Ausgabe 12 01. April 2016 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Niedrigzinsen Zu hohe Garantien: Lebensversicherung im Anlagenotstand Angesichts sinkender Zinsen vergaben Lebensversicherer über Jahre zu hohe Garantien. Das rächt sich im Tiefzinsumfeld D günstiger ist, zu einem erheblichen ie umlagefinanzierte gesetzliTeil steuerfinanziert, weil die laufenche Rentenversicherung wird in den Beitragszahlungen nicht ausreiDeutschland wie in den meisten Länchen. dern aus demografischen Gründen Die Koalitionsregierung hat, in eine jahrzehntelange Problempenachdem sie das Rentenalter vor riode hineingeraten. Geburtenstarke zwei Jahren auf 63 Jahre gesenkt hatJahrgänge der Jahre 1950-70 werden te, die Renten kürzlich angehoben. ab 2020 zunehmend in Rente gehen. In den alten Bundesländern um 4.25 Dazu steigt die Lebenserwartung Prozent, in den neuen Bundeslänweiter an, sodass sich einerseits das dern um 5.95 Prozent. Dies erfolgte Verhältnis zwischen Beitragszahlern Garantiesatz für das Neugeschäft. gemäß einem Finanzierungsschlüsund Empfängern verschlechtern Quelle: Bundesbank, Assekurata sel, der auf der Lohn- und Beschäftiwird. Andererseits verlängern sich gungsentwicklung der vergangenen die Renten-Bezugszeiten der zukünftigen Rentner noch erheblich. Das ist Umlageverfahren mit den bisherigen Bei- Jahre basiert. Das ist eine mutige, aber rückwärtsein gesamteuropäisches Phänomen, aber tragssätzen basierenden Renten werden in Deutschland aus verschiedenen Grün- deshalb nicht ausreichen. Die Renten sind gerichtete Maßnahme, weil die zukünftiden besonders ausgeprägt. Die auf dem schon jetzt, wo die Demografie noch viel ge Finanzierung dafür nicht geregelt und Analyse Urteil: Bausparkassen dürfen Altverträge nicht einfach kündigen Das Oberlandesgericht Stuttgart hat als erstes Berufungsgericht bei einer Kündigung zugunsten einer Bausparkundin entschieden. Die Bausparkasse habe kein Recht, den Vertrag mit hohen Zinsleistungen zu kündigen, so der Richter. Bausparkassen können Bausparverträge mit hohen Zinsleistungen nicht ohne Weiteres kündigen, wenn Kunden das Ansparen eingestellt haben. Dies entschied das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart in einem Urteil. Erst wenn der Kunde eine ausdrückliche Aufforderung zur Zahlung der vereinbarten Sparbeiträge ignoriert, kann die Bausparkasse den Vertrag kurzfristig kündigen. (Az. 9 U 171/15) Das für viele Verbraucher wichtige Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann von der beklagten Bausparkasse vor dem Bundesgerichtshof angegriffen werden. (Az. 9 U 171/15) Mit dem Urteil wehrte sich eine Sparerin erfolgreich gegen die Kündigung ihres 38 Jahre alten Bausparvertrags über rund 20.500 Euro. Auf ihre eingezahlten Raten hatte sie über die Laufzeit Zinsen in Höhe von drei Prozent bekommen. Nach Zuteilungsreife stellte die Bausparerin die regelmäßige Zahlung der Sparraten ein, ohne ein Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen. Im Januar 2015, also knapp 22 Jahre nach Eintritt der Zuteilungsreife, kündigte die Bausparkasse den Bausparvertrag. Das Bausparguthaben belief sich zu diesem Zeitpunkt auf etwa 15.000 Euro. Die Bausparsumme war also nicht vollständig angespart. Das OLG erklärte die Kündigung der Bausparkasse nun für unberechtigt. Die Bausparkasse habe es „möglicherweise im eigenen Interesse“ hingenommen, dass die Kundin keine Sparleistungen mehr erbracht habe. Bei korrektem Ansparen wäre die Bausparsumme innerhalb von zehn Jahren ab Zuteilungsreife vollständig angespart worden. Wenn die Bausparkasse selbst „ein faktisches Ruhen des Bausparvertrages erlaube“, sei sich nicht „schutzbedürftig“ und könne sich nicht später auf eine analoge Anwendung eines gesetzlichen Kündigungsrechts berufen. Dem Urteil zufolge hätte die Bausparkasse ihre Kundin vielmehr auffordern müssen, die vertraglich vereinbarten Sparbeiträge wieder zu leisten. Erst wenn dies nicht geschehe, habe die Bausparkasse ein kurzfristiges Kündigungsrecht. Damit haben es Bausparkassen den Richtern zufolge selbst in der Hand, eine überlange Bindung an hohe Zinssätze zu verhindern. Sollte die Entscheidung vom BGH bestätigt werden, ist sie womöglich für tausende Bausparer von Bedeutung. Dem Verbraucherzentrale Bundesverband zufolge kündigen Bausparkassen tausende Verträge, für die hohe Guthaben-Zinsen vereinbart wurden. Die Verbraucherzentrale empfiehlt deshalb einer bereits ausgesprochenen oder angedrohten Kündigung mit ihrem Musterbrief zu widersprechen. 