SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Eberhard im Bart (1455-1496) Württembergs erster Herzog Von Marianne Thoms Sendung: Freitag, 15. April 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Udo Zindel Regie: Maria Ohmer Produktion: SWR 2015 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. 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Dezember 1445 im Residenzschloss Urach am Fuß der Schwäbischen Alb zur Welt, als zweitgeborener Sohn des Grafen von WürttembergUrach. Nichts deutet darauf hin, dass er zum ersten Herzog der Württembergischen Geschichte aufsteigen wird. Die Quellen erzählen von einer wilden Jugend Eberhards, der sich an Frauen vergreift, uneheliche Kinder zeugt und dann reuevoll nach Jerusalem pilgert. Schließlich heiratet er eine wohlhabende italienische Prinzessin und öffnet sich dem Humanismus. In Tübingen gründet er die erste Universität des Landes. Seine größte politische Leistung aber ist die Wiedervereinigung Württembergs, das 40 Jahre lang gespalten war. Eberhards Wunsch diese Teilung zu überwinden, mag schon früh entstanden sein, meint Professor Peter Rückert, Referatsleiter im Hauptstaatsarchiv Stuttgart: O-Ton 01 Peter Rückert: Eberhard ist aufgewachsen in einem geteilten Land. Sein Vater war Graf in der Herrschaft Württemberg-Urach. Und dort wuchs er als 14-Jähriger schon in die Regierungsverantwortung hinein und hat dieses geteilte Land mit all seinen Problemen mitbekommen. Sprecherin: Erbstreitigkeiten hatten 1442 zur Teilung und Schwächung der Grafschaft Württemberg geführt. Im Südwesten des Territoriums herrscht seitdem Eberhards Vater Ludwig in der Residenzstadt Urach, und im Nordosten dessen Bruder Ulrich in der Stuttgarter Residenz. An seinem elterlichen Hof umgibt Eberhard die von seinem Vater geschätzte Ritterkultur, über die der Historiker Johann Christian von Pfister schreibt: 2 Zitator: Da sah man nichts als Ringen, Jagen, Stechen, Reiten, Fechten, Tanzen, Spielen und Gelage von munteren Gesellen. Sprecherin: Eberhard ist erst fünf Jahre alt, als sein Vater stirbt. Vorausschauend hatte der noch seine Räte verpflichtet, Eberhard zu untersagen, Lateinisch zu lernen – um ihm so den Weg in ein geistliches Amt zu versperren. Der Graf wollte seinen Zweitgeborenen als Erben sehen, denn sein Erstgeborener litt von klein auf an Epilepsie. Nach dem frühen Tod des kranken Bruders wird Eberhard tatsächlich Anwärter auf die Uracher Herrschaft. Seine Vormunde verwickeln ihn sofort in machtpolitische Ränke – vor allem sein Onkel Friedrich aus der Pfalz und sein Stuttgarter Onkel Ulrich. Alle spekulieren auf sein Erbe. Aber Eberhard ertrotzt mit vierzehn Jahren seine Mündigkeit. Er entledigt sich aller Vormunde und regiert selbst über seine Untertanen, die als leibeigene Bauern auf dem Lande oder als Handwerker und freie Bürger in den Städten leben. Am besten beraten fühlt sich der junge Graf von seiner kultivierten, politisch interessierten Mutter Mechthild, die aber bald wieder heiratet und Schloss Urach verlässt. Ihre Nähe und Fürsorge fehlen Eberhard. Er sucht Halt bei seinem humanistischen Erzieher Johann Vergenhans, den man den Naukler nennt, was damals so viel wie Fährmann bedeutet. Vergenhans beklagt jedoch eine gewisse