Porträt MENSCHEN & MARKEN D as Pferd frisst keinen Gurkensalat“ und „Die Sonne ist von Kupfer“. Diese merkwürdigen Sätze spricht der Mathematik- und Physiklehrer Philipp Reis vor 155 Jahren. Seinen Fernsprecher führt er damit am 26. Oktober 1861 erstmals öffentlich zahlreichen Mitgliedern des Physikalischen Vereins in Frankfurt am Main vor. Seit Jahren verbringt er nach dem Unterricht jede freie Minute in seiner Scheune. Diese hat er in ein physikalisches Labor verwandelt. Sein liebstes Forschungsgebiet ist es, „Töne aller Art durch den galvanischen Strom in beliebiger Entfernung zu reproduzieren“. Dies gelingt ihm, indem er eine hölzerne Ohrmuschel mit Wursthaut verklebt, um das menschliche Trommelfell nachzuahmen. Dort bringt er einen Platinstreifen an. Zwischen diesem Platinstreifen und dem „Trommelfell“ ist eine Feder befestigt, die mit einem Pol einer Batterie verbunden ist. Der Drehpunkt des Platinstreifens ist dabei an dem anderen Pol der Batterie angeschlossen. Die Schallschwingungen werden in die Schwingungen der Wursthautmembran umgewandelt, die dann im selben Rhythmus den Stromkreis unterbrechen. Der Empfänger ist eine Spule, in der eine Stricknadel steckt. Wenn der zerhackte Strom durch die Spule fließt, erzeugt die Nadel Töne. DAS WURSTHAUT-TELEFON IST UNINTERESSANT Eine geniale Erfindung, will man meinen. Doch das Fatale: Obwohl die Konstruktion funktioniert, interessiert das Wursthaut-Telefon keinen der zusehenden Wissenschaftler. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Übertragung nur einseitig möglich und die Qualität der Töne sehr schlecht ist. Einen Nutzwert will man jedenfalls vor 155 Jahren in Frankfurt nicht erkennen. Doch Reis lässt sich nicht entmutigen. Schließlich experimentiert er seit 1858 und entwickelt das erste funktionierende Gerät zur Übertragung von Tönen über elektrische Leitungen. Seine Erfindung nennt er „Telephon“. Reis nimmt den Morse-Telegrafen als Vorbild, der mit Unterbrechungen des Stromkreislaufs arbeitet. Damit kann er zwar Musiknoten an einen Empfänger schicken, jedoch ist das Gerät für die Sprache eben nicht geeignet – noch nicht. Er verbessert in den folgenden zwei Jahren seinen Apparat wesentlich und verkauft ihn in größeren Mengen weltweit als wissenschaftliches Demonstrationsobjekt. So kommen auch Exemplare in die USA, wo ab 1868 eifrig mit der deutschen Erfindung gearbeitet wird. Die Entwicklung des Telefons beginnt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Reis ist dabei nur einer der ersten von vielen experimentierfreudigen Herren. Es sind noch mindestens drei weitere Männer an der Erfindung und Verbesserung des Sprachübermittlungsapparates beteiligt. Wenige Jahre vor den Versuchen des deutschen Lehrers forscht der Franzose Charles Bourseul in seiner Freizeit an Möglichkeiten zur Lautübertragung auf elektrischem Wege. Allerdings nimmt auch seine 24 Bild: goldpix - Fotolia.com DIE GEBURT DES TELEFONS Antikes Wählscheibentelefon um 1900. ZEITLEISTE 1861 Am 26. Oktober führt Reis seinen Fernsprecher vor. 1868 Das Telefon von Reis wird in den USA bekannt. 1875 Am 2. Juni entdeckt Bell die Voraussetzungen für ein elektrisches Sprachtelefon. 1876 Bell meldet das Telefon zum Patent an. 1878 Hughes erfindet das Kohlemikrofon. maschinenmarkt.de Suche „Porträt“ Ideen niemand ernst. 1854 tut ihn die Öffentlichkeit als Spinner und Fantasten ab. Er ist entmutigt und gibt seine Pläne auf. Alexander Graham Bell ist acht Jahre später erfolgreicher. Er lernt bereits 1862 in Edinburgh ein frühes Modell des Reis-Telefons kennen. Und auch er experimentiert in seiner Freizeit und profitiert von der Grundlagenforschung des Deutschen. Bell betreibt Versuche zur Mehrfachtelegrafie und überträgt Töne verschiedener Stimmgabeln über eine Leitung. Mit einem Elektromagneten und einer Stimmgabel verwandelt er die elektrischen Signale wieder in Töne. Bell erkennt schon bald, dass zur Übertragung von Sprache eine stetige Stromänderung notwendig ist. Durch Zufall entdeckt er am 2. Juni 1875 die notwendigen Zusammenhänge, um ein elektrisches Sprechtelefon zu bauen. Zusammen mit seinem Assistenten Watson macht er sich an die Arbeit: Das Grundprinzip ihrer Konstruktion ist die Umwandlung von Membran- in elektrische Schwingungen. Doch im Gegensatz zu Reis unterbricht Bell den Stromfluss nicht. Er lässt ihn im Rhythmus der Schallwellen schwingen und hat Erfolg. 1876 erhält er in den USA das Patent auf sein Telefon. Doch bei allem Erfolg muss Bell nicht weniger als 600 Patentprozesse über sich ergehen lassen. Viele andere „Erfinder“ behaupten, sie hätten vor ihm das Telefon entwickelt – wenngleich sie natürlich nicht wussten, dass es sich hierbei um ein solches handelt. Doch er setzt sich durch und behält das Patent auf das Telefon. Als Bell 1922 stirbt, ruht ihm zu Ehren in den USA der gesamte Telefonverkehr. ERFINDUNG DES KOHLEMIKROFONS Die Grundform des heutigen Telefons schaffen David Edward Hughes in England sowie Emil Berliner und Thomas Alva Edison in den USA. Sie entwickeln unabhängig voneinander ein Kohlemikrofon, das die Sprachtelefonie ermöglicht. Edison vereinigt das Kohlemikrofon mit einem elektromagnetischen Hörer. Obwohl er als erster ein Patent anmeldet, zeigt Hughes einige Jahre zuvor vor etlichen Zeugen einen funktionsfähigen Prototypen. Somit sehen die meisten Historiker Hughes als Erfinder des Kohlemikrofons. 1865 experimentiert er mit einem importierten Apparat des ursprünglichen Erfinders. Hughes' Fernsprecher gilt als erstes funktionierendes Gerät zur Übertragung von Tönen über elektrische Leitungen. Diese „Hughes-Telegrafen“ werden tatsächlich bis ins 20. Jahrhundert weltweit angewendet. Physikalische Studien bringen ihn 1878 dazu, ein verbessertes Kohlemikrofon in der Öffentlichkeit vorzustellen. Es handelt sich hierbei um die Weiterführung von Experimenten von Edison und Berliner. Hughes' erstes Kohlemikrofon ist so empfindlich, dass es sogar das Laufen einer Fliege hörbar machen soll. Im Gegensatz zu Erfinder Edison ist der Brite allerdings ganz Gentleman. Er verzichtet auf eine Patentierung und stellt sein MikAlexander Völkert rofon zur freien Verfügung. MM MASCHINENMARKT KW 7 2016
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