01 | 2016 PatientenBrief Ihr gesundheitspolitischer Newsletter Neue Gesetze aus Patientensicht Editorial Den GSK-Patientenbrief kennen viele von Ihnen ja schon. Seit nunmehr über zehn Jahren leitet uns dabei das Anliegen, Ihnen einen Überblick zu verschaffen über das, was in der Gesundheitspolitik an patientenrelevanten Dingen geschieht. Was Sie noch nicht kennen, ist das neue Gewand. Wir haben uns das Ziel gesetzt, den Patientenbrief moderner, kompakter und damit letztlich lesefreundlicher zu gestalten. Dazu gehört ein neues Design – aber nicht nur. Straffer, pointierter, klarer: Ich hoffe sehr, dass Ihnen das neue Konzept gefällt. Zur Tradition des Patientenbriefes gehört, dass wir in der ersten Ausgabe des Jahres einen Blick auf die Reform agenda werfen: Vieles ist oder wird neu in 2016. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Gesetze und Regelungen ist deshalb ein Schwerpunkt dieser Ausgabe. Viel Spaß beim Lesen. Ihre Ilka Einfeldt, Leiterin Patient Relations Mangelnder Fleiß ist so ungefähr das Letzte, was man Bundes gesundheitsminister Hermann Gröhe vorwerfen kann. Der CDU-Politiker hat freundlich, aber bestimmt und zielgerichtet ein Gesetz nach dem anderen angeschoben, seit er im Dezem ber 2013 den Posten übernahm. Der GSK-Patientenbrief be leuchtet in dieser Ausgabe die gesetzgeberische Reformagenda für das Jahr 2016. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen zum Nutzen einer besseren Patientenversorgung vorantreiben: Das ist im Kern das Ziel des „Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen“, kurz: E-Health. Dahinter steckt der Aufbau einer Infrastruktur, die den sicheren Datenaustausch z. B. zwischen Ärzten und Krankenhäusern zum Standard macht. Das ver- schachtelte Gesundheitswesen soll ein digitales Dorf werden, damit die Qualität der Versorgung verbessert werden kann und die Wirtschaftlichkeit des Systems auch auf Dauer gewährleistet ist. Dabei dreht sich vieles um die elektronische Gesundheitskarte. Dort sollen ab 2018 – und wenn das der Patient will – z. B. medizinische Notfalldaten gespeichert werden können. Das Gesetz will » NEUE GESETZE AUS PATIENTENSICHT » KEIN LAMENTO, SONDERN WEITERENTWICKLUNG Interview mit Dr. Martin Danner, BAG Selbsthilfe » KURZ & KNAPP Nachrichten aus dem Gesundheitswesen » IMPFSCHUTZ: DEUTSCHLAND HINKT HINTERHER » DER „PIEKS“ MIT DOPPELTER WIRKUNG Interview mit Dr. Barbara Keck, BAGSO » PORTRÄT: DIE MIT DEM WOLF TANZEN » 1 01 | 2016 PatientenBrief © Henning Schacht bei mehreren Ärzten in Behandlung ist, dürfte das ein Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit sein. Der Plan entsteht aber zunächst nur in Papierform – in diesem Punkt ist noch wenig „E“ im E-Health-Gesetz. Im Bundestag: Bundesmininster Gröhe treibt seine Reformagenda voran. BAG Selbsthilfe: Datensicherheitsstandards klären » Die BAG Selbsthilfe hat dieses Gesetz grundsätzlich begrüßt, sieht sie doch in einer sicheren Telematik-Infrastruktur einen nachweisbaren Nutzen für den Patienten. Doch die Betonung liegt auf „sicher“ – und da sieht der Dachverband noch Nachholbedarf. Zunächst müssten die Sicherheitsstandards klar definiert sein. Die Umbenennung der „Krankenversicherungskarte“ in „elektronische Gesundheitskarte“ sei „zum jetzigen Zeitpunkt euphemistisch“, wie es in der Stellungnahme aus dem November 2015 heißt. ferner den Einstieg in die elektronische Patientenakte anschieben und die Voraussetzungen für Telemedizin-Angebote in der Fläche schaffen. Auch Video-Sprechstunden sollen künftig möglich sein. Dies ist nicht nur im Hinblick auf ländliche Regionen und deren Unterversorgung interessant, sondern generell auch für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Schließlich