- Deutsche Mittelstands Nachrichten

Ausgabe 12
01. April 2016
Deutsche
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Niedrigzinsen
Zu hohe Garantien: Lebensversicherung im Anlagenotstand
Angesichts sinkender Zinsen vergaben Lebensversicherer über Jahre zu hohe Garantien. Das rächt sich im Tiefzinsumfeld
D
günstiger ist, zu einem erheblichen
ie umlagefinanzierte gesetzliTeil steuerfinanziert, weil die laufenche Rentenversicherung wird in
den Beitragszahlungen nicht ausreiDeutschland wie in den meisten Länchen.
dern aus demografischen Gründen
Die Koalitionsregierung hat,
in eine jahrzehntelange Problempenachdem sie das Rentenalter vor
riode hineingeraten. Geburtenstarke
zwei Jahren auf 63 Jahre gesenkt hatJahrgänge der Jahre 1950-70 werden
te, die Renten kürzlich angehoben.
ab 2020 zunehmend in Rente gehen.
In den alten Bundesländern um 4.25
Dazu steigt die Lebenserwartung
Prozent, in den neuen Bundeslänweiter an, sodass sich einerseits das
dern um 5.95 Prozent. Dies erfolgte
Verhältnis zwischen Beitragszahlern
Garantiesatz für das Neugeschäft.
gemäß einem Finanzierungsschlüsund Empfängern verschlechtern
Quelle: Bundesbank, Assekurata
sel, der auf der Lohn- und Beschäftiwird. Andererseits verlängern sich
gungsentwicklung der vergangenen
die Renten-Bezugszeiten der zukünftigen Rentner noch erheblich. Das ist Umlageverfahren mit den bisherigen Bei- Jahre basiert.
Das ist eine mutige, aber rückwärtsein gesamteuropäisches Phänomen, aber tragssätzen basierenden Renten werden
in Deutschland aus verschiedenen Grün- deshalb nicht ausreichen. Die Renten sind gerichtete Maßnahme, weil die zukünftiden besonders ausgeprägt. Die auf dem schon jetzt, wo die Demografie noch viel ge Finanzierung dafür nicht geregelt und
Analyse
Urteil: Bausparkassen dürfen Altverträge nicht einfach kündigen
Das Oberlandesgericht Stuttgart
hat als erstes Berufungsgericht bei einer
Kündigung zugunsten einer Bausparkundin entschieden. Die Bausparkasse habe
kein Recht, den Vertrag mit hohen Zinsleistungen zu kündigen, so der Richter.
Bausparkassen können Bausparverträge mit hohen Zinsleistungen nicht
ohne Weiteres kündigen, wenn Kunden
das Ansparen eingestellt haben. Dies
entschied das Oberlandesgericht (OLG)
Stuttgart in einem Urteil. Erst wenn der
Kunde eine ausdrückliche Aufforderung
zur Zahlung der vereinbarten Sparbeiträge ignoriert, kann die Bausparkasse
den Vertrag kurzfristig kündigen. (Az. 9
U 171/15)
Das für viele Verbraucher wichtige
Urteil ist noch nicht rechtskräftig und
kann von der beklagten Bausparkasse vor
dem Bundesgerichtshof angegriffen werden. (Az. 9 U 171/15)
Mit dem Urteil wehrte sich eine Sparerin erfolgreich gegen die Kündigung
ihres 38 Jahre alten Bausparvertrags über
rund 20.500 Euro. Auf ihre eingezahlten
Raten hatte sie über die Laufzeit Zinsen
in Höhe von drei Prozent bekommen.
Nach Zuteilungsreife stellte die Bausparerin die regelmäßige Zahlung der Sparraten ein, ohne ein Bauspardarlehen in
Anspruch zu nehmen.
Im Januar 2015, also knapp 22 Jahre
nach Eintritt der Zuteilungsreife, kündigte die Bausparkasse den Bausparvertrag.
Das Bausparguthaben belief sich zu diesem Zeitpunkt auf etwa 15.000 Euro. Die
Bausparsumme war also nicht vollständig angespart.
Das OLG erklärte die Kündigung der
Bausparkasse nun für unberechtigt. Die
Bausparkasse habe es „möglicherweise
im eigenen Interesse“ hingenommen,
dass die Kundin keine Sparleistungen
mehr erbracht habe. Bei korrektem Ansparen wäre die Bausparsumme innerhalb von zehn Jahren ab Zuteilungsreife
vollständig angespart worden. Wenn die
Bausparkasse selbst „ein faktisches Ruhen des Bausparvertrages erlaube“, sei
sich nicht „schutzbedürftig“ und könne
sich nicht später auf eine analoge Anwendung eines gesetzlichen Kündigungsrechts berufen.
Dem Urteil zufolge hätte die Bausparkasse ihre Kundin vielmehr auffordern müssen, die vertraglich vereinbarten Sparbeiträge wieder zu leisten. Erst
wenn dies nicht geschehe, habe die Bausparkasse ein kurzfristiges Kündigungsrecht. Damit haben es Bausparkassen
den Richtern zufolge selbst in der Hand,
eine überlange Bindung an hohe Zinssätze zu verhindern.
Sollte die Entscheidung vom BGH bestätigt werden, ist sie womöglich für tausende Bausparer von Bedeutung. Dem
Verbraucherzentrale Bundesverband zufolge kündigen Bausparkassen tausende
Verträge, für die hohe Guthaben-Zinsen
vereinbart wurden. Die Verbraucherzentrale empfiehlt deshalb einer bereits
ausgesprochenen oder angedrohten
Kündigung mit ihrem Musterbrief zu widersprechen.
