12.04.2016, Die Folgen des VW-Skandals - Angst in Wolfsburg

Manuskript
Beitrag: Die Folgen des VW-Skandals –
Angst in Wolfsburg
Sendung vom 12. April 2016
von Michael Haselrieder und Reinhard Laska
Anmoderation:
Bis vor Kurzem war VW der deutsche Vorzeigekonzern. Das ist
sowas von vorbei. Jetzt muss Volkswagen um neues Vertrauen
kämpfen. Vertrauen bei allen Menschen, die erfahren mussten,
wie VW vorsätzlich die Luft verpestet. Bei Millionen Kunden
weltweit, für die „Made in Germany“ plötzlich mit Manipulation
verbunden ist. Bei 600.000 Mitarbeitern, die um ihren Job
fürchten. Nur in den oberen Etagen von VW hat man noch
Vertrauen – zumindest in sich selbst und will deshalb angeblich
auf Bonuszahlungen nur teilweise verzichten. Und das trotz
drohender Milliarden-Strafzahlungen aus den USA. Michael
Haselrieder und Reinhard Laska über Misstrauens bildende
Maßnahmen bei und gegen Volkswagen und die Angst in
Wolfsburg.
Text:
Die Volkswagen Arena, vergangene Woche. Der VfL Wolfsburg
spielt international so erfolgreich wie nie. Davon kann der VWKonzern nur träumen. Unter den Fans viele, die sich Sorgen um
das Unternehmen machen.
O-Ton Thomas Fankhaenel, Volkswagen Fanclub VfL
Wolfsburg:
Ich hoffe einfach, dass es zum guten Ergebnis wird und dass
der Name VW einfach nicht so in den Dreck gezogen wird,
wie es teilweise dargestellt wird.
O-Ton Christian Mausolf, Taxifahrer in Wolfsburg:
Die sind alle verunsichert, würde ich mal sagen, die Leute.
Also, wir merken das auch. Also, ich fahr hauptberuflich Taxi
hier in Wolfsburg. Die Leute halten sich alle zurück, halten
ihr Geld zurück, haben Angst.
Einst war Volkswagen der Inbegriff deutscher Wertarbeit, kurz
davor die Nummer eins unter den Autobauern zu werden –
weltweit. Und jetzt: der Absturz.
Er kennt die Seelenlage der Mitarbeiter genau: Industriepfarrer
Dirk Wagner geht regelmäßig ins VW-Werk.
O-Ton Dirk Wagner, Industrieseelsorger:
Ich hab Menschen erlebt, die haben, als die Krise dann kam,
Ingenieure, die sagten, ich hab schlaflose Nächte, weil soll
das denn jetzt - mein ganzes Lebenswerk hier - auf einmal
unter dem Generalverdacht stehen, so nach dem Motto: Wir
sind alle Betrüger. Das kann ja wohl nicht wahr sein.
Viele Beschäftigte haben Angst, dass sie ausbaden müssen, was
das Management angerichtet hat. Auf der Betriebsversammlung
versucht der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil,
zugleich Mitglied im VW-Aufsichtsrat, die Belegschaft zu
beruhigen. Er nimmt den VW-Chef in die Pflicht:
O-Ton Stephan Weil, SPD, Ministerpräsident Niedersachsen:
Ich bin sehr froh, dass Matthias Müller in dieser Hinsicht
klipp und klar zum Ausdruck gebracht hat, dass diese
Arbeitsplätze sicher sind. Das sehe ich auch so. Und daran
messen wir auch das Management.
Da war der Abbau von 3.000 Stellen in der Verwaltung längst
ausgemachte Sache. Und dabei wird es nicht bleiben, fürchtet die
Opposition im Landtag.
