Strich lesen – auch nachträglich. Heinrich V. ist ein schönes Beispiel. Der Stoff wurde von Laurence Olivier
während des Zweiten Weltkrieges verfilmt. Er zeichnet ein heroisches Bild des
Krieges, während Kenneth Branagh seinen
Film „Henry V“ 1989 im Kontext der Falklandkriege dreht und den Krieg sehr viel
EB Das Problem mit diesen gefilmten Enthauptungen ist ihre doppelte Codierung. Ich
denke zum Beispiel an den amerikanischen
Journalisten Daniel Pearl vom „Wall Street
Journal“, der 2002 entführt und getötet
wurde. Das Video seiner Enthauptung wurde
einerseits als Druckmittel äusserster Brutalität eingesetzt. Aber für andere war das ein
Werbespot: „Schaut mal, die dürfen da Köpfe
abschlagen. Wenn wir uns ihnen anschliessen, dürfen wir das auch.“ Diese doppelte
Funktion ist Absicht. Und unsere Wahrnehmung ist ebenfalls eine doppelte, denn solche Videos spielen natürlich auch mit der voyeuristischen Lust des Menschen! →
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TOMAS VAN HOUTRYVE, FOTOGRAF
Van Houtryve ist auf der Suche nach
Fotos, die – ähnlich wie das berühmte
Bild des 9-jährigen Napalm-Opfers
während des Vietnamkrieges – die
Gräuel des Drohnenkrieges in einem
Bild festhalten. Er stellt fest: es gibt
sie nicht. Die Drohnenkriege finden
statt, aber sie erzeugen keine Bilder.
Für seine Serie „Blue Sky Days“
bringt er seine Kamera an einer
kleinen Drohne an und lässt sie über
Alltagsszenen in Amerika kreisen –
Situationen, die andernorts zum
Angriff amerikanischer Drohnen
geführt hätten. Die Kriterien, nach
denen Drohnenabschüsse durch das
Pentagon genehmigt werden, sehen
neben „personality strikes“ auch
„signature strikes“ vor, bei denen
auf die Identifikation der Personen
verzichtet werden kann, wenn durch
das Verhalten der Personen eine
Nähe zu terroristischen Gruppierungen erwiesen scheint.
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KT Diese voyeuristische Lust benutzt man
im Film aber auch, selbst im Theater, würde
ich sagen. Den Vorwurf der Gewaltdarstellung gibt es oft …
EB Das Theater war immer – schon seit
der Antike – gewaltsam. Auch Renaissancebilder sind ja unglaublich blutig! Wenn man
genau hinschaut, sieht man die abgehackten
Arme und Köpfe oder wie das Blut spritzt.
Gut, auf der Shakespearebühne konnte man
das so nicht darstellen. Aber man konnte es
verbalisieren. Was unter Umständen mindestens so schrecklich ist. Das Entscheidende
ist, dass es sich immer um eine ästhetische
Formalisierung handelt. Der theatrale Raum
oder eben die Gestaltung der Bilder bringen
eine Form von Einschränkung mit sich, die
einen Rahmen bildet. Allein schon der Rahmen ist eine Formalisierung. Das beschreibt
Susan Sontag für das Thema der Kriegsfotografie: Man erzeugt einen Rahmen, ent-
scheidet wie nah oder fern man ist und wer
im Bild ist – und wer nicht. Das sind schon
drei Formalisierungen …
GM Was den Krieg anbelangt, übt das
Theater ja sogar mediale Zurückhaltung.
Kriege können dort meist nur indirekt dargestellt werden, über Botenberichte und Erzählungen und so weiter. Der Film hat natürlich ganz andere Möglichkeiten.
EB Wobei auch da gilt: das ist ja alles noch
immer Kino! Beim Kino bestehen diese Formalisierungen eben aus Schnitten. Nehmen
sie die vielen Stunden Filmmaterial, die der
amerikanische Filmer John Ford mit seinem
Team während der Landung der Alliierten 1944 in Frankreich aufnahm – das ist
kein Kino. Es wurden nur kurze Sequenzen
daraus in den Wochenschauen verwendet.