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diesen Befund). Die Haushalte
konzentrieren ihre Anlagen
also einerseits auf Bargeld
und Bankeinlagen, auf denen
sie real über die Zeit hinweg
praktisch nichts verdienen, die
ihnen aber hohe Liquidität sichern. Die Niedrigzinsen der
letzten Jahre sind im langfristigen Vergleich zwar negativ,
aber gar nicht so stark, weil
eben
die Inflationsraten auch
Garantiesätze und Marktrenditen Deutschland.
tief lagen.
Quelle: Assekurata, OECD MEI, Bundesbank
Für die meisten Haushalte stammt der reale Ertrag aus
jedenfalls nicht kommuniziert ist. Wie wir Versicherungsansprüchen. Diese haben
sehen werden, entspricht dies genau der eine konsistent hohe, reale Rendite von
Charakteristik der meisten Formen finan- rund 4 Prozent pro Jahr seit 1991. Sie lag in
zieller Altersvorsorge in Deutschland. Sie der zweiten Hälfte der 1990er Jahren höbasieren auf dem Rückspiegel, nicht auf her und in den 2000er Jahren niedriger,
der freien und unbefangenen Sicht nach war aber in keinem einzigen Jahr negativ.
vorne. Insgesamt ist die Sicherung der Für das Gros der Haushalte ist demnach
Altersvorsorge eine komplexe, viele Po- die Anlage in Lebensversicherungen und
litikbereiche betreffende Agenda für die Pensionsguthaben der Schlüssel für die Altersvorsorge. Auf diese Weise wird Ersparnächsten Jahre.
Aus dieser ohnehin schon schwierigen nis gebildet.
Aktien und Investmentfonds haben
Konstellation der Rentenversicherung ergibt sich ein besonderer und zusätzlicher noch höhere, reale Renditen, die aber im
Bedarf für die Altersvorsorge – dies aus der Fall der Aktien sehr starken zyklischen
kollektiven wie aus der individuellen Er- Schwankungen unterworfen sind. Trotz
sparnis. Die Bundesbank hat kürzlich eine der real höheren Renditen verzichten die
Aufstellung publiziert, wie die deutschen meisten Haushalte auf Aktien, weil sie deHaushalte ihre finanziellen Anlagen täti- ren hohe Volatilität nicht ertragen können
oder wollen. Es gibt im Zeitraum 1991 bis
gen.
Die wichtigste Form der finanziellen 2015 zwei Jahr mit negativem Ergebnis von
Vermögensanlage in Deutschland sind bis zu 30 Prozent.
Versicherungen und Aktien dürften
Bargeld und Bankeinlagen mit einem Anteil von rund 40 Prozent am gesamten ungefähr gleichviel zum gesamten realen
Geldvermögen. Fast gleich groß geworden Ertrag für die Haushalte beigetragen hasind die Ansprüche gegenüber Versiche- ben, genau ist dies aus der Grafik im Arrungen. In der Hauptsache dürfte es sich tikel nicht zu erkennen. Rund die Hälfte
dabei um Lebensversicherungen und Pen- des gesamten Ertrages der Vergangenheit
sionsguthaben handeln. Aktien machen kommt also einem relativ geringen Anteil
nur rund 5 Prozent aus, Anteile an Invest- der Haushalte zugute, die Aktien besitment-Fonds etwas mehr. Noch geringer ist zen. Für die meisten Haushalte ist bisher
der Anteil von Schuldverschreibungen wie die Ersparnis in Versicherungen und Pensionskassen die einzige verlässliche und
Obligationen.
Der zweite interessante Fakt betrifft erstrebenswerte Form der realen Erspardie realen, d.h. inflationsbereinigten Er- nisbildung. Dies rechtfertigt es, diese Form
träge dieser verschiedenen Anlageformen. der Vermögensanlage etwas detaillierter
Hier zeigt es sich, dass die Bankeinlagen zu analysieren.
Was im Rückspiegel recht glänzend
seit 1991 gerade mal eine schwarze Null,
d.h. eine leicht positive Rendite erbringen. aussieht, ist für die Zukunft in Frage geDies geschieht mit nicht unerheblichen stellt. Eine bedeutende Rolle spielt dabei
Schwankungen (ein Blick zurück auf die die EZB-Politik mit den Null- oder Negativalte Bundesrepublik bestätigt im Übrigen zinsen und den Anleihenkäufen. Doch es
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wäre unfair, alles Ungemach der EZB in die
Schuhe zu schieben. Effektiv ist die Situation komplexer.
Die Lebensversicherung droht nämlich, zu einem weiteren Beispiel für eine
gescheiterte Deregulierung einer Branche
in Europa zu werden. Zu Beginn der 1990er
Jahre wurde im Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt eine Deregulierung,
Marktöffnung und Abschaffung zahlreicher Vorschriften in Europa beschlossen.
Die Idee war, damit einen großen Sprung
nach vorne zu machen. Europa sollte als
den USA entsprechender, gemeinsamer
Markt entstehen. Damit sollte eine effizientere Versorgung der Bevölkerung sowie
eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit
im globalen Kontext erreicht werden. Im
Unterschied zu anderen von der Deregulierung betroffenen Branchen war die Lebensversicherung zunächst nicht kapitalintensiv. Aber die Lebensversicherung hat
ein Geschäftsmodell mit extrem langen,
zeitlichen Horizonten. Wenn ein Erwachsener im Alter von 30 oder 35 Jahren eine
Lebensversicherung abschließt, erstrecken
sich die Fristen für seine Einzahlungen oft
bis zur Pensionierung. Die Bezugsfristen
können sich bis ins Alter von 85, 90 oder
95 Jahren verlängern, wenn er eine laufende Rente bezieht. Die gesamte Frist beträgt
also locker 50 bis 60 Jahre.