Zügellosigkeit seines heranwachsenden Zöglings und schildert dessen Pubertät in einer Chronik als wilde Jahre: Zitator: Mit Spielen und Ausschweifungen, unehelichen Kindern – eine leichtsinnig verlebte Jugend! Orgelklänge Sprecherin: Wer heute in Bad Urach, im restaurierten Residenzschloss, nach Eberhards Spuren sucht, wird bildhaft in seine Zeit versetzt: Noch immer ist das einst schlichte väterliche Schloss, das Eberhard repräsentativ aus- und umgestalten ließ, ein Wahrzeichen der Stadt. Dort kann man verweilen und sich von Historiker Holger Starzmann aus Eberhards Jugend erzählen lassen: O-Ton 02 Holger Starzmann: Da kommt also ein junger Mann mit 14 an die Regierung, mit einer gewissen Entschlusskraft, aber es ist auch klar, das ist ein junger Man, 14, 15, 16, 17, 18 Jahre alt. Was interessiert den? Ein junger Adliger zumal. Man geht auf die Jagd, man spielt, man hat Kameraden aus dem gleichen sozialen Umfeld um sich. Und da passieren natürlich auch Dinge, die wir heute sehr kritisch sehen. Es kommt zu Übergriffen gegen Frauen. Ob nun wirklich sogar Nonnenklöster überfallen wurden, wie teilweise später in Berichten kolportiert wurde, das muss offen bleiben. Aber auf jeden Fall hat Eberhard in der Zeit uneheliche Kinder gezeugt. Sprecherin: Doch der ausschweifende junge Graf beweist schon früh erstaunliches diplomatisches Geschick. Er schafft es, mit miteinander verfeindeten Fürsten gut 3 auszukommen, ohne sich in deren zahlreiche Fehden hineinziehen zu lassen. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation ist damals Tummelplatz machthungriger Territorialherren, die ihren Besitz auf Kosten der schwachen Kaiser und militärisch unterlegenen Nachbarn rabiat vermehren. Solchen blutigen Rangeleien zieht Eberhard kluge, Sicherheit garantierende Verträge vor. So gewinnt er ein unkriegerisches, friedfertiges Profil. 1468 – als er 23 Jahre alt ist – gibt er seinem Leben eine entscheidende Wendung: Er bricht zu einer Pilgerreise ans Heilige Grab nach Jerusalem auf. Zuvor regelt er noch die Verwaltung seiner Grafschaft während seiner Abwesenheit. O-Ton 03 Holger Starzmann: Diese Pilgerreise, denke ich, ist aus zwei Impulsen zu verstehen. Zum einen natürlich aus einer tiefen Frömmigkeit. Aber da kommt noch ein anderer Impuls hinzu, nämlich aus der Ritterkultur. Eberhard hat sich in der Grabeskirche Christi zum Ritter schlagen lassen, also nochmal ganz stark auf die christlichen Ideale des Rittertums festlegen lassen. Dieser Ritterschlag, den er ja eigenhändig in einem kleinen Kalender vermerkt hat, das war für ihn schon sehr wichtig und unter Standesgenossen schon ein Pluspunkt. Musik Sprecherin: Nach dieser Pilgerreise verbindet Eberhard seine traditionelle Neigung zur mittlerweile überlebten, langsam sterbenden Ritterkultur mit neuen Vorstellungen vom Leben. Die Devise "Attempto" –"Ich wag's" wird sein Lebensmotto. Ein üppiger Bart prägt seinen Beinamen. Und Eberhard im Bart möchte endlich auch heiraten, Nach diplomatischen Vorverhandlungen reitet der 28-Jährige im Frühjahr 1474 unter großen Strapazen über die Alpen ins italienische Mantua, um an dem prächtigen Renaissance-Hof des Markgrafen Ludovico Gonzaga persönlich um die Hand seiner Tochter Barbara anzuhalten. Der Chronist Andrea