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SWR2 Aula
Physik
Der Studienkompass (2/11)
Von Metin Tolan
Sendung: Sonntag, 10. April 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Ralf Caspary
Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
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Ansage:
Mit dem Thema: "Der Studienkompass, Folge 2:Physik."
Wir bringen in der SWR 2 Aula eine Reihe, gedacht für Schüler und Schülerinnen,
die das Abi hinter sich haben und die sich fragen: Was nun? Was soll ich, wenn es
auf die Uni geht, studieren? Wir wollen bei der Beantwortung der Frage helfen.
Elf Aula-Autorinnen und -Autoren geben jeweils Auskunft über ihr Fach, zeigen, was
man mitbringen muss, um es zu studieren, was man mit dem BA oder MA anfangen
kann, wie das Studium aufgebaut ist. Es geht um Grundlagenfächer, um Chemie,
Medienwissenschaft, Mathematik, Germanistik oder wie heute Physik. Alle Vorträge
sind übrigens ab dem 15. April auch online erhältlich, Infos dazu finden Sie auf
unserer Homepage: www.swr2.de/studienkompass.
Heute also geht es um Physik, Autor ist Prof Metin Tolan von der TU Dortmund.
Metin Tolan:
Ich bin 1965 geboren, und das früheste Ereignis, an das ich mich wirklich erinnern
kann, ist die Mondlandung. Ende der 60er-Jahre war ja sozusagen das ApolloZeitalter, so dass ich schon als Kind mit Themen wie Weltraum, Weltall in Berührung
gekommen bin.
Ich weiß noch genau, wie meine Mutter uns Kinder eines Nachts aufgeweckt hat, um
zu den Nachbarn zu gehen. Sie wollte sich dort mit uns die Mondlandung im
Fernsehen angucken, weil das angeblich ein wichtiges Ereignis sei. Das hat mein
Interesse geweckt. Besonders interessiert hat mich eine wesentliche Frage, die mir
gezeigt hat, dass Physik eine Wissenschaft ist, die auch Überraschungen beinhaltet,
und zwar ganz offensichtliche Überraschungen. Und zwar habe ich mich als Kind
gefragt, woher man eigentlich weiß, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Denn
eigentlich ist es doch so: Morgens geht die Sonne auf, sie bewegt sich über den
ganzen Himmel, abends geht sie unter. Aber uns wird erzählt, die Erde dreht sich um
die Sonne und die Sonne steht still. Das kam mir schon ein bisschen komisch vor,
weil alles, was ich beobachten konnte, ja genau dagegen sprach. Also habe ich
meine Eltern gefragt. Die Antwort meiner Mutter war: "Das steht so in der Zeitung."
Sie konnte mir auch nicht erklären, woher man eigentlich weiß, dass die Erde sich
um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Ich bin also in die einzige Bücherei am Ort
gegangen – damals gab es ja noch kein Internet –, konnte aber keine
entsprechenden Bücher finden. Dann habe ich meine Lehrer gefragt, aber auch sie
konnten mir keine Auskunft geben.
Erst in der 7. Klasse hat mein Physiklehrer mir eine Erklärung geben können. Und
zwar indem er mir einen Tipp gab. Er sagte: "Du schaust abends immer um die
gleiche Uhrzeit durch Euer Wohnzimmerfenster in den Himmel. Dann suchst Du Dir
einen bestimmten Planeten aus und dort, wo Du diesen Planeten siehst, machst Du
einen kleinen Punkt ans Fenster." Er schlug mir vor, den Mars zu beobachten und
erklärte mir genau, wie ich den Mars am Himmel finde. Und er meinte, ich solle mir
die Linie anschauen, die da nach einiger Zeit am Fenster entsteht, wenn ich Abend
für Abend die Position des Mars markiere. Diese Linie bildet die Form einer Schlaufe.