Vorher war die Lebensversicherung
wie die Banken oder Versorger eine hoch
regulierte Branche, mit starkem Kartellcharakter und sehr national geprägt. Die
Umsetzung der dritten EU-Richtlinie hob
Vorschriften über Tarife, Prämien, Garantien und Leistungen auf. In Deutschland
war der Garantiesatz traditionell von der
Aufsicht festgelegt worden. Dieser Garantiesatz hatte immer weit unter den
risikolosen Renditen gelegen, die am Kapitalmarkt erzielt werden konnten. 1995
wurde europaweit eine Formel eingeführt,
welche den Garantiesatz flexibilisierte.
Seither orientieren sich die Garantiesätze
am Durchschnitt der Rendite 10-jähriger
Bundesanleihen in den vergangenen 10
Jahren – für ein spezielles Jahr, etwa 2000,
also am Durchschnitt der Jahre 1990 bis
1999. Und zwar sollte der Garantiesatz in
der Lebensversicherung nicht höher als 60
Prozent dieser Durchschnittsrendite liegen. Mit den 40 Prozent als Polster dachte
man, sei genügend Reserve geschaffen. Die
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Obligationen-Renditen auf Verfall am 25.3. 2016 und projizierter durchschnittlicher Garantiesatz.
Quelle: Boerse.de, eigene grobe Schätzung für die Projektion der Garantiesätze Altbestand
Marktöffnung auch für ausländische Teilnehmer dynamisierte die vorher behäbige
Branche. Es galt die Devise des ‚asset gathering’, der Akquisition möglichst vieler
Neukunden. Die Versicherer strebten ein
möglichst hohes Wachstum der Aktiven
an, um Synergien aller Art zu erreichen:
Markterschließung in neuen Ländern und
Märkten, kritische Größe, Kosteneffizienz
und anderes mehr. Das klassische Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, waren
erhöhte Garantien. Bei tendenziell fallenden Renditen wurden die Garantiesätze
in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auf
4 Prozent angehoben, dies aufgrund der
neuen Berechnungsformel. Die Garantiesätze blieben weiterhin hoch bis ungefähr
2003. Die neue Formel erweist sich im
Rückblick als falsch konstruiert. Sie ergibt
bei anhaltend sinkenden Zinsen zu hohe
Garantien. Die Garantiesätze im Neugeschäft sind von der Aufsicht aufgrund
der Formel gesetzt, sie sind nicht von den
einzelnen
Versicherungsgesellschaften
bestimmt. Die Garantiesätze sollten sich
nicht an den Renditen der Vergangenheit,
sondern eher an den am Markt erzielbaren
Renditen für die Zukunft orientieren. Der
Rückblick erweist sich vor allem deshalb
als falsch, weil die Zinsen extrem starke,
lange Trends aufweisen. Sie steigen über
Jahrzehnte und sie fallen über Jahrzehnte, im Fall der deutschen Bundesanleihen
seit 1990 von damals 8.7 Prozent auf noch
0.3 Prozent 2016. Dies entspricht teilweise dem Inflationsmuster, doch kommen
andere Faktoren, nicht zuletzt die Geld-
politik, hinzu. Diese langen, dominanten
Trends sind von zyklischen Schwankungen
überlagert, die wiederum hauptsächlich
durch die Geldpolitik verursacht sind. Seit
2009 sind die Renditen am Kapitalmarkt
in den freien Fall übergegangen, deutlich
unter die Garantiesätze für den Bestand
(rote Kurve, ohne Berücksichtigung der
Zinszusatzreserve) und seit 2012 sogar unter die Garantiesätze für das Neugeschäft
(grüne Kurve).
Als besonders gravierend erweist sich,
dass die durchschnittlichen Garantiesätze
für den Altbestand nur sehr langsam sinken. Von Jahr zu Jahr gehen sie einige wenige Basispunkte zurück. Das schafft ein
Reinvestitionsrisiko für den Altbestand.
Bei Ablauf oder bei Verkauf einer Obligation muss der Betrag in der Regel neu investiert werden. Wenn die alte Obligation
eine Buchwertrendite von 5 Prozent hatte,
die neue aber nur noch 0.5 Prozent ergibt,
liegt das weit unter dem Garantiesatz von
fast 3 Prozent. Das Obligationen-Portfolio
von Lebensversicherern hat typischerweise durchschnittliche Restlaufzeiten von
10-15 Jahren. Probleme ergeben sich also
insbesondere, wenn die Tiefzinsphase
noch lange anhält. Dann werden immer
größere Bestände zur Reinvestition fällig.
Eine zusätzliche Belastung stellt dar, dass
seit 2012 die Renditen im Neugeschäft risikolos gar nicht mehr zu replizieren sind.
Ein Blick auf klassischen Anlagen
erhellt, wie sich durch die Null- und Negativzinspolitik der EZB und durch ihre
Anleihenkäufe die Anlageperspektiven
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für die Lebensversicherer verdüstert haben. Lebensversicherer investieren aufgrund gesetzlicher und regulatorischer
Beschränkungen sowie aufgrund ihres Geschäftsmodells hauptsächlich in festverzinsliche Instrumente wie Anleihen oder
Darlehen. Diese Renten machen rund 90
Prozent ihres Anlageuniversums aus. Die
folgende Grafik bildet die aktuellen Renditen auf Verfall der wichtigsten Anlagekategorien ab. Dies erfolgt über die ganze Zinskurve hinweg. Für Bundesanleihen sind die
Renditen bis auf 8 Jahre hinaus negativ. Sie
erreichen gerade mal 0.75 Prozent für das
Segment der über 15-jährigen Laufzeiten.
Auch Pfandbriefe, traditionell eine wichtige Anlagekategorie, ergeben bis 10 Jahre
Laufzeit nicht einmal 1 Prozent Rendite.
Geht man in die Unternehmensanleihen,
so geben nur die niedrigsten Qualitäten,
die noch Investment-Grad haben (BBB)
bei sehr langen Laufzeiten einigermaßen
ansehnliche Renditen her. Vergleicht man
sie mit einer primitiv geschätzten Kurve
der zukünftigen Durchschnitts-Garantiesatzes auf dem Altbestand, sind selbst dort
bei bis 10 Jahren Laufzeit nur Verluste zu
erzielen. Genügend hohe Renditen würden
lediglich junk-bonds ergeben, die über 4
Prozent rentieren. Doch ihrem Gebrauch
sind regulatorisch und vom Investitionsverhalten her enge Grenzen gesetzt.
Mit den neuen Anleihenkaufsprogrammen dürften vor allem die Renditen
der Unternehmensanleihen noch weiter
sinken, denn die EZB weitet ihre Käufe gemäß ihrer Ankündigung auf dieses
Segment aus. Für die Lebensversicherer
bedeutet dies womöglich noch niedrigere
Renditen als Anlagemöglichkeit.
Zusammengefasst sind die Lebensversicherer in einer unkomfortablen Situation. Aufgrund der drastisch gefallenen
Renditen haben sie in der Vergangenheit
zu hohe Garantiesätze gewährt. Schuld daran ist die Deregulierung Mitte der 1990er
Jahre, welche eine handgestrickte Formel
mit Rückwärtsperspektive installierte. Seit
2009 wird die Reinvestition im Altbestand,
seit 2012 die Investition im Neugeschäft
zum möglichen Verlustbringer. Dauert die
Tiefzinsphase länger und würden gar die
Renditen noch niedriger gehen, kommen
die Lebensversicherer aufgrund der Garantieversprechen in ernsthafte Probleme mit
der Anlagerendite.
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Steuern
Unions-Mittelständler schlagen Flat-Rate für Erbschaftsteuer vor
Eine pauschale Steuer von drei Prozent auf den Betriebsgewinn soll die Berechnung der Erbschaftssteuer erleichtern
Zur Vermeidung komplizierter Berechnungen soll die Erbschaftssteuer pauschal drei Prozent auf den Betriebsgewinn betragen. Foto: flickr/ Dennis Skley/ cc by 2.0
D
er Wirtschaftsflügel der Union will
die hartnäckige Blockade der Erbschaftsteuerreform in der Koalition mit einem radikalen Vereinfachungs-Vorschlag
durchbrechen. Der Vize-Chef der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU (MIT),
Hans Michelbach, brachte einen einheitlichen Steuersatz (Flat-Tax) von drei Prozent
des Betriebsgewinns ins Gespräch. Die SPD
machte klar, dass sie der CSU bei den künftigen Privilegien für Betriebserben nicht
weiter entgegenkommen will. Zur Not ist
sie bereit, auch die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist für eine Reform
bis zum 30. Juni verstreichen zu lassen. In
dem Fall müsste das Gericht wohl erneut
über die Steuer entscheiden.
Bisher ist ein vom Bundeskabinett verabschiedeter Gesetzentwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble die Basis für die
Reformgespräche in der großen Koalition.
Ende Februar waren diese eigentlich mit
einem Kompromiss der Unterhändler von
CDU, CSU und SPD abgeschlossen, bevor
CSU-Chef Horst Seehofer die Einigung wieder infrage stellte. Er verlangt vor allem
für Familienunternehmen weitergehende
Ausnahmen von der Steuer. Das Verfassungsgericht hatte die bisherigen Privilegien Ende 2014 als zu weitgehend gekippt.
Sie ermöglichen es Firmenerben unter bestimmten Bedingungen, der Steuer komplett zu entgehen.
Michelbach schlug nun einen neuen Reformansatz vor, mit dem das komplizierte
Erbschaftsteuerrecht zugleich vereinfacht
würde: „Wir schlagen eine Flat-Tax vor, bei
der wir den Gewinn eines Betriebes mit drei
Prozent Erbschaftsteuer belegen“, sagte er
der Nachrichtenagentur Reuters. Dadurch
würde eine Belastung der Betriebssubstanz
wie Anlagen und Maschinen vermieden.
Eine pauschale Besteuerung wäre außerdem unbürokratisch und einfach zu handhaben. Mit einer Freigrenze von 100.000
Euro des Gewinns könnten kleine und gewinnschwache Betriebe geschont werden:
„Ansonsten müssten alle Betriebe die drei
Prozent bezahlen.“
Michelbach räumte allerdings ein, dass der
Vorstoß noch nicht mit den Parteispitzen
der Koalition besprochen sei. Hinter der
Idee stehe aber die gesamte Mittelstandsvereinigung der Union. Weil die Steuereinnahmen von geschätzt 5,5 Milliarden Euro
im Jahr den Bundesländern zustehen, haben diese bei der Steuerreform ebenfalls
ein gewichtiges Wort mitzureden.