Schivenoglia beschreibt die Begegnung: Zitator: Das Fräulein Barbara war 18 Jahre alt, schön, von angenehmer Gestalt und gefiel diesem Graf Eberhard sehr. Sprecherin: Über Eberhards werbenden Auftritt berichtet der Chronist: Zitator: Er ist zweifellos sehr höflich, gewandt und zugleich bescheiden. Doch er ist mager, stark behaart, mit einer Adlernase und mit immerhin ziemlich guten Gesichtszügen. Sprecherin: Eberhard erhält das Ja-Wort. Zur Hochzeit auf Schloss Urach reist die Prinzessin aus Mantua mit großem Gefolge an, mit einer kostbaren Aussteuer im Wert von 9.000 Gulden und der ansehnlichen Mitgift von 20.000 Gulden. Sie zieht aus einem der glänzendsten Zentren der italienischen Renaissance in die eher dörfliche Residenzstadt Urach mit kaum 1.000 Einwohnern. 4 O-Ton 04 Holger Starzmann: Sie erlauben, dass ich mit einem saloppen Ausdruck zusammenfasse: Da heiratet Geld zum Namen. Das sind natürlich arrangierte Ehen. Da geht es um grundsätzliche Fragen, das sind politische Allianzen, die da mitspielen, das ist eine finanzielle Frage. Und so war es in diesem Fall auch. Sprecherin: Eberhard nutzt die Hochzeitsfeier zur Darstellung seines Ansehens. Musik Sprecherin: Nach Kirchgang und Ehegelöbnis wird üppig gespeist: 22 Gänge für Fürsten und Bischöfe, 12 Gänge für Edeldamen, Grafen und Stadtherrn und immerhin noch sechs für das Gesinde. Es gibt Spanferkel am Spieß, gesottene Forellen, gebackenes Ochsenfleisch, Wildbret in damals sehr kostbarem Pfeffer und vieles mehr. Dazu werden 165.000 Brote verzehrt. Abends wird getanzt. Und beim Ritterturnier auf dem Uracher Marktplatz kämpft der Bräutigam mit um Trophäen. Die kleine Residenzstadt erstrahlt im höfischen Glanz – bis nach vier Tagen das Fest vorbei ist. Für das Herrscherpaar beginnt der Alltag. Mit Barbara Gonzaga zieht ein Abglanz von Renaissancekultur bei Hofe ein. Ihre humanistische Bildung verstärkt Eberhards Interesse an Italiens reicher Wissenschaft und Kultur, und ihre Familie verschafft ihm gute Kontakte zu Zentren des Humanismus in Florenz und Rom. Anfangs brauchen die Eheleute noch einen Dolmetscher, denn Eberhard spricht weder Italienisch noch Lateinisch und Barbara kein Deutsch. Von ihrem gemeinsamen Leben erzählen zahlreiche Briefe. Einer der Herausgeber dieser Quellen ist Peter Rückert vom Stuttgarter Hauptstaatsarchiv: O-Ton 06 Peter Rückert: Diese Briefe geben intimen Einblick in die Verbindungen zwischen beiden Eheleuten. Und man kann daraus wörtlich entnehmen, wie verliebt die beiden in den ersten Jahren ihrer Ehe waren. Man musste ihnen das Essen vorschneiden auf dem Teller, weil sie sich nicht von den Händen lassen konnten, wenn sie bei Tisch saßen. Man weiß, dass bei der Geburt ihres ersten Kindes Eberhard so schnell wie möglich herbeigerufen aus dem Schlachtfeld bei Neuß, in mehreren Tagen zurückreiten musste, um pünktlich bei der Entbindung seiner Gemahlin dabei zu sein. Er hat es geschafft, er kam gerade noch rechtzeitig Anfang August des Jahres 1475 in Urach an. Überglücklich über das Kind schreibt Eberhard an seinen Schwiegervater: Zitator: Hochgeborener Fürst, lieber Herr. Mit besonderer Freude geb ich Euch zur Kenntnis, dass mit dem heutigen Datum Eure Tochter, mein Herzlieb, eine schöne Tochter entbunden hat und wohlauf ist. Sprecherin: Doch schon nach wenigen Monaten stirbt das kleine Mädchen. Ein männlicher Erbe, der die Dynastie fortsetzen könnte, bleibt aus. Die anfangs so heitere Barbara sehnt sich zunehmend nach ihrer italienischen Familie. Vergeblich bittet sie Eberhard um Reiseerlaubnis. Barbara wird ihre italienische Heimat nie wiedersehen. 