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Der Mars scheint zunächst vorwärts zu laufen, dann stehen zu bleiben, wieder
rückwärts und dann wieder vorwärts zu laufen. Aber warum sollte sich der Mars
schlaufenförmig bewegen? Das kann man nur erklären, indem man annimmt, dass
die Sonne in der Mitte ist, dann kommt die Erde und hinter der Erde der Mars. Von
der Erde aus sieht man den Mars mal vor sich, dann überholt die Erde den Mars – er
bleibt also sozusagen am Himmel stehen – , und dann ist man vor dem Mars und
man sieht ihn hinter sich. So kommt es zu dieser Schlaufenbahn. Das heißt, man
kann nur verstehen, dass die Erde sich um die Sonne dreht, wenn man sich
zusätzlich einen dritten Planeten und dessen Bahnen genauer anguckt.
So ist das übrigens historisch tatsächlich gewesen. Die Menschen brauchten
ziemlich lange dafür, um diese Frage endgültig für sich zu beantworten. Ich fand das
jedenfalls sehr spannend, etwas am Himmel zu beobachten und mit der Wirklichkeit
zu vergleichen.
Die Wirklichkeit kann objektiv von der Physik aufgeklärt werden. Das ist das, was
Physik leisten kann. Physik liefert Erklärungen für Phänomene, die man in der Natur
beobachtet. Es ist das Grundprinzip der Physik, dass man mit Hilfe von
Experimenten, z. B. Beobachten von Planeten, Daten sammelt und diese Daten
dann mit einer theoretischen Vorstellung – in unserem Fall: Erde dreht sich um die
Sonne oder Erde steht im Mittelpunkt – abgleicht und überlegt, welches der Modelle
kann die gesammelten Daten am besten erklären. Und dann kann man aus diesen
Modellen weitere Vorhersagen treffen. Auch das kann die Physik.
Wenn ich einen Fußball mit einer bestimmten Geschwindigkeit und mit einem
bestimmten Winkel schieße - und ich kenne das Gewicht des Fußballs und die
momentanen Windverhältnisse- dann kann ich genau berechnen, welchen Weg der
Fußball nehmen und wo er landen wird. Und wenn ich ihm noch einen Drall gebe,
kann ich berechnen, welchen Bogen der Ball fliegen wird. Ich kann also eine Sache,
wenn ich sie verstanden habe, voraussagen, wie sie sich weiterentwickeln und was
passieren wird. Und das ist natürlich sehr faszinierend. Die Physik ist eine
Wissenschaft, die Voraussagen macht, die auch wirklich eintreten. Das ist sogar das
Markenzeichen der Physik. Und das ist es, was mich an der Physik bis zum heutigen
Tage fasziniert. Es geht nicht um Glauben, sondern um Fakten, die man versuchen
muss, mit einer Modellvorstellung zu erklären.
Angefangen hat die Physik am Himmel. Erst als Isaac Newton 1687 verstanden hat,
wie es am Himmel abläuft, konnte er die Grundgesetze der Mechanik auf der Erde
herausfinden. Und es ist kein Zufall, dass die Industrielle Revolution, also unsere
technische Welt, wie wir sie heute vorfinden, zu diesem Zeitpunkt, Ende des 17.
Jahrhunderts, ihren Ursprung nahm. Damals hat es die ersten Erfindungen gegeben,
weil man da die physikalischen Grundgesetze der Mechanik entdeckt hatte. Und
auch die waren wieder anders, als man das vermutet hat. Ein Beispiel: Ein Axiom
von Newton ist, dass eine Kraft immer dann wirkt, wenn sich die Geschwindigkeit
eines Körpers ändert. Wenn sich die Geschwindigkeit nicht ändert, dann wirkt auch
keine Kraft. Das ist eine Erkenntnis, die eigentlich vollständig gegen unsere Intuition
ist. Denn wenn ich Auto fahre, muss ich doch den Motor laufen lassen, selbst wenn
ich mich mit derselben Geschwindigkeit bewege. Der Motor muss also eine
konstante Kraft aufbringen. Nach Newton ist es aber so, dass auf mein Auto keine
Kraft wirkt, denn es ändert sich ja keine Geschwindigkeit. Des Rätsels Lösung ist:
Auf mein Auto insgesamt wirkt keine Kraft, der Motor muss genau die Kraft
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aufbringen, die durch Reibung verloren geht, so dass die Summe der beiden Kräfte
null ist. Das heißt, man musste erst einmal erkennen, wenn ich eine Kraft aufbringe,
um mich mit konstanter Geschwindigkeit zu bewegen, dann muss es irgendwo noch
eine zweite Kraft geben, die die erste aufhebt, weil die Geschwindigkeit konstant ist.