Eine Schlacht im Kino funktioniert ja nicht
dann, wenn sie denkbar realistisch ist, sondern wenn mit Schnittabfolge, also über die
Montage, etwas inszeniert wird – mit Nahund Fernaufnahme, mit Mise en Scène, mit
Gruppierung und so weiter. Das heisst, auch
das ist hochgradig formalisiert. Ausserdem
verweisen Bilder immer einerseits auf sich
selbst, andererseits auf schon Dagewesenes.
Die Wirkung und Funktion dieser Bilder ist
auch deswegen so komplex, weil sie mit der
Gestaltung immer auch an Abstraktion gewinnen. Wenn man die Schlachtengemälde von
Pablo Uccello als Beispiel nimmt – da geht
es ihm in mancher Hinsicht einfach nur um
Linien, Kreise und Bewegung oder Stillstand.
GM Berühmt für seine Gewaltdarstellungen
ist ja auch Quentin Tarantino. Seinen Film „Inglorious Basterds“ finde ich klug, weil er das
Ganze formal so auf die Spitze treibt, dass –
wie Sie in Ihrem Buch schreiben – im Film die
Kriegsbilder auf der Leinwand buchstäblich
zerstört werden, indem diese verbrennt. Aber
Filme, die von Krieg oder anderen Katastrophen berichten, werden oft kritisiert, wenn
sie ästhetisch wirken. Dürfen Bilder von Leid
und Gewalt ästhetisch schön sein?
EB Das ist ein kritischer Punkt. Ich denke,
dadurch, dass das Bilder sind, sind sie unweigerlich schön. Jede Ästhetisierung ist schön;
es ist eine Tautologie! Aber im Detail hängt
es ab vom Untertitel, von der Geschichte, die
erzählt wird, und vom rahmenden Kommentar. Das Moralische, das in der Frage nach
dem „Dürfen“ steckt, würde ich erst mal
beiseitelassen. Und man muss auch sagen,
dass es in Europa zwar eine grosse Bildbesessenheit gibt und einen Fokus auf das Visuelle, aber mit Bildern von Gewalt oder Zerstörung gehen wir hier recht zurückhaltend
und nicht romantisierend um. Das ist aber
erst ab dem Ersten Weltkrieg und besonders
nach dem Zweiten Weltkrieg so! Wenn man
die Literatur anschaut – noch weit ins 19.
Jahrhundert hinein gibt es diesen „Militärschick“ – die schicken Männer in ihren Uniformen und die verliebten Mädchen, die JaneAusten-Romane oder der Film „Der Kongress
tanzt“ von 1933. In diesen Darstellungen
ist der Krieg einfach aufregend. Er ist ein
Thrill. Darin steckt auch eine Wahrheit.
„Dürfen Bilder von Leid
und Gewalt schön sein?
Jede Ästhetisierung
ist schön; es ist eine
Tautologie!“ Elisabeth Bronfen
Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen
ELISABETH BRONFEN
Veteranen erleben ja häufig, dass ihnen
nach dem Krieg alles andere langweilig ist.
Krieg hat auch etwas Begeisterndes. Ja,
die Zerstörung des Anderen hat etwas Begeisterndes. Die Macht, die man über den
Anderen hat, die Tatsache, dass für einen
selbst alles auf dem Spiel steht. Gerade im
Namen der Religion und im Namen der Nation ist man wirklich mit Begeisterung in
den Krieg gezogen und hat auch mit Begeisterung grauenhafte Dinge getan, weil
die Idee wichtiger war als der Einzelne. Das
hat sich entsprechend auf die Bildsprache
ausgewirkt.
Elisabeth Bronfen ist Professorin
für Anglistik am Englischen
Seminar der Universität Zürich.
In ihren Publikationen widmet sie
sich neben Shakespeare sowie
der angloamerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts
auch der visuellen Kultur, dem
Hollywoodkino und Quality-TV
mit Schwerpunkt auf Genderstudies und Psychoanalyse.
Ihr Buch „Hollywoods Kriege.
Geschichte einer Heimsuchung“
ist 2013 im Fischer Verlag
erschienen.