5 O-Ton 07 Peter Rückert: Die Kinderlosigkeit des Ehepaares war sicherlich mit der Grund, dass sich die beiden immer weiter entzweiten und, bei Eberhard genauso wie bei Barbara, in depressives Verhalten umschlug, um dann bei ihm vielleicht aufgefangen zu werden durch vermehrte politische Aktivität, die ihn zu einem politischen Workaholic werden ließ. Mit großem Erfolg. Sprecherin: Eberhard im Bart will seinen Machtbereich modernisieren. Er erkennt den eklatanten Bildungsmangel in seiner Grafschaft. In Kanzleien, kirchlichen und städtischen Ämtern, bei Gericht und in Schulen fehlt es an fähigem Personal. So fasst der Graf den kühnen Plan, seinem Land eine Universität zu stiften. Seine Mutter Mechthild gibt Finanzhilfe, seine Gemahlin Barbara Gonzaga bestärkt ihn und der Papst erteilt seine Zustimmung. Wie üblich soll eine theologische Fakultät unter weiteren juristischen, medizinischen und philosophischen Fakultäten den Ton angeben. Als Standort wird Tübingen gewählt. Fieberhaft werden Fachwerkhäuser und Klosterräume für Professoren und Studenten hergerichtet. Es wird zwar noch lange dauern, bis äußerlich alles im Lot ist, aber im September 1477 beginnt der Lehrbetrieb mit den ersten 235 Studenten. In seinem sogenannten Freiheitsbrief schreibt der Graf: Zitator: Die Tübinger Universität soll helfen zu graben den Brunnen des Lebens, aus dem unversieglich geschöpft mag werden heilsame Weisheit zum Löschen des verderblichen Feuers menschlicher Unvernunft und Blindheit. Sprecherin: Erster Rektor der Universität wird Eberhards Erzieher Johannes Vergenhans. Der Graf beruft Professoren, die Wissenschaft und Praxis eng verbinden. Er holt sie sich auch als Räte in seine Kanzlei, fragt sie vor politischen Entscheidungen, in diplomatischen Fragen und bei Gericht um ihre Meinung. Eberhard im Bart gibt seiner politischen Arbeit gewissermaßen wissenschaftliche Grundlagen. Wie das sein Ansehen im gesamten Reich stärkt, bezeugt der weitgereiste Benediktinerabt Johannes Trithemius: Zitator: Unter allen deutschen Fürsten unserer Zeit, die ich kenne, war keiner, dessen Hof mit so vielen Gebildeten jeder Art und so vielen in jeder Fakultät promovierten Doktoren geziert war. Auf den kaiserlichen Reichstagen war der Württemberger, wenn man die Zahl der Doktoren und Adligen betrachtet, mühelos und überall der erste. Sprecherin: Doch 1477 – im selben Jahr, als der so Gerühmte mit der Universität Tübingen dem Humanismus die Tür öffnet – zeigt er auch eine dunkle Seite seines Wesens: Er verfügt die Austreibung aller Juden aus der Stadt. 