Rede Haslauer - Land Salzburg

200 Jahre Salzburg bei Österreich
14. April 2016, Alte Residenz Salzburg
Rede Landeshauptmann Dr. Wilfried Haslauer
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Bundespräsident!
Sehr geehrter Herr Vizekanzler!
Hochwürdiger Herr Erzbischof, verehrte Geistlichkeit!
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Merk!
Verehrte Mitglieder der Bundesregierung, Landesregierungen und
der bayerischen Staatsregierung!
Liebe Landeshauptleute-Kollegen!
Verehrte Ehrengäste des diplomatischen Korps und aus Politik, Kultur, Wirtschaft und
Gesellschaft!
I.
Es ist mir eine große Auszeichnung, die Spitze der Republik Österreich mit dem Herrn
Bundespräsidenten und dem Herrn Vizekanzler, die hochrangigen Vertreter unserer
Nachbarländer mit Frau Staatsministerin Merk aus Bayern und den Landeshauptleuten,
sowie Sie alle zu diesem Festakt begrüßen zu dürfen, der exakt an jenem Tag stattfindet,
an dem im Vertrag von München vor genau 200 Jahren, also am 14.4.1816 das um zirka ein
Viertel seiner Landesfläche und Bevölkerung verkleinerte Salzburg Österreich zugeschlagen
wurde.
II.
Nahezu 500 Jahre staatliche Selbstständigkeit des kulturell hochstehenden, durch Gold-,
Silber- und Salzbergbau, sowie Handel wohlhabenden Salzburg fand in nur 15 Jahren
rascher Abfolge von Besetzungen, Plünderungen und Vertreibungen ihr Ende; Salzburg ging
in diesen Jahren wie ein Wanderpokal von Hand zu Hand, wurde zwei Mal von den
Franzosen besetzt, war zuletzt sechs Jahre lang bayrisch, ehe es für die folgenden 200
Jahre, also bis heute – und vermutlich auch darüber hinaus – zu einem Teil Österreichs
wurde.
III.
Der Beginn war mehr als schwierig; Franz Schubert schreibt, die Stadt Salzburg wäre „ein
Betteldorf mit leeren Palästen“; das Land Salzburg hatte nicht nur seine staatliche
Selbstständigkeit, sondern auch seine regionale Eigenständigkeit verloren und wurde als
fünfter Kreis des Herzogtums ob der Enns, also Oberösterreich, von Linz aus regiert. Der
Bedeutungsverlust in wirtschaftlicher, kultureller, gesellschaftlicher und politischer
Hinsicht – der Abstieg war vergleichbar mit der Relegation von der Champions League
direkt in die Landesliga – führte zu einem (in der Zeit davor gar nicht so ausgeprägten)
neuen Salzburger Landesbewusstsein. Es dauerte nicht lang, bis man in Wien von den
aufmüpfigen Salzburgern sprach. Ein Betteldorf mit leeren Palästen sind wir heute Gott sei
Dank nicht mehr, die Aufmüpfigkeit haben wir uns hoffentlich bewahrt. (Ich sehe
Zustimmung bei den Vertretern der Bundesregierung).
IV.
Wenn wir heute in diesem Festakt der 200-jährigen Zugehörigkeit Salzburgs zu Österreich
gedenken, dann tun wir dies ohne Weihrauch, ohne Glanz und Glorie, ohne
Huldigungsposen, aber mit einer gewissen Leichtigkeit, Fröhlichkeit und vor allem
Dankbarkeit.
Wir, und damit meine ich unsere Generation, haben Glück gehabt, nicht nur, dass wir in
Salzburg und in Österreich leben, vor allem dass wir jetzt, in unserer Zeit leben dürfen, in
einem Wohlstand, wie es ihn nie zuvor gegeben hat, mit Rechtsstaatlichkeit,
Meinungsfreiheit, Menschenrechten, Demokratie, sozialer Absicherung und vor allem hier
bei uns in Frieden.
Der Blick zurück, aber auch die aktuelle Situation im Zusammenhang mit den
gegenwärtigen Herausforderungen zeigen, dass all dies nicht selbstverständlich ist, nicht
nur einmal für immer erkämpft wurde, sondern in einem täglichen Ringen immer wieder
neu erworben werden muss, indem der Gedankenlosigkeit Bewusstsein, der Leichtfertigkeit
Verantwortung und der Gleichgültigkeit Leidenschaft entgegenzusetzen ist.
So ist der heutige Festakt vor allem ein Plädoyer für Selbstwert, weniger für
Selbstbewusstsein und schon gar nicht für Selbstgefälligkeit. Nein, es geht darum, was sind
wir uns als Salzburger, als Österreicher, als Europäer, vor allem aber als Menschen selbst
wert, wie behutsam gehen wir mit den Errungenschaften unserer Zeit um, wie respektvoll
mit den demokratisch legitimierten Institutionen unseres gemeinsamen Staates.