KT Unser Stück „Der neue Himmel“ behandelt ein ernstes Thema – die Entwicklung
der modernen Kriege hin zu einem Drohnenkrieg – in Form einer Komödie. Darf Krieg
unterhalten?
EB Ich persönlich habe die längste Zeit
Schwierigkeiten mit Kriegskomödien gehabt. Aber bei Quentin Tarantino oder Ernst
Lubitsch gelingt dieses Genre natürlich.
Das Komödienhafte kann ja auch eine Form
von Distanzierung sein, die zu einer Reflexion führt. Man könnte sagen, das Tragische
einerseits hat einen Pathos, der einen sich
darin vertiefen lässt und zu einer Form von
Katharsis führt. Das ist eine Hyper-Identifikation, aus der man dann gereinigt wieder zurücktritt. Die Komödie andererseits doppelt
diese Bewegung: Man vertieft sich und gleichzeitig macht man sich darüber lustig und stellt
Distanz her. In den neuen amerikanischen
Dokumentarfilmen erschüttert es oft, dass
die Soldaten die ganze Zeit Witze machen.
Also mitten im Einsatz in Afghanistan erzählen sie sich die schlimmsten Witze. Auch hier
ist die Komödie eine Distanzierungsmöglichkeit. Nachzulesen bei Freud … →
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Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen
GM Erzählungen vom Krieg sind immer
wieder Unterhaltung, auch ohne Komödie zu
sein. Die Showtime-Serie „Homeland“ zum
Beispiel ist ein packender Thriller, der auch
über die Folgen des Krieges erzählt: die Erinnerungen an Gewalt und Folter, denen man
nicht entkommt.
EB Packend, ja – und das hat natürlich
schon etwas mit Ablenkung zu tun. Diesen
Aspekt darf man selbst beim Zeitunglesen
nicht unterschätzen. Zeitung lesen wir vordergründig, weil wir informiert sein wollen.
Aber es ist auch eine Ablenkung vom Alltag.
Es gibt natürlich auch andere Formen der
Kriegsberichterstattung. Mein Buch „Die
Amerikanerin in Hitlers Badewanne“ erzählt
von drei amerikanischen Kriegsjournalistinnen – im Zweiten Weltkrieg berichten zum
ersten Mal Frauen als akkreditierte Journalistinnen von der Front –, die mit sehr viel
Emphase ab 1944 Kriegsberichterstattung
machen. Da soll niemand Ablenkung erfahren, sondern diese Berichte sollen informieren und davor bewahren, dass der Krieg zu
Hause vergessen wird. Diese Berichte dienen
aber auch dazu, den Amerikanern die Kriegsanstrengungen verständlich zu machen. Und
diese Ambivalenz hat im Grunde jede Berichterstattung, aber auch „Homeland“. Man
kann vieles daran kritisieren – aber es ist
nicht proamerikanisch, sondern bleibt ambivalent. Es ist eben wirklich beides, Ablenkung und gleichzeitig didaktisch.
GM Als die Jungfrau von Orleans dem englischen Soldaten Montgomery begegnet und
ihn töten will, fleht er um sein Leben und appelliert an ihre Weiblichkeit, indem er sie mit
seiner in der Heimat zurückgelassenen Braut
vergleicht ...
„Der IS ist eigentlich ein westliches
Phänomen. Diese Bewegung von
westlichen Jugendlichen nach Syrien
ist Ausdruck von jugendlichem
Unmut, den es immer gegeben hat.
Nur sind sie in den 60er Jahren
meditieren gegangen.“ Elisabeth Bronfen
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EB Es gibt natürlich eine feministische Diskussion, die genau das angreift und sagen
würde, die Reduktion der Frau oder des Weiblichen auf Liebe, Mitleid, Sympathie ist falsch
und eine Emanzipation aller Frauen besteht
darin, dass diese ebenso brutal, ebenso unnachsichtig und fanatisch sein können wie
die Männer.
GM Die Jungfrau von Orleans ist eine Projektionsfläche für die Männer. Sie übt eine
grosse Faszination auf sie auf. Drei der Männer verlieben sich sogar in sie. Warum?