1 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |12/16 diesen Befund). Die Haushalte konzentrieren ihre Anlagen also einerseits auf Bargeld und Bankeinlagen, auf denen sie real über die Zeit hinweg praktisch nichts verdienen, die ihnen aber hohe Liquidität sichern. Die Niedrigzinsen der letzten Jahre sind im langfristigen Vergleich zwar negativ, aber gar nicht so stark, weil eben die Inflationsraten auch Garantiesätze und Marktrenditen Deutschland. tief lagen. Quelle: Assekurata, OECD MEI, Bundesbank Für die meisten Haushalte stammt der reale Ertrag aus jedenfalls nicht kommuniziert ist. Wie wir Versicherungsansprüchen. Diese haben sehen werden, entspricht dies genau der eine konsistent hohe, reale Rendite von Charakteristik der meisten Formen finan- rund 4 Prozent pro Jahr seit 1991. Sie lag in zieller Altersvorsorge in Deutschland. Sie der zweiten Hälfte der 1990er Jahren höbasieren auf dem Rückspiegel, nicht auf her und in den 2000er Jahren niedriger, der freien und unbefangenen Sicht nach war aber in keinem einzigen Jahr negativ. vorne. Insgesamt ist die Sicherung der Für das Gros der Haushalte ist demnach Altersvorsorge eine komplexe, viele Po- die Anlage in Lebensversicherungen und litikbereiche betreffende Agenda für die Pensionsguthaben der Schlüssel für die Altersvorsorge. Auf diese Weise wird Ersparnächsten Jahre. Aus dieser ohnehin schon schwierigen nis gebildet. Aktien und Investmentfonds haben Konstellation der Rentenversicherung ergibt sich ein besonderer und zusätzlicher noch höhere, reale Renditen, die aber im Bedarf für die Altersvorsorge – dies aus der Fall der Aktien sehr starken zyklischen kollektiven wie aus der individuellen Er- Schwankungen unterworfen sind. Trotz sparnis. Die Bundesbank hat kürzlich eine der real höheren Renditen verzichten die Aufstellung publiziert, wie die deutschen meisten Haushalte auf Aktien, weil sie deHaushalte ihre finanziellen Anlagen täti- ren hohe Volatilität nicht ertragen können oder wollen. Es gibt im Zeitraum 1991 bis gen. Die wichtigste Form der finanziellen 2015 zwei Jahr mit negativem Ergebnis von Vermögensanlage in Deutschland sind bis zu 30 Prozent. Versicherungen und Aktien dürften Bargeld und Bankeinlagen mit einem Anteil von rund 40 Prozent am gesamten ungefähr gleichviel zum gesamten realen Geldvermögen. Fast gleich groß geworden Ertrag für die Haushalte beigetragen hasind die Ansprüche gegenüber Versiche- ben, genau ist dies aus der Grafik im Arrungen. In der Hauptsache dürfte es sich tikel nicht zu erkennen. Rund die Hälfte dabei um Lebensversicherungen und Pen- des gesamten Ertrages der Vergangenheit sionsguthaben handeln. Aktien machen kommt also einem relativ geringen Anteil nur rund 5 Prozent aus, Anteile an Invest- der Haushalte zugute, die Aktien besitment-Fonds etwas mehr. Noch geringer ist zen. Für die meisten Haushalte ist bisher der Anteil von Schuldverschreibungen wie die Ersparnis in Versicherungen und Pensionskassen die einzige verlässliche und Obligationen. Der zweite interessante Fakt betrifft erstrebenswerte Form der realen Erspardie realen, d.h. inflationsbereinigten Er- nisbildung. Dies rechtfertigt es, diese Form träge dieser verschiedenen Anlageformen. der Vermögensanlage etwas detaillierter Hier zeigt es sich, dass die Bankeinlagen zu analysieren. Was im Rückspiegel recht glänzend seit 1991 gerade mal eine schwarze Null, d.h. eine leicht positive Rendite erbringen. aussieht, ist für die Zukunft in Frage geDies geschieht mit nicht unerheblichen stellt. Eine bedeutende Rolle spielt dabei Schwankungen (ein Blick zurück auf die die EZB-Politik mit den Null- oder Negativalte Bundesrepublik bestätigt im Übrigen zinsen und den Anleihenkäufen. Doch es 01. April 2016 wäre unfair, alles Ungemach der EZB in die Schuhe zu schieben. Effektiv ist die Situation komplexer. Die Lebensversicherung droht nämlich, zu einem weiteren Beispiel für eine gescheiterte Deregulierung einer Branche in Europa zu werden. Zu Beginn der 1990er Jahre wurde im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt eine Deregulierung, Marktöffnung und Abschaffung zahlreicher Vorschriften in Europa beschlossen. Die Idee war, damit einen großen Sprung nach vorne zu machen. Europa sollte als den USA entsprechender, gemeinsamer Markt entstehen. Damit sollte eine effizientere Versorgung der Bevölkerung sowie eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext erreicht werden. Im Unterschied zu anderen von der Deregulierung betroffenen Branchen war die Lebensversicherung zunächst nicht kapitalintensiv. Aber die Lebensversicherung hat ein Geschäftsmodell mit extrem langen, zeitlichen Horizonten. Wenn ein Erwachsener im Alter von 30 oder 35 Jahren eine Lebensversicherung abschließt, erstrecken sich die Fristen für seine Einzahlungen oft bis zur Pensionierung. Die Bezugsfristen können sich bis ins Alter von 85, 90 oder 95 Jahren verlängern, wenn er eine laufende Rente bezieht. Die gesamte Frist beträgt also locker 50 bis 60 Jahre. Vorher war die Lebensversicherung wie die Banken oder Versorger eine hoch regulierte Branche, mit starkem Kartellcharakter und sehr national geprägt. Die Umsetzung der dritten EU-Richtlinie hob Vorschriften über Tarife, Prämien, Garantien und Leistungen auf. In Deutschland war der Garantiesatz traditionell von der Aufsicht festgelegt worden. Dieser Garantiesatz hatte immer weit unter den risikolosen Renditen gelegen, die am Kapitalmarkt erzielt werden konnten. 