Natürlich könnte man im Sinne einer Alternativenprüfung der Frage nachgehen, wo stünden
wir denn heute, wären wir so wie zwischen 1810 und 1816 bei Bayern geblieben oder gar
bis zum heutigen Tag selbstständig, in der Größe und Bedeutung etwa vergleichbar
Luxemburg.
Ich wage die Behauptung, dass vermutlich nicht viel Unterschied zu unserer jetzigen
Situation als Teil von Österreich bestünde, natürlich in der einen oder anderen Hinsicht
schon, aber was die grundlegenden Bedingungen von Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und
Menschenwürde betrifft wohl nicht.
Was gibt es also dann - wenn man von der Macht der Gewohnheit und der liebgewordenen
Einfräsung in unsere DNA, Österreicherin bzw. Österreicher zu sein, absieht – bei diesem
Jubiläum viel zu feiern?
V.
Vielleicht sei mir doch ein Blick zurück gestattet:
200 Jahre erscheinen angesichts des die Lebensumstände prägenden technischen
Fortschrittes unermesslich viel und gleichzeitig in der Generationenabfolge wenig: Mein
Großvater hat für Österreich-Ungarn und seinen Kaiser im I. Weltkrieg gekämpft. Sein
Großvater war wohl noch im selbstständigen Fürsterzbistum Salzburg geboren und dessen
Vater hat sich wiederum als Pinzgauer Bauer gegen die Franzosen und Bayern aufgelehnt.
Der Bruder meiner Vaters ist als deutscher Soldat in Afrika gefallen. Mein Vater selbst ist in
die Erste Republik hineingeboren, hat den Ständestaat erlebt, den Zweiten Weltkrieg –
ebenfalls als Soldat – die Besatzungszeit, den Wiederaufbau und das Wiedererstehen
Österreichs. Meine Kinder hingegen wachsen als Österreicher und als Europäer auf und
haben zu den Verwerfungen der Vergangenheit keine Beziehung, wie sollten sie denn auch.
Wie immer, so waren es auch in diesen 200 Jahren Menschen, die durch ihr Handeln
Geschichte schreiben, die leben, leiden, hoffen, ertragen, dulden, auch selbst
verursachen, neu anfangen, nicht aufgeben und oft auch gleichzeitig Opfer und Täter,
Gewinner und Verlierer waren; und es waren die Frauen, die in der Geschichtsforschung
zumeist unerwähnt das Leben geprägt und oft auch das Überleben erst ermöglicht haben.
Die Salzburger Landesregierung widmet diesen Menschen in Salzburg in diesen 200 Jahren
den heutigen Festakt, nicht den Jahreszahlen, nicht den Herrschenden, nicht den
Staatsformen und schon gar nicht den kriegerischen Ereignissen.
VI.
Über einem Türbogen im Lustschloss Hellbrunn steht geschrieben: „Der liebe Gott
verbindet Entgegengesetztes“. Damit wäre eigentlich ein vollständiges salzburgisches
Psychogramm gezeichnet.
Dieses Land verbindet in perfekter Symbiose Stadt und Land, Tradition und
Aufgeschlossenheit, kulturelles Interesse aber auch Geschäftssinn.
Heimatverliebt sind wir, unbändiger Stolz auf unser Land erfüllt uns aber nur im Ausland,
zu Hause wird ausschließlich auf die Vorzüge anderer Regionen hingewiesen; wir sind aber
zu Tode gekränkt, wenn dies von Auswärtigen bestätigt wird.
Wir sind ein Tourismusland schlechthin, gastfreundlich, herzlich, sehen unsere Gäste aber
irgendwie als lebensuntüchtig an, weil sie weder Almen bewirtschaften noch Melken
können, nicht so gut Skifahren und Gotik von Barock nicht unterscheiden; alles Defizite,
die sie mit dem Großteil der Salzburger gemeinsam haben.
Enthusiastische Begeisterung ist in politischen Dingen grundsätzlich unangebracht. Uns
verbindet zumindest mit unseren bayrischen Nachbarn die Freude, dass wir uns nicht über
München, sondern über Wien ärgern dürfen.
Wir anerkennen durchaus Leistungen, aber nicht vollmundig und überschwänglich, sondern
eher nach dem Grundsatz „Nicht geschimpft ist auch gelobt“, wobei ausdrückliche
Anerkennung mit „Ist eigentlich eh nicht so schlecht“ gebrummt wird. Auf unsere
Zugehörigkeit zu Österreich gemünzt, kann ich also sagen: Ist eh nicht so schlecht, mit
anderen Worten: Herr Bundespräsident: Wir bleiben! Vorerst zumindest.