ist der Medikationsplan Teil des Gesetzes. Er soll bei regelmäßiger Einnahme von drei oder mehr Arzneimitteln (Poly pharmazie) für Transparenz sorgen. Gerade, wenn der Patient Auch das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativ versorgung – im Dezember 2015 in Kraft getreten – hat die BAG Selbsthilfe im Grundsatz begrüßt. Damit will Gröhe den flächendeckenden Ausbau dieser Versorgungsform vorantreiben. Die Palliativversorgung ist nun ausdrücklicher Bestandteil der Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Außerdem ist sie im Rahmen der häuslichen Krankenpflege für die Pflegedienste abrechenbar. Auch dieses Gesetz will die Versorgung auf dem Land verbessern – durch den Ausbau einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Zudem soll mehr Geld fließen: Stationäre Kinder- und Erwachsenenhospize erhalten einen höheren Tagessatz: Der Mindestzuschuss steigt von 198 auf 261 Euro. Die Krankenkassen tragen künftig 95 Prozent der zuschussfähigen Kosten. Und: Die Sterbebegleitung wird Bestandteil des Versorgungsauftrages der sozialen Pflegeversicherung. Einfacher: Die neue Rehabilitations-Richtlinie Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Rehabilitationsrichtlinie überarbeitet – die Verordnung von Reha-Leistungen wird damit ab 1.4.2016 einfacher. Das bei Ärzten gefürchtete Formular 60, auch als „Antrag auf den Antrag“ bezeichnet, fällt künftig weg. Zudem kann künftig jeder Vertragsarzt eine medizinische Rehabilitation verordnen. Der Nachweis einer zusätzlichen Qualifikation ist nicht mehr erforderlich. Palliativversorgung ausbauen: Jetzt muss das Gesetz umgesetzt werden „Das Gesetz bietet vielfältige Ansätze für eine bessere Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen, vor allem im ambulanten Bereich und in Pflegeeinrichtungen. Nun kommt es darauf an, diese Verbesserungen über entsprechende weitergehende Regelungen zügig in die Praxis zu überführen“, so kommentierte der Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes Winfried Hardinghaus die Reform. Denn ein Gesetz macht noch keinen Frühling – alle Beteiligten sind sich einig: Nun muss es schnell umgesetzt werden. Und noch ein Gesetz erblickte das Licht der Welt – das Pflegestärkungsgesetz II. Für die Pflegeversicherung ist das laufende Jahr ein Umstellungsjahr – denn Anfang 2017 tritt der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff in Kraft. Fünf statt wie bisher drei » 2 01 | 2016 PatientenBrief Pflegestufen wird es dann geben und erstmals werden körperliche und geistig-seelische Beeinträchtigungen – etwa auf Grund dementieller Erkrankungen – gleichgestellt. Für die Selbstverwaltung heißt das: Rund 2,7 Millionen Pflegebedürftige werden in neue Pflegegrade übergeleitet. Die Beratung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen soll verbessert werden. Außerdem wird mehr Geld zur Verfügung stehen – insgesamt werden es in 2017 über sechs Milliarden Euro sein. Deswegen steigt auch der Beitragssatz um 0,2 Prozentpunkte auf 2,55 bzw. 2,8 Prozent für Kinderlose. Auf dem Papier sieht das alles gut aus: Eine halbe Million Menschen mehr sollen anspruchsberechtigt sein und keiner soll schlechter gestellt werden, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium. Der Paritätische Wohlfahrtsverband glaubt allerdings, dass über 30.000 Pflegekräfte zusätzlich gebraucht würden, um die ge- Seit Januar neu: Die Terminservice-Stellen Die Patientenrechte stärken, so hatte Bundesminister Gröhe die Terminservicestellen begründet – und sie deshalb gegen den Willen der Ärzte schaft durchgesetzt. Das Ziel: Gesetzlich Versicherte sollen innerhalb von vier Wochen einen Termin bei einem