Das zeigt, wie verblüffend Physik ist. Die Physik ist in der Lage, Probleme sowohl
unseres Alltags zu lösen, aber auch bis hin in den Mikroelektronik. Jede Erfindung,
die Sie auf Ihrem Schreibtisch vorfinden, Ihr noch kleineres Smartphone, Ihr noch
schnellerer Laptop, basiert darauf, dass man ein neues Grundbausteinchen in der
Physik erkannt hat. Die wesentliche grundlegende Theorie ist die Quantentheorie.
Wenn Sie eine klar leuchtende farbige Anzeige auf Ihrem Handy haben wollen, geht
das nur mit Leuchtdioden. Warum man solche organischen Moleküle in
verschiedenen Farben zum Leuchten bringen kann, haben Physiker
herausgefunden. Ein noch plakativeres Beispiel: Unsere heutigen PC-Festplatten
kriegen wir kaum noch voll mit Daten – das war früher einmal anders. Zu verdanken
haben wir diese Entwicklung der Erkenntnis von Peter Grünberg mit dem RiesenMagnetowiderstand. Dafür hat er 2007 den Nobelpreis erhalten. Dieses Prinzip
musste man erst erkennen, um Daten so eng auf einer Festplatte speichern zu
können wie heute, damit wir ganze Filme auf Datenträger bringen.
Physik finden Sie also an jeder Stelle im Leben, grundlegende Phänomene finden
Sie an jeder Stelle im Leben. Und das macht die Physik so anziehend und spannend.
Deswegen ist sie auch für die Gesellschaft von großer Relevanz. Das, was Physiker
machen, finden Sie Jahre später auf Ihrem Schreibtisch als einen Gegenstand, den
Sie sich aus Ihrem Leben nicht mehr wegdenken können.
Oder wenn wir jetzt 100 Jahre Relativitätstheorie von Albert Einstein feiern, dann
müssen wir wissen, diese Theorie nutzt jeder, der ein Navigationssystem nutzt und
zum Beispiel in seinem Smartphone einen bestimmten Ort sucht. Denn präzise
Ortung geht über präzise Zeitsignale und dadurch, dass die Zeit sich leicht verändert,
wenn Sie sich in der Nähe einer großen Masse wie der Erde befinden. Nur wenn
man diese Veränderung mit berücksichtigt, kriegt man so genaue Navigationsgeräte
wie wir sie heute haben. Würde man die Relativitätstheorie nicht berücksichtigen,
könnten die Navigationsgeräte nur bis auf etwa 1 km genau orten. Sie sehen also
auch hier wieder: Die Physik liefert die grundlegenden Bausteine, die später unseren
Alltag mit formen und erleichtern können.
Das ist auch etwas, was unsere Studierenden an der TU Dortmund fasziniert. Aber
zur Physik gehört auch ein schweißtreibendes Studium. Man muss zunächst die
ganzen Prinzipien, die Theorien der klassischen Physik wie Mechanik,
Thermodynamik, Elektrodynamik lernen. Dazu kommt die moderne Physik, die
Anfang des 20. Jahrhunderts entstand. Dazu gehört die Quantentheorie, die unsere
Welt im ganz Kleinen erklärt mit einer wirklich atemberaubenden Genauigkeit. Dazu
gehört auch die Theorie, die unsere Welt im Großen erklärt, die Relativitätstheorie,
die Theorie, die versucht unser Weltall zu erklären – da findet man ja immer wieder
neue interessante Erkenntnisse. In den ersten sechs Semestern des BachelorStudiums und in den vier Semestern des Master-Studiums muss man viel lernen.