1995 wurde europaweit eine Formel eingeführt, welche den Garantiesatz flexibilisierte. Seither orientieren sich die Garantiesätze am Durchschnitt der Rendite 10-jähriger Bundesanleihen in den vergangenen 10 Jahren – für ein spezielles Jahr, etwa 2000, also am Durchschnitt der Jahre 1990 bis 1999. Und zwar sollte der Garantiesatz in der Lebensversicherung nicht höher als 60 Prozent dieser Durchschnittsrendite liegen. Mit den 40 Prozent als Polster dachte man, sei genügend Reserve geschaffen. Die 2 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |12/16 Obligationen-Renditen auf Verfall am 25.3. 2016 und projizierter durchschnittlicher Garantiesatz. Quelle: Boerse.de, eigene grobe Schätzung für die Projektion der Garantiesätze Altbestand Marktöffnung auch für ausländische Teilnehmer dynamisierte die vorher behäbige Branche. Es galt die Devise des ‚asset gathering’, der Akquisition möglichst vieler Neukunden. Die Versicherer strebten ein möglichst hohes Wachstum der Aktiven an, um Synergien aller Art zu erreichen: Markterschließung in neuen Ländern und Märkten, kritische Größe, Kosteneffizienz und anderes mehr. Das klassische Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, waren erhöhte Garantien. Bei tendenziell fallenden Renditen wurden die Garantiesätze in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auf 4 Prozent angehoben, dies aufgrund der neuen Berechnungsformel. Die Garantiesätze blieben weiterhin hoch bis ungefähr 2003. Die neue Formel erweist sich im Rückblick als falsch konstruiert. Sie ergibt bei anhaltend sinkenden Zinsen zu hohe Garantien. Die Garantiesätze im Neugeschäft sind von der Aufsicht aufgrund der Formel gesetzt, sie sind nicht von den einzelnen Versicherungsgesellschaften bestimmt. Die Garantiesätze sollten sich nicht an den Renditen der Vergangenheit, sondern eher an den am Markt erzielbaren Renditen für die Zukunft orientieren. Der Rückblick erweist sich vor allem deshalb als falsch, weil die Zinsen extrem starke, lange Trends aufweisen. Sie steigen über Jahrzehnte und sie fallen über Jahrzehnte, im Fall der deutschen Bundesanleihen seit 1990 von damals 8.7 Prozent auf noch 0.3 Prozent 2016. Dies entspricht teilweise dem Inflationsmuster, doch kommen andere Faktoren, nicht zuletzt die Geld- politik, hinzu. Diese langen, dominanten Trends sind von zyklischen Schwankungen überlagert, die wiederum hauptsächlich durch die Geldpolitik verursacht sind. Seit 2009 sind die Renditen am Kapitalmarkt in den freien Fall übergegangen, deutlich unter die Garantiesätze für den Bestand (rote Kurve, ohne Berücksichtigung der Zinszusatzreserve) und seit 2012 sogar unter die Garantiesätze für das Neugeschäft (grüne Kurve). Als besonders gravierend erweist sich, dass die durchschnittlichen Garantiesätze für den Altbestand nur sehr langsam sinken. Von Jahr zu Jahr gehen sie einige wenige Basispunkte zurück. Das schafft ein Reinvestitionsrisiko für den Altbestand. Bei Ablauf oder bei Verkauf einer Obligation muss der Betrag in der Regel neu investiert werden. Wenn die alte Obligation eine Buchwertrendite von 5 Prozent hatte, die neue aber nur noch 0.5 Prozent ergibt, liegt das weit unter dem Garantiesatz von fast 3 Prozent. Das Obligationen-Portfolio von Lebensversicherern hat typischerweise durchschnittliche Restlaufzeiten von 10-15 Jahren. Probleme ergeben sich also insbesondere, wenn die Tiefzinsphase noch lange anhält. Dann werden immer größere Bestände zur Reinvestition fällig. Eine zusätzliche Belastung stellt dar, dass seit 2012 die Renditen im Neugeschäft risikolos gar nicht mehr zu replizieren sind. Ein Blick auf klassischen Anlagen erhellt, wie sich durch die Null- und Negativzinspolitik der EZB und durch ihre Anleihenkäufe die Anlageperspektiven 01. April 2016 für die Lebensversicherer verdüstert haben. Lebensversicherer investieren aufgrund gesetzlicher und regulatorischer Beschränkungen sowie aufgrund ihres Geschäftsmodells hauptsächlich in festverzinsliche Instrumente wie Anleihen oder Darlehen. Diese Renten machen rund 90 Prozent ihres Anlageuniversums aus. Die folgende Grafik bildet die aktuellen Renditen auf Verfall der wichtigsten Anlagekategorien ab. Dies erfolgt über die ganze Zinskurve