60 BZB April 16 Wissenschaft und Fortbildung Computerunterstützte, virtuell geplante orthognathe Chirurgie Fallbericht einer präoperativen Planung und operativen Umsetzung mit CAD/CAM Ein Beitrag von Dr. Dr. Tilo Schlittenbauer und Dr. Andreas Detterbeck, Erlangen Die orthognathe Chirurgie mit Osteotomie und Repositionierung des Ober- beziehungsweise Unterkiefers dient zur Korrektur von Fehlbildungen des knöchernen Gesichtsschädels und dentaler Okklusionsstörungen. Für gewöhnlich wird dabei eine kephalometrische Analyse zur Auswertung, Behandlungsplanung und Evaluation der Ergebnisse herangezogen. Diese zweidimensionale Auswertung ist jedoch in der Analyse von dreidimensionalen komplexen Strukturen limitiert [1]. Daher wurde die CAD/CAM (computer-aided design/manufacturing)Technologie eingeführt, um die Präzision der präoperativen Planung zu verbessern [2-7]. Fallbericht Präoperative Planung Ein 20-jähriger Patient stellte sich mit einer Dysgnathie des progenen Formenkreises nach kieferorthopädischer Vorbehandlung in der Zahnklinik 3 – Kieferorthopädie des Universitätsklinikums Erlangen in unserer Klinik vor. Zur exakten virtuellen Durchführung der Umstellungsosteotomie wird ein Gesichtsschädel-CT (Schichtdicke 1,0 mm) angefertigt (Abb. 1). Die 3-D-Simulation erfolgt mithilfe des Softwareprogramms Trumatch (Materialise, Leuven, Belgien). Die vom Patienten genommenen Ober- und Unterkiefergipsmodelle werden digitalisiert und mit den CT-Daten überlagert, um eventuelle Ungenauigkeiten in der Darstellung der Zähne im CT-Scan auszugleichen. Zur oberflächenbasierten okklusalen Abtastung der Gipsmodelle wird ein 3-D-Weißlicht- Abb. 1: Präoperative Bildgebung (CT) scanner eingesetzt. Die digitalisierten Daten stehen nun dem Konstrukteur, dem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen sowie dem Kieferorthopäden mittels eines Web-Meetings gleichzeitig zur Verfügung. Die weitere Therapieplanung kann so direkt digital vorgenommen werden. Zunächst wird der Schädel in der dreidimensionalen Darstellung positioniert und eine Mittellinie definiert (Abb. 2). Anschließend erfolgt das Anzeichnen der Osteotomielinie im Oberkiefer (Abb. 3) mit der virtuellen Erzeugung eines Cutting-Guides (Abb. 4) sowie der virtuellen dreidimensionalen Neupositionierung des Oberkiefers (Abb. 5) nach interdisziplinärer Planung. Der Zwischensplint kann nun nach Einblenden des Unterkiefers korrekt zur neuen Oberkieferposition orientiert geplant werden (Abb. 6 und 7). Anschließend wird der Unterkiefer virtuell nach hinten verschoben und in der neuen Lage okklusal dem Oberkiefer angepasst (Abb. 8 und 9). Der Operateur hat so die Möglichkeit, die vestibuläre Osteotomielinie festzulegen und mittels eines Cutting-Guides intraoperativ umzusetzen (Abb. 10). Die neue maxillomandibuläre Position wird virtuell durch einen Endsplint (Abb. 11) fixiert. Am Ende ist es möglich, die neue knöcherne und weichteilige Simulation zu betrachten (Abb. 12). Operative Umsetzung Enoral erfolgt die Schnittführung von der Crista zygomaticoalveolaris zur Gegenseite und die Präparation zur Darstellung des unteren Mittelgesichtes Abb. 2: 3-D-Simulation der CT-Daten mit angezeichneter Mittellinie Wissenschaft und Fortbildung Abb. 3: Einzeichnen der Osteotomielinie Abb. 4: Cutting-Guide für den Oberkiefer Abb. 5: Neupositionierung des Oberkiefers Abb. 6: Planung des Zwischensplints Abb. 7: CAD/CAM-gefertigter Zwischensplint Abb. 8: Planung der vestibulären Osteotomielinie Abb. 9: Anpassung des Unterkiefers an den Oberkiefer Abb. 10: Cutting-Guide für den Unterkiefer BZB April 16 61 62 BZB April 16 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 11: CAD/CAM-gefertigter Endsplint Abb. 12: 3-D-Darstellung der finalen Therapieplanung Abb. 13: Cutting-Guide im Oberkiefer Abb. 14: Zwischensplint streng subperiostal. Es folgt die Lösung des Nasenschlauches. Nach Einprobe des Cutting-Guides wird dieser bei guter Passung mit Schrauben befestigt (Abb. 13). Im Gegensatz zum konventionellen Vorgehen erfolgen die Ausmessungen bereits virtuell und müssen nun klinisch nicht mehr vorgenommen werden. Es kann direkt begonnen werden, am Cutting-Guide zu osteotomieren. Die LeFort-I-Osteotomie wird mit den üblichen Schritten vervollständigt. Nach Mobilisation des Oberkiefers wird der virtuell geplante, CAD/CAM-gefertigte Zwischensplint eingesetzt. Die intermaxilläre Fixierung (IMF) erfolgt über Stahldrähte, die die festsitzende kieferorthopädische Apparatur beider Kiefer verbinden. Sie fixiert den Oberkiefer über den Zwischensplint in seiner neuen Position am Unterkiefer. Der Oberkiefer wird über CAD/CAM-gefertigte