12.04.2016, RWE in der Krise - Kommunen tragen Altlasten

Manuskript
Beitrag: RWE in der Krise –
Kommunen tragen Altlasten
Sendung vom 12. April 2016
von Andreas Halbach, Thomas Münten, Heiko Rahms und Anna Maria Schuck
Anmoderation:
Jahrzehntelang hatten es die Energiekonzerne sehr bequem. Der
Wettbewerb war gering, die Profite gigantisch. Veränderungen in
der Komfortzone wurden glatt verschlafen. Erneuerbare
Energien? Etwas für Leute, die auch Ananas in Alaska züchten,
spottete der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann. Wenn sich
aus Ignoranz Strom erzeugen ließe, wäre RWE jetzt reich – und
die beteiligten Kommunen müssten sich keine Sorgen um die
Dividende machen und um die Folgen für die Bürger. Müssen sie
aber, zeigen Thomas Münten und Heiko Rahms.
Text:
Seit vier Jahren fährt hier keine Straßenbahn mehr. Die Strecke
war marode, die Stadt Mülheim an der Ruhr hat kein Geld für
Reparaturen. Thomas Dallmeier ist Jugendleiter beim SV Raadt.
Er ärgert sich, dass die Kinder jetzt auf den Ersatzbus
angewiesen sind.
O-Ton Thomas Dallmeier, Jugendleiter SV Raadt:
Es ist sehr gefährlich, da die Kinder über die Straße laufen
und es zu schweren Unfällen kommen kann. Und es ist vor
vier Jahren schon ein schwerer Autounfall passiert.
Im Etat der Stadt klafft ein Millionenloch. Mülheim muss an der
Infrastruktur sparen. Ein Grund für die desolate finanzielle Lage
sind die Aktiengeschäfte der Kommune. Denn Mülheim besitzt
9,8 Millionen Aktien von RWE – durch den Kursverfall in den
letzten Jahren hat sie rund 500 Millionen Euro verloren, dieses
Jahr durch den Wegfall der Dividende nochmal 7,35 Millionen.
Der Stadt fehlen die fest eingeplanten Gewinne des
Energieversorgers. Ernst Gerlach ist Vertreter der kommunalen
RWE-Aktionäre. Er glaubt trotzdem fest an den Energiekonzern Durchhalteparolen:
O-Ton Ernst Gerlach, Verband der kommunalen RWE
Aktionäre:
Weil wir der festen Überzeugung sind, dass in der Aktie und
in dem Unternehmen genug Potenzial ist, dass sich der Kurs
zumindest hält, wenn nicht sogar in der Zukunft auch wieder
weiter steigen wird.
Viele Städte und Gemeinden haben jahrzehntelang von RWE
profitiert. In Dortmund haben die Stadtwerke sogar Kredite
aufgenommen, um Aktien zu kaufen. Ratsherr Utz Kowalewski
erinnert sich:
O-Ton Utz Kowalewski, DIE LINKE, Ratsmitglied Stadt
Dortmund:
Die Entscheider haben darauf gesetzt, dass die Renditen von
RWE weiter fließen mögen - als Finanzanlageobjekt. Da gab
es offensichtlich so eine Art Goldrausch.
Lange ging das auch gut, dann aber brachen die Gewinne nach
dem Atomunfall von Fukushima ein. Die RWE-Aktie hat einen
wahren Absturz hinter sich: Im Januar 2008 kostete eine Aktie an
der Frankfurter Börse 100,65 Euro. Im April 2016 wird die RWEAktie pro Stück für 11,10 Euro gehandelt.
Die bekannte Ratingagentur Fitch hat gerade die Bonität von
RWE auf Triple B gesenkt – eine schlechte Kreditwürdigkeit. Das
drückt den Kurs weiter. RWE verdient immer weniger am Strom:
Der mittlere Preis pro erzeugte Megawattstunde an der Leipziger
Strombörse ist von rund 90 Euro im Januar 2009 auf rund 25
Euro im Januar 2016 gefallen.
Das Problem: RWE hängt zu sehr von der Kohle ab. Rund 60
Prozent des gesamten Stromes, den RWE erzeugt, stammen aus
Kohlekraftwerken. Nur rund vier Prozent kommen aktuell aus
Wind, Sonne und Biomasse, sagt das Umweltbundesamt.
O-Ton Prof. Uwe Leprich, Energiewissenschaftler:
Das RWE hat viele wichtige Entscheidungen in den letzten 20
Jahren versäumt, nämlich die Weichenstellung Richtung
erneuerbare Energien, die Weichenstellung Richtung
dezentralere kleinere Anlagen, weg von den fossilen, und
zwar vor allen Dingen von der Braun- und der Steinkohle.
Und das rächt sich jetzt.
Jede Megawattstunde Strom aus Braunkohle kostet den Konzern
bares Geld, haben Umweltverbände berechnet: 40 Euro
Herstellungskosten, 35 Euro Verkaufspreis.
Jetzt will sich RWE aufspalten: in einen Teil mit erneuerbaren
Energien, der Gewinn bringen soll, und in einen Teil mit alten
Kraftwerken - den Verlustbringern. Keine guten Aussichten für die
Kommunen.