hinweg. Für Bundesanleihen sind die Renditen bis auf 8 Jahre hinaus negativ. Sie erreichen gerade mal 0.75 Prozent für das Segment der über 15-jährigen Laufzeiten. Auch Pfandbriefe, traditionell eine wichtige Anlagekategorie, ergeben bis 10 Jahre Laufzeit nicht einmal 1 Prozent Rendite. Geht man in die Unternehmensanleihen, so geben nur die niedrigsten Qualitäten, die noch Investment-Grad haben (BBB) bei sehr langen Laufzeiten einigermaßen ansehnliche Renditen her. Vergleicht man sie mit einer primitiv geschätzten Kurve der zukünftigen Durchschnitts-Garantiesatzes auf dem Altbestand, sind selbst dort bei bis 10 Jahren Laufzeit nur Verluste zu erzielen. Genügend hohe Renditen würden lediglich junk-bonds ergeben, die über 4 Prozent rentieren. Doch ihrem Gebrauch sind regulatorisch und vom Investitionsverhalten her enge Grenzen gesetzt. Mit den neuen Anleihenkaufsprogrammen dürften vor allem die Renditen der Unternehmensanleihen noch weiter sinken, denn die EZB weitet ihre Käufe gemäß ihrer Ankündigung auf dieses Segment aus. Für die Lebensversicherer bedeutet dies womöglich noch niedrigere Renditen als Anlagemöglichkeit. Zusammengefasst sind die Lebensversicherer in einer unkomfortablen Situation. Aufgrund der drastisch gefallenen Renditen haben sie in der Vergangenheit zu hohe Garantiesätze gewährt. Schuld daran ist die Deregulierung Mitte der 1990er Jahre, welche eine handgestrickte Formel mit Rückwärtsperspektive installierte. Seit 2009 wird die Reinvestition im Altbestand, seit 2012 die Investition im Neugeschäft zum möglichen Verlustbringer. Dauert die Tiefzinsphase länger und würden gar die Renditen noch niedriger gehen, kommen die Lebensversicherer aufgrund der Garantieversprechen in ernsthafte Probleme mit der Anlagerendite. 3 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |12/16 01. April 2016 Steuern Unions-Mittelständler schlagen Flat-Rate für Erbschaftsteuer vor Eine pauschale Steuer von drei Prozent auf den Betriebsgewinn soll die Berechnung der Erbschaftssteuer erleichtern Zur Vermeidung komplizierter Berechnungen soll die Erbschaftssteuer pauschal drei Prozent auf den Betriebsgewinn betragen. Foto: flickr/ Dennis Skley/ cc by 2.0 D er Wirtschaftsflügel der Union will die hartnäckige Blockade der Erbschaftsteuerreform in der Koalition mit einem radikalen Vereinfachungs-Vorschlag durchbrechen. Der Vize-Chef der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU (MIT), Hans Michelbach, brachte einen einheitlichen Steuersatz (Flat-Tax) von drei Prozent des Betriebsgewinns ins Gespräch. Die SPD machte klar, dass sie der CSU bei den künftigen Privilegien für Betriebserben nicht weiter entgegenkommen will. Zur Not ist sie bereit, auch die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist für eine Reform bis zum 30. Juni verstreichen zu lassen. In dem Fall müsste das Gericht wohl erneut über die Steuer entscheiden. Bisher ist ein vom Bundeskabinett verabschiedeter Gesetzentwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble die Basis für die Reformgespräche in der großen Koalition. Ende Februar waren diese eigentlich mit einem Kompromiss der Unterhändler von CDU, CSU und SPD abgeschlossen, bevor CSU-Chef Horst Seehofer die Einigung wieder infrage stellte. Er verlangt vor allem für Familienunternehmen weitergehende Ausnahmen von der Steuer. Das Verfassungsgericht hatte die bisherigen Privilegien Ende 2014 als zu weitgehend gekippt. Sie ermöglichen es Firmenerben unter bestimmten Bedingungen, der Steuer komplett zu entgehen. Michelbach schlug nun einen neuen Reformansatz vor, mit dem das komplizierte Erbschaftsteuerrecht zugleich vereinfacht würde: „Wir schlagen eine Flat-Tax vor, bei der wir den Gewinn eines Betriebes mit drei Prozent Erbschaftsteuer belegen“, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Dadurch würde eine Belastung der Betriebssubstanz wie Anlagen und Maschinen vermieden. Eine pauschale Besteuerung wäre außerdem unbürokratisch und einfach zu handhaben. Mit einer Freigrenze von 100.000 Euro des Gewinns könnten kleine und gewinnschwache Betriebe geschont werden: „Ansonsten müssten alle Betriebe die drei Prozent bezahlen.“ Michelbach räumte allerdings ein, dass der Vorstoß noch nicht mit den Parteispitzen der Koalition besprochen sei. Hinter der Idee stehe aber die gesamte Mittelstandsvereinigung der Union. Weil die Steuereinnahmen von geschätzt 5,5 Milliarden Euro im Jahr den Bundesländern zustehen, haben diese bei der Steuerreform ebenfalls ein gewichtiges Wort mitzureden. Aus SPD-Sicht gibt es auf der Basis des Gesetzentwurfs von Schäuble keinen Raum mehr für weitere Kompromisse. Fraktionsvize Carsten Schneider sagte der Rheinischen Post: „Die Uhr läuft ab. Geändert wird am Koalitionskompromiss zur Reform der Erbschaftsteuer nichts mehr, da wird Herr Seehofer gegen eine Wand laufen.