Was man mitbringen muss? Man muss es einfach mögen. Was ich eben erklärt
habe, muss der Antriebsfaktor sein, dass man die Dinge verstehen will.
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Talent ist nicht so sehr gefragt, wie z. B. beim Sport, in der Kunst oder in der Musik.
Ich glaube, in der Physik ist es eher so, dass man das wirklich wollen und
Leidenschaft mitbringen sollte. Und man sollte nicht gerade eine Aversion gegen
Zahlen haben, denn Mathematik spielt in der Physik eine große Rolle. Aber das eine
kommt meist zum anderen. Das sehe ich ganz häufig bei unseren Studierenden. Wer
sich für Physik und die Naturwissenschaften interessiert, möchte in der Regel auch
die Sprache kennen, um diese Naturwissenschaften zu beschreiben, nämlich die
Mathematik. An ihr lässt sich der Erfolg eines Physik-Studiums letztendlich
festmachen. Wenn man schon in der Schule größere Schwierigkeiten in der
Mathematik hatte und sich immer an einer 4 entlang gehangelt hat, dann wird das im
Studium nicht besser. Mit der Mathematik ist es so wie mit der nächsten
Steuererhöhung, sie kommt auf jeden Fall, ohne die Mathematik kommt man nicht
durch ein Physik-Studium. Physik ist eine quantitative Wissenschaft. Das bedeutet,
man stellt Fragen und möchte konkrete Zahlen haben, und die Physik kann diese
Zahlen liefern. Genau deswegen braucht man eine Sprache, in der man sich
ausdrückt, und das ist die Sprache der Mathematik. Ein Leistungskurs in der Schule
ist nicht notwendig, aber ein solider Grundkurs mit Differential- und Integralrechnung
ist ein Muss. Häufig merken wir, dass algebraische Umformungen in der Mittelstufe
nicht so gut sitzen, Winkelfunktionen Sinus und Cosinus – wem das so gar nichts
sagt, der könnte schon Probleme bekommen. Diese mathematische Sprache ist
wichtig und lässt sich im Studium nicht mehr gänzlich nachholen. Wir werden jetzt
zwar viele Auffrischungskurse anbieten, aber im Gegensatz zur Physik wiederholen
wir die Mathematik an der Universität eigentlich nicht von Anfang an.
In der Physik fangen wir ganz unten an, allerdings mit universitärer Geschwindigkeit.
Wenn man in der Schule einen Mathe-, aber keinen Physik-Leistungskurs hatte,
würde ich sagen, das ist völlig ok, dann kann man Physik studieren. Umgekehrt
würde ich jemandem mit einem Physik-Leistungskurs, der aber die Mathematik nie
so wirklich verstanden hat, vielleicht nicht unbedingt eine Studienempfehlung geben.
Man kann natürlich die Mathematik nachholen, und mit genügend Enthusiasmus
schafft man das auch, aber im Physik-Studium muss man ohnehin schon sehr viel
Herzblut und Zeit einbringen. Es müssen viele Aufgaben, während des Studiums
berechnet und gelöst werden. Das kostet Zeit und Energie. Dafür muss man wirklich
brennen und glühen, damit man das freiwillig auf sich nimmt. Es steht ja keiner mehr
dahinter und treibt an, kein Lehrer, der die Hausaufgaben kontrolliert, sondern das
macht man alles aus eigenem Antrieb.