O-Ton Jörg Bode, FPD, ehemaliger Wirtschaftsminister
Niedersachsen:
Momentan muss man, glaube ich, sagen, dass bei
Volkswagen nichts sicher ist, auch von den Erklärungen, die
kommen. Alles löst mehr eine Unsicherheit aus. Und das
liegt halt daran, dass keine klare Zukunftsstrategie festgelegt
worden ist. Man will ja wohl schon deutlich abbauen,
allerdings sozialverträglich, das heißt, ohne Kündigung. Aber
am Ende sind weniger Arbeitsplätze in Niedersachsen.
Drastischer formuliert es der Betriebsrat. Dessen Vorsitzender,
Bernd Osterloh, beklagt in einem Brief an die VW-Belegschaft ein,
Zitat:
„gravierendes Vertrauensproblem“.
„So haben wir den Eindruck, dass der Diesel-Skandal
hinterrücks dazu genutzt werden soll, personelle Einschnitte
vorzunehmen, die bis vor wenigen Monaten kein Thema
waren.“
Also doch Personalabbau? Auf Anfrage erklärt Volkswagen,
Zitat:
„Es ist bekannt, dass die Marke Volkswagen ein
Effizienzprogramm aufgelegt hat. Dies betrifft alle Bereiche,
auch die Personalkosten. Um sie zu verringern, haben wir
eine Reihe bewährter Instrumente.“
Doch das dürfte kaum ausreichen, denn weltweit drohen VW
Milliardenzahlungen. In Deutschland fordern Aktionäre und
Investoren rund sechs Milliarden Euro. In ganz Europa wollen
VW-Kunden Schadenersatz. Schon jetzt haben sich 85.000
Autobesitzer zusammengeschlossen.
Die größte Gefahr aber droht aus den USA. Strafzahlungen und
Schadenersatzforderungen könnten sich auf umgerechnet rund
30 Milliarden Euro summieren.
Washington. Wir treffen den Star-Anwalt Michael Hausfeld. Er ist
gefürchtet bei seinen Gegnern, hat milliardenschwere
Entschädigungen für ehemalige NS-Zwangsarbeiter durchgesetzt.
Jetzt vertritt er europäische Aktionäre und Autobesitzer gegen
VW. Dem Konzern wirft er Blockade vor:
O-Ton Michael D. Hausfeld, US-Anwalt:
Andere Konzerne haben in solchen Situationen viel mehr
Offenheit gezeigt. Sie haben die Probleme klar benannt,
haben versucht herauszufinden, was passiert ist.
Volkswagen dagegen betreibt eine Vogel-Strauß-Politik. Sie
stecken den Kopf immer tiefer in den Sand. Auf diese Weise
aber entblößen sie immer mehr von ihrem Hinterteil.
O-Ton Frontal 21:
Und was sind Ihre nächsten Schritte?
O-Ton Michael D. Hausfeld, US-Anwalt:
Wir werden alles in Bewegung setzen, damit Volkswagen
begreift: Es ist besser, sein Schicksal selbst in die Hand zu
nehmen, als das den Gerichten zu überlassen.
Chattanooga, Tennessee. Hier wird der Passat für den
amerikanischen Markt gefertigt. Die Absatzzahlen sind rückläufig.
Auch US-Gewerkschafter kritisieren das Krisenmanagement von
VW.
O-Ton Gary Casteel, US-Automobilarbeiter-Gewerkschaft:
Die bessere Strategie wäre volle Kooperation, Offenheit und
Transparenz. VW muss Verantwortung übernehmen, denn
das Problem ist hausgemacht.
Zurück nach Europa. In der Londoner City sitzen die großen
Investoren. Für sie analysiert Arndt Ellinghorst die Autokonzerne.
Er wundert sich, dass bei VW jetzt auch noch um
Bonuszahlungen gestritten wird.
O-Ton Arndt Ellinghorst, Automobil-Analyst:
Man kann auf der einen Seite natürlich nicht sagen, wir
befinden uns in einer existenziellen Krise, und sich dann
gleichzeitig hohe Boni ausschütten. Volkswagen wäre
wirklich sehr, sehr wohlberaten, wenn man einen zumindest
teilweisen Bonusverzicht durchsetzen würde.