“ Gebe es nicht sehr bald eine Lösung, werde das Urteil des Verfassungsgerichts eben nicht umgesetzt: „Ich gehe davon aus, dass dann ab Mitte 2016 die Verschonung von Firmenerben wegfällt. Das wird dann tausenden, vor allem kleineren Unternehmen sehr schaden“, drohte der SPD-Politiker. Dem widersprach Michelbach. Scheitere die Reform, „dann passiert gar nichts“, sagte er. Schließlich habe das Gericht die Verschonung von Firmenerben, die Betrieb und Arbeitsplätze erhalten, grundsätzlich bestätigt. In seinem Urteil hatte das Gericht keinen Automatismus festgelegt, dass die Privilegien nach dem 30. Juni wegfallen müssen. Allerdings dürften sie auch kaum dauerhaft fortgelten, nachdem sie das Gericht gekippt hat. Gerichtssprecher Michael Allmendinger zufolge ist etwa denkbar, dass es zu einem weiteren Urteil kommt. Dann könnte das Gericht zum Beispiel verfügen, dass die jetzigen Steuerprivilegien sofort oder ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr gelten. 4 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |12/16 01. April 2016 Innovation Der Verkehr der Zukunft kommt ohne Ampeln aus Mit der Vernetzung von autonomen Fahrzeugen gehört lästiges Warten an Ampeln künftig der Vergangenheit an W arten an der roten Ampel könnte dank intelligenter Fahrzeuge bald der Vergangenheit angehören. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben ein Verkehrskonzept entwickelt, das komplett ohne Ampeln auskommt. Das System beruht auf autonomen Fahrzeugen, die miteinander kommunizieren und so nicht nur Ampeln überflüssig machen, sondern gleichzeitig für einen deutlich effizienteren Verkehrsfluss sorgen. Eine neue Studie besagt, dass durch diese Art von ampelfreiem Transport doppelt so viel Verkehr die bestehenden Straßen nutzen könnte wie bisher. Wenn Fahrzeuge sich drahtlos verbinden und so miteinander und mit der Infrastruktur um sich herum kommunizieren, können Ampeln demnach ein unnötiges Hindernis werden, um von A nach B zu gelangen. Anstatt anzuhalten, könnten sensor-gesteuerte Fahrzeuge miteinander kommunizieren und eine Art Ballett umeinander aufführen, so zumindest die MITStudie. Hunderte von Millionen autonomer Fahrzeuge werden in den nächsten zehn Jahren verkauft werden, die eine Kommunikation von Fahrzeug-zu-Fahrzeug ebenso ermöglichen wie eine Fahrzeug-zu-Infrastruktur (V2X) Kommunikation. In nur vier Jahren werden die meisten Autos und Lastwagen mit dem Internet verbunden werden, so einem Bericht von Gartner. Bis zum Jahr 2020 werden 250 Millionen Autos durch den Ausbau der Netzwerk-Infrastruktur mit dem Netz verbunden. In der Stadt von morgen werden Ampeln daher durch intelligente Kreuzungen zur Steuerung des Stadtverkehrs ersetzt, die die Ströme von Autos, Fußgängern und Radfah- Ohne Ampel könnten doppelt so viele Fahrzeuge eine Kreuzung passieren wie bisher. Foto: MIT Senseable City Lab rern nahtlos zusammenstricken, so die Forscher am Senseable City Lab des MIT. Ihre Studie zur Neubetrachtung von Straßenkreuzungen mit Slot-basierten Systemen wurde diese Woche in der Zeitschrift PLoS One veröffentlicht. Das System namens „Light Traffic“ basiert auf mathematischen Modellen, durch die Forscher ein Szenario untersuchen, in dem High-Tech-Fahrzeuge Sensoren verwenden, die sie in einem sicheren Abstand voneinander durch eine Vier-Wege-Kreuzung bewegen. Das Entfernen der Ampel beschleunigt den Verkehrsfluss dabei dramatisch, sodass doppelt so viele Fahrzeuge wie bisher in der gleichen Zeit die Kreuzung überqueren können. „Eine Kreuzung ist ein schwieriger Ort, weil zwei Strömungen für das gleiche Stück Im- mobilie im Wettbewerb stehen“, so Carlo Ratti, Direktor des Senseable City Lab am MIT Department of Urban Studies und Planung in einer Erklärung. Durch eine Verschiebung der Verkehrssteuerung auf das Fahrzeugniveau könne man demnach ein System schaffen, das viel effizienter ist. Die größere Kapazität komme dabei nicht davon, dass sich die Fahrzeuge schneller bewegen, sondern durch die Schaffung einer einheitlicheren Strömung bei einer optimalen mittleren Geschwindigkeit, bei der die Autos in Bewegung bleiben, statt zu warten. Damit birgt die ampelfreie Kreuzung einen weiteren entscheidenden Vorteil: Sie reduzieren die Umweltbelastung in den Städten enorm, indem sie verhindern, dass wartende Autos unnötig Abgase in die Luft blasen. Umwelt Norwegen plant Verbot für Diesel- und Benzinautos Norwegen will als erstes Land der Welt ab 2025 nur noch Autos mit Elektromotoren zulassen D ie Norwegische Verkehrsbehörde hat einen Nationalen Transport Plan veröffentlicht, nachdem ab 2025 keine Dieselund Benzinautos