VII.
Was wir uns selbst sind in Salzburg?
1. Unser Eigensinn heißt Vielfalt,
2. unser Credo ist Lebensfreude,
3. unser Elixier Arbeit und Fleiß.
4. Unser Selbstbewusstsein schöpft aus der Überzeugung, dass aus Kleinem Großes
hervorgehen kann,
5. unsere Sehnsucht heißt Freiheit, ohne Bevormundung selbst gestalten zu können,
6. unsere Muskeln haben wir aus dem Zusammenhalt,
7. unser Charakter wächst aus der Unterscheidbarkeit, ein Widerstandsnest gegen den
Einheitsbrei und die Gleichförmigkeit der westlichen Welt
8. unsere Geborgenheit ist keine Frucht der Anonymität, sondern die Tochter der
Gemeinschaft;
9. und unser aufrechter Gang stammt aus dem Respekt vor anderer Meinung und einer
Grundhaltung standpunktgetreuer Toleranz.
Ist das Salzburg oder könnte es das bloß sein? Ist das Dichtung oder Wahrheit?
Wohl beides, aber es ist immer noch mehr Realität als Wunschtraum.
Genau das haben wir in Österreich einzubringen.
VIII.
Es ist schön, Österreicherin und Österreicher zu sein – auch das empfinden wir im Ausland
mehr als zu Hause. Österreich bietet uns die Leichtigkeit, den Wein, kulturelle Vielfalt,
den Zentralismus als Feindbild, Mehrdeutigkeit, das Lesen und Leben zwischen den Zeilen,
beeindruckende Hilfsbereitschaft, eine derzeit erfolgreiche Fußballnationalmannschaft;
uns unterscheidet von anderen Österreichern nur die gleiche Sprache.
Österreich schenkt uns wunderbare Nachbarn in Oberösterreich, Tirol, Kärnten und der
Steiermark; dazu kommen noch – zwar nicht mehr ganz Österreich – jene in Bayern, wo
man sich als Salzburger auch daheim fühlen kann, ohne dort zu Hause zu sein.
Vielleicht sind 200 Jahre Salzburg bei Österreich eine gute Gelegenheit darauf
hinzuweisen, dass diese gar nicht so kleine Republik im Herzen Europas aus der Buntheit
ihrer neun Bundesländer besteht, mit all ihren Unterschiedlichkeiten, ihren
geschichtlichen, sozialen, kulturellen Besonderheiten, die ein vielfärbiges und doch
harmonisches Gesicht haben. Sie leben, was den emotionalen Erfolg von Demokratie
ausmacht: Nähe!
Vielleicht ist dieses Jubiläum aber auch für uns eine gute Gelegenheit, eigene
Positionierungen zu hinterfragen, auch über das Lokalkolorit gelegentlich hinauszutreten
und der Frage nachzugehen, was ist denn unsere Gemeinsamkeit, wie können wir denn
unsere gemeinsame Republik besser dabei unterstützen, die Angelegenheiten unseres
Staats effizienter, bürgernäher, zeitgemäßer und kostengünstiger zu gestalten. Aber auch
umgekehrt: Was kann die Bundesseite tun, um uns zu unterstützen, die uns zugewiesenen
Aufgaben bestmöglich zu erfüllen.
Dieses Jubiläum gibt Anlass mehr über das Gemeinsame zu sprechen als über das
Trennende. Vielleicht sollten wir manches neu definieren, um uns mehr dort zu sehen, wo
wir uns haben wollen, als in Vorurteilen und Verdachtslagen zu erstarren und zu ersticken.
Wie hat es doch Goethe sinngemäß formuliert: „Gehen wir miteinander so um, als wären
wir, was wir sein sollten, und wir werden damit erreichen, dass wir werden, was wir sein
könnten“!
IX.
Also Glück gehabt.
Nur Glück gehabt?
Auch Glück gehabt, auch viel gearbeitet, auch viel besser gemacht, nach Niedergängen,
Zerstörungen, unfassbaren Dramen, vor allem viel besser gemacht nach 1945 und es waren
immer die Menschen, die es besser gemacht haben, salzburgische, österreichische und
viele, viele Menschen aus anderen Ländern bei uns.
Eines macht Mut: In Österreich sagt ein Salzburger stolz, dass er Salzburger ist und dies gilt
sinngemäß für die Tiroler, Oberösterreicher, Steirer, Wiener etc. Doch im Ausland, in der
Welt sagen wir alle: Wir sind Österreicher und Europäer – und wir brauchen uns dafür nicht
zu schämen!
Es lebe unser Land Salzburg!
Es lebe unsere Republik Österreich!