Eberhard im Bart (1455-1496)

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Wissen
Eberhard im Bart (1455-1496)
Württembergs erster Herzog
Von Marianne Thoms
Sendung: Freitag, 15. April 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Maria Ohmer
Produktion: SWR 2015
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
Service:
SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter
www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml
Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im
sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende
"App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B.
die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen
Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch sogenannte Addons oder
Plugins zum Betrachten von E-Books:
Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen sind auf CD erhältlich beim SWR
Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro.
Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030
Bestellungen per E-Mail: [email protected]
Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?
Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen
Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen.
Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen
Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.
Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de
MANUSKRIPT
Kirchenglocken, Musik
Sprecherin:
Im Mai des Jahres 1498 ereignet sich am Stift St. Peter auf der Domäne Einsiedel
bei Tübingen eine denkwürdige Begebenheit: Maximilian I., Kaiser des Heiligen
Römischen Reiches deutscher Nation, verharrt einen Augenblick schweigend am
Grabmal des Württembergischen Herzogs, Eberhard im Bart. Dann ehrt er den
Verstorbenen mit den Worten:
Zitator:
Hier liegt ein Fürst, den ich im Römischen Reich an Verstand und Tugend keinem zu
vergleichen weiß. Sein Rat hat mir oft genützt.
Sprecherin:
Womit verdiente der Württemberger diese Ehrung? Und warum wird er noch
Jahrhunderte später wie eine "Lichtgestalt" gepriesen? Sein Lebensmotto war:
"Attempto" – "Ich wag's"!
Ansage:
Eberhard im Bart – Württembergs erster Herzog. Eine Sendung von Marianne
Thoms.
Sprecherin:
Eberhard kommt am 11. Dezember 1445 im Residenzschloss Urach am Fuß der
Schwäbischen Alb zur Welt, als zweitgeborener Sohn des Grafen von WürttembergUrach. Nichts deutet darauf hin, dass er zum ersten Herzog der Württembergischen
Geschichte aufsteigen wird. Die Quellen erzählen von einer wilden Jugend
Eberhards, der sich an Frauen vergreift, uneheliche Kinder zeugt und dann reuevoll
nach Jerusalem pilgert. Schließlich heiratet er eine wohlhabende italienische
Prinzessin und öffnet sich dem Humanismus. In Tübingen gründet er die erste
Universität des Landes. Seine größte politische Leistung aber ist die
Wiedervereinigung Württembergs, das 40 Jahre lang gespalten war. Eberhards
Wunsch diese Teilung zu überwinden, mag schon früh entstanden sein, meint
Professor Peter Rückert, Referatsleiter im Hauptstaatsarchiv Stuttgart:
O-Ton 01 Peter Rückert:
Eberhard ist aufgewachsen in einem geteilten Land. Sein Vater war Graf in der
Herrschaft Württemberg-Urach. Und dort wuchs er als 14-Jähriger schon in die
Regierungsverantwortung hinein und hat dieses geteilte Land mit all seinen
Problemen mitbekommen.
Sprecherin:
Erbstreitigkeiten hatten 1442 zur Teilung und Schwächung der Grafschaft
Württemberg geführt. Im Südwesten des Territoriums herrscht seitdem Eberhards
Vater Ludwig in der Residenzstadt Urach, und im Nordosten dessen Bruder Ulrich in
der Stuttgarter Residenz. An seinem elterlichen Hof umgibt Eberhard die von seinem
Vater geschätzte Ritterkultur, über die der Historiker Johann Christian von Pfister
schreibt:
2
Zitator:
Da sah man nichts als Ringen, Jagen, Stechen, Reiten, Fechten, Tanzen, Spielen
und Gelage von munteren Gesellen.