Facharzt bekommen. Allerdings: Es gibt keinen „Wunschtermin“ bei einem „Wunscharzt“. Die Nummern der Servicestellen hat das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Webseite zusammengestellt. Pro Monat rufen zurzeit rund 2700 Versicherte an und es kommt zu 850 Vermittlungen. setzlichen Vorgaben umzusetzen. Deshalb müsse auch das Geld für zusätzliches Personal in Pflegeheimen locker gemacht werden. Fazit: „Wir sind auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel“, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Die Reaktionen der Dachverbände zeigen: Was Gröhe an Gesetzesinitiativen anpackt, geht für sie in die richtige Richtung. Sie zeigen auch: Es herrscht eine gewisse Skepsis, ob aus den Gesetzen wirklich spürbare Verbesserungen werden, die bei den Patienten und ihrem Versorgungsalltag ankommen. Zwei grundsätzliche Kritikpunkte aber bleiben: Da ist einmal die aktive Beteiligung der Patientenvertreter im System, die aus Sicht der in der BAG Selbsthilfe zusammengefassten Verbände dringend ausgebaut und gestärkt werden muss. Schließlich habe doch die Mitarbeit der Organisationen in Gremien wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss gezeigt, dass hier wichtige Impulse in der Steuerung des Systems – z. B. in Fragen der Unter- oder Fehlversorgung – gesetzt würden. Hier © PeopleImages – istockphoto.com » Die Palliativversorgung soll flächendeckend ausgebaut werden. fordert man mehr Mitsprache. Und auch die individuellen Patientenrechte bleiben ein Dauerbrenner. Dabei geht es vor allem um den rechtlichen Schutz für Patienten, die einen Behandlungsfehler erlitten haben. Dies treffe vor allem multimorbide Menschen – eine Weiterentwicklung der Patientenrechte müsse deshalb dringend angegangen werden. Eines ist sicher: Einem Bundesgesundheitsminister wird in Deutschland auch in den kommenden Jahren nie langweilig werden – oder um noch einmal Ulrich Schneider zu zitieren: „Nach der Reform ist vor der Reform.“ / 3 01 | 2016 PatientenBrief Dr. Martin Danner © BAG Selbsthilfe Kein Lamento, sondern Weiterentwicklung Über die neuen Gesetze sprachen wir mit Dr. Martin Danner. Er ist Bundesgeschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (BAG Selbsthilfe). Sieht in Sachen Patientenbeteiligung noch Luft nach oben: Dr. Martin Danner von der BAG Selbsthilfe. PatientenBrief: Im E-Health-Ge setz finden sich Neuerungen be züglich der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesaus schuss (G-BA); so können nun Patientenvertreter bei organisa torischen Fragen wie Tagesord nungen oder der Einrichtungen von AGs mitentscheiden. Ne ben dem Antragsstellungs- und dem Mitberatungsrecht gesellt sich nun das Mitbestimmungs recht dazu. Wie beurteilen Sie diese Erweiterung der Patien tenbeteiligung? Verfahrensfragen haben bei den Beratungen des G-BA eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Die Frage, ob für ein bestimmtes Thema eine Arbeitsgruppe eingerichtet wird oder ob für eine bestimmte Frage eine bestimmte Person als Sachverständiger hinzugezogen wird, kann schon Auswirkungen auf das Beratungsergebnis haben. Daher hatten wir seit langem ein Stimmrecht der Patientenvertretung in Verfahrensfragen gefordert. Mit den von Ihnen angesprochenen Regelungen im E-Health-Gesetz ist der Gesetzgeber nun dieser Forderung zu einigen wichtigen Punkten nachgekommen. Ich würde es aber noch nicht als allgemeines „Mitbestimmungsrecht“ bezeichnen. PatientenBrief: Der Innovations fonds wurde geschaffen, um in novative sektorenübergreifende Versorgungsformen zu fördern. Mit Frau Ilona Köster-Steine bach und Ihnen sind ebenfalls zwei Patientenvertreter vertre ten. Auch sind Patientenorga nisationen