AUF ACHSE TADSCHIKISTAN GRENZ ERFAHRUNG TADSCHIKISTAN UNSERE REISENDEN PRISKA UND OLIVIER PURTSCHERT Priska Purtschert (36) ist Primarlehrerin und Olivier Purtschert (40) Eventtechniker. Beide sind schon länger vom Motorradvirus befallen. Bis vor drei Jahren waren sie als Team im modernen Strassenrenngespann in der Deutschen wie auch in der Weltmeisterschaft unterwegs. Nach ihrem Abschied von den grossen Rennstrecken suchten sie eine neue Herausforderung und fanden diese im Endurosport. Diese Tour ist nichts für Warmduscher: 14 Tage lang geht es durch das Herz Zentralasiens, durch dessen Kultur, Strassen und Landschaften, auf 3500 Höhenmetern dem Pamir entlang. Ein gigantisches Erlebnis für jeden Endurofreund. Ganz oben: Das Bartangtal liegt inmitten des Pamir, eines Gebirges in Zentralasien, das sich über Teile Tadschikistans, Afghanistans und West-Chinas erstreckt. Links: Morgenstimmung am Yashilkulsee im Pamir auf 3734 m im Süden von Tadschikistan. TEXT: PRISKA PURTSCHERT! BILDER: OLIVIER PURTSCHERT Nr. 7/2016 — www.motosport.ch 38 39 Nr. 7/2016 — www.motosport.ch AUF ACHSE MAN MEINT IMMER, grosse Abenteuer würden eine Menge Zeit erfordern. Aber nicht jeder hat mal schnell drei Monate übrig, um die Welt zu bereisen. MuzToo, ein Schweizer Anbieter für Reisen in Zentralasien mit Sitz im kirgisischen Osh, ermöglichte uns ein solches Abenteuer: in zwölf Tagen auf dem Motorrad über das Pamirgebirge. Die Tour war in groben Zügen geplant, liess aber auch viel Spielraum für eigene Abstecher. Schnell war die passende Gruppe gefunden. Neben meinem Mann Olivier und mir konnten wir noch Beni und Sepp, zwei begeisterte Motorradfahrer, für unsere Idee gewinnen, und mit Adi hatten wir, wie sich herausstellen sollte, die ideale Besetzung für das Begleitfahrzeug gefunden. Urs von MuzToo ergänzte dann als Guide die Gruppe. ÜBER ABENTEUERLICHE BRÜCKEN!… Per Flugzeug geht es nach Osh, dort nehmen wir die Töff vom Typ Yamaha XT!600 in Empfang und fahren auf Erkundungstour, um herauszufinden, wie es um unsere Fahrkünste steht. Ein klein wenig beunruhigt bin ich schon als einzige Frau, aber schnell stellt sich heraus, dass wir eine in jeder Hinsicht sehr homogene Gruppe bilden. Dem Tourstart am nächsten Morgen steht also nichts mehr im Weg. Von Osh geht es über Sary Tash in Richtung Pik Lenin, wo ich mir wegen eines Stacheldrahts bereits den ersten Plattfuss einfange. Über wirklich abenteuerliche Brücken und einen gut 4200 m hohen Pass gelangen wir schliesslich zur tadschikischen Grenze. Vorbei am Karakulsee verlassen wir schon bald den staubigen Pamir-Highway und rasen über unendlich weite Ebenen. Es dauert nicht lange, und schon kommt die erste Flussdurchfahrt, bei der mir doch tatsächlich mitten drin die Kette rausspringt. Das Motorrad auf 3800 Höhenmetern durch den Fluss zu schieben, ist beileibe keine einfach Aufgabe. Ich fühle mich danach, als hätte ich einen Marathon absolviert. Die nächste Flussdurchfahrt lässt nicht lange auf sich warten. Dieser Fluss scheint ziemlich tief zu sein, und so schicken wir Adi mit seinem Land Cruiser voraus, um die Lage zu checken. Während wir anderen noch skeptisch die heikle Situation diskutieren, befindet einer unserer Töffkollegen die Durchfahrt bereits als machbar und stürzt sich mutig in die Fluten. Schon in der Mitte des Flusses ist allerdings Schluss mit lustig: Fahrer und Maschine gehen baden. Nachtlager im Tausend-Sterne-Hotel in der Bilderbuchlandschaft der Pamir-Hochebene. …!UND REISSENDE FLÜSSE Der nächste Versuch ist von ebenso wenig Erfolg gekrönt, denn mitten im reissenden Wasser verliert der Unglücksrabe die Kontrolle und kann gerade noch abspringen und so verhindern, dass die Yamaha ganz im Fluss landet. Allerdings bleibt er am Gas hängen, die Maschine vollführt eine 180!°-Wende und rumpelt unkontrolliert auf derselben Seite wieder ans Ufer. Es muss definitiv eine seichtere Stelle her. Etwas weiter flussabwärts schaffen wir es dann doch alle noch auf die andere Seite. Dort schlagen wir an einem atemberaubend schönen Platz unsere Zelte auf. Am nächsten Morgen müssen wir wieder über den berüchtigten Fluss vom Vortag, und wie könnte es anders sein, schon geht der nächste ba- Zentralasiatisches Wüstenschiff: Kamele sind Transporter und auch Fleischlieferanten. Nr. 7/2016 — www.motosport.ch 40 den. Weiter fahren wir über Schotter und Geröll, die Tour hat wirklich alles zu bieten, was das Offroadherz begehrt. Schliesslich führt eine steile, exponierte Piste hinunter ins Bartangtal. Die Strasse ist nichts für schwache Nerven und verlangt vor allem unserem Vierradfahrer alles ab. Unten im Bartangtal wird erneut gezeltet, und den ganzen folgenden Tag benötigten wir, das Tal zu passieren, um wieder zurück auf den Pamir-Highway zu gelangen. Ausgangs Bartangtal ist die Strasse vom reissenden Fluss überflutet. Keine Überraschung also, dass ich in einer riesigen Pfütze als nächste auf Tauchstation gehe. Schliesslich schaffen wir es ohne weitere Zwischenfälle nach Khorog, der zweitgrössten Stadt im Pamir. Wir beziehen (endlich mal wieder) ein Oben: Einige Flussüberquerungen wurden schon mal zur Mutprobe. Rechts: Geschlagene drei Stunden dauerte es, bis der Begleit-Jeep aus dem Schlamm befreit war. 41 Nr. 7/2016 — www.motosport.ch AUF ACHSE Hotel mit Dusche und WC und machen uns am nächsten Tag auf zu einer Tagestour, einem Abstecher zum Turumtai Kul, einem See auf 4200 m Höhe. Der Aufstieg ist Hardendurospass vom Feinsten, und mir blutet das Herz beim Gedanken an meine 350er-Husky, die zu Hause untätig in der Garage steht. Der Trail ist überwältigend und die Flussdurchfahrten eine kniffliger als die andere, sodass auch der letzte Ungetaufte von uns noch baden geht. NICHTS GEHT MEHR IM S CHLAMM Laut Karte sollte die Strasse eigentlich durchgehend sein, doch oben am See ist sie plötzlich zu Ende, und zu allem Übel gerät auch noch der Land Cruiser in zähen Schlamm, wo er trotz Gegenwehr schliesslich stecken bleibt. An der Befreiung des Wagens beissen wir uns trotz Allrad, Differenzialsperre und Untersetzung regelrecht die Zähne aus. Nach drei Stunden graben, mit dem Wagenheber aufbocken, Gepäck ausladen, Pfähle für die Seilwinde einschlagen, weil es keinen einzigen Baum weit und breit gibt, und nach einer Schlammschlacht wie sie im Buche steht, bekommen wir den Jeep tatsächlich wieder frei und machen uns bereits in der Dämmerung auf den Rückweg. Leider nicht ohne noch einen weiteren Platten bei einem unserer Motorräder einzufahren. Das Hotel in Khorog ist nun nicht mehr zu erreichen. Am Strassenrand stossen wir auf eine einheimische Familie, die uns Asyl gewährt, und so teilen sich in dieser Nacht sechs Reisende, Mutter, Vater und Kind ein