Ein Jahr „Pieschen für alle“, 1/3 Ein Jahr „Pieschen für alle“ Gedanken von Anja Osiander, 3. April 2016 Am 4. Februar 2015 folgten rund 40 Menschen dem Aufruf zu einem Gedankenaustausch und kamen im Stadtteilhaus Emmers zusammen, um gemeinsam zu überlegen, wie man den Haß und Unfrieden begegnen könne, der sich im Zeichen von PEGIDA in der Stadt breitmachte. Das war der Startschuß für die Initiative „Pieschen für alle“. Es folgten weitere Versammlungen, jeweils am ersten Mittwoch im Monat, teils als „Runder Tisch“ bezeichnet, teils als „Große Runde“. In diesen Versammlungen wurde vor allem beraten, was wir als Bürger*innen in Pieschen gemeinsam unternehmen wollen, um der großen Gruppe der neu Ankommenden zu helfen, aber auch, um den Zusammenhalt in den Stadtteilen im Bereich des Ortsamtes Pieschen zu bewahren. Es kamen immer wieder auch neue Interessierte hinzu; inzwischen sind 140 Adressen im Verteiler der Initiative gespeichert. Die Zahl der Teilnehmer an den monatlichen Treffen hat sich bei 25 bis 30 stabilisiert. Wenn man eine Sommerpause berücksichtigt, sind wir jetzt seit rund einem Jahr aktiv. Zeit für eine Bilanz! Was haben wir erlebt? Was haben wir gelernt? Gefällt uns das, was wir tun? Wo wollen wir noch hin? Im Folgenden will ich dazu einige Fakten und Gedanken vorstellen. *** Wie das so ist in Krisenzeiten: Man erlebt verdammt viel! Ungezählte Begegnungen jenseits von jeder Routine. Mit Menschen ganz fremder Herkunft, aber auch mit vielen bislang unbekannten Stadtteilnachbarn. Diese Dimension von „Pieschen für alle“ ist besonders wertvoll und besonders schwer zu ermessen. Besser darstellen lassen sich die konkreten Aktivitäten: Unterstützt durch einen Druckkostenzuschuß der Stadt (LHP-Pogramm), gibt es jetzt ein Faltblatt „Willkommen in Pieschen“, das in mehreren Sprachen die Angebote für Begegnungen im Bereich des Ortsamtes Pieschen aufführt. Diese Angebote sollen auch in die online-Plattform „afeefa.de“ übertragen werden. Es gibt einen Internet-Auftritt „pieschen-fuer-alle.de“, ermöglicht durch den Stadtteilverein Pro Pieschen. Darin veröffentlichen wir aktuelle Berichte und Informationen rund um das Thema Flüchtlinge in Pieschen bzw. in Dresden. Außerdem gibt es den elektronischen Rundbrief „Meldungen aus Pieschen“ und eine googlegroup, durch die sich alle 140 Interessierten in Pieschen direkt untereinander verständigen können. Unsere Arbeit wird tatkräftig unterstützt durch die Volkssolidarität (Begegnungsstätte Trachenberge), durch das Stadtteilhaus Emmers, durch die Mobile Jugendarbeit der Diakonie und durch Pro Pieschen. Der Leiter des Ortsamtes Pieschen hat immer ein offenes Ohr für unsere Anliegen. Ein Jahr „Pieschen für alle“, 2/3 Gemeinsam haben wir eine Lange Tafel der Nachbarschaft organisiert beim Stadtteilfest Sankt Pieschen im Juni 2015. Es sind einige Patenschaften entstanden, und in vielen individuellen Anliegen und Notlagen konnten wir einigen der Neu-Pieschener weiterhelfen. Die jeweiligen Kontakte sind vor allem durch eine besonders aktive Helferin entstanden, zum einen aus ihrer Zusammenarbeit mit einer Sozialbetreuerin, zum anderen durch ihre täglichen Besuche in der Notunterkunft in Übigau. Kontakte sind aber auch durch Besuche in den anderen Übergangsheimen zustandegekommen, teils auf eigene Initiative von Freiwilligen, teils vermittelt durch die Sozialbetreuer. Mehrere Kontakte entstanden auch im Verein für deutsch-kurdische Begegnungen. Für Jugendliche bereiten wir ein Breakdance-Projekt vor. Wir koordinieren die Zusammenarbeit mit der Gruppe SAXONZ, organisieren die Öffentlichkeitsarbeit und die Finanzierung. Allerdings ruht dieses Vorhaben zur Zeit wegen eines tragischen Todesfalls im familiären Kreis eines der Tänzer. Unser größter sichtbarer Erfolg sind die beiden Offenen Treffs, die jeden Donnerstag eine Möglichkeit zum Kennenlernen für