mehr verkauft werden dürfen. Stattdessen sollen nur noch Fahrzeuge mit Elektroantrieb eine Zulassung bekommen. Damit wäre ausgerechnet das ölreiche Norwegen das erste Land welt- weit, das fossile Brennstoffe von seinen Straßen verbannt. Der Plan ist eine Vorbereitung zur Einhaltung des ZEV-Vertrags, den auch 5 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |12/16 Ausgerechnet das Ölland Norwegen will Verbrennungsmotoren als erstes von seinen Straßen verbannen. Deutschland am Rande des Klimagipfels in Paris unterschrieben hat. Dieser sieht für alle unterzeichnenden Länder vor, ab 2050 den Verkehr ohne fossile Rohstoffe zu bestreiten. Dazu wäre es aus norwegischer Sicht notwendig, ab 2025 mit dem Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor zu verzichten. Der Plan muss allerdings noch vom Parlament abgesegnet werden, berichtet etwa die Presse aus Österreich. Der Plan sieht weiterhin vor, eine knappe Milliarde Euro in Schnellstraßen speziell für Fahrräder zu investieren. Der öffentliche Verkehr soll bereits in fünf Jahren komplett erdölfrei funktionieren, auch die Taxis sollen schnell auf Elektroantrieb umstellen. Bis 2030 soll durch die Maßnahmen der CO2-Ausstoß des Transportsektors halbiert werden. Bereits heute führt Norwegen europaweit was die Zahl der Elektro-Auto-Zulassungen anbelangt. Sie werden mit einem Steuerbonus, kostenlosen Stromtankstellen und freien Parkplätzen gefördert. Entsprechend sei bereits jeder fünfte verkaufte Neuwagen elektrisch. In Deutschland ringen Regierung 01. April 2016 Foto: Flickr/ Tobias Van Der Elst/ cc by 2.0 und Industrie derzeit um eine Kaufprämie für Elektroautos. Einem Konzept von Wirtschafts-, Umwelt- und Verkehrsministerium zufolge sollen private Kunden einen Zuschuss von 5000 Euro und gewerbliche 3000 Euro zum Kauf eines Fahrzeugs mit Strom-Antrieb erhalten. Die Autobauer sollen 40 Prozent der Kosten tragen. Für das Konzept fehlt allerdings das Plazet des Finanzministeriums. Bis 2020 will die Bundesregierung rund eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen bringen – bis dato ein weit entferntes Ziel. Transport Bahn weitet Sparpläne im Güterverkehr aus Die Bahn will hunderte Güterbahnhöfe streichen und ihre Kunden künftig in drei Klassen einteilen D as Streich-Konzept der Deutschen Bahn im kriselnden Schienen-Güterverkehr ist umfangreicher als zuletzt bekannt. Neben der Schließung von 215 der knapp 1500 Verladestellen sollen zudem zahlreiche kleinere Bahnhöfe seltener angefahren werden, wie aus Konzern-Unterlagen hervorgeht, die der Nachrichtenagentur Reuters vorlagen. „Diese Anpassung von Bedienzeiten (...) betrifft weitere 101 Güterverkehrsstellen“, heißt es. Insbesondere kurzfristige Transport-Bestellun- gen sollten radikal um 97 Prozent reduziert werden, um die übrigen Züge von DB Cargo zuverlässiger fahren zu können. Daneben ist vorgesehen, die Kunden künftig in drei Klassen einzuteilen: In einer Konzern-Anweisung ist von der „Einführung einer ABC-Betreuungslogik“ die Rede. Im Kern wolle man das ganze System auf die „Bedürfnisse der A-Kunden“ ausrichten, die als wachstumsstark erachtet würden. Eine Bahn-Sprecherin wollte sich nicht konkret zu den Papieren äußern. Es gebe noch keine Beschlüsse, sagte sie. Eine Einteilung von Cargo-Kunden in erste und zweite Klasse werde es aber nicht geben. Die ursprünglichen Pläne hatten sogar die Schließung von 500 und damit mehr als ein Drittel der Verladestellen vorgesehen. Vor allem auf Druck der Gewerkschaften und auch der Politik wurden sie reduziert. Aber immer noch sollen so rund 3000 Stellen wegfallen. Die Arbeitnehmervertreter leisten da6 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |12/16 Der Sparkurs der Bahn im Güterverkehr läuft den Gewerkschaften und den Klimazielen der Regierung zuwider. Foto: flickr/ Thomas Tunsch/ cc by 2.0 her weiter Widerstand. Martin Burkert, Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses und Vorstandsmitglied der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), erklärte: „So lange wir keine wirkliche Strategie erkennen, werden wir den Plänen nicht zustimmen.“ Die Pläne seien „nicht zustimmungsfähig“, betonte Martin Burkert. Der Cargo-Vorstand habe erneut eine Chance vertan. „Das Management kann oder will nicht nachvollziehbar erklären, wie sich das Unternehmen entwickeln soll“, sagte der SPDPolitiker. Theoretisch könnte die Bahn zwar ihre Sparpläne gegen die Arbeitnehmer- vertreter im Aufsichtsrat durchsetzen, dies wäre jedoch in dem Staatskonzern ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang. Es müsse mehr und nicht weniger Verkehr auf die Schiene. Am Mittwoch trifft sich der Aufsichtsrat von DB Cargo, dem auch Burkert angehört, zu einer Sondersitzung. Entscheidungen sollen jedoch erst im Juni fallen. Der Konzern hatte vor allem wegen der Krise der Güterbahn im vergangenen Jahr einen Verlust von 1,3 Milliarden Euro gemacht. Jetzt will er 215 der insgesamt knapp 1500 Verladestellen bei Kunden schließen und weitere gut 100 seltener anfahren. 