Doch selbst bei einem Teilverzicht kassieren die Manager noch
Millionen - so wie in den vergangenen Jahren:
2014 bekam der damalige Finanzvorstand und heutige
Aufsichtsratschef Pötsch 5,5 Millionen Euro Bonus. Der heutige
VW-Chef Müller strich 3,5 Millionen ein. Und sein Vorgänger,
Winterkorn, bekam 2014 13,9 Millionen Euro Bonus. Er musste
wegen des Abgas-Skandals gehen und hat dennoch bis heute
Anspruch auf Erfolgsprämie.
O-Ton Jörg Bode, FPD, ehemaliger Wirtschaftsminister
Niedersachsen:
Andersrum wird ein Schuh draus. Insbesondere die
Vorstände, die zu der Zeit, als das Dieselgate bekannt
geworden ist, weiter dagewesen sind, Aktionäre nicht
gewarnt haben, die amerikanischen Behörden weiterhin
belogen haben, die müssten Schadensersatzleistungen
leisten und sozusagen dazu verdonnert werden.
VW-Kunden, die von den Manipulationen betroffen sind, können
nicht verstehen, dass die Manager dafür auch noch belohnt
werden.
Kevin Kern hatte sich kurz vor dem Bekanntwerden des DieselSkandals einen gebrauchten VW Passat CC gekauft. Jetzt will der
23-Jährige das Auto wieder zurückgeben. Dem Software-Update
traut er nicht.
O-Ton Kevin Kern, VW-Besitzer:
Weil ich der Meinung bin, dass das Auto danach auch mehr
verbraucht, und das nicht nur in dem Rahmen, dass man‘s
gar nicht merkt, also marginal, sondern dass das schon
größere Unterschiede sind als jetzt im Vorhinein.
Kevin Kern will sein Geld zurück, hat sich einen Anwalt
genommen. Der sieht weiteren Schaden auf seinen Mandanten
zukommen: Das Auto könne sogar die Betriebserlaubnis
verlieren.
O-Ton Prof. Marco Rogert, Rechtsanwalt:
Das Fahrzeug weist eine manipulative Einrichtung auf. Und
es gibt eine Norm in der Straßenverkehrszulassungsordnung, die besagt, dass jede Änderung gegenüber dem
ursprünglich angegebenen Daten eben dazu führt, dass die
allgemeine Betriebserlaubnis Kraft automatischer
gesetzlicher Anordnung erlischt.
Betroffen davon wären 2,4 Millionen Autos in Deutschland.
Zuständig für die Betriebserlaubnis ist das Kraftfahrtbundesamt.
Frontal 21 bittet die Behörde schriftlich um Klärung. Die lapidare
Antwort,
Zitat:
„Der Rückruf ist verbindlich. Fahrzeugen, die nicht
umgerüstet werden, kann die Betriebserlaubnis entzogen
werden.“
In der Stadt Wolfsburg sind die Auswirkungen der VW-Krise
bereits zu spüren. Die Gewerbesteuer-Einnahmen sinken,
Sanierungen von Schulen müssen verschoben werden, die Stadt
hat einen Einstellungsstopp verhängt.
O-Ton Klaus Mohrs, SPD, Oberbürgermeister Wolfsburg:
Natürlich ist man sauer in so einer Situation, wenn man sieht,
dass durch die Machenschaften von einigen wenigen, die
völlig unentschuldbar sind, eine Belegschaft, eine Region
auch in Mitleidenschaft gezogen wird.
Die Angst geht um bei Volkswagen. Denn der Konzern droht sein
wichtigstes Kapital vollends zu verspielen - das Vertrauen.
Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur
zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der
engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten
unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen
Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem
Stand des jeweiligen Sendetermins.