Aus SPD-Sicht gibt es auf der Basis des Gesetzentwurfs von Schäuble keinen Raum
mehr für weitere Kompromisse. Fraktionsvize Carsten Schneider sagte der Rheinischen Post: „Die Uhr läuft ab. Geändert wird
am Koalitionskompromiss zur Reform der
Erbschaftsteuer nichts mehr, da wird Herr
Seehofer gegen eine Wand laufen.“ Gebe
es nicht sehr bald eine Lösung, werde das
Urteil des Verfassungsgerichts eben nicht
umgesetzt: „Ich gehe davon aus, dass dann
ab Mitte 2016 die Verschonung von Firmenerben wegfällt. Das wird dann tausenden,
vor allem kleineren Unternehmen sehr
schaden“, drohte der SPD-Politiker.
Dem widersprach Michelbach. Scheitere die Reform, „dann passiert gar nichts“,
sagte er. Schließlich habe das Gericht die
Verschonung von Firmenerben, die Betrieb
und Arbeitsplätze erhalten, grundsätzlich
bestätigt. In seinem Urteil hatte das Gericht keinen Automatismus festgelegt, dass
die Privilegien nach dem 30. Juni wegfallen
müssen. Allerdings dürften sie auch kaum
dauerhaft fortgelten, nachdem sie das Gericht gekippt hat. Gerichtssprecher Michael Allmendinger zufolge ist etwa denkbar,
dass es zu einem weiteren Urteil kommt.
Dann könnte das Gericht zum Beispiel verfügen, dass die jetzigen Steuerprivilegien
sofort oder ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr gelten.
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01. April 2016
Innovation
Der Verkehr der Zukunft kommt ohne Ampeln aus
Mit der Vernetzung von autonomen Fahrzeugen gehört lästiges Warten an Ampeln künftig der Vergangenheit an
W
arten an der roten Ampel könnte dank
intelligenter Fahrzeuge bald der Vergangenheit angehören. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT)
haben ein Verkehrskonzept entwickelt, das
komplett ohne Ampeln auskommt. Das System beruht auf autonomen Fahrzeugen, die
miteinander kommunizieren und so nicht
nur Ampeln überflüssig machen, sondern
gleichzeitig für einen deutlich effizienteren
Verkehrsfluss sorgen. Eine neue Studie besagt, dass durch diese Art von ampelfreiem
Transport doppelt so viel Verkehr die bestehenden Straßen nutzen könnte wie bisher.
Wenn Fahrzeuge sich drahtlos verbinden
und so miteinander und mit der Infrastruktur um sich herum kommunizieren,
können Ampeln demnach ein unnötiges
Hindernis werden, um von A nach B zu
gelangen. Anstatt anzuhalten, könnten
sensor-gesteuerte Fahrzeuge miteinander
kommunizieren und eine Art Ballett umeinander aufführen, so zumindest die MITStudie.
Hunderte von Millionen autonomer Fahrzeuge werden in den nächsten zehn Jahren
verkauft werden, die eine Kommunikation
von Fahrzeug-zu-Fahrzeug ebenso ermöglichen wie eine Fahrzeug-zu-Infrastruktur
(V2X) Kommunikation. In nur vier Jahren
werden die meisten Autos und Lastwagen
mit dem Internet verbunden werden, so einem Bericht von Gartner. Bis zum Jahr 2020
werden 250 Millionen Autos durch den Ausbau der Netzwerk-Infrastruktur mit dem
Netz verbunden.
In der Stadt von morgen werden Ampeln
daher durch intelligente Kreuzungen zur
Steuerung des Stadtverkehrs ersetzt, die die
Ströme von Autos, Fußgängern und Radfah-
Ohne Ampel könnten doppelt so viele Fahrzeuge eine Kreuzung passieren wie bisher.
Foto: MIT Senseable City Lab
rern nahtlos zusammenstricken, so die Forscher am Senseable City Lab des MIT. Ihre
Studie zur Neubetrachtung von Straßenkreuzungen mit Slot-basierten Systemen
wurde diese Woche in der Zeitschrift PLoS
One veröffentlicht.
Das System namens „Light Traffic“ basiert
auf mathematischen Modellen, durch die
Forscher ein Szenario untersuchen, in dem
High-Tech-Fahrzeuge Sensoren verwenden,
die sie in einem sicheren Abstand voneinander durch eine Vier-Wege-Kreuzung bewegen. Das Entfernen der Ampel beschleunigt den Verkehrsfluss dabei dramatisch,
sodass doppelt so viele Fahrzeuge wie bisher in der gleichen Zeit die Kreuzung überqueren können.
„Eine Kreuzung ist ein schwieriger Ort, weil
zwei Strömungen für das gleiche Stück Im-
mobilie im Wettbewerb stehen“, so Carlo
Ratti, Direktor des Senseable City Lab am
MIT Department of Urban Studies und Planung in einer Erklärung.
Durch eine Verschiebung der Verkehrssteuerung auf das Fahrzeugniveau könne man
demnach ein System schaffen, das viel effizienter ist. Die größere Kapazität komme
dabei nicht davon, dass sich die Fahrzeuge schneller bewegen, sondern durch die
Schaffung einer einheitlicheren Strömung
bei einer optimalen mittleren Geschwindigkeit, bei der die Autos in Bewegung bleiben,
statt zu warten.
Damit birgt die ampelfreie Kreuzung einen
weiteren entscheidenden Vorteil: Sie reduzieren die Umweltbelastung in den Städten
enorm, indem sie verhindern, dass wartende Autos unnötig Abgase in die Luft blasen.