Mathematik ist also wichtig, aber man hat im Studium auch noch Nebenfächer. Zur
Wahl stehen Chemie und Informatik. In beiden Fächern Kenntnisse zu haben, ist
sicherlich sehr anzuraten. Ich hatte mich in meinem Studium für Chemie
entschieden, aber Informatik ist genauso gut. Heute sind Informatik-Kenntnisse
ohnehin extrem wichtig. Man kann natürlich alles auch noch später lernen. Man kann
auch schon Informatik-Kenntnisse haben, wenn man mit dem Studium anfängt. Das
ist heutzutage ja auch schon gang und gäbe.
Das Physik-Studium ist sehr straff organisiert. Vorlesungen haben in der Regel ganz
unspektakuläre Namen, z. B. lautet eine Vorlesung "Physik I" und im nächsten
Semester "Physik II". Das Bachelor-Studium baut sehr stark aufeinander auf, weil es
erst mal nur darum geht, Wissen zu erlangen und anzuhäufen. Nach ungefähr sechs
Semestern ist man in der Regel fertig. Man ist danach in der Lage, unter Anleitung
ein kleineres Forschungsobjekt zu bearbeiten, das ist die Aufgabe, die man in einer
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Bachelor-Arbeit zu leisten hat. Das ist eine gute Sache, das muss man wirklich
sagen. Eines ist jedoch nicht der Fall: Das Bachelor-Studium sollte ja ursprünglich
berufsqualifizierend sein. Das kann man in sechs Semestern nicht leisten. Das
zeigen auch alle Studien, z. B. der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, dass der
Physik-Bachelor-Abschluss in der Industrie nicht gut angekommen ist. Das heißt,
man muss bis zum Master studieren, um einen Abschluss zu bekommen, der in der
Industrie wirklich nachgefragt ist. Gut dabei ist, dass man den Bachelor nutzen kann,
um sich eventuell neu zu justieren. Heutzutage wird er häufiger genutzt, um an einem
anderen Ort weiter zu studieren. Das ist im Gegensatz zu früher viel einfacher
geworden. Trotzdem kann ich jedem angehenden Physik-Studenten nur raten:
Denken Sie bitte das Studium bis zum Master durch! Das wird Ihnen einen Beruf
sichern. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft macht ja auch AbsolventenStudien und zeigt jedes Mal auf, dass es in Deutschland immer noch eine große
Physiker-Lücke gibt, Wir könnten im Moment noch zwei komplette AbschlussJahrgänge auf dem Arbeitsmarkt verkraften. Das haben Industrieunternehmen
angezeigt. Der Bedarf ist also da, allerdings für den Master, nicht so sehr für den
Bachelor. Aber wer Physiker ist, kann sowieso nicht genug von Physik kriegen und
bleibt oft bis zum Master.
Nach dem Studium kann man, wenn das Forschen Spaß macht, eine Promotion
machen. Das sind nochmal zwei bis drei Jahre, in denen man völlig selbständig ein
eigenes Forschungsprojekt bearbeitet, über das man am Ende mehr weiß als der
Professor. Das macht man sozusagen 24 Stunden am Tag, da kann der Forscher so
richtig aufleben. Zwingend erforderlich ist die Promotion für eine Karriere in der
Industrie nicht. Für eine wissenschaftliche Laufbahn jedoch schon. Eine
wissenschaftliche Karriere ist eine Sache für sich. Alles, was ich bisher gesagt habe,
setzt voraus, dass man fleißig ist, für die Sache brennt, dann kriegt man das hin,
darauf kann ich Brief und Siegel geben. Bei der wissenschaftlichen Karriere kommt
plötzlich ein Faktor ins Spiel, den man da nicht vermutet hätte. Und dieser Faktor ist
Glück. Man muss manchmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Rückblickend
kann ich sagen, dass meine eigene Laufbahn als Professor an der Technischen
Universität Dortmund von vielen Glücksmomenten abhing.