Sprecherin:
Eberhard ist erst fünf Jahre alt, als sein Vater stirbt. Vorausschauend hatte der noch
seine Räte verpflichtet, Eberhard zu untersagen, Lateinisch zu lernen – um ihm so
den Weg in ein geistliches Amt zu versperren. Der Graf wollte seinen
Zweitgeborenen als Erben sehen, denn sein Erstgeborener litt von klein auf an
Epilepsie. Nach dem frühen Tod des kranken Bruders wird Eberhard tatsächlich
Anwärter auf die Uracher Herrschaft. Seine Vormunde verwickeln ihn sofort in
machtpolitische Ränke – vor allem sein Onkel Friedrich aus der Pfalz und sein
Stuttgarter Onkel Ulrich. Alle spekulieren auf sein Erbe. Aber Eberhard ertrotzt mit
vierzehn Jahren seine Mündigkeit. Er entledigt sich aller Vormunde und regiert selbst
über seine Untertanen, die als leibeigene Bauern auf dem Lande oder als
Handwerker und freie Bürger in den Städten leben. Am besten beraten fühlt sich der
junge Graf von seiner kultivierten, politisch interessierten Mutter Mechthild, die aber
bald wieder heiratet und Schloss Urach verlässt. Ihre Nähe und Fürsorge fehlen
Eberhard. Er sucht Halt bei seinem humanistischen Erzieher Johann Vergenhans,
den man den Naukler nennt, was damals so viel wie Fährmann bedeutet.
Vergenhans beklagt jedoch eine gewisse Zügellosigkeit seines heranwachsenden
Zöglings und schildert dessen Pubertät in einer Chronik als wilde Jahre:
Zitator:
Mit Spielen und Ausschweifungen, unehelichen Kindern – eine leichtsinnig verlebte
Jugend!
Orgelklänge
Sprecherin:
Wer heute in Bad Urach, im restaurierten Residenzschloss, nach Eberhards Spuren
sucht, wird bildhaft in seine Zeit versetzt: Noch immer ist das einst schlichte
väterliche Schloss, das Eberhard repräsentativ aus- und umgestalten ließ, ein
Wahrzeichen der Stadt. Dort kann man verweilen und sich von Historiker Holger
Starzmann aus Eberhards Jugend erzählen lassen:
O-Ton 02 Holger Starzmann:
Da kommt also ein junger Mann mit 14 an die Regierung, mit einer gewissen
Entschlusskraft, aber es ist auch klar, das ist ein junger Man, 14, 15, 16, 17, 18 Jahre
alt. Was interessiert den? Ein junger Adliger zumal. Man geht auf die Jagd, man
spielt, man hat Kameraden aus dem gleichen sozialen Umfeld um sich. Und da
passieren natürlich auch Dinge, die wir heute sehr kritisch sehen. Es kommt zu
Übergriffen gegen Frauen. Ob nun wirklich sogar Nonnenklöster überfallen wurden,
wie teilweise später in Berichten kolportiert wurde, das muss offen bleiben. Aber auf
jeden Fall hat Eberhard in der Zeit uneheliche Kinder gezeugt.
Sprecherin:
Doch der ausschweifende junge Graf beweist schon früh erstaunliches
diplomatisches Geschick. Er schafft es, mit miteinander verfeindeten Fürsten gut
3
auszukommen, ohne sich in deren zahlreiche Fehden hineinziehen zu lassen. Das
Heilige Römische Reich deutscher Nation ist damals Tummelplatz machthungriger
Territorialherren, die ihren Besitz auf Kosten der schwachen Kaiser und militärisch
unterlegenen Nachbarn rabiat vermehren. Solchen blutigen Rangeleien zieht
Eberhard kluge, Sicherheit garantierende Verträge vor. So gewinnt er ein
unkriegerisches, friedfertiges Profil. 1468 – als er 23 Jahre alt ist – gibt er seinem
Leben eine entscheidende Wendung: Er bricht zu einer Pilgerreise ans Heilige Grab
nach Jerusalem auf. Zuvor regelt er noch die Verwaltung seiner Grafschaft während
seiner Abwesenheit.
O-Ton 03 Holger Starzmann:
Diese Pilgerreise, denke ich, ist aus zwei Impulsen zu verstehen. Zum einen natürlich
aus einer tiefen Frömmigkeit. Aber da kommt noch ein anderer Impuls hinzu, nämlich
aus der Ritterkultur. Eberhard hat sich in der Grabeskirche Christi zum Ritter
schlagen lassen, also nochmal ganz stark auf die christlichen Ideale des Rittertums
festlegen lassen. Dieser Ritterschlag, den er ja eigenhändig in einem kleinen
Kalender vermerkt hat, das war für ihn schon sehr wichtig und unter
Standesgenossen schon ein Pluspunkt.