O-Ton Prof. Uwe Leprich, Energiewissenschaftler:
Also, das Bündeln der fossilen Kraftwerke in einer
Gesellschaft ist im Grunde das Eingeständnis, dass die alte
Welt vorbei ist. Es ist eine Abwicklungsgesellschaft und dort
Anteile zu haben, ist halt sehr riskant. Also insofern, ich
muss sagen, ich könnte nicht ruhig schlafen, wenn ich
solche Anteile in meinem Portfolio hätte.
RWE sieht dagegen keine Gefahr für Aktionäre und Kommunen.
Schriftlich heißt es,
Zitat:
„Die RWE AG wird langfristig Mehrheitsaktionär der neuen
Gesellschaft bleiben (…).“
Trotzdem werden am Schluss Stromkunden und Steuerzahler die
Zeche zahlen, befürchtet die Energieexpertin Claudia Kemfert.
O-Ton Prof. Claudia Kemfert, Hertie School of Governance:
Letztendlich hofft der Konzern darauf, dass die Gesellschaft
die restlichen Kosten übernimmt. Und das ist natürlich
absolut nicht fair, weil die Gesellschaft kann nicht für
Managementfehler der Konzerne haften.
Um das Geschäft von RWE zu retten, und damit auch die
Kommunen, kämpft NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für
die Kohlekraftwerke in ihrem Land.
O-Ton Hannelore Kraft, SPD, Ministerpräsidentin NordrheinWestfalen:
Es geht um ein Miteinander und darum, dass wir eine sichere
Energieversorgung in Deutschland sicherstellen. Dazu
brauchen wir noch sehr lange konventionelle Kraftwerke.
Und die Frage ist, wenn die nicht mehr genug Gewinne
abwerfen, wie soll ein Unternehmen dann verpflichtet
werden, dass sie am Netz bleiben?
Jetzt hat sie einen Deal mit der Bundesregierung: RWE schaltet
fünf alte Kraftwerke ab, hält sie aber weiter als Reserve bereit,
dafür bekommt der Konzern rund 600 Millionen Euro. Grundlage
ist das neue Strommarktgesetz.
Beispiel Frimmersdorf. Beide Anlagen sind knapp 50 Jahre alt.
Frontal 21 liegen Unterlagen vor, aus denen hervorgeht, dass
RWE selbst schon 2011 die Leistung des Kraftwerkes
Frimmersdorf für die kommenden Jahre bis 2022 mit null
Megawatt kalkuliert hat. Gleiches gilt für das Kraftwerk
Niederaußem.
Das bedeutet: RWE bekommt jetzt Geld für Kraftwerke, die
sowieso abgeschaltet werden sollten. Das bestätigt auch die
Bundesnetzagentur auf Anfrage von Frontal 21,
Zitat:
„Für die Netzreserve sind die genannten Braunkohleblöcke
nicht vorgesehen.“
RWE will sich dazu nicht äußern.
Möglich gemacht hat den Deal mit den alten Kraftwerken
Hannelore Krafts Parteifreund Sigmar Gabriel. Wofür bekommt
RWE so viel Geld?
O-Ton Sigmar Gabriel, SPD, Bundeswirtschaftsminister:
Es ist dafür da, dass sie die Leistung erbringen. Dass wenn
sozusagen am Tag der Stromlieferung aus irgendwelchen
Gründen Angebot und Nachfrage nicht zusammenpassen,
dass wir dann Reservekraftwerke haben.
Dabei hatte der Bundeswirtschaftsminister noch 2014 das
Gegenteil erklärt: Kraftwerke dürften kein Geld dafür bekommen,
das sie nicht produzieren.
O-Ton Sigmar Gabriel, Bundeswirtschaftsminister, BDEW
Kongress, Juni 2014:
Was aber der Kapazitätsmarkt auch nicht werden kann, ist
sowas wie Hartz IV für Kraftwerke: Nicht arbeiten, aber Geld
verdienen. Das geht nicht.
Außerdem sind Kohlekraftwerke eine denkbar schlechte Reserve
für den Notfall.
O-Ton Oliver Krischer, B‘90/GRÜNE, MdB, stellvertretender
Fraktionsvorsitzender:
Man braucht elf Tage, um sie in Betriebsbereitschaft zu
bringen. Und das ist absurd, weil nach elf Tagen ist entweder
der Engpass vorbei oder aber wir haben den Blackout und
die Katastrophe ist da.
Für Kritiker ist der Kohledeal ein reines Geldgeschenk - vor allem
an die Kommunen. Nur wenige NRW-Städte haben den RWENiedergang rechtzeitig kommen sehen. Münster hat 2015 alle
Aktien verkauft, Düsseldorf und Gelsenkirchen schon vor Jahren.
O-Ton Oliver Wittke, ehemaliger Oberbürgermeister
Gelsenkirchen:
Also, zum einen sind wir einen großen Teil unserer
Altschulden losgeworden. Wir haben Millionenbeträge an
Zinslasten gespart und wir haben vor allem die
Haushaltsgenehmigung damals von der Bezirksregierung
bekommen.
Doch viele andere Kommunen, wie Mülheim an der Ruhr, waren
nicht so schlau. Und sitzen heute auf RWE-Aktien, die immer
weniger wert sind. Und das bekommen die Bürger schon heute zu
spüren.
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