Umwelt
Norwegen plant Verbot für Diesel- und Benzinautos
Norwegen will als erstes Land der Welt ab 2025 nur noch Autos mit Elektromotoren zulassen
D
ie Norwegische Verkehrsbehörde hat
einen Nationalen Transport Plan veröffentlicht, nachdem ab 2025 keine Dieselund Benzinautos mehr verkauft werden
dürfen. Stattdessen sollen nur noch Fahrzeuge mit Elektroantrieb eine Zulassung
bekommen. Damit wäre ausgerechnet das
ölreiche Norwegen das erste Land welt-
weit, das fossile Brennstoffe von seinen
Straßen verbannt.
Der Plan ist eine Vorbereitung zur
Einhaltung des ZEV-Vertrags, den auch
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Ausgerechnet das Ölland Norwegen will Verbrennungsmotoren als erstes von seinen Straßen verbannen.
Deutschland am Rande des Klimagipfels
in Paris unterschrieben hat. Dieser sieht
für alle unterzeichnenden Länder vor,
ab 2050 den Verkehr ohne fossile Rohstoffe zu bestreiten. Dazu wäre es aus
norwegischer Sicht notwendig, ab 2025
mit dem Verkauf von Neuwagen mit
Verbrennungsmotor zu verzichten. Der
Plan muss allerdings noch vom Parlament abgesegnet werden, berichtet etwa
die Presse aus Österreich.
Der Plan sieht weiterhin vor, eine
knappe Milliarde Euro in Schnellstraßen
speziell für Fahrräder zu investieren. Der
öffentliche Verkehr soll bereits in fünf
Jahren komplett erdölfrei funktionieren,
auch die Taxis sollen schnell auf Elektroantrieb umstellen. Bis 2030 soll durch
die Maßnahmen der CO2-Ausstoß des
Transportsektors halbiert werden. Bereits heute führt Norwegen europaweit
was die Zahl der Elektro-Auto-Zulassungen anbelangt. Sie werden mit einem
Steuerbonus, kostenlosen Stromtankstellen und freien Parkplätzen gefördert.
Entsprechend sei bereits jeder fünfte
verkaufte Neuwagen elektrisch.
In Deutschland ringen Regierung
01. April 2016
Foto: Flickr/ Tobias Van Der Elst/ cc by 2.0
und Industrie derzeit um eine Kaufprämie für Elektroautos. Einem Konzept
von Wirtschafts-, Umwelt- und Verkehrsministerium zufolge sollen private
Kunden einen Zuschuss von 5000 Euro
und gewerbliche 3000 Euro zum Kauf
eines Fahrzeugs mit Strom-Antrieb erhalten. Die Autobauer sollen 40 Prozent
der Kosten tragen. Für das Konzept fehlt
allerdings das Plazet des Finanzministeriums. Bis 2020 will die Bundesregierung rund eine Million Elektroautos auf
Deutschlands Straßen bringen – bis dato
ein weit entferntes Ziel.
Transport
Bahn weitet Sparpläne im Güterverkehr aus
Die Bahn will hunderte Güterbahnhöfe streichen und ihre Kunden künftig in drei Klassen einteilen
D
as Streich-Konzept der Deutschen
Bahn im kriselnden Schienen-Güterverkehr ist umfangreicher als zuletzt bekannt. Neben der Schließung von 215 der
knapp 1500 Verladestellen sollen zudem
zahlreiche kleinere Bahnhöfe seltener
angefahren werden, wie aus Konzern-Unterlagen hervorgeht, die der Nachrichtenagentur Reuters vorlagen. „Diese Anpassung von Bedienzeiten (...) betrifft weitere
101 Güterverkehrsstellen“, heißt es. Insbesondere kurzfristige Transport-Bestellun-
gen sollten radikal um 97 Prozent reduziert werden, um die übrigen Züge von DB
Cargo zuverlässiger fahren zu können. Daneben ist vorgesehen, die Kunden künftig
in drei Klassen einzuteilen: In einer Konzern-Anweisung ist von der „Einführung
einer ABC-Betreuungslogik“ die Rede. Im
Kern wolle man das ganze System auf die
„Bedürfnisse der A-Kunden“ ausrichten,
die als wachstumsstark erachtet würden.
Eine Bahn-Sprecherin wollte sich
nicht konkret zu den Papieren äußern.
Es gebe noch keine Beschlüsse, sagte
sie. Eine Einteilung von Cargo-Kunden
in erste und zweite Klasse werde es aber
nicht geben.
Die ursprünglichen Pläne hatten sogar die Schließung von 500 und damit
mehr als ein Drittel der Verladestellen
vorgesehen. Vor allem auf Druck der
Gewerkschaften und auch der Politik
wurden sie reduziert. Aber immer noch
sollen so rund 3000 Stellen wegfallen.
Die Arbeitnehmervertreter leisten da6
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Der Sparkurs der Bahn im Güterverkehr läuft den Gewerkschaften und den Klimazielen der Regierung
zuwider. Foto: flickr/ Thomas Tunsch/ cc by 2.0
her weiter Widerstand. Martin Burkert,
Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses und Vorstandsmitglied der
Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft
(EVG), erklärte: „So lange wir keine wirkliche Strategie erkennen, werden wir
den Plänen nicht zustimmen.“ Die Pläne
seien „nicht zustimmungsfähig“, betonte Martin Burkert. Der Cargo-Vorstand
habe erneut eine Chance vertan. „Das
Management kann oder will nicht nachvollziehbar erklären, wie sich das Unternehmen entwickeln soll“, sagte der SPDPolitiker.
Theoretisch könnte die Bahn zwar
ihre Sparpläne gegen die Arbeitnehmer-
vertreter im Aufsichtsrat durchsetzen,
dies wäre jedoch in dem Staatskonzern
ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang.
Es müsse mehr und nicht weniger Verkehr auf die Schiene. Am Mittwoch trifft
sich der Aufsichtsrat von DB Cargo, dem
auch Burkert angehört, zu einer Sondersitzung. Entscheidungen sollen jedoch
erst im Juni fallen.
Der Konzern hatte vor allem wegen
der Krise der Güterbahn im vergangenen Jahr einen Verlust von 1,3 Milliarden
Euro gemacht. Jetzt will er 215 der insgesamt knapp 1500 Verladestellen bei
Kunden schließen und weitere gut 100
seltener anfahren.
01. April 2016
Die Gewerkschaft vermisst vor allem Konzepte dazu, wie die Güterbahn
wieder auf Wachstumskurs kommen
soll. In ihren Prognosen unterstellt die
Bahn dies zwar ab 2018, dafür fehlt der
EVG aber ein Konzept. „Verlust nach Plan
ist keine Strategie“, sagte Burkert. Auch
die Regierungsvertreter im Aufsichtsrat
dürften daran ein Interesse haben, da
der Schienenverkehr aus Gründen des
Klimaschutzes einen größeren Teil der
wachsenden Verkehrsströme bewältigen soll.
Auch der Chef der Eisenbahngewerkschaft EVG, Alexander Kirchner,
hatte bereits gewarnt, die Güterbahn
DB Cargo sei auf dem völlig falschen
Gleis unterwegs und gefährde mit ihrem Schrumpfkurs den Schienengüterverkehr in Deutschland insgesamt.
Dies werde auch Auswirkungen auf die
Klimaziele der Regierung haben, die eigentlich verstärkt Verkehr auf der Bahn
statt auf der Straße sehen will.
Die Verkehrsprognose der Bundesregierung sagt eigentlich voraus, dass
die Güterbahnen bis 2030 im Vergleich
zu 2010 über 40 Prozent mehr transportieren werden. Dies ist ein höherer Zuwachs als dem LKW unterstellt wird. Die
Verkehrsprognose ist wiederum Grundlage für den Bundesverkehrswegeplan.
Er gibt vor, in welche Straßen und Schienen die Investitionsmittel des Bundes
fließen sollen, um die prognostizierten
Verkehrsströme bewältigen zu können.
Automobil
VW: Neue Klagen und Rückruf für Elektroautos in den USA
Für VW geht es in den USA weiter abwärts: Zu einem Rückruf für 5.000 Elektroautos kommt nun eine Klage der Kartellbehörde.
V
W ruft in den USA einige Tausend
Elektroautos vom Typ E-Golf in die
Werkstätten zurück. Grund sei eine überempfindliche Abschalteinrichtung, die den
Motor unerwartet stilllegen könne, teilte
die US-Aufsichtsbehörde NHTSA im Internet mit. Ein VW-Sprecher bestätigte dem
Focus den Rückruf. Der mögliche Defekt betreffe wegen des unterschiedlichen Stromsystems nur die USA. Insgesamt gehe es um
5561 Autos, berichtet der Focus.
Volkswagen kommt in der Abgas-Krise
nicht voran und muss doch die Weichen
für die Neuaufstellung des Konzerns stellen. Die Behörden in Deutschland, den USA
und Südkorea sind nicht zufrieden mit den
Vorschlägen zur Umrüstung der von den
Abgas-Manipulationen betroffenen Diesel.
Der Zeitplan für die Beseitigung der Mängel an Millionen Fahrzeugen droht zu kippen, die Unsicherheit wächst und Kunden
sind verärgert. Derweil wird im Aufsichtsrat die künftige Aufstellung der Kernmarke
diskutiert. Im Gespräch ist ein Beirat, der
die Weichenstellungen begleitet.
Die südkoreanischen Behörden weiten
laut Medienberichten ihre Ermittlungen
gegen den Autokonzern aus. Jetzt sollen
auch aktuelle Modelle auf die Einhaltung
von Abgas-Vorschriften hin überprüft werden, wie die nationale Nachrichtenagentur
Yonhap unter Berufung auf das Büro der
Staatsanwaltschaft in Seoul berichtete.
Getestet werden soll demnach unter
Aufsicht des Umweltministeriums der
aktuelle Motor EA 288 mit 1,6 Liter Hubraum. Der Antrieb mit der Schadstoffklasse Euro 6 ist im VW Golf sowie in den
Audi-Modellen A1 und A3 verbaut. Für den
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Deutsche
MittelstandsNachrichten
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Ausgabe |12/16
Volkswagen wird in den USA von allen Seiten attackiert: Hier das VW-Elektroauto e-Golf. Foto: flickr/ MotorBlog/ cc by 2.0
Vorgänger-Motor EA 189 mit der Euronorm
5 hatte Volkswagen den Einbau einer illegalen Software eingeräumt, durch die Abgaswerte geschönt werden. Südkorea wirft
dem Konzern vor, bislang nur mangelhafte
Rückrufpläne für mehr als 125.000 Diesel
eingereicht zu haben.
Auch die großangelegte Umrüstung
in Deutschland liegt auf Eis, weil das Kraftfahrt-Bundesamt noch Prüfbedarf hat. Um
den betroffenen Autos eine neue Software
aufspielen zu können, ist eine Freigabe des
KBA nötig. Dem Vernehmen nach sind höhere Kraftstoff-Verbrauchswerte ein möglicher Grund für die Verzögerungen. In den
USA steht eine Einigung mit den Umweltbehörden noch aus. Dazu hat ein Gericht
dem Konzern VW noch Zeit bis zum 21. April gegeben.
Zu Ostern wurden Pläne bekannt, wonach einflussreiche Kontrolleure im VWAufsichtsrat den Umbau bei VolkswagenPKW mit einem neuen Strategie-Gremium
vorantreiben wollen. Die Kernmarke um
Golf und Passat soll nach dpa-Informationen einen Beirat erhalten, der strategische
Weichenstellungen bei Zukunftsfragen
wie Elektromobilität und Digitalisierung
begleitet. Aber auch heiße Eisen wie Stellenabbau oder Arbeitsschwerpunkte einzelner Fabriken könnten in dem Gremium
debattiert werden, bevor sie zur finalen Abstimmung im 20-köpfigen Aufsichtsrat des
VW-Konzerns landen.
Anders als die Schwestermarken Audi
und Porsche hat VW-PKW keinen eigenen
Aufsichtsrat. Den könnte es auch nicht geben, weil Marke und Konzern formal nicht
genug getrennt sind. Zunächst müsste also
der juristische Rahmen des Beirates geklärt
werden: Was darf er? Was soll er leisten, und
mit wie vielen Mitgliedern? Das Unternehmen wollte sich zu Details nicht äußern.
Aus Konzernkreisen hieß es, spruchreif sei
noch nichts.
Die PKW-Kernmarke mit Modellen
vom Kleinstwagen Up bis zum Großwagen
Phaeton steht für fast die Hälfte vom Absatz und Umsatz des gesamten Konzerns.
Sie kämpft seit Jahren mit Renditeschwächen. Schon Ex-Chef Martin Winterkorn
hatte einen Milliardensparkurs verordnet.
Verärgerte Kunden in Deutschland will
VW offenbar mit Rabatten milde stimmen.
Wie eine Erhebung des CAR-Instituts der
Universität Duisburg-Essen ergab, ist derzeit etwa ein dreitüriger Golf mit 28 Prozent Rabatt auf den Listenpreis zu haben.
Hintergrund sei eine Treue-Prämie von bis
zu 2000 Euro, die beim Eintausch eines
VW-Gebrauchtwagens und gleichzeitigem
Neukauf eines VW-Modells gewährt werde. Das Programm laufe zunächst bis Ende
April.
„VW versucht mit dem Programm Kundenverärgerungen
entgegenzusteuern.
Nur kein Einbruch bei den Neuzulassungen scheint die Devise“, sagte Institutsdirektor Ferdinand Dudenhöffer. In den VWRabatten sieht er auch eine Reaktion auf
den Unmut deutscher Kunden wegen der
Wiedergutmachungsaktion in den USA,
die es hierzulande nicht gab. Kurz nach Bekanntwerden des Dieselskandals hatte VW
den US-Kunden 1000 Dollar über Kartenguthaben und Gutscheine gewährt.
Im Skandal um manipulierte Abgaswerte erhöht sich nun der juristische Druck
auf Volkswagen in den USA massiv: Jetzt
hat auch die Kartellbehörde FTC gegen den
Konzern geklagt, wie sie in Washington
mitteilte. Die FTC wirft Volkswagen vor,
seinerzeit mit seinen Werbekampagnen
für „saubere“ Dieselfahrzeuge der Marken
VW und Audi die Verbraucher getäuscht zu
haben.
Volkswagen sieht sich wegen der Affäre bereits mit hunderten Klagen in den
USA konfrontiert, darunter von Autobesit-
01. April 2016
zern und Händlern. Auch das Justizministerium hatte bereits im Januar im Auftrag
der Umweltbehörde EPA gegen den Konzern geklagt.
Dem Konzern drohen Straf- und Schadenersatzzahlungen in zweistelliger Milliardenhöhe. Volkswagen strebt eine außergerichtliche Einigung mit den Klägern an,
um die finanziellen Lasten möglichst weit
zu begrenzen.
FTC-Chefin Edith Ramirez warf Volkswagen „irreführende und unfaire Praktiken“ vor. In der Klage lastet ihre Behörde
dem Autobauer an, den Verbrauchern
über sieben Jahre hinweg vorgegaukelt zu
haben, dass die manipulierten Fahrzeuge
niedrige Emissionswerte hätten und die
entsprechenden gesetzlichen Normen
erfüllten. Auch habe das Unternehmen
fälschlich behauptet, die Wagen könnten
günstig weiterverkauft werden.
Die Behörde will mit ihrer Klage bei
einem Bundesgericht erwirken, dass Volkswagen mehr als 550.000 Verbraucher
entschädigt, die zwischen Ende 2008 und
Ende 2015 Dieselfahrzeuge gekauft oder
geleast hatten. Volkswagen habe in seiner
Werbung erklärt, die Dieselfahrzeuge hätten einen niedrigeren Stickstoffausstoß als
Benziner. Tatsächlich hätten diese Werte
aber um bis zu 4000 Prozent höher gelegen als der gesetzlich vorgeschriebene
Grenzwert.
Eine Volkswagen-Sprecherin äußerte sich nicht näher zu diesen Vorwürfen.
Der Konzern werde weiterhin mit allen
Regulierungsbehörden in den USA zusammenarbeiten, darunter der FTC. Die größte
Priorität für das Unternehmen sei es, das
Problem der Diesel-Emissionen zu lösen
und „das Vertrauen der Verbraucher und
Händler zurückzugewinnen“.
Hunderte von Klagen gegen Volkswagen, darunter die des Justizministeriums,
sind bei einem Bundesgericht in San Francisco gebündelt. Der dort zuständige Richter verlangt von dem Konzern, einen Plan
zur Behebung der Manipulationen vorzulegen. In der vergangenen Woche hatte er
die dafür gültige Frist um vier Wochen bis
zum 21. April verlängert.
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