antragsberechtigt. Sind somit neue Anreize für eine bessere Patientenversor gung geschaffen worden? Aus unserer Sicht macht der Innovationsfonds nur dann Sinn, wenn er auch tatsächliche Verbesserungen in der Patientenver- sorgung auf den Weg bringt. Dies gilt für die Erprobung neuer Versorgungsformen genauso wie für die Förderung von Vorhaben zur Versorgungsforschung. Selbstverständlich werden wir unser Mitberatungsrecht dazu nutzen, den Fokus genau auf diesen Punkt zu lenken. PatientenBrief: In Sachen Pa tientenbeteiligung in Deutsch land ist in den vergangenen Jahren also ein stetiger Ausbau zu verzeichnen. Sehen Sie ein verändertes Verständnis für die Patientenbeteiligung in der Po litik? Über einen längeren Zeitraum betrachtet muss man schon sehen, dass die Patientenbeteiligung in der Politik mittlerweile als wünschenswertes Element etabliert werden konnte. Ich fand es beispielsweise bemerkenswert, dass dies sogar der Vertreter des GKV-Spitzenverbandes in der Anhörung zur Unabhängigen Patientenberatung im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages vor Kurzem ausdrücklich hervorgehoben hat. Außerdem werden den maßgeblichen Patientenorganisationen in fast jedem neuen Reformgesetz neue Beteiligungsmöglichkeiten zugewiesen. Womit sich die Politik allerdings noch schwertut ist, den Patientenorganisationen die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um die Beteiligungsmöglichkeiten auch wirksam umzusetzen. PatientenBrief: Warum? Offenbar ist es die Politik gewohnt, im gesundheitspolitischen Geschehen mit gut finanzierten und machtvoll auftretenden Interessengruppen zu sprechen. Leider fällt es uns bislang schwer zu verdeutlichen, dass unser Ruf nach einer strukturellen Stärkung kein symbolisches Lamento, sondern eine ganz grundlegende Frage der Weiterentwicklung der Patientenbeteiligung ist. / 4 01 | 2016 PatientenBrief Kurz & Knapp Bundeseinheitlicher Vertrag Die Versorgung von Menschen mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen verbessern: Das ist das Ziel eines Vertrages, das die „Versorgungslandschaft Rheuma GmbH“, getragen vom Deutschen Haus ärzteverband und dem Berufsverband Deutscher Rheumatologen, mit dem Gesundheitsdienstleister spektrumK geschlossen hat. Ziel ist die enge fachübergreifende, qualitativ hochwertige Behandlung durch konsequente Therapieüberwachung, leitliniengerechte Arzneimittelversorgung und intensive Schulung der Patienten. / Jeder zweite gesetzlich Versicherte zweifelt am Nutzen von privat zu zahlenden Leistungen beim Arzt, den Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL). Diese hätten eher keinen Nutzen, meinen 38 Prozent der Befragten. Sie seien auf keinen Fall nutzbringend, sagen weitere 15 Prozent. Ein Drittel der Patienten lässt sich aber trotzdem überzeugen. Das geht aus einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) hervor. / Fälschungssichere Medikamente Nur noch drei Jahre: Ab dem 9.2.2019 dürfen in Deutschland nur noch verschreibungspflichtige Arzneimittel in Verkehr gebracht werden, die auf ihrer Packung eine individuelle Seriennummer tragen. Diese Nummer macht jede Packung zu einem Unikat. Mit einem Scan wird in der Apotheke künftig festgestellt, ob die Packung ein Original ist. Eine technische Herausforderung – denn es gibt zurzeit in Deutschland rund 700 Millionen Verordnungen pro Jahr. / © Courtney Keating – istockphoto.com © Suze777 – istockphoto.com In der Kritik Unterversorgung In Deutschen Pflegeheimen werden nach Ansicht der Deutschen Stiftung Patientenschutz zehntausende Menschen mit chronischen Schmerzen nicht ordentlich versorgt. „Ein gutes Drittel der Pflegeheimbewohner leidet unter chronischen Schmerzen“, so Vorstand Eugen Brysch. Besonders betroffen seien Pflegeheimbewohner mit Demenz. Brysch forderte für Alten- und Pflegekräfte eine Weiterbildung zur Schmerzerkennung. / 5 01 | 2016 PatientenBrief Trend nach unten: Grippe-Impfquoten in Deutschland Impfquote in Prozent bei den über 60-jährigen 50 Impf-Schutz: Deutschland hinkt hinterher 47,9 47,7 43,7 40 Gerade bei chronisch kranken und bei älteren Menschen sollte die jährliche Grippe-Impfung fest im Kalender stehen. Eine Studie aus den USA belegt, dass niedrige Impfraten gravierende Folgen haben können. Und: Deutschland ist alles andere als ein Musterschüler, wenn es um Impfprävention geht. 42,0 37,3 38,1 12/13 13/14 36,7 30 20 10 0 © AlexRaths – istockphoto.com Tatsache ist: die Risiken einer Grippe werden unterschätzt. Dabei sind sich von der Weltgesundheitsorganisation über die Europäische Union, von den Fachgesellschaften bis hin zur Ständigen Impfkommission alle einig: Gerade bei chronisch kranken oder älteren Menschen ist die Impfung gegen die Grippe kein perfekter, aber der beste verfügbare Schutz: Mindestens 75 Prozent der so genannten Risikogruppe sollte geimpft sein. In Europa erreichen dieses Ziel nur die Niederlande (77,5 Prozent) und Großbritannien (77,2 Prozent). Deutschland schaffte in dieser Studie gerade mal eine Quote von 32 Prozent. 08/09 09/10 10/11 noch mehr wissen: Von den über 8.000 eingeschlossenen Patienten schauten sie sich im Nach hinein den Impfstatus der Probanden an: Jeder Fünfte (21 Prozent) war gegen Grippe geimpft. Diese hatten ein um 18 Prozent reduziertes Gesamtsterbe risiko als 14/15 Alter: 60 Jahre oder älter Quelle: Robert Koch Institut Impfquoten gehen weiter zurück Ärzte spielen für die Akzeptanz des Impfens eine entscheidende Rolle. Diese Daten stammen aus einer großen weltweit durchgeführten Studie mit Herzinsuffizienz-Patienten. Dort wurde eigentlich untersucht, ob Medikament A besser ist als Medikament B, um die Pumpfunktion des Herzens zu stärken. Doch die US-Kardiologen wollten 11/12 die Nicht-Geimpften. Diese Studie reiht sich ein in eine ständig wachsende Evidenz, dass Grippe-Impfung nicht nur vor Grippe schützen kann, sondern auch vor Folgeerkrankungen oder etwa Krankenhauseinweisungen. Die Grippe-Impfquoten in Deutsch land sind nicht nur niedrig. Sie gehen auch seit Jahren zurück. Das zeigen ganz frische Daten des RKI auf Basis von Abrechnungsdaten der Krankenkassen. Demnach war in der Grippesaison 2014 / 2015 nur noch ein Drittel (36,7 Prozent) der über 60-jährigen geimpft – eine ähnlich niedrige Quote hatten auch die US-Kardiologen festgestellt. » 6 01 | 2016 © Click_and_Photo – istockphoto.com PatientenBrief » In der Saison 2008 / 09 waren es noch fast 50 Prozent gewesen. Auffallend sind dabei die länderspezifischen Unterschiede: Baden-Württemberg ist das Land der Grippeimpfmuffel. Hier lässt sich gerade mal jeder fünfte (21,1 Prozent) impfen. Am anderen Ende der Skala rangiert Sachsen-Anhalt mit einer Impfquote von 56,7 Prozent. Fazit des RKI: „Die Zielvorgaben der Europäischen Union werden damit in Deutschland bisher von keinem einzigen Bundesland annähernd erreicht.“ Bleibt noch ein deutliches Ost-West-Gefälle festzustellen: In den neuen Bundesländern liegt die Impfquote bei 52,6 Prozent, in den alten Bundesländern bei 31,2 Prozent. Die Gründe für niedrige Impfquoten sind vielfältig – dies hat das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) in einer Untersuchung zusammen Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) klärt auf ihrer Seite www.infektionsschutz.de über Erregerarten, Übertragungswege, sowie Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten auf. getragen. Neben dem geringen Risikobewusstsein macht die Diskussion über die angeblich mangelnde Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe die Runde. „Die Impfung ist eine wichtige und sichere Schutzmöglichkeit, auch wenn ihre Wirksamkeit schwanken kann“, erklärt dazu RKI-Präsident Lothar Wieler. Hinzu kommt die mangelnde öffentliche Unterstützung für das Impfen. Auch Mythenbildung hat nicht gerade das Vertrauen gestärkt – so hält sich wacker die Meinung, dass die Grippeimpfung selbst die Grippe auslösen kann. Wissenschaftlich betrachtet ist das – ein Mythos. Allerdings einer, der sich hartnäckig hält. Große Wissenslücken: Jeder zweite kennt seinen Impfstatus nicht Schaut man sich andere Infektionskrankheiten an, die durch eine Impfung zu vermeiden wären, sieht das Bild in Deutschland übrigens kaum erfreulicher aus. Dies zeigt eine bevölkerungsrepräsentative Studie des RKI (DEGS1) auf der Basis von Befragungen und Impfpass-Checks. Das RKI: „Der Tetanus- und Diphtherie-Impfstatus Erwachsener ist besser als vor zehn Jahren […], dennoch haben immer noch 28,6 Prozent der Bevölkerung in den letzten zehn Jahren keine Tetanusimpfung und 42,9 Prozent keine Diphtherie impfung erhalten. Insbesondere bei Älteren, bei Erwachsenen mit niedrigem sozioökonomischem Status und in Westdeutschland bestehen Impflücken. Nur 11,8 Prozent der Frauen und 9,4 Prozent der Männer in Westdeutschland haben innerhalb der letzten zehn Jahre eine Impfung gegen Pertussis (Keuchhusten) erhalten; die Durchimpfung ist in Ostdeutschland doppelt so hoch.“ Das neue Präventionsgesetz soll es nun richten – es ist ja ausdrückliches Ziel des Gesetzes, die Impfquoten zu erhöhen. Ob das gelingt? Die Wissenslücken zumindest sind groß: Das Allensbach-Institut hat herausgefunden, dass jeder zweite Bundesbürger seinen Impfstatus nicht kennt. / 7 01 | 2016 PatientenBrief Der „Pieks“ mit doppelter Wirkung Dr. Barbara Keck © BAGSO Über die Bedeutung des Impfens und über die Hürden, die für niedrige Impfraten verantwortlich sind, sprachen wir mit Dr. Barbara Keck, Geschäftsführerin der BAGSO Service Gesell schaft (Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisati onen). Fordert verständlichere Gesundheits informationen: Dr. Barbara Keck, BAGSO PatientenBrief: Welche Bedeu tung hat ein umfassender Impf schutz, insbesondere für Seni oren? Unsere Gesundheit ist unser höchstes Gut. Eine Impfung kann helfen, Erkrankungen und deren Folgen wirksam vorzubeugen. Dieser Schutz hilft, gesund zu bleiben. Das ist für Kleinkinder wichtig, weil ihr Immunsystem noch nicht ausgereift ist. Außerdem sind Impfungen für Menschen mit chronischen Erkran- kungen von großer Bedeutung. Ein umfassender Impfschutz ist aber auch für gesunde ältere Menschen wichtig, weil ab 60 Jahren das Immunsystem langsam nachlässt und bestimmte Infektionskrankheiten leichteres Spiel haben. Wer sich impfen lässt, schützt aber nicht nur sich selbst, sondern auch andere Menschen. Geimpfte tragen Anti körper gegen bestimmte Erreger im Blut. So ist die Person selbst vor der Erkrankung geschützt. Zusätzlich sinkt auch das Risiko, die Erkrankung an andere Menschen zu übertragen. Also ein „Pieks“ mit doppelter Wirkung sozusagen. PatientenBrief: Eine geringe Risikowahr nehmung der Ziel gruppe 60+ und Skepsis ge genüber der Impfung gelten als Hauptursachen für geringe Impf raten. Wie ließe sich das am besten angehen? Die BAGSO setzt sich unter anderem für ein gesundes Altern und eine hochwertige gesundheitliche Versorgung älterer Menschen ein. Dies kann nur gelingen, wenn die Menschen auch mit guten Gesundheits-Informationen versorgt werden. Dabei ist es wichtig, den Nutzen von Impf ungen genauso aufzugreifen wie die Ängste und Bedenken der Menschen. Wir möchten Patien- tinnen und Patienten stärken, sich zu informieren und ihre Gesundheit ein Stück weit selbst in die Hand zu nehmen. Dazu setzen wir auf eine umfassende Aufklärung. Positive Errungenschaften und die Wirkung von Impfungen zu erklären ist sehr wichtig, aber auch mögliche Nebenwirkungen gehören dazu. Sicherlich ist es auch hilfreich, gute Fürsprecher zu gewinnen. Sie können mit positiven Botschaften in den Medien Menschen dazu ermutigen, sich über Impfungen zu informieren und sich impfen zu lassen. PatientenBrief: Das RKI veröf fentlicht jährlich den Impfstatus der deutschen Bevölkerung. Im Zeitraum von 2008 / 2009 bis 2014 / 2015 zeigt sich dabei ein Absinken der Grippe-Impfquo ten um fast 10 Prozent-Punkte. Nur noch 1/3 aller Senioren sind demzufolge gegen die sai sonale Grippe geimpft. Wie be werten Sie diese Entwicklung? Und welche Erwartungen hat die BAGSO an die Entscheider aus Politik und Krankenkassen, um diesem Trend entgegenzu wirken? Wir stellen nach wie vor fest, dass viele Gesundheitsinformationen die Zielgruppen nicht erreichen. Das hat viele Ursachen: zu lange, schwer verständliche Texte mit vielen Fremdwörtern sind nicht sehr motivierend. Die Informa tionen müssen mehr die Bedürfnisse und Gefühle der Menschen aufgreifen, die sie erreichen sollen. Eine zu kleine Schrift oder schlechte Kontraste erschweren den Wissenszugang zusätzlich. Außerdem müssen Entscheider und Kostenträger besser vernetzt arbeiten. Patienten-Organisationen und Interessenvertretungen sollten bei diesem Thema einbezogen werden. / 8 01 | 2016 Lupus Jugendbroschüre © Lupus Erythematodes SHG e. V. PatientenBrief Im Porträt Die mit dem Wolf tanzen Auch wenn nur fünf Prozent der Patienten im Kin des- und Jugendalter sind – die Lupus Erythematodes Selbsthilfegemeinschaft e. V. hat mit JuLE eine schlag kräftige Jungendarbeit aufgebaut. Das Motto: „Trotz Krankheit gemeinsam am Leben wieder Freude haben“. Aber die Arbeit der Gemeinschaft ist auch ein Beispiel dafür, wie sehr Patienten- und Selbsthilfegruppen (SHG) zur Verbesserung der Versorgung beitragen – und damit nicht nur ihren Mitgliedern, sondern auch dem Gesundheitssystem sehr viel Gutes tun. Wie wichtig Austausch und Dialog nach einer schweren Diagnose ist, dafür ist Mira Winterstein die beste Zeugin. 1993 wurde bei ihr Lupus diagnostiziert, damals war sie elf Jahre alt. „Ich machte mein Testament. Einem Lupus-Patienten wie mir gab man damals vielleicht vier Jahre“, erzählt sie. Gleichgesinnte finden war nicht so einfach wie heute: Von einem funktionsfähigen Internet war man 1993 noch weit entfernt. Facebook? WhatsApp? Fehlanzeige: Man schrieb sich noch Briefe. Recherchen über komplexe Themen – heute einen Mausklick entfernt – waren damals schwer zu bekommen. Diese Erfahrung muss prägend gewesen sein. Mira Winterstein ist seit über 20 Jahren ehrenamtlich tätig und engagiert sich bei der Lupus Erythematodes SGH e. V. vor allem in der Jugendarbeit. Sie betreut JuLE – das steht für „Jugendliche mit Lupus Erythematodes“: Ein „kunterbunter Haufen Mit dem Wolf leben lernen: Auszug aus der Jugendbroschüre Mädels und Jungs zwischen 16 und 26 Jahren“ aus ganz Deutschland, heißt es auf der Webseite: „Wir sind sozusagen Jugendliche mit dem gewissen Etwas!“ Rund fünf Prozent der Lupus-Erkrankten sind junge Menschen. Trotzdem ist der Selbsthilfe gemeinschaft die Jugendarbeit wichtig: „Wenn Du jung bist, kannst Du so eine Diagnose viel einfacher ins Leben integrieren. Jugendliche nehmen den Rucksack auf, den diese Krankheit für sie bedeutet und gehen damit durchs Leben“, sagt Mira Winterstein. In Jugendseminaren für 16 bis 26-jährige oder in Jugendwochen erfahren sie alles über den Umgang mit der Krankheit. Dabei geht es aber nicht nur um Informationen: Viele lernen auf diesem Weg erstmals Gleichgesinnte kennen; sie merken, dass sie nicht allein sind. „Viele Teilnehmer sind nachher regelrecht traurig, dass sie nicht früher zu den Seminaren gekommen sind.