Man lässt sich in der Wissenschaft darauf ein, dass man zunächst eine Post-Doc-Zeit
macht, d. h. eine Zeit nach der Promotion, in der man sich sein eigenes
Forschungsgebiet sucht, noch eigenständiger forscht. Die Post-Doc-Zeit findet in der
Regel im Ausland statt, umfasst zwei bis drei Jahre, dann bewirbt man sich auf eine
Juniorprofessur an einer Universität. Heutzutage funktioniert das etwas anders als
früher. Ich hatte eine sogenannte Assistentenstelle. Heute würde man sagen eine
Juniorprofessur. In dieser Zeit baut man schon seine eigene Arbeitsgruppe an einer
Universität auf. Und dann muss man Glück haben, auf eine Professur berufen zu
werden. Ich sage bewusst Glück. Denn dieses kleine Quäntchen Glück braucht man
wie überall im Leben.
Deswegen sage ich, wer für die Sache brennt und sich auf das kleine Glücksspiel
einlassen möchte, dem kann ich eine wissenschaftliche Karriere wirklich nur
empfehlen. Ich hatte z. B. das Glück, dass ich die Forschung mit
Synchrotonstrahlung in meiner Promotion betrieben habe und dieses Gebiet später
tatsächlich geboomt hat und man plötzlich viele Leute brauchte. Aber das wusste ich
damals nicht. Es war reines Glück, dass ich daran gearbeitet hatte.
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Und wenn Sie auch keine wissenschaftliche Karriere anstreben wollen, dann wäre ja
eine Option der Job der Bundeskanzlerin. Der ist ja vielleicht frei, wenn Sie mit dem
Studium fertig sind.
Was tun Physiker eigentlich außerhalb der Universität? Welche Berufe, welche
Industriezweige stehen ihnen offen? Das berufliche Spektrum für Physiker ist wirklich
riesengroß und reicht vom Bankensektor bis zu Forschungslaboratorien. Einer
unserer Absolventen arbeitet bei der Lufthansa und rechnet dort sehr komplizierte
Computer-Modelle aus, in denen es um Überbuchungen für die Maschinen geht. Das
Teuerste für die Lufthansa ist, mit leeren Sitzen zu fliegen oder einen Passagier
abfinden zu müssen, der überbucht wurde. Für jeden Flug genau die
Überbuchungsmodelle zu errechnen, ist hochkompliziert. Und das machen z. B.
Theoretische Physiker. Dass Physiker in Forschungslaboratorien von Siemens oder
Volkswagen sitzen und physikalische Untersuchungen und Grundlagenarbeiten
machen, brauche ich nicht zu sagen. Und: Physiker arbeiten in Banken. Denn
Banken setzen genau die Modelle ein, die unsere Physiker bei uns während des
Studiums gerechnet haben. Also es geht nicht nur um den Bundeskanzlerjob!
*****
Metin Tolan studierte Physik mit Nebenfach Mathematik in Kiel und war bis 1998
Wissenschaftlicher Angestellter und später Hochschulassistent am Institut für
Experimentalphysik der CAU Kiel. Nach Forschungsaufenthalten in den USA
habilitierte er sich im Fach Experimentelle Physik an der CAU Kiel. Nach weiteren
Forschungsaufenthalten nahm er den Ruf an die TU Dortmund als Professor für
Experimentelle Physik an. Er ist heute Inhaber des Lehrstuhls "Experimentelle Physik
I".
Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Erforschung des Grenzflächenverhaltens
sogenannter "weicher Materie" (Polymere, Flüssigkeiten, Biomaterialien) mit
Röntgenstrahlung und Nutzung von Synchrotronstrahlung zur Materialforschung
allgemein.
Bücher (Auswahl):
– Die STAR TREK Physik: Warum die Enterprise nur 158 Kilo wiegt und andere
galaktische Erkenntnisse. Piper-Verlag, 2016.
– Manchmal gewinnt der Bessere: Die Physik des Fußballspiels (Taschenbuch).
Piper-Verlag, 2011.
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