EB Da kommt noch eine andere Komponente hinzu. Neben der Ästhetisierung von
Gewalt ist eine Erotisierung des Krieges ein
ganz entscheidender Aspekt. Ich meine, sie
geht bis zu den Kriegswaffen wie Kanonen
oder Panzern. Zum Beispiel das Bild von
Marlene Dietrich, die auf US-Panzern sitzt,
auf denen noch „Marlene“ geschrieben
steht, das hat etwas; es hat Charme. Und
dann gibt es noch die homoerotische Kraft im
Krieg, wie man sie schon von Homer kennt.
Oder in Shakespeares „Troilus und Cressida“,
wo diese erotische Kampfmaschine Agamemnon einerseits den Liebhaber im Zelt hat
und andererseits in die trojanische Prinzessin verliebt ist. Das ist „polymorphös“! (lacht)
Die Kriegerin oder Soldatin selbst ist ja nicht
nur die Milde, die gleichzeitig auch brutal
sein kann, sondern sie ist eben auch ein erotisches Objekt. Entweder, weil sie mit einem
kämpft oder weil man gegen sie kämpft.
KT „Der neue Himmel“ und „Die Jungfrau von Orleans“ drehen sich jeweils um
eine zentrale weibliche Figur, die als kriegerisches Wundermittel dargestellt wird.
In „Der neue Himmel“ ist die schweigende
Hauptfigur des zweiten Teils sogar selbst
eine Art tödliche Drohne. Gibt es kulturgeschichtlich eine Tendenz, erfolgreiche Kriegerinnen in die Nähe des Übersinnlichen
zu rücken, während erfolgreiche Soldaten
schlicht als Helden gefeiert werden?
EB Die Frau im Schlachtfeld erfährt eine
Zusatzbedeutung, eine Allegorisierung,
die der männliche Kriegsheld nicht erfährt. Eine Kriegsheldin gibt es nicht. Aber
ich denke, es ist Teil eines grösseren Problems. Das Subjekt ist männlich und die Frau
ist alles andere. Der Krieg hat die Vereinfachung Freund – Feind zur Folge und die
funktioniert am besten, wenn beide vom
gleichen Geschlecht sind, weil dann die Opposition klar erkennbar ist. In dem Moment,
wo eine Frau mit in den Krieg zieht, wird
eine zweite Front aufgezogen, da Frau und
Fotos: Tomas van Houtryve (4); Isolde Ohlbaum
Mann ja grundsätzlich Feinde sind. Wenn
sie sich dann noch an der Kriegsfront begegnen, dann bedeutet das eine doppelte
Feindschaft. Selbst dann, wenn sie gemeinsam auf einer Seite stehen. Sie ist „eine von
uns“, aber eben doch nicht „so wie wir“.
Man muss auch sehen, dass es im amerikanischen Militär zu so irrsinnig vielen Vergewaltigungen kommt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen heute von ihren eigenen
Mitsoldaten vergewaltigt werden, ist wesentlich höher als von einem Feind. Darüber wird in Amerika viel diskutiert.
KT Sexuelle Gewalt spielt im Krieg allerdings immer eine Rolle. Man müsste sich
dazu auch die Zahl der Vergewaltigungen
unter Männern anschauen ...
EB
Ja, das wollte ich auch noch ergänzen.
KT Unsere beiden Produktionen sprechen
zwei Entwicklungen der modernen Kriegsführung an: einerseits Terroranschläge, die
mit extrem wenig Kämpfern und wenig Einsätzen extrem hohe Aufmerksamkeit erzeugen, andererseits die Drohnenkriege, die
fast keine Aufmerksamkeit erzeugen, sondern aus Wolken verhangenem Himmel un-
gezählte Todesopfer fordern. So erzeugt der
Tod von Vielen – viele Hunderte Zivilisten
wurden in den letzten Jahren von amerikanischen Drohnen getötet – fast keine Aufmerksamkeit. Der Tod eines Einzelnen in
Gefangenschaft von Terroristen hingegen
erzeugt durch die Potenzierung der Gewalt
in den Medien hohe Aufmerksamkeit. Inwiefern sind die modernen Kriege immer
Kriege um Aufmerksamkeit?