Miniosteosyntheseplatten (Synthes) am Mittelgesicht fixiert (Abb. 14). Anschließend wird die IMF gelöst und es erfolgen die Schnittführung und strenge subperiostale Präparation am aufsteigenden Ast bis zur Regio 46. Der Unterkieferrand muss komplett vom Weichgewebe abgelöst werden. Es folgt das Einsetzen des Cutting-Guides, der am Unterkiefer durch die Zahnreihen, den Unterrand der Mandibula und eine Osteosyntheseschraube fixiert wird. Die vorgesehene Rinne dient als Osteotomielineal, al- lerdings nur im vestibulären Anteil des Unterkiefers (Abb. 15). Der Rest der sagittalen Osteotomie muss – wie bisher – frei durchgeführt werden. Nach Mobilisation des Unterkiefers wird der CAD/ CAM-gefertigte Endsplint ebenfalls über eine IMF zwischen den Zahnreihen eingebunden. Dadurch kommt die Mandibula in die angestrebte neue Endposition. Mittels CAD/CAM-gefertigten Osteosyntheseplatten werden die Unterkieferanteile neu fixiert (Abb. 16). Anschließend wird die IMF gelöst. Der Wundverschluss erfolgt mit 4,0 Vicryl in Einzelknopftechnik. Die postoperative Bildgebung belegt eine gute neue Positionierung und Verzahnung (Abb. 17, vgl. Abb. 1). Diskussion Die virtuelle 3-D-Planung erleichtert die Behandlungsplanung an den komplexen knöchernen fazialen Strukturen und ergänzt die konventionelle Planung um die transversale Ebene. Zur präoperativen Planung wurde im vorliegenden Fall die virtuelle Chirurgie anstelle einer Modell-OP angewandt, um den Behandlungsplan exakt am Computer zu simulieren. Die zweidimensionale kephalometrische Analyse und Planung sind vor allem bei Patienten mit Gesichtsasymmetrien limitiert. Konsequenterweise sollte zur chirurgischen Simulation immer der behandelnde Kieferorthopäde bei dem Web- Wissenschaft und Fortbildung BZB April 16 Abb. 16: CAD/CAM-gefertigte Osteosyntheseplatten im Unterkiefer Abb. 15: Cutting-Guide im Unterkiefer Abb. 18: CAD/CAM-gefertigte Osteosyntheseplatten Abb. 17: Postoperative Bildgebung (DVT) Meeting anwesend oder zugeschaltet sein, da er die kephalometrische Analyse vornimmt und die erforderliche Kenntnis über die präoperative kieferorthopädische Behandlung hat. In der Literatur gibt es mittlerweile zahlreiche Studien, die den positiven Effekt der virtuell geplanten orthognathen Chirurgie belegen. Hsu et al. zeigten in einer Multicenterstudie mit 65 Patienten, dass die Planung durch eine computerunterstützte chirurgische Simulation exakt und vor allem beständig intraoperativ umgesetzt werden kann [8]. Eine andere Arbeitsgruppe [9] sieht weitere Vorteile der 3-D-Planung. Sie ermöglicht dem Chirurgen, Asymmetrien des Knochens und der Weichteile zu erkennen. Weiterhin können alle Informationen in Computerdateien gespeichert und dadurch online verwaltet werden. Die Reproduzierbarkeit und Ortsunabhängigkeit der Behandlungsplanung sind dadurch gegeben. Die Sicherheit der Patientendaten muss aber gewährleistet sein und aktuellen Anforderungen genügen, was durch den Anbieter derartiger Systeme sichergestellt werden sollte [10]. Die Autoren sehen zukünftig die Möglichkeit, ganz auf Gipsmodelle zu verzichten, wenn intraorale Scanner technisch den Ersatz übernehmen können [9]. Es gibt Hoffnung, dass langfristig auf eine ionisierende Bildgebung verzichtet werden kann, sofern das diskutierte Potenzial der dentalen MRT-Aufnahmen zukünftig genutzt werden kann [11,12]. Im vorliegenden Fall konnte die 3-D-Planung, die in enger interdisziplinärer Absprache mit der Zahnklinik 3 – Kieferorthopädie und der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie erfolgte, problemlos intraoperativ umgesetzt werden. Nach Einschätzung des Operateurs sind der Cutting-Guide zur Osteotomie des Oberkiefers einerseits und die CAD/CAMgefertigten Osteosyntheseplatten (Abb. 18) andererseits intraoperativ eine große Erleichterung, da derartige Hilfsmittel zu einer Verkürzung des operativen Eingriffs führen und Biegemaßnahmen an den Osteosyntheseplatten unnötig werden lassen. Die Zusatzkosten für die virtuell geplante orthognathe Chirurgie mit CAD/CAM-gefertigten Komponenten werden bislang nicht von den Krankenkassen übernommen. Bei komplexen Fällen mit ausgeprägten Fehlbildungen und Asymmetrien bietet diese Vorgehensweise dem Chirurgen eine hohe Planungssicherheit und bedeutende Hilfestellung und dem Patienten eine kürzere operative Intervention. Korrespondenzadresse: Dr. Dr. Tilo Schlittenbauer Universitätsklinikum Erlangen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgische Klinik Glückstraße 11, 91054 Erlangen [email protected] Literatur bei den Verfassern 63
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