01. April 2016 Die Gewerkschaft vermisst vor allem Konzepte dazu, wie die Güterbahn wieder auf Wachstumskurs kommen soll. In ihren Prognosen unterstellt die Bahn dies zwar ab 2018, dafür fehlt der EVG aber ein Konzept. „Verlust nach Plan ist keine Strategie“, sagte Burkert. Auch die Regierungsvertreter im Aufsichtsrat dürften daran ein Interesse haben, da der Schienenverkehr aus Gründen des Klimaschutzes einen größeren Teil der wachsenden Verkehrsströme bewältigen soll. Auch der Chef der Eisenbahngewerkschaft EVG, Alexander Kirchner, hatte bereits gewarnt, die Güterbahn DB Cargo sei auf dem völlig falschen Gleis unterwegs und gefährde mit ihrem Schrumpfkurs den Schienengüterverkehr in Deutschland insgesamt. Dies werde auch Auswirkungen auf die Klimaziele der Regierung haben, die eigentlich verstärkt Verkehr auf der Bahn statt auf der Straße sehen will. Die Verkehrsprognose der Bundesregierung sagt eigentlich voraus, dass die Güterbahnen bis 2030 im Vergleich zu 2010 über 40 Prozent mehr transportieren werden. Dies ist ein höherer Zuwachs als dem LKW unterstellt wird. Die Verkehrsprognose ist wiederum Grundlage für den Bundesverkehrswegeplan. Er gibt vor, in welche Straßen und Schienen die Investitionsmittel des Bundes fließen sollen, um die prognostizierten Verkehrsströme bewältigen zu können. Automobil VW: Neue Klagen und Rückruf für Elektroautos in den USA Für VW geht es in den USA weiter abwärts: Zu einem Rückruf für 5.000 Elektroautos kommt nun eine Klage der Kartellbehörde. V W ruft in den USA einige Tausend Elektroautos vom Typ E-Golf in die Werkstätten zurück. Grund sei eine überempfindliche Abschalteinrichtung, die den Motor unerwartet stilllegen könne, teilte die US-Aufsichtsbehörde NHTSA im Internet mit. Ein VW-Sprecher bestätigte dem Focus den Rückruf. Der mögliche Defekt betreffe wegen des unterschiedlichen Stromsystems nur die USA. Insgesamt gehe es um 5561 Autos, berichtet der Focus. Volkswagen kommt in der Abgas-Krise nicht voran und muss doch die Weichen für die Neuaufstellung des Konzerns stellen. Die Behörden in Deutschland, den USA und Südkorea sind nicht zufrieden mit den Vorschlägen zur Umrüstung der von den Abgas-Manipulationen betroffenen Diesel. Der Zeitplan für die Beseitigung der Mängel an Millionen Fahrzeugen droht zu kippen, die Unsicherheit wächst und Kunden sind verärgert. Derweil wird im Aufsichtsrat die künftige Aufstellung der Kernmarke diskutiert. Im Gespräch ist ein Beirat, der die Weichenstellungen begleitet. Die südkoreanischen Behörden weiten laut Medienberichten ihre Ermittlungen gegen den Autokonzern aus. Jetzt sollen auch aktuelle Modelle auf die Einhaltung von Abgas-Vorschriften hin überprüft werden, wie die nationale Nachrichtenagentur Yonhap unter Berufung auf das Büro der Staatsanwaltschaft in Seoul berichtete. Getestet werden soll demnach unter Aufsicht des Umweltministeriums der aktuelle Motor EA 288 mit 1,6 Liter Hubraum. Der Antrieb mit der Schadstoffklasse Euro 6 ist im VW Golf sowie in den Audi-Modellen A1 und A3 verbaut. Für den 7 Deutsche MittelstandsNachrichten powered by Ausgabe |12/16 Volkswagen wird in den USA von allen Seiten attackiert: Hier das VW-Elektroauto e-Golf. Foto: flickr/ MotorBlog/ cc by 2.0 Vorgänger-Motor EA 189 mit der Euronorm 5 hatte Volkswagen den Einbau einer illegalen Software eingeräumt, durch die Abgaswerte geschönt werden. Südkorea wirft dem Konzern vor, bislang nur mangelhafte Rückrufpläne für mehr als 125.000 Diesel eingereicht zu haben. Auch die großangelegte Umrüstung in Deutschland liegt auf Eis, weil das Kraftfahrt-Bundesamt noch Prüfbedarf hat. Um den betroffenen Autos eine neue Software aufspielen zu können, ist eine Freigabe des KBA nötig. Dem Vernehmen nach sind höhere Kraftstoff-Verbrauchswerte ein möglicher Grund für die Verzögerungen. In den USA steht eine Einigung mit den Umweltbehörden noch aus. Dazu hat ein Gericht dem Konzern VW noch Zeit bis zum 21. April gegeben. Zu Ostern wurden Pläne bekannt, wonach einflussreiche Kontrolleure im VWAufsichtsrat den Umbau bei VolkswagenPKW mit einem neuen Strategie-Gremium vorantreiben wollen. Die Kernmarke um Golf und Passat soll nach dpa-Informationen einen Beirat erhalten, der strategische Weichenstellungen bei Zukunftsfragen wie Elektromobilität und Digitalisierung begleitet. Aber auch heiße Eisen wie Stellenabbau oder Arbeitsschwerpunkte einzelner Fabriken könnten in dem Gremium debattiert