6 O-Ton 08 Peter Rückert: Der Mann lebte Christentum und hatte ein Bild des Judentums vor Augen, das sehr stark verunklärt, verdumpft, abgedichtet war durch diese Situation des Vorwurfs, dass Juden Christus ans Kreuz gebracht hätten. Das zum einen. Und zum anderen hatte er Vorbilder vor Augen, wie seinen von ihm verehrten Onkel, Friedrich von der Pfalz, der schon vor der Universitätsgründung in Tübingen die Juden seines Landes verwies. Ich will damit sagen: Zum einen war er bei weitem nicht der Einzige, der politisch programmatisch jüdische Mitbürger nicht mehr dulden wollte - aber auffälliger Weise im Jahr der Universitätsgründung die Juden aus Tübingen auswies, auffälliger Weise in seinem Testament 1492 dafür sorgen wollte, dass kein Jude mehr in Württemberg ansässig sein darf, sich ansiedeln darf oder Arbeit nachgehen darf und in der Württemberger Landesordnung 1495 auch nochmal sagt, dass man sich von Juden kein Geld leihen soll. Damit haben wir aber auch schon mehr oder weniger alle Quellenstellen benannt, in denen es um Eberhards Judenfeindlichkeit geht. Sprecherin: Zu Eberhards widerspruchsvoller Persönlichkeit gehört sein eindrucksvoller Wissensdurst. Ohne Kenntnis der lateinischen Sprache verschafft er sich Zugang zum Bildungsgut der Antike, um es für sich und seine Politik nützlich zu machen. Systematisch und so zahlreich wie damals kein anderer deutscher Fürst vergibt er Übersetzungsaufträge vom Lateinischen ins Deutsche. Darunter sind Geschichtswerke des Sallust, des Livius, des Flavius Josephus. Konrad Summenhart, der zu Eberhards Übersetzern gehört, berichtet: Zitator: Der Graf war noch wissensdurstiger als die Übersetzer selbst, die gewiss sehr eifrig waren. Ihnen erwuchs so Gelegenheit zu lernen, was sie sonst vielleicht niemals gelernt hätten. Sprecherin: Eberhard im Bart ist vermutlich der erste deutsche Regent, der den 1445 erfundenen Buchdruck als breitenwirksames Medium nutzt. Er lässt eine Papiermühle errichten und siedelt Konrad Fyner als Hofdrucker in Urach an. Nach der Universitätsgründung gewinnt seine Vision, das geteilte Württemberg wieder zu vereinen, an Schärfe. Vom Stuttgarter Onkel Ulrich und dessen Söhnen, Heinrich und Eberhard dem Jüngeren, erreichen ihn ständig neue Teilungsforderungen. 1473 konnte er die Gefahr einer weiteren Zersplitterung Württembergs noch vertraglich abwenden. Er opferte damals den Stuttgartern seinen Besitz im linksrheinischen Mömpelgard, dem heutigen Montbéliard, südwestlich von Belfort. O-Ton 09 Peter Rückert: Eberhard erlangte dafür die Zustimmung, einen gemeinsamen Namen mit Onkel und Vettern zu führen, nämlich Württemberg-Mömpelgard, und ein gemeinsames Siegel und Wappen zu führen. Sprich, in der symbolischen Kommunikation Württemberg als Einheit wieder erstehen zu lassen – zumindest im Bild, im Wappen, im Siegel. 7 Sprecherin: Doch Eberhard will bei dieser symbolischen Einheit nicht länger stehen bleiben. Er will die Teilung Württembergs überwinden. O-Ton 10 Peter Rückert: Eberhard war Taktiker genug, um zu verstehen, dass er die Landstände brauchte, damals vor allem die Städte und Ämter, aber auch die Vertreter der Ritterschaft und der Geistlichkeit, die er stark mit einband, um örtliche Politik zu machen. Sprecherin: Mit großem diplomatischen Geschick, mit enormer politischer Energie und langem Atem erkämpft Eberhard schließlich sein Ziel: Am 14. Dezember 1482 besiegeln in Münsingen auf der Schwäbischen Alb die beiden Stuttgarter Vettern – der Onkel ist inzwischen gestorben – und neun Städte zusammen mit ihm einen Vertrag, der nach 40 Jahren Württembergs Spaltung beendet. Das Original dieses historisch bedeutenden Münsinger Vertrages wird im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv aufbewahrt. Peter Rückert nennt die entscheidenden Punkte: O-Ton 11 Peter Rückert: Württemberg wird wiedervereinigt. Die beiden Teile Württemberg-Stuttgart und Württemberg-Urach werden zu einem gemeinsamen Staatswesen zusammengefasst, Württemberg soll für die Zukunft unteilbar bleiben. Und zum Dritten: Der Erstgeborene des Hauses Württemberg soll die Alleinherrschaft haben, es wird nicht geteilt! Die Perspektive des Landes Württemberg bleibt eine geschlossene, wiedervereinigte, untrennbare auf alle Zukunft hin. Und wenn Sie so wollen, hatte diese Zukunft bis 1918 Bestand. Sprecherin: Nach diesem seinem größten politischen Erfolg verlässt Eberhard im Bart seine Residenz in Urach und zieht als alleiniger Regent Württembergs mit seinem Hof nach Stuttgart – die Residenzstadt der wiedervereinigten Grafschaft. Jeden Angriff auf das Erreichte unterbindet er mit Härte. Alle Versuche des ewig neidischen Vetters, Eberhard des Jüngeren, den Münsinger Vertrag zu revidieren, kann er erfolgreich abwehren. Das Ergebnis umschreibt er heiter-ironisch: Zitator: So habe ich die Sorge und Last des Regiments übernommen und dem Vetter seine Lust, Kurzweil und Ergötzlichkeit überlassen. Musik Sprecherin: Die Wiedervereinigung Württembergs treibt den rastlosen Eberhard an. Weitsichtig fördert er Handel und Gewerbe der aufstrebenden Städte, die er taktisch klug als Garanten der Einheit in den Münsinger Vertrag eingebunden hatte. Er kümmert sich auch um Klosterreformen. Den tief religiösen Herrscher besticht der Reformansatz der "Brüder vom gemeinsamen Leben", die in Gütergemeinschaft leben und durch Arbeit für sich sorgen. Eberhard holt ihren Orden nach Württemberg und verschafft ihnen zahlreiche Niederlassungen. Darunter ist das Stift St. Peter auf der Domäne Einsiedel bei Tübingen, das er aus seinem Privatvermögen finanziert. Über 8 Standesgrenzen hinweg leben, arbeiten und beten dort Geistliche, Adlige und Bürger gemeinsam. In einem ihrer Traktate heißt es: Zitator: Es genügt uns, nach Vollkommenheit zu streben, unter dem einen Abt Jesus Christus. Sprecherin: Der Papst würdigt Eberhards religiöse Aktivitäten mit dem Ehrenzeichen der Goldenen Rose. Der Kaiser, Maximilian I., begleitet Eberhards württembergische Staatskunst mit Wohlwollen. Bei Streitfällen im Reich dient ihm der angesehene Territorialfürst uneigennützig als geschickter Vermittler. Er belohnt den Württemberger mit der Berufung in den Ritterorden zum Goldenen Vlies. Und er krönt Eberhards Verdienste 1495 auf dem Wormser Reichstag mit der Erhebung in den von ihm ehrgeizig erstrebten Herzogsstand. An der Spitze von 300 Reitern erscheint Eberhard vom Bart auf dem weiten Platz des Wormser Reichstages. Kniend nimmt der Geehrte die Insignien seiner neuen Würde entgegen – Hut, Mantel, Schwert und neues Wappen. Eberhard ist auf dem Höhepunkt seiner Macht – aber er ist bereits ein sehr kranker Mann. Lebenslang hat er gegen seine schwache Konstitution angekämpft. Nur ein Jahr wird ihm noch bleiben. Er nutzt es, um seinem Herzogtum eine Landesordnung zu geben. Von den Insignien seiner Herzogswürde ist das prächtige Schwert im