einziges Zimmer. Die Gastfreundschaft ist höchst beeindruckend. AUF ACHSE REISEINFO: TADSCHIKISTAN Mit den ersten Sonnenstrahlen stehen wir am nächsten Morgen auf und bringen unseren Abstecher zu Ende. Zurück in Khorog hängen wir eine weitere Nacht im Hotel an, um uns von den unvorhergesehenen Strapazen zu erholen. Anderntags besorgen wir am Morgen schnell das Nötigste auf dem örtlichen Bazar und fahren los durchs Wakhantal entlang der afghanischen Grenze in Richtung Murghab. Bemerkenswert ist, wie verschieden die Leute sind, obwohl sie nur durch einen Fluss getrennt werden: auf der tadschikischen Seite die vielen bunt gekleideten Frauen mit ihren locker gebundenen Kopftüchern und auf der afghanischen Seite die komplett vermummten Frauen in ihren schwarzen Burkas. Die Republik Tadschikistan ist ein Hochgebirgsland, das an Usbekistan, Kirgisistan, die Volksrepublik China und an Afghanistan grenzt. Es hat eine Fläche von 143!100 km2 (3,5 mal so gross wie die Schweiz) und rund 8 Mio. Einwohner. Mehr als zwei Drittel der Fläche sind Hochgebirge. Fast die Hälfte des Landes liegt auf über 3000 m und höher. Der Osten wird vom Pamir-Gebirge und vom grössten Teil des Pamir-Hochlandes geprägt. Dort befindet sich auch der höchste Berg des Landes, der 7495 m hohe Pik Ismoil Somoni (früher Pik Kommunismus). FREIE SICHT AUF DIE SECHSTAUSENDER Der Ausblick auf der Weiterfahrt ist grandios. Da Afghanistan in diesem Bereich nur einen schmalen Korridor bildet, haben wir freie Sicht auf die verschneiten Sechstausender des pakistanischen Hindukush. Leider fährt an diesem Tag auch unser Begleitfahrzeug seinen ersten Platten ein. Keine grosse Sache, Reserverad drauf und weiter. Nur leider ist dieser Reifen schon etwas in die Jahre gekommen und hält lediglich ein paar Stunden durch. Dann wird es etwas komplizierter, denn nun heisst es, einen neuen Pneu aufzie- Links: 1 PS (pardon, ES)-Holztransporter. Unten: Das Stilfser Joch von Kirgistan – jedoch mit Schotterstrasse und ohne Verkehr. ROUTE/DISTANZ Osh – Sary Tash via Papansee – Aussichtspunkt Pik Lenin – Grenzübertritt Tadschikistan – Karakul – Bartangtal – Barchadif – Khorog (Abstecher: Khorog – Roshtqala – Turumtaikul – auf dem Pamirhighway zurück nach Khorog) – Bibi Fatima – Bulunkul – Murghab – Sary Tash – Osh. Total ca. 2100 km. Im Norden erstreckt sich die Gebirgskette des Alai. Nur im äussersten Norden besitzt Tadschikistan mit einem Teil des Ferghanatals Tiefland, das durch den grössten Fluss, den Syrdarja, bewässert wird und intensiv ackerbaulich genutzt werden kann. Im grössten Teil Tadschikistans ist wegen der Höhenlage und des Reliefs nur extensive Viehzucht möglich. Der grösste See ist der Karakul im Osten. Das Klima ist extrem kontinental mit kalten Wintern und heissen Sommern (bis zu 45!°). Nr. 7/2016 — www.motosport.ch 42 Reisezeit/Dauer: Mai bis September, 16 Tage inkl. Hin- und Rückreise. Anfrage eine Speisekarte mit englischer Übersetzung an. Anreise: Zürich – Istanbul – Osh mit TurkishAirlines, ca. CHF 850.–. Besonderes: Beim Wassertrinken direkt vom Hahn oder von Bächen und Flüssen ist höchste Vorsicht geboten, Magen-Darm-Probleme sind sonst vorprogrammiert. Einreiseformalitäten/Visa: Visum für Tadschikistan CHF 100.–, Erlaubnis für Reisende ins Pamirgebirge CHF 30.– (wird alles vom Veranstalter besorgt). Für Kirgisistan brauchen Schweizer kein Visum. Verkehr/Strassen: Es wird meist offroad gefahren, der Veranstalter umschreibt die Tour als schwer. Geld/Währung: Kirgisistan: Som (1000 Som = ca. CHF 14.–); Tadschikistan: Somoni (100 Somoni = ca. CHF 13.–). Unterkunft: Übernachtungen in Zelt, Jurte, Hotel und Homestays bei Einheimischen, für Verpflegung ist vollumfänglich gesorgt. Sprache, Verständigung: Mit Russisch kommt man fast überall durch. Englisch wird kaum gesprochen, einige wenige Restaurants bieten aber auf 43 Organisation/Buchung: Wir buchten bei MuzToo die Bartang-Tour zum Preis von CHF 4280.–, exkl. Flug Zürich – Osh – Zürich, Visa und alkoholische Getränke. Gefahren werden Yamaha XT 600. MuzToo GmbH, Walhallastrasse 22, 9320 Arbon. Tel. +41 (0)71 440 11 72, www.muztoo.ch Reiseführer: Tadschikistan mit Duschanbe, Pamir und Fan-Gebirge von Sonja Bill und Dagmar Schreiber, Trescher Verlag, CHF 26.90, z. B. über www.buch.ch Karte: The Pamirs 1 : 500 000, Tourist Map of Gorno-Badakhshan, ISBN 978-3-906593-35-5, CHF 24.90, z. B. über www.buch.ch Nr. 7/2016 — www.motosport.ch AUF ACHSE Oben: Kirgisischer Heutransport mit Überbreite. Ganz links: Kirgisische Kinder beim Versuch, uns Westlern einen Volkstanz beizubringen. Links: Asyl bei einer einheimischen Familie, nachdem der Tagesplan wegen Schlamm und Plattfuss flöten ging. hen; keine leichte Aufgabe bei einem Geländewagen und mit blossen Händen. Da unsere Gruppe aber aus überdurchschnittlich vielen handwerklich begabten Personen besteht, wird auch das mit viel Schweiss gemeistert, sodass wir unser Hotel in Bibi Fatima bei den heissen Quellen noch beizeiten erreichen. STOTTERN UND S CHWARZER RAUCH Wer will, kann am nächsten Morgen statt wie bisher ungewollt in einem eiskalten Fluss in einer 43 Grad heissen Quelle baden, bevor es wieder die steile Strasse hinunter ins Tal geht. Inzwischen leidet bereits die halbe Gruppe an den Folgen des etwas speziellen Essens. Aber mal ehrlich, jeder weiss doch, dass man bei einer solchen Reise den Durchfall gleich mitbucht. Das Essen war an sich weniger schlimm, als wir erwartet hatten. Mehr Mühe bereiteten uns da schon die hygienischen Bedingungen. Von den Toiletten zum Beispiel verdienten die wenigsten auch nur ansatzweise den Namen. Über den 4320 m hohen Khargush Pass müssen wir zwischenzeitlich Pause einlegen und die Luftfilter putzen, weil bis auf verzweifeltes Stottern und schwarzer Rauch von unseren Töff nichts mehr kommt. Vorbei an einer Kamelherde erreichen wir schliesslich den Bulunkulsee und am nächsten Tag Murghab, eine grässliche Stadt, genauso wie das Hotel, das wir beziehen. Als ich abends etwas an die Garderobe hängen will, bricht doch glatt der Boden durch. NOCH EIN VIERTAUSENDER Dann geht unsere eindrückliche Reise leider langsam dem Ende zu. Noch ein 4655 m hoher Pass und der Grenzübertritt zurück nach Kirgisistan stehen uns bevor. Kaum sind wir dort, kehren wieder Leben und Farbe in die Natur zurück. Es ist kein Vergleich zu der kargen Landschaft des Pamirs. Wir machen noch einen letzten Abstecher zu zwei Kohleminen, und nach weiteren 250 km erreichen wir wieder unseren Ausgangspunkt Osh. Unser Fazit? Es braucht keine drei Monate, um so viel Abenteuer zu erleben, wie wir dies in nur 14 Tagen erfahren durften. " Nr. 7/2016 — www.motosport.ch 44
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