Ostermarsch Braunschweig 2016 -. Rede Heide Janicki, 2. Station Hagenmarkt Wir befinden uns hier im Herzen der alten Arbeiterbewegung Anfang des letzten Jahrhunderts in unmittelbarer Nähe des damals ärmsten Wohnviertels Klint, Werder, Weber- und Kaiserstraße. Der Hagenmarkt war der Versammlungs- und Kundgebungsplatz, der eng mit dem revolutionären Geschehen verbunden ist. Wenige hundert Meter weiter, im früheren Schloss, führte die erste Frau, die in Deutschland ein Ministeramt bekleidete, im Zimmer 145 die Amtsgeschäfte: Minna Faßhauer, Volkskommissarin für Volksbildung in der Sozialistischen Republik Braunschweig. 1918 vertraute ihr der Arbeiter- und Soldatenrat in den Tagen der Novemberrevolution das Bildungsministeriums wegen ihrer Verdienste und ihrer Kämpfe für ein besseres Leben der Frauen, Kinder und Männer der Arbeiterbewegung an. Viel musste passieren, bis es dazu kam: in jahrzehntelangen Kämpfen gegen Obrigkeit und Polizeiknüppel für bessere Lebensbedingungen und das Frauenwahlrecht wuchs der Widerstand der Arbeiter*innenschaft gegen die unerträglichen Verhältnisse im Herzogtum, der in drei große Streiks mündete, von denen der dritte, der Generalstreik im Juli 1917 schon eindeutig politischen und antimilitaristischen Charakter trug. Und das mitten im 1. Weltkrieg, dem ersten Krieg in der Menschheitsgeschichte, in dem Massenvernichtungswaffen eingesetzt worden sind und der auch aus der Luft geführt wurde. Dem Aufruf zum Streik, der das Ende des Krieges forderte, folgten 5 000 ArbeiterInnen aus 52 Braunschweiger Betrieben, dem sich zum Schluß 7000 Menschen anschlossen. Angesichts der Not und des Hungers wurden Forderungen beschlossen, die dem Staatsministerium überbracht werden sollten. In die Verhandlungsdelegation wurde auch Minna Faßhauer gewählt. Sie forderten unter anderem - Sofortige Befreiung aller wegen politischer und militärischer Vergehen Verhafteter und Verurteilter; - Und das Eintreten der Braunschweiger Regierung für die Anbahnung sofortiger Friedensverhandlungen auf der klar ausgesprochenen Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, ohne Annexion und Kriegsentschädigungen Als die Not vom Adel und seinen Handlangern weiterhin ignoriert wird, hat es 1918 den Menschen gereicht: nachdem sie Hungerwinter überstehen mussten, Millionen auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges krepiert waren oder verstümmelt nach Hause kamen, Männer mit Krücken das Straßenbild beherrschten, wollten sie endlich Brot, Frieden und Freiheit. Für die Durchsetzung solcher Selbstverständlichkeiten war eine Revolution notwendig! Durch die Novemberrevolution wird der Erste Weltkrieg beendet, mit ihr sind alle heute noch gültigen Sozialgesetze erkämpft worden. Politisch-reaktionäre Kräfte verfolgten die Novemberrevolutionäre in den Jahren darauf mit konstruierten Anklagen wurde im gesamten deutschen Reich gegen sie vorgegangen. Nicht nur Minna Faßhauer wurden Sprengstoffanschläge unterstellt. Es war ein übliches Verfahren während der Weimarer Republik - zum einen, um die Revolutionäre zu kriminalisieren, zum anderen, um den Erfolgen von 1918 die Legitimation zu entziehen. Indem man gegen die Köpfe der revolutionären ArbeiterInnenschaft vorging, sollte die gesamte Bewegung zerschlagen werden. Nach der Machtübertragung 1933 an Hitler - der ist ja nicht gewählt worden! - terrorisierten die Faschisten ihre Gegner mit Verfolgung, Folter und Mord. Die Kriegsvorbereitung lief schon wieder auf Hochtouren, aber der Widerstand arbeitete, jetzt unter den Bedingungen der Illegalität, weiter. Minna Faßhauer wurde 1935 wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt, weil sie Schriften gegen den Faschismus verbreitet haben soll. Sie wird in Schutzhaft genommen und ins KZ Moringen verbracht, aus dem sie ein Jahr später schwerkrank entlassen wurde. Nach Kriegsende verknüpfte Minna Faßhauer in der KPD die politische Frauenarbeit mit dem Kampf für den Weltfrieden. 1949 starb sie während einer Frauenversammlung. Sie hatte die Frauen und Mütter aufgefordert, mitzuhelfen, daß zukünftige Kriege verhindert würden. Internationale Verständigung unter den Völkern zur Erhaltung eines dauerhaften Friedens für die Menschheit waren ihre letzten Worte. Gestattet mir eine Vermutung: Lebte sie heute, würde sie uns wohl auffordern, auf die vor Hunger, Not und Krieg zu uns geflüchteten Menschen zuzugehen, sie als neue Nachbarn zu begrüßen, mit ihnen gemeinsam für ein besseres Leben für alle zu kämpfen und keine Spaltung zuzulassen. Legt den braunen Sumpf trocken, würde sie aus bitterer Erfahrung sagen! Entlarvt ihre Lügen! Entzieht ihnen den Boden für Hetze und Unmenschlichkeit! Den Bemühungen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten ist es zu verdanken, daß ein Stolperstein in der Hugo-Luther-Straße 12 an Minna Faßhauer erinnert. Eine Ehrung durch das offizielle Braunschweig wird ihr nach wie vor verwehrt. Das ist ein Skandal!
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