Musik
Sprecherin:
Nach dieser Pilgerreise verbindet Eberhard seine traditionelle Neigung zur
mittlerweile überlebten, langsam sterbenden Ritterkultur mit neuen Vorstellungen
vom Leben. Die Devise "Attempto" –"Ich wag's" wird sein Lebensmotto. Ein üppiger
Bart prägt seinen Beinamen. Und Eberhard im Bart möchte endlich auch heiraten,
Nach diplomatischen Vorverhandlungen reitet der 28-Jährige im Frühjahr 1474 unter
großen Strapazen über die Alpen ins italienische Mantua, um an dem prächtigen
Renaissance-Hof des Markgrafen Ludovico Gonzaga persönlich um die Hand seiner
Tochter Barbara anzuhalten. Der Chronist Andrea Schivenoglia beschreibt die
Begegnung:
Zitator:
Das Fräulein Barbara war 18 Jahre alt, schön, von angenehmer Gestalt und gefiel
diesem Graf Eberhard sehr.
Sprecherin:
Über Eberhards werbenden Auftritt berichtet der Chronist:
Zitator:
Er ist zweifellos sehr höflich, gewandt und zugleich bescheiden. Doch er ist mager,
stark behaart, mit einer Adlernase und mit immerhin ziemlich guten Gesichtszügen.
Sprecherin:
Eberhard erhält das Ja-Wort. Zur Hochzeit auf Schloss Urach reist die Prinzessin aus
Mantua mit großem Gefolge an, mit einer kostbaren Aussteuer im Wert von 9.000
Gulden und der ansehnlichen Mitgift von 20.000 Gulden. Sie zieht aus einem der
glänzendsten Zentren der italienischen Renaissance in die eher dörfliche
Residenzstadt Urach mit kaum 1.000 Einwohnern.
4
O-Ton 04 Holger Starzmann:
Sie erlauben, dass ich mit einem saloppen Ausdruck zusammenfasse: Da heiratet
Geld zum Namen. Das sind natürlich arrangierte Ehen. Da geht es um grundsätzliche
Fragen, das sind politische Allianzen, die da mitspielen, das ist eine finanzielle Frage.
Und so war es in diesem Fall auch.
Sprecherin:
Eberhard nutzt die Hochzeitsfeier zur Darstellung seines Ansehens.
Musik
Sprecherin:
Nach Kirchgang und Ehegelöbnis wird üppig gespeist: 22 Gänge für Fürsten und
Bischöfe, 12 Gänge für Edeldamen, Grafen und Stadtherrn und immerhin noch sechs
für das Gesinde. Es gibt Spanferkel am Spieß, gesottene Forellen, gebackenes
Ochsenfleisch, Wildbret in damals sehr kostbarem Pfeffer und vieles mehr. Dazu
werden 165.000 Brote verzehrt. Abends wird getanzt. Und beim Ritterturnier auf dem
Uracher Marktplatz kämpft der Bräutigam mit um Trophäen. Die kleine Residenzstadt
erstrahlt im höfischen Glanz – bis nach vier Tagen das Fest vorbei ist.
Für das Herrscherpaar beginnt der Alltag. Mit Barbara Gonzaga zieht ein Abglanz
von Renaissancekultur bei Hofe ein. Ihre humanistische Bildung verstärkt Eberhards
Interesse an Italiens reicher Wissenschaft und Kultur, und ihre Familie verschafft ihm
gute Kontakte zu Zentren des Humanismus in Florenz und Rom. Anfangs brauchen
die Eheleute noch einen Dolmetscher, denn Eberhard spricht weder Italienisch noch
Lateinisch und Barbara kein Deutsch. Von ihrem gemeinsamen Leben erzählen
zahlreiche Briefe. Einer der Herausgeber dieser Quellen ist Peter Rückert vom
Stuttgarter Hauptstaatsarchiv:
O-Ton 06 Peter Rückert:
Diese Briefe geben intimen Einblick in die Verbindungen zwischen beiden Eheleuten.
Und man kann daraus wörtlich entnehmen, wie verliebt die beiden in den ersten
Jahren ihrer Ehe waren. Man musste ihnen das Essen vorschneiden auf dem Teller,
weil sie sich nicht von den Händen lassen konnten, wenn sie bei Tisch saßen. Man
weiß, dass bei der Geburt ihres ersten Kindes Eberhard so schnell wie möglich
herbeigerufen aus dem Schlachtfeld bei Neuß, in mehreren Tagen zurückreiten
musste, um pünktlich bei der Entbindung seiner Gemahlin dabei zu sein. Er hat es
geschafft, er kam gerade noch rechtzeitig Anfang August des Jahres 1475 in Urach
an. Überglücklich über das Kind schreibt Eberhard an seinen Schwiegervater:
Zitator:
Hochgeborener Fürst, lieber Herr. Mit besonderer Freude geb ich Euch zur Kenntnis,
dass mit dem heutigen Datum Eure Tochter, mein Herzlieb, eine schöne Tochter
entbunden hat und wohlauf ist.
Sprecherin:
Doch schon nach wenigen Monaten stirbt das kleine Mädchen. Ein männlicher Erbe,
der die Dynastie fortsetzen könnte, bleibt aus. Die anfangs so heitere Barbara sehnt
sich zunehmend nach ihrer italienischen Familie. Vergeblich bittet sie Eberhard um
Reiseerlaubnis. Barbara wird ihre italienische Heimat nie wiedersehen.
5
O-Ton 07 Peter Rückert:
Die Kinderlosigkeit des Ehepaares war sicherlich mit der Grund, dass sich die beiden
immer weiter entzweiten und, bei Eberhard genauso wie bei Barbara, in depressives
Verhalten umschlug, um dann bei ihm vielleicht aufgefangen zu werden durch
vermehrte politische Aktivität, die ihn zu einem politischen Workaholic werden ließ.
Mit großem Erfolg.
Sprecherin:
Eberhard im Bart will seinen Machtbereich modernisieren. Er erkennt den eklatanten
Bildungsmangel in seiner Grafschaft. In Kanzleien, kirchlichen und städtischen
Ämtern, bei Gericht und in Schulen fehlt es an fähigem Personal. So fasst der Graf
den kühnen Plan, seinem Land eine Universität zu stiften. Seine Mutter Mechthild
gibt Finanzhilfe, seine Gemahlin Barbara Gonzaga bestärkt ihn und der Papst erteilt
seine Zustimmung. Wie üblich soll eine theologische Fakultät unter weiteren
juristischen, medizinischen und philosophischen Fakultäten den Ton angeben. Als
Standort wird Tübingen gewählt. Fieberhaft werden Fachwerkhäuser und
Klosterräume für Professoren und Studenten hergerichtet. Es wird zwar noch lange
dauern, bis äußerlich alles im Lot ist, aber im September 1477 beginnt der
Lehrbetrieb mit den ersten 235 Studenten. In seinem sogenannten Freiheitsbrief
schreibt der Graf:
Zitator:
Die Tübinger Universität soll helfen zu graben den Brunnen des Lebens, aus dem
unversieglich geschöpft mag werden heilsame Weisheit zum Löschen des
verderblichen Feuers menschlicher Unvernunft und Blindheit.
Sprecherin:
Erster Rektor der Universität wird Eberhards Erzieher Johannes Vergenhans. Der
Graf beruft Professoren, die Wissenschaft und Praxis eng verbinden. Er holt sie sich
auch als Räte in seine Kanzlei, fragt sie vor politischen Entscheidungen, in
diplomatischen Fragen und bei Gericht um ihre Meinung. Eberhard im Bart gibt
seiner politischen Arbeit gewissermaßen wissenschaftliche Grundlagen. Wie das sein
Ansehen im gesamten Reich stärkt, bezeugt der weitgereiste Benediktinerabt
Johannes Trithemius:
Zitator:
Unter allen deutschen Fürsten unserer Zeit, die ich kenne, war keiner, dessen Hof
mit so vielen Gebildeten jeder Art und so vielen in jeder Fakultät promovierten
Doktoren geziert war. Auf den kaiserlichen Reichstagen war der Württemberger,
wenn man die Zahl der Doktoren und Adligen betrachtet, mühelos und überall der
erste.
Sprecherin:
Doch 1477 – im selben Jahr, als der so Gerühmte mit der Universität Tübingen dem
Humanismus die Tür öffnet – zeigt er auch eine dunkle Seite seines Wesens: Er
verfügt die Austreibung aller Juden aus der Stadt.
6
O-Ton 08 Peter Rückert:
Der Mann lebte Christentum und hatte ein Bild des Judentums vor Augen, das sehr
stark verunklärt, verdumpft, abgedichtet war durch diese Situation des Vorwurfs,
dass Juden Christus ans Kreuz gebracht hätten. Das zum einen. Und zum anderen
hatte er Vorbilder vor Augen, wie seinen von ihm verehrten Onkel, Friedrich von der
Pfalz, der schon vor der Universitätsgründung in Tübingen die Juden seines Landes
verwies. Ich will damit sagen: Zum einen war er bei weitem nicht der Einzige, der
politisch programmatisch jüdische Mitbürger nicht mehr dulden wollte - aber
auffälliger Weise im Jahr der Universitätsgründung die Juden aus Tübingen auswies,
auffälliger Weise in seinem Testament 1492 dafür sorgen wollte, dass kein Jude
mehr in Württemberg ansässig sein darf, sich ansiedeln darf oder Arbeit nachgehen
darf und in der Württemberger Landesordnung 1495 auch nochmal sagt, dass man
sich von Juden kein Geld leihen soll. Damit haben wir aber auch schon mehr oder
weniger alle Quellenstellen benannt, in denen es um Eberhards Judenfeindlichkeit
geht.
Sprecherin:
Zu Eberhards widerspruchsvoller Persönlichkeit gehört sein eindrucksvoller
Wissensdurst. Ohne Kenntnis der lateinischen Sprache verschafft er sich Zugang
zum Bildungsgut der Antike, um es für sich und seine Politik nützlich zu machen.
Systematisch und so zahlreich wie damals kein anderer deutscher Fürst vergibt er
Übersetzungsaufträge vom Lateinischen ins Deutsche. Darunter sind
Geschichtswerke des Sallust, des Livius, des Flavius Josephus. Konrad
Summenhart, der zu Eberhards Übersetzern gehört, berichtet:
Zitator:
Der Graf war noch wissensdurstiger als die Übersetzer selbst, die gewiss sehr eifrig
waren. Ihnen erwuchs so Gelegenheit zu lernen, was sie sonst vielleicht niemals
gelernt hätten.
Sprecherin:
Eberhard im Bart ist vermutlich der erste deutsche Regent, der den 1445 erfundenen
Buchdruck als breitenwirksames Medium nutzt. Er lässt eine Papiermühle errichten
und siedelt Konrad Fyner als Hofdrucker in Urach an.
Nach der Universitätsgründung gewinnt seine Vision, das geteilte Württemberg
wieder zu vereinen, an Schärfe. Vom Stuttgarter Onkel Ulrich und dessen Söhnen,
Heinrich und Eberhard dem Jüngeren, erreichen ihn ständig neue
Teilungsforderungen. 1473 konnte er die Gefahr einer weiteren Zersplitterung
Württembergs noch vertraglich abwenden. Er opferte damals den Stuttgartern seinen
Besitz im linksrheinischen Mömpelgard, dem heutigen Montbéliard, südwestlich von
Belfort.
O-Ton 09 Peter Rückert:
Eberhard erlangte dafür die Zustimmung, einen gemeinsamen Namen mit Onkel und
Vettern zu führen, nämlich Württemberg-Mömpelgard, und ein gemeinsames Siegel
und Wappen zu führen. Sprich, in der symbolischen Kommunikation Württemberg als
Einheit wieder erstehen zu lassen – zumindest im Bild, im Wappen, im Siegel.
7
Sprecherin:
Doch Eberhard will bei dieser symbolischen Einheit nicht länger stehen bleiben. Er
will die Teilung Württembergs überwinden.
O-Ton 10 Peter Rückert:
Eberhard war Taktiker genug, um zu verstehen, dass er die Landstände brauchte,
damals vor allem die Städte und Ämter, aber auch die Vertreter der Ritterschaft und
der Geistlichkeit, die er stark mit einband, um örtliche Politik zu machen.
Sprecherin:
Mit großem diplomatischen Geschick, mit enormer politischer Energie und langem
Atem erkämpft Eberhard schließlich sein Ziel: Am 14. Dezember 1482 besiegeln in
Münsingen auf der Schwäbischen Alb die beiden Stuttgarter Vettern – der Onkel ist
inzwischen gestorben – und neun Städte zusammen mit ihm einen Vertrag, der nach
40 Jahren Württembergs Spaltung beendet. Das Original dieses historisch
bedeutenden Münsinger Vertrages wird im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv aufbewahrt.
Peter Rückert nennt die entscheidenden Punkte:
O-Ton 11 Peter Rückert:
Württemberg wird wiedervereinigt. Die beiden Teile Württemberg-Stuttgart und
Württemberg-Urach werden zu einem gemeinsamen Staatswesen
zusammengefasst, Württemberg soll für die Zukunft unteilbar bleiben.
Und zum Dritten: Der Erstgeborene des Hauses Württemberg soll die
Alleinherrschaft haben, es wird nicht geteilt! Die Perspektive des Landes
Württemberg bleibt eine geschlossene, wiedervereinigte, untrennbare auf alle
Zukunft hin. Und wenn Sie so wollen, hatte diese Zukunft bis 1918 Bestand.
Sprecherin:
Nach diesem seinem größten politischen Erfolg verlässt Eberhard im Bart seine
Residenz in Urach und zieht als alleiniger Regent Württembergs mit seinem Hof nach
Stuttgart – die Residenzstadt der wiedervereinigten Grafschaft. Jeden Angriff auf das
Erreichte unterbindet er mit Härte. Alle Versuche des ewig neidischen Vetters,
Eberhard des Jüngeren, den Münsinger Vertrag zu revidieren, kann er erfolgreich
abwehren. Das Ergebnis umschreibt er heiter-ironisch:
Zitator:
So habe ich die Sorge und Last des Regiments übernommen und dem Vetter seine
Lust, Kurzweil und Ergötzlichkeit überlassen.
Musik
Sprecherin:
Die Wiedervereinigung Württembergs treibt den rastlosen Eberhard an. Weitsichtig
fördert er Handel und Gewerbe der aufstrebenden Städte, die er taktisch klug als
Garanten der Einheit in den Münsinger Vertrag eingebunden hatte. Er kümmert sich
auch um Klosterreformen. Den tief religiösen Herrscher besticht der Reformansatz
der "Brüder vom gemeinsamen Leben", die in Gütergemeinschaft leben und durch
Arbeit für sich sorgen. Eberhard holt ihren Orden nach Württemberg und verschafft
ihnen zahlreiche Niederlassungen. Darunter ist das Stift St. Peter auf der Domäne
Einsiedel bei Tübingen, das er aus seinem Privatvermögen finanziert. Über
8
Standesgrenzen hinweg leben, arbeiten und beten dort Geistliche, Adlige und Bürger
gemeinsam. In einem ihrer Traktate heißt es:
Zitator:
Es genügt uns, nach Vollkommenheit zu streben, unter dem einen Abt Jesus
Christus.
Sprecherin:
Der Papst würdigt Eberhards religiöse Aktivitäten mit dem Ehrenzeichen der
Goldenen Rose. Der Kaiser, Maximilian I., begleitet Eberhards württembergische
Staatskunst mit Wohlwollen. Bei Streitfällen im Reich dient ihm der angesehene
Territorialfürst uneigennützig als geschickter Vermittler. Er belohnt den
Württemberger mit der Berufung in den Ritterorden zum Goldenen Vlies. Und er
krönt Eberhards Verdienste 1495 auf dem Wormser Reichstag mit der Erhebung in
den von ihm ehrgeizig erstrebten Herzogsstand.
An der Spitze von 300 Reitern erscheint Eberhard vom Bart auf dem weiten Platz des
Wormser Reichstages. Kniend nimmt der Geehrte die Insignien seiner neuen Würde
entgegen – Hut, Mantel, Schwert und neues Wappen.
Eberhard ist auf dem Höhepunkt seiner Macht – aber er ist bereits ein sehr kranker
Mann. Lebenslang hat er gegen seine schwache Konstitution angekämpft. Nur ein
Jahr wird ihm noch bleiben. Er nutzt es, um seinem Herzogtum eine Landesordnung
zu geben. Von den Insignien seiner Herzogswürde ist das prächtige Schwert im
Original erhalten geblieben. Das Württemberger Landesmuseum in Stuttgart zeigt
eine Kopie davon. Die Kuratorin Ingrid-Sibylle Hoffmann sagt:
O-Ton 12 Ingrid-Sibylle Hoffmann:
Das Schwert ist aufwändig verziert, vergoldetes Silber, es trägt seine Devise
"Attempto" – "Ich wag's". Das Schwert ist ein Zeremonialschwert, also es ist nicht
dafür gedacht, in der Schlacht mitgeführt zu werden, sondern es ist quasi ein
Statussymbol, dass er sich zum Beispiel dem Schutz von Witwen und Waisen
annehmen solle in seinem Land, also er solle Recht sprechen mit diesem Schwert,
also für die Rechtsprechung ist dieses Schwert ein ganz wichtiges Symbol, dass es
ein Zeichen sei, das seinen Status, seine Würde als Herzog besiegelt.
Sprecherin:
Über das Verhältnis des Herzogs zum einfachen Volk wird Widersprüchliches
berichtet. Der elsässische Humanist Jakob Wimpfeling schwärmt von Eberhards
Humanitas, seiner Menschlichkeit:
Zitator:
Denn der Herzog bescheidet Bittsteller persönlich und lässt sie nicht durchs
Hofpersonal abfertigen.
Sprecherin:
Das allerdings bestreitet Eberhards Erzieher und Berater Johannes Vergenhans: Der
Herzog habe Bittsteller nicht ausstehen können und mit allen möglichen Tricks
abgewimmelt. Im Stuttgarter Schlossgarten steht seit 1881 ein Marmor-Denkmal, die
sogenannte "Eberhard-Gruppe". Sie will dem Betrachter vermitteln, dass der erste
9
Herzog von Württemberg ein allseits beliebter Landesvater gewesen sei. Er ruht dort
vertrauensvoll im Schoße eines Hirten, der seinen Schlaf bewacht.
O-Ton 14 Aurelius Sänger:
Eberhard, der mit dem Barte,/ Württembergs geliebter Herr/ Sprach: Mein Land hat
kleine Städte,/ Trägt nicht Berge silberschwer;/ Doch ein Kleinod hält´s verborgen:/
Dass in Wäldern noch so groß,/ Ich mein Haupt kann kühnlich legen/ Jedem Untertan
in Schoß"/
O-Ton 13 Ingrid-Sybille Hoffmann:
Die Eberhard-Gruppe bezieht sich auf ein Gedicht von Justinus Kerner, das
wiederum auf eine schon im 16. Jahrhundert entstandene Legende zurückgeht, nach
der Eberhard sich gerühmt haben soll, dass er bei jedem seiner Untertanen seinen
Kopf in den Schoß legen könne, weil eben er für alle als guter Fürst gedient habe
und deshalb niemand quasi schlechte Gefühle für ihn hege.
Sprecherin:
Der bis heute verbreiteten Idealisierung Eberhards hält die Museumskuratorin Ingrid
Sibylle Hoffmann entgegen:
O-Ton 15 Ingrid-Sibylle Hoffmann:
Eberhard war sicher ein knallharter Herrscher, der eben taktisch klug darauf
hingearbeitet hat, auch Herzog zu werden, aber der sicher nicht nur Freunde hatte.
Also bei seinen Untertanen gab es sicher auch welche, die nicht nur gut auf
Eberhard zu sprechen waren. Insofern ist auch diese Legende natürlich verklärt. Es
ist ein Idealbild, das gezeichnet wird.
Sprecherin:
Eberhard im Bart bedarf keiner Verklärung. Seine Wagnisse, seine Weitsicht und
seine rastlose Arbeit haben Württemberg an der Schwelle zur Neuzeit aus einer
tiefen Krise zu neuem Ansehen geführt und ihn über seine regierenden Zeitgenossen
erhoben. Mit 51 Jahren sind seine Kräfte verbraucht. Im Februar 1496 stirbt dieser
bedeutende Fürst des 15. Jahrhunderts an Fieber, roter Ruhr und
Blasengeschwüren. Er hat vieles gewagt – und manches gewonnen.
*****
10