werden, bevor sie zur finalen Abstimmung im 20-köpfigen Aufsichtsrat des VW-Konzerns landen. Anders als die Schwestermarken Audi und Porsche hat VW-PKW keinen eigenen Aufsichtsrat. Den könnte es auch nicht geben, weil Marke und Konzern formal nicht genug getrennt sind. Zunächst müsste also der juristische Rahmen des Beirates geklärt werden: Was darf er? Was soll er leisten, und mit wie vielen Mitgliedern? Das Unternehmen wollte sich zu Details nicht äußern. Aus Konzernkreisen hieß es, spruchreif sei noch nichts. Die PKW-Kernmarke mit Modellen vom Kleinstwagen Up bis zum Großwagen Phaeton steht für fast die Hälfte vom Absatz und Umsatz des gesamten Konzerns. Sie kämpft seit Jahren mit Renditeschwächen. Schon Ex-Chef Martin Winterkorn hatte einen Milliardensparkurs verordnet. Verärgerte Kunden in Deutschland will VW offenbar mit Rabatten milde stimmen. Wie eine Erhebung des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen ergab, ist derzeit etwa ein dreitüriger Golf mit 28 Prozent Rabatt auf den Listenpreis zu haben. Hintergrund sei eine Treue-Prämie von bis zu 2000 Euro, die beim Eintausch eines VW-Gebrauchtwagens und gleichzeitigem Neukauf eines VW-Modells gewährt werde. Das Programm laufe zunächst bis Ende April. „VW versucht mit dem Programm Kundenverärgerungen entgegenzusteuern. Nur kein Einbruch bei den Neuzulassungen scheint die Devise“, sagte Institutsdirektor Ferdinand Dudenhöffer. In den VWRabatten sieht er auch eine Reaktion auf den Unmut deutscher Kunden wegen der Wiedergutmachungsaktion in den USA, die es hierzulande nicht gab. Kurz nach Bekanntwerden des Dieselskandals hatte VW den US-Kunden 1000 Dollar über Kartenguthaben und Gutscheine gewährt. Im Skandal um manipulierte Abgaswerte erhöht sich nun der juristische Druck auf Volkswagen in den USA massiv: Jetzt hat auch die Kartellbehörde FTC gegen den Konzern geklagt, wie sie in Washington mitteilte. Die FTC wirft Volkswagen vor, seinerzeit mit seinen Werbekampagnen für „saubere“ Dieselfahrzeuge der Marken VW und Audi die Verbraucher getäuscht zu haben. Volkswagen sieht sich wegen der Affäre bereits mit hunderten Klagen in den USA konfrontiert, darunter von Autobesit- 01. April 2016 zern und Händlern. Auch das Justizministerium hatte bereits im Januar im Auftrag der Umweltbehörde EPA gegen den Konzern geklagt. Dem Konzern drohen Straf- und Schadenersatzzahlungen in zweistelliger Milliardenhöhe. Volkswagen strebt eine außergerichtliche Einigung mit den Klägern an, um die finanziellen Lasten möglichst weit zu begrenzen. FTC-Chefin Edith Ramirez warf Volkswagen „irreführende und unfaire Praktiken“ vor. In der Klage lastet ihre Behörde dem Autobauer an, den Verbrauchern über sieben Jahre hinweg vorgegaukelt zu haben, dass die manipulierten Fahrzeuge niedrige Emissionswerte hätten und die entsprechenden gesetzlichen Normen erfüllten. Auch habe das Unternehmen fälschlich behauptet, die Wagen könnten günstig weiterverkauft werden. Die Behörde will mit ihrer Klage bei einem Bundesgericht erwirken, dass Volkswagen mehr als 550.000 Verbraucher entschädigt, die zwischen Ende 2008 und Ende 2015 Dieselfahrzeuge gekauft oder geleast hatten. Volkswagen habe in seiner Werbung erklärt, die Dieselfahrzeuge hätten einen niedrigeren Stickstoffausstoß als Benziner. Tatsächlich hätten diese Werte aber um bis zu 4000 Prozent höher gelegen als der gesetzlich vorgeschriebene Grenzwert. Eine Volkswagen-Sprecherin äußerte sich nicht näher zu diesen Vorwürfen. Der Konzern werde weiterhin mit allen Regulierungsbehörden in den USA zusammenarbeiten, darunter der FTC. Die größte Priorität für das Unternehmen sei es, das Problem der Diesel-Emissionen zu lösen und „das Vertrauen der Verbraucher und Händler zurückzugewinnen“. Hunderte von Klagen gegen Volkswagen, darunter die des Justizministeriums, sind bei einem Bundesgericht in San Francisco gebündelt. Der dort zuständige Richter verlangt von dem Konzern, einen Plan zur Behebung der Manipulationen vorzulegen. In der vergangenen Woche hatte er die dafür gültige Frist um vier Wochen bis zum 21. April verlängert. Impressum Geschäftsführer: Christoph Hermann, Karmo Kaas-Lutsberg. Herausgeber: Dr. Michael Maier (V.i.S.d. §§ 55 II RStV). Chefredakteurin: Jennifer Bendele. Redaktion: Anika Schwalbe, Gloria Veeser, Nicolas Dvorak. Sales Director: Philipp Schmidt. Layout: Nora Lorz. Copyright: Blogform Social Media GmbH, Kurfürstendamm 206, D-10719 Berlin. HR B 105467 B. Telefon: +49 (0) 30 / 81016030, Fax +49 (0) 30 / 81016033. Email: [email protected]. Erscheinungsweise wöchentliches Summary: 52 Mal pro Jahr. Bezug: [email protected]. Mediadaten: [email protected]. www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de 8
© Copyright 2025 ExpyDoc