“ Themen wie Schwangerschaft, um das richtige Schminken oder gar zu Tattoos werden behandelt. Schon deshalb sind die Jugendseminare sinnvoll. Mit 16 hat man andere Fragen als mit 40. » Lupus erythematodes Bei Menschen mit Lupus ist das Immunsystem aus unbekannten Ursachen verändert und bekämpft den eigenen Körper. Die Folge hiervon sind Hautveränderungen, Entzündungen der Gefäße, Gelenke, Nerven, Muskeln oder verschiedener Organe. Lupus trifft vor allem Frauen im gebärfähigen Alter. 9 01 | 2016 PatientenBrief Impressum: Über die Seminare hinaus gibt es mittlerweile fast 80 Regional gruppen. In den sogenannten Meet@Treffen, die viermal im Jahr stattfinden, begegnen sich 18 bis 30-jährige zum Austausch. In 2015 entstand die Broschüre mit dem Titel „Lupus im Kindes- und Jugendalter“: 150 Seiten geballte Informationen, Tipps im Umgang mit Ärzten und jede Menge Erfahrungsberichte. Aber weil Lupus eine seltene Autoimmunerkrankung ist, reicht es der Selbsthilfegemeinschaft nicht, Wissen unter die Leute zubringen. Sie will aktiv die Forschung fördern und damit Fehlversorgung vermeiden helfen. Das größte dieser Projekte ist die Lupus-(erythematodes)-Langzeit-Studie, kurz: LuLa, die das Ziel hat, Daten in Westeuropa zu sammeln. Dabei kam z. B. heraus, dass Lupus-Patienten, die beim Hausarzt in Behandlung sind, eine andere Medikation bekommen, als die, die beim internistischen Rheumatologen behandelt werden; Hausärzte verschreiben seltener Lupus-spezifische Medi kamente, seltener Antimalariamittel und Immunsuppressiva. Um auch interdisziplinär einen guten Behandlungsstandard zu erreichen, fordern die Autoren der Studie deshalb einen verstärkten Dialog zwischen Hausund Fachärzten. Lupus Erythematodes SHG e. V. Die Lupus Erythematodes Selbsthilfegemeinschaft e. V. besteht seit 1986 und zählt ca. 3000 Mitglieder. Sie will Hilfe zur Selbsthilfe für Menschen leisten, die an der Immunkrankheit Lupus erythematodes oder ähnlichen Erkrankungen leiden. In der Lupus Erythematodes SHG e. V. gibt es auch eine aktive Jugendgruppe: JuLE – Jugendliche mit Lupus Erythematodes. Mira Winterstein ist per Mail erreichbar: [email protected] Lupus ist nicht heilbar. Aber die Behandlung hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Auch Dank der Arbeit der Lupus Erythematodes Selbsthilfegemeinschaft e. V. / Herausgeber GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG www.glaxosmithkline.de Vertreten durch die Allen Pharmazeutika Gesellschaft m.b.H, Wien Prinzregentenplatz 9 D-81675 München Tel.: 0800 3456100 (09.00 bis 17.00 Uhr) [email protected] Geschäftsführung: Dr. Sang-Jin Pak (Vors.) Adrian Bauer Registergericht: Amtsgericht München HReg: HRA 78754 USt-IdNr.: DE 813 233 122 Zuständige Aufsichtsbehörde: Regierung von Oberbayern Maximilianstraße 39 D-80538 München Mira Winterstein © Lupus Erythematodes SHG e. V. » Kontakt Verantwortlich: Ilka Einfeldt (v.i.S.d.P.) Leiterin Patient Relations Tel.: 089 36044-8376 Fax: 089 36044-9-8376 [email protected] Dr. Andreas Heigl Senior Manager Government and Industry Affairs Tel.: 089 36044-8509 Fax: 089 36044-9-8509 [email protected] Betreut die Jugendarbeit (JuLE): Mira Winterstein. Hinsichtlich der Nutzung des GSK-Patientenbriefs gelten unsere Nutzungsbedingungen entsprechend. Diese können Sie auf www.patientenpolitik.de einsehen. 10
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