„Die Drohne ist zur wichtigsten
Waffe im sogenannten ,AntiTerror-Krieg‘ geworden.
Wir leben in einer so mediendurchzogenen Welt und
doch hat die amerikanische
Öffentlichkeit kein Bild, kein
visuelles Narrativ der Drohnenkriege. Es ist ein Geheimkrieg, der es leichter macht,
ihn zu vergessen oder über
ihn nur im abstrakten Sinne
nachzudenken“, sagt Tomas
van Houtryve. Hier fotografiert er eine Freiluft-YogaKlasse in einem Park in
San Francisco.
EB Aufmerksamkeit wird nur erzeugt, indem es irgendeine Form von Berichterstattung gibt. Ob das jetzt Bilder oder Texte
sind, ist wahrscheinlich nicht das Entscheidende. Man braucht einen Berichterstatter,
einen Boten von der Schlacht. Dieser Bote
muss das, was in der Schlacht passiert, in
Kategorien umsetzen, die diejenigen verstehen, die nicht in der Schlacht waren. Es
geht um das Übersetzen. Das ist die eine
Seite. Und die andere ist, dass in unserer
heutigen bildüberfluteten Welt die Berichterstattung immer dramatischer werden muss,
damit man sie bemerkt. Wir schauen im Moment praktisch nur nach Afrika und in den Nahen Osten. Heisst das, dass alle in Südamerika oder Fernostasien friedlich geworden
sind? Eigentlich nicht. Aber unsere →
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Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen
•
DIE JUNGFRAU VON ORLEANS
Friedrich Schillers „Die Jungfrau von
Orleans“ spielt im Hundertjährigen
Krieg. Der Krieg ist ein blutiges Geschäft, das auf dem Schlachtfeld
ausgetragen wird, der Tod sein ständiger Begleiter. Die Jungfrau kämpft
auf der Seite der Franzosen gegen die
Engländer und führt sie von Sieg zu
Sieg. Anders als die historische
Jeanne d ’Arc ist sie nicht nur Symbolfigur und Fahnenträgerin, sondern
eine Kriegerin, die im Auftrag Gottes
eigenhändig tötet.
Regie Stephan Kimmig
Mit Klaus Brömmelmeier, Michael
Neuenschwander, Wolfgang Pregler,
Marie Rosa Tietjen, Edmund Telgenkämper, André Willmund
Unterstützt von der Hans Imholz Stiftung
•
DER NEUE HIMMEL
Die Uraufführung des Autorenduos
Nolte Decar erzählt von einer Reihe
brutaler Raketeneinschläge auf dem
ganzen Globus. Wie sie zusammenhängen, löst sich erst in einem
kriminologischen Kammerspiel auf,
in dem die Drohne uns im westlichen Wohnzimmer aufsucht.
Regie Sebastian Kreyer
Mit Ludwig Boettger, Benedict Fellmer,
Julia Kreusch, Miriam Maertens,
Lisa-Katrina Mayer, Johannes Sima
Aufmerksamkeit wird gerade nicht dorthin
gesteuert. Ein weiteres Beispiel für Aufmerksamkeitslenkung: Im Moment sind wir wieder
sehr aufgebracht wegen der Polizeigewalt gegen junge schwarze Männer in Amerika. Ist
das etwas Neues? Nein, das hat es schon
immer gegeben, aber gerade fokussieren
wir unsere Aufmerksamkeit darauf. Weil Aufmerksamkeit mit Information einhergeht.
KT
Gilt das auch für die IS-Kämpfer?