Original erhalten geblieben. Das Württemberger Landesmuseum in Stuttgart zeigt eine Kopie davon. Die Kuratorin Ingrid-Sibylle Hoffmann sagt: O-Ton 12 Ingrid-Sibylle Hoffmann: Das Schwert ist aufwändig verziert, vergoldetes Silber, es trägt seine Devise "Attempto" – "Ich wag's". Das Schwert ist ein Zeremonialschwert, also es ist nicht dafür gedacht, in der Schlacht mitgeführt zu werden, sondern es ist quasi ein Statussymbol, dass er sich zum Beispiel dem Schutz von Witwen und Waisen annehmen solle in seinem Land, also er solle Recht sprechen mit diesem Schwert, also für die Rechtsprechung ist dieses Schwert ein ganz wichtiges Symbol, dass es ein Zeichen sei, das seinen Status, seine Würde als Herzog besiegelt. Sprecherin: Über das Verhältnis des Herzogs zum einfachen Volk wird Widersprüchliches berichtet. Der elsässische Humanist Jakob Wimpfeling schwärmt von Eberhards Humanitas, seiner Menschlichkeit: Zitator: Denn der Herzog bescheidet Bittsteller persönlich und lässt sie nicht durchs Hofpersonal abfertigen. Sprecherin: Das allerdings bestreitet Eberhards Erzieher und Berater Johannes Vergenhans: Der Herzog habe Bittsteller nicht ausstehen können und mit allen möglichen Tricks abgewimmelt. Im Stuttgarter Schlossgarten steht seit 1881 ein Marmor-Denkmal, die sogenannte "Eberhard-Gruppe". Sie will dem Betrachter vermitteln, dass der erste 9 Herzog von Württemberg ein allseits beliebter Landesvater gewesen sei. Er ruht dort vertrauensvoll im Schoße eines Hirten, der seinen Schlaf bewacht. O-Ton 14 Aurelius Sänger: Eberhard, der mit dem Barte,/ Württembergs geliebter Herr/ Sprach: Mein Land hat kleine Städte,/ Trägt nicht Berge silberschwer;/ Doch ein Kleinod hält´s verborgen:/ Dass in Wäldern noch so groß,/ Ich mein Haupt kann kühnlich legen/ Jedem Untertan in Schoß"/ O-Ton 13 Ingrid-Sybille Hoffmann: Die Eberhard-Gruppe bezieht sich auf ein Gedicht von Justinus Kerner, das wiederum auf eine schon im 16. Jahrhundert entstandene Legende zurückgeht, nach der Eberhard sich gerühmt haben soll, dass er bei jedem seiner Untertanen seinen Kopf in den Schoß legen könne, weil eben er für alle als guter Fürst gedient habe und deshalb niemand quasi schlechte Gefühle für ihn hege. Sprecherin: Der bis heute verbreiteten Idealisierung Eberhards hält die Museumskuratorin Ingrid Sibylle Hoffmann entgegen: O-Ton 15 Ingrid-Sibylle Hoffmann: Eberhard war sicher ein knallharter Herrscher, der eben taktisch klug darauf hingearbeitet hat, auch Herzog zu werden, aber der sicher nicht nur Freunde hatte. Also bei seinen Untertanen gab es sicher auch welche, die nicht nur gut auf Eberhard zu sprechen waren. Insofern ist auch diese Legende natürlich verklärt. Es ist ein Idealbild, das gezeichnet wird. Sprecherin: Eberhard im Bart bedarf keiner Verklärung. Seine Wagnisse, seine Weitsicht und seine rastlose Arbeit haben Württemberg an der Schwelle zur Neuzeit aus einer tiefen Krise zu neuem Ansehen geführt und ihn über seine regierenden Zeitgenossen erhoben. Mit 51 Jahren sind seine Kräfte verbraucht. Im Februar 1496 stirbt dieser bedeutende Fürst des 15. Jahrhunderts an Fieber, roter Ruhr und Blasengeschwüren. Er hat vieles gewagt – und manches gewonnen. ***** 10
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