Geflüchtete und Eingesessene bieten. Seit Oktober 2015 findet der KochBackTreff in der Volkssolidarität statt; er richtet sich vor allem an Frauen und Familien. Alle 14 Tage im Wechsel mit dem KochBackTreff lädt seit Januar das Café Emmers zur Begegnung ein; Billard, Brettspiele, Tischfußball und Musik bieten eine lockere Atmosphäre. Wir erreichen damit jeweils 10 bis 20 Geflüchtete und 5 bis 10 ÄlterEingesessene. Der KochBackTreff wurde 2015 durch einen Zuschuß der Stadt (LHPProgramm) unterstützt. Für 2016 haben wir für beide Treffs finanzielle Unterstützung beantragt (Integrative Maßnahmen, Sozialamt). Damit wollen wir vor allem Dolmetscher bezahlen. Die Aktivitäten von „Pieschen für alle“ ergänzten sich in diesem zurückliegenden Jahr mit den Aktivitäten anderer Akteure: • Eine Stadträtin lud im Februar 2015 zu einer offenen Bürgersprechstunde ein, bei der unter anderem wichtige Kontakte zum neugegründeten Verein für deutsch-kurdische Begegnungen entstanden. • Ein Diakon im Ruhestand organisierte unter dem Motto „Zeichen.setzen.“ eine Veranstaltungsreihe in der Weinbergskirche, wo unter anderem ein Syrer aus seiner Heimat erzählte und der Dokumentarfilm „Der Rassist in uns“ gezeigt wurde. • Der Ortsbeirat und das Ortsamt veranstalteten im Mai 2015 ein Bürgergespräch „Asyl in Pieschen“, bei dem sich Sozialbetreuer, Heimbetreiber und Initiativen im Stadtteil vorstellten. Rund 100 Bürger*innen nahmen das Angebot wahr. Auch ein Vertreter der NPD meldete sich zu Wort, fand mit seinen Fragen nach Missbrauch und Versagen in der Asylpolitik aber wenig Widerhall. Ein Jahr „Pieschen für alle“, 3/3 • In der Laurentius-Kirchgemeinde werden Spenden und Begegnungen organisiert. Vor allem findet seit Dezember 2015 (?) ein wöchentlicher Kochabend im Gemeindehaus in der Homiliusstraße statt. Jeweils rund 20 Geflüchtete nutzen die Möglichkeit gerne, darunter vor allem Bewohner der Notunterkunft in Übigau, denen die dort angebotene Lieferdienst-Verpflegung wenig schmeckt. Sie nutzen die Kochabende gerne, um ihrerseits die deutschen Gastgeber zu bekochen und einzuladen. • In Übigau entstand im Oktober 2015 die Initiative „Übigau sagt Willkommen“, die sich vor allem um die Bewohner der dortigen Notunterkunft kümmert. Sie hat ein Willkommensfest und eine Adventsfeier organisiert und bietet fast täglich Deutsch-Treffs in der Halle an. Die Liste dessen, was wir geleistet haben, ist lang. Aber es gibt auch einiges, was wir nicht erreicht haben. Aus meiner Sicht wiegt vor allem eines schwer: Wir haben kein Netzwerk von Hilfen und Helfern, das die Geflüchteten in Pieschen auffängt und ihnen den Weg zur Integration weist. Informiert, kompetent, mit sinnvoller Aufgabenteilung. Wir befinden uns damit in guter Gesellschaft. In Dresden sind rund zwanzig Willkommensinitiativen aktiv, aber ein Netzwerk, das gezielt die Knackpunkte von Integration für die Geflüchteten bearbeitet, hat sich meines Wissens nur im Stadtteil Löbtau entwickelt. Dort gibt es funktionierende Arbeitsgruppen für Begegnung, Spenden, Patenschaften sowie für Wohnungsvermittlung und für die Vermittlung in Arbeit und Ausbildung. Löbtau scheint ein besonders glücklicher Fall zu sein, begünstigt durch das Zusammentreffen einer tatkräftigen Pfarrerin mit vielen Studierenden, die ihren Alltag flexibel einrichten können und die es gewohnt sind, sich selbst zu organisieren. In Pieschen kann ich nicht erkennen, daß wir es hinkriegen, ein solches Netzwerk aus eigener Kraft zu entwickeln, spontan, in gesellschaftlicher Selbstorganisation. Irre ich mich? Selbst wenn es stimmt: Ist das so schlimm? Wie wollen wir weitermachen? Darüber möchte ich gerne mit Ihnen und Euch diskutieren. Bei der nächsten Großen Runde von „Pieschen für alle“, am 6. April 2016, 19 Uhr in der Volkssolidarität, Trachenberger Straße 6.
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