EB Ganz besonders. Eigentlich ist diese
Bewegung von westlichen Jugendlichen
nach Syrien ein Ausdruck von jugendlichem
Unmut, den es immer gegeben hat. In den
60er Jahren sind viele westliche unzufriedene Jugendliche nach Indien gegangen,
um zu meditieren. Das war weniger zerstörerisch, als das, was sie jetzt machen. Manche haben sich eher selbst umgebracht und
jetzt bringen sie eher andere um. Es gelingt,
weil die Propaganda des IS die Jugendlichen
an der richtigen Stelle anspricht: Sie operiert ganz stark mit Filmen und Bildern, die
sie aus dem Videospiel, aus dem Film, aus
dem Fernsehen kennen. Diejenigen, die das
manipuliert, die darauf ansprechen, sind
ja meistens aus dem Westen. Es ist also
ein westliches Phänomen! Der Westen produziert sein eigenes Symptom. In 30 Jahren
wird man das wie so eine Art Seismograf für
unsere Zeit lesen.
KT Sie schreiben von der Autorität, die die
Fotografie oder die Filmbilder von Kriegsereignissen in Anspruch nehmen, „weil sie
tatsächlich geschehen sind“. Im Theater
diskutieren wir vor allem in Bezug auf Dokumentartheater, aber auch bei Stücken,
die wahre Fälle behandeln, Ähnliches –
nicht nur auf Krieg bezogen. Wie entsteht
daraus eine Autorität?
EB In seinem Buch über das 20. Jahrhundert spricht Alan Badiou von einer „Obsession
mit dem Realen“. Man will gegen alle Bilder,
gegen alle Vorstellungen das Reale hochhalten. Das Reale ist die letzte Keule, die man
als Argument in der Hand hält. Das ist dann
selten frei von Pathos. Aber ich würde trotzdem immer darauf bestehen – nur so kann
ich Kriegsfilme und Kriegsliteratur als eine
politische Plattform verstehen – dass dieses
Reale in der Kunst einen Unterschied macht.
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Beispielsweise eben bei Tarantino. Sowohl
„Django unchained“ wie auch „Inglorious
Basterds“ sind gerade so wirkungsmächtig und für mich ethisch richtig, weil dieser
Kampf um die Kriegsbilder und das Eingebundensein in Kriegsbilder ganz reale Konsequenzen hat. Und wir können darin eine
für uns klare ethische Position einnehmen.
GM Und wie lassen sich ethische Positionen und Drohnenkriege vereinbaren?
EB Drohnenkriege sind ein wirklich ganz
grosses Problem. Politisch und moralisch.
Das kommt noch auf uns zurück. Und zwar
in dem Moment, wo die Drohnen auch bei
uns sind, uns überwachen und auf uns
schiessen. Diese Eskalierung der Drohnen- einsätze muss man der Obama-Regierung wirklich negativ anlasten – das hat
völlig Überhand genommen. Und vor allem
die Implikation, die dahinter steckt: Man
erzeugt diese sauberen Bilder vom Krieg
und der Zerstörung, als führe man keinen
Krieg.
KT Die Grenze zwischen erweiterten Geheimdienstaktionen und gezielten Kriegshandlungen wird verwischt.
EB Ja. Es ist wirklich schrecklich. Auch
wenn man darüber nachdenkt, wohin sich
das entwickelt ...
KT Sehen Sie einen wesentlichen Unterschied im Umgang mit Bildern in Amerika
und in Europa?
EB Ich bin der festen Überzeugung, dass
Europa, was das betrifft, völlig amerikanisiert worden ist – ob einem das Amerikanische nun gefällt oder nicht: Die Menschen
denken, reden, bewegen sich wie Amerikaner, weil sie ja praktisch nur noch amerikanisches Kino schauen und amerikanische
Werbung oder amerikanische Fernsehserien, sei es „Homeland“ oder „The Wire“.
Wenn man doch nach einem Unterschied
sucht, denke ich, dass Amerikaner ihrer
Populärkultur gegenüber grundsätzlich ironischer eingestellt sind. Es ist schwer für
Europäer, das zu verstehen.
GM Was genau meinen Sie mit „ironisch“?
EB Mit ironisch meine ich, dass sie wissen, dass das Bilder sind. Sie lassen ihnen
die ganze Überzeugungskraft, aber wissen,
sie sind austauschbar. Da bin ich mir nicht
so sicher, ob das für die Europäer so stimmt.
Es ist eine andere Bildtradition.