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MABGAEEIS
lichen Sinne geblieben, in dem die Sprachgeschichte entweder im
Dienste der Literaturgeschichte oder eines sie beide übergreifenden,
die Einheit >Deutsche Philologie< bestimmenden Interesses steht.
Paul hat diese Einheit zwar nie explizit in Frage gestellt5, sie jedoch durch seine germanistische Praxis negiert: Indem er die Erforschung der deutschen Sprache und ihrer Geschichte in bewußter
Verbindung zur allgemeinen Sprachwissenschaft, deren Fragestellungen und Methoden betrieb, hat er bereits die Trennung verwirklicht, die sich in der heutigen Aufteilung des Faches dokumentiert. Paul ist in diesem Sinne der erste Vertreter einer von theoretischen Grundlagen und Erkenntnisinteressen her eigenständigen
germanistischen Sprachwissenschaft.
Die Einheit der Deutschen Philologie lag für Paul wesentlich im
einheitlich (geschichts)wissenschaftlichen Charakter ihrer Teilbereiche.« Seine Behandlung sprach- und literarhistorischer Fragestellungen konnte (und durfte) sich von daher nicht wesentlich
unterscheiden. Die dabei für Paul charakteristische durchgängige
Art des Zugriffs beschreibt von Kraus als aus »ein[em] überaus
scharfe[n] Verstand« herrührend, »der das Gefühlsmäßige bewußt
in den Hintergrund drängte«; »seine Argumente wollten nicht der
Phantasie des Hörers oder seinem künstlerischen Empfinden
schmeicheln, er war nicht darauf aus, zu überreden, sondern zu
überzeugen. Die Tatsachen, nicht das Bild, das sie in dem einzelnen
wechselnd hervorrufen, waren das Ziel seiner Absichten« (1922,
l Sp. l f.). Diese Eigenart wird schon (oder gerade) in den überwiegend literarhistorischen und textkritischen Arbeiten der siebziger Jahre sinnfällig greifbar.7 Treffend gekennzeichnet ist durch
als dankbare echüler Zarnckes, aber eben deshalb, weil er niemals
etwas anderes erstrebt hat, als unser urteil zur Unbefangenheit und
Selbständigkeit heranzubilden, und nichts sorgfaltiger von uns abgehalten hat als blinde Unterwerfung unter irgend eine autoritat.
Wir haben nichts specielles, was uns von unsern mitfonchern trennen könnte, soweit diese nicht sich selbst absondern, um eine
clique zu bilden, die noch andere normen anerkennt als die, welche
aus den gesetzen des denkens und der natur der dinge fressen.«
1
Er warnte sogar vor ihrer Auflösung, vgl. GG, 158. Es ist aber
leicht zu sehen, daß für Paul die Einheit des Fachs, sofern es nicht
eine heuristische ist, in etwas beruht, das nicht nur dessen Teilbereichen, sondern sämtlichen Geschichtswissenschaften eignet.
•7 Vgl. ML, passim, vor allem 8. 159-177.
Eine vollständige Übersicht gibt das Pauls Vita (HPV) beigegebene
Schriftenverzeichnis. Aufschlußreich für Pauls Haltung zur Berli-
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HERMANN FAUL
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von Kraus* Formulierung auch der Gegensatz zu Vertretern der
>Berliner Schule<, vor allem zu Scherer, ein Gegensatz, der sich in
diesen Jahren zur erbitterten Feindschaft verschärfte.8 Worin das
Ausmaß dieser Erbitterung gründet, das ja mit dem unmittelbaren
wissenschaftlichen Anlaß, dem sog. >Nibelungenstreit<, kaum erklärt werden kann, ist, unter Verweis auf die Unterschiede in
Temperament, Lebensart und politischer Offenheit der Kontrahenten, mehrfach erörtert worden9, durchaus mit einigem Anspruch auf
Plausibilität. Zumindest zur Erklärung von Pauls Unversöhnlichkeit hat man jedoch daran zu erinnern, wie fundamental seiner
Überzeugung nach die methodischen Grundsätze waren, die er
durch Scherer sowohl fortwährend verletzt als auch geleugnet sah;
Kompromisse konnte es von daher nicht geben. Es ging Paul ja
nicht, wie Scherer unterstellte, um »das Mechanisieren der Methoden« oder die Bekämpfung der schöpferischen wissenschaftlichen
Phantasie10, sondern lediglich um die Anerkennung der methodischen Konsequenzen, die sich aus der für ihn - mit Recht - unbestreitbaren Gebundenheit jeder wissenschaftlichen Erkenntnis
an Verifikation11 ergaben: Es war dies einmal der heute ebenfalls
ner Schule, vor allem Scherer, sind vor allem >Kritische Beiträge zu
den Minnesingern^ PBB 2 (1875), S. 406-504 (vgl. hierzu Briefwechsel Müllenhoff-Scherer [Leitzmann 1937], S. 584f.) sowie >Zur
Nibelungenfrage<, PBB 3 (1876), S. 373-490 und seine methodenkritische Replik (NPM) zu Hennings Rezension (AfdA 4 [1878],
S. 46ff.) dieser Arbeit.
9
Die in den Briefwechseln Scherers mit Müllenhoff (vgl. Müllenhoffs Briefe vom 18. 2. 1874, 8.2.1876, 4. 2. 1877 [Leitzmann 1937])
und mit Erich Schmidt (vgl. den Brief Nr. 130, ca. 14. 6. 1879) für
Paul gebrauchten Epitheta sprechen für sich, ebenso der scharfe
Ton, den Paul bei der Rezension verschiedener Arbeiten Scherers
anschlug, vgl. dazu auch die Einleitung Richters zum Briefwechsel Scherer-Schmidt, S. 29. Pauls negative Beurteilung Scherers hat sich nie gemildert, vgl. GG, 143f., HPV, 496.
• Zuletzt bei Fromm, in diesem Bd. S. 21-25.
" Scherer AfdA 4 (1878), S. 105; vgl. NPM, 438 und 443.
11
Pauls begriffliches Pendant hierzu ist motwendiger Kausal zusammenhang< - natürlich auf der Basis der Berücksichtigung
sämtlicher Tatsachen bzw. »Quellen« (ML, 166); vgl. ML, 164f.:
»Ohne Ergänzung des Gegebenen durch Schlüsse ist keine historische Erkenntnis möglich. [. . .] Diese Ergänzung ist nur dadurch
möglich, daß zu dem Gegebenen etwas nicht Gegebenes als unmittelbare oder mittelbare Ursache oder Folge gesetzt wird. Durch
solche Ergänzung wird auch ein Kausalzusammenhang zwischen
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MABGAJBLEIS
unbestrittene Wert der sog. »negativen Kritik«11, ferner die Anerkennung der möglichen Unentscheidbarkeit eines wissenschaftlichen Problems;13 in beiden sah Paul, wieder für sich genommen
mit Recht, die einzige Garantie sowohl gegen Dogmatismus als
auch bloße Spekulation, die für ihn zwei Seiten der selben Sache
darstellten. Freilich muß diese Methode, soll sie ihrem Ziel der
11
11
den gegebenen zunächst vereinzelten und fragmentarischen Thatsachen hergestellt. [. . .] In der Ableitung von Ursache und Folge
aus dem vorliegenden Quellenmaterial geht die ganze Thätigkeit
des Philologen auf. [. . . Sie] beruht natürlich auf der Voraussetzung, daß die Kausalverknüpfung auf psychischem wie auf
physischem Gebiet eine notwendige ist, die nach ewigen allgemeinen Gesetzen erfolgt. Sobald man etwas von solchen Gesetzen Unabhängiges, Willkürliches im Spiel sein läßt, muss man auch darauf
verzichten, durch Schlüsse die historische Wahrheit zu ermitteln,
und ist auf den Glauben angewiesen. Es ist nun auch einleuchtend,
dass zu solcher Thätigkeit nicht die Handhabung der formalen
Logik genügt, dass vielmehr die Kenntnis der allgemeinen Gesetze
des Geschehens erforderlich ist, des physischen und des psychischen
und der Wechselwirkung zwischen beiden.«
Dem »Wie« der Detailermittlung von Tatsachen und Kausalzusammenhängen ist Pauls ganze Methodenlehre gewidmet.
»Die gestaltende tätigkeit der phantasie zu bekämpfen ist mir niemals in den sinn gekommen. Aber ich behaupte, dass sie zu wissenschaftlicher Verwendung erst gelangen kann durch die engste Verbindung mit einer negativen kritik. Die aufgäbe derselben wird
erstens sein zu verhindern, dass unstatthafte Hypothesen geltend
gemacht werden. [. . . das sind] nicht bloss solche, welche den
dienst nicht leisten, für den sie zu hülfe gezogen sind, sondern
auch alle diejenigen, die in sich oder mit anderen feststehenden
tatsachen zusammengestellt, Widersprüche und imWahrscheinlichkeiten enthalten« (NPM, 443).
»Aber noch ein anderer zweck ist es, dem diese negative kritik dient.
Was uns die positiv gestaltende tätigkeit der phantasie an die hand
gibt, ist nichts anderes als eine grössere oder geringere zahl von
eventual i täten, unter denen die geforderte Verknüpfung der überlieferten tatsachen möglich wird. Es kann sein, [. . .] dass mehrere
in völlig oder annähernd gleichem maasse [. . .] gestützt werden
können. Und dann kann uns nichts berechtigen, einer von ihnen
den vorzug zu geben, ausser wenn wir alle übrigen als auf Widersprüche und unwahrscheinlichkeiten führend ausschliessen können.« (NPM, 443)
Der Kampf gegen das »resultat um jeden preis« - auf diese Formel bringt Paul das Vorgehen Scherers und der Berliner Schule allgemein (NPM, 445) - ist Pauls zentrales Anliegen, vgl. NPM, 444447; ML, 169 und noch HPV, 497.
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Wahrheitsfindung optimal dienen, in Wechselwirkung mit ständiger bewußter Theoriebildung stehen. Deren Bolle hat Paul zweifellos unterschätzt14; der Gefahr eines neuen Dogmatismus, die der von
ihm unbewußt eingeräumte Primat der Methode mit sich bringt,
ist er auch zuweilen nicht entgangen.15 In der Kontroverse mit der
Berliner Schule wurde diese Gefahr jedoch nicht wirklich virulent.
Sie wurde weder auf den richtigen Begriff gebracht, noch immer an
den dafür geeigneten Problemstellungen demonstriert. Im Gegenteil : Die Art der verhandelten Probleme konnte vielfach nur dazu
14
1§
Dies zeigt sich darin, daß Paul bestimmte Hypothesen dann doch
für besonders plausibel, für »evident« hält und aus ihnen Methoden
ableitet, statt sie zu überprüfen, vgl. schon PSG, Vorrede zur
zweiten Auflage (1886): »[. . .] die Wissenschaft [wird] nicht vorwärts gebracht durch komplizierte Hypothesen, mögen sie auch
mit noch so viel Geist und Scharfsinn ausgeklügelt sein, sondern
durch einfache Grundgedanken, die an sich evident sind, die aber
erst fruchtbar werden, wenn sie zu klarem Bewusstsein gebracht
und mit strenger Konsequenz durchgeführt werden.« Wie stark
dies gerade für die von Paul für evident gehaltenen Grundannahmen zu Entstehung und Verlauf des Lautwandels zutrifft, hat
Weinreich (Weinreich/Labov/Herzog 1968, 104fF.) gezeigt.
Er betrifft sowohl wissenschaftliche Gegner wie Freunde, vgl. Paule
Auseinandersetzung mit Schuchardt (s. Anm. 22) und folgenden
Brief Osthoffs an Paul (NHP/Osthoff, 10. 7. 1882): »[Ich] kann
[. . .] Deinen neulichen vorwürfen auch nur zu einem teile sachliche berechtigung zuerkennen. Glaube mir: unsere vielgepriesene
methode gebe ich gerne preis, wenn anders methode mit Schablone
identisch werden soll. Jetzt in Baden habe ich zum ersten male den
eindruck gehabt, in wiefern etwas richtiges an dem Dir von Scherer
gemachten vorwürfe sei, dass Du »die methoden zu mechanisieren
suchest«. Bei gleicher methode kann Osthoffsche sowie Brugmannsche und Sieverssche eigenart zu untersuchen und darzustellen, wol
bestehen bleiben neben Paulscher weise; wenn auch ein jeder von
uns, aber hinwiederum Paul ebensowol wie wir anderen, sich zu
vervollkommnen nach kräften bestrebt sein soll.
Ausserdem scheinst du mir etwas einseitig neuerdings nicht genügend zu berücksichtigen, wie schon allein das arbeiten auf verschiedenem gebiete und mit vielfach anderen Zielpunkten für die
Indogermanisten Brugmann und Osthoff eine andere art zu untersuchen bedingt als für die specialisten wie Paul, Sievers, Kluge.
Das gilt z.b. hinsichtlich der Stellung zur etymologic, gegen die
Du und Deinesgleichen Euch immerhin ablehnender verhalten
möget, ohne Brugmann und mir das recht oder die pflicht zur beschäftigung damit absprechen zu dürfen«.
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beitragen, die relative Überlegenheit von Pauls methodischer Position zu bestätigen.16
Daß Paul diese Position mit solcher Überzeugtheit vertrat, hängt
offensichtlich mit seinen Erfahrungen auf sprachwissenschaftlichem Gebiet zusammen. Bei der unterschiedlichen Rolle, die Individualität und Zufall in Sprach- und Literaturgeschichte spielen,
sind ja auch »die Grenzen unserer Erkenntnis« (ML, 169) in beiden
Bereichen unterschiedlich weit gesteckt; das Gefühl des wissenschaftlichen Erfolgs, den letzten Endes nur die Gewinnung »des«
richtigen Resultats, nicht die Ausschaltung einer gewissen »zahl
von eventualitäten« gewährt, stellt sich damit in der Sprachwissenschaft weit leichter ein, zumindest für die Aufgaben, die sie sich in
der damaligen Zeit stellte. Diesem Gebiet hatte sich Paul Anfang
der siebziger Jahre zugewandt. Durch Leskien von der Richtigkeit
der einige Jahre später so genannten junggrammatischen Anschauungen überzeugt, war sein sprachwissenschaftliches Betätigungsfeld zunächst natürlicherweise die Laut- und Formenlehre der germanischen Sprachen. Das Bestreben, diese »mit der neugewonnenen Betrachtungsweise zu durchdringen« (Braune 1922,
502), verwirklichte er von Anfang an mit methodischer Entschiedenheit: Schon seine erste, Ostern 1873 erschienene Untersuchung
>Zur Lautverechiebung< (PBB l [1874], S. 147-201) ist vollständig
junggrammatisch im Geiste, sowohl in ihrem Versuch der genauen
lautlichen Bestimmung der Schriftzeichen, der phonetisch realistischen Rekonstruktion der Lautverschiebungs-Stadien, als auch
dem Bemühen um Aufstellung und strengere Durchführung der
entsprechenden Lautgesetze, auch wenn dieser Bemühung der
letzte Erfolg bekanntlich versagt blieb.17 Dieser Erfolg stellte sich
" Dies gilt vor allem für Scherers >Zur Geschichte der Deutschen
Sprache< (2. Aufl. Berlin 1878), die Paul (JLZ [1879], Sp. 307-311)
rezensierte. Pauls Urteil darüber ist hart, aber angesichts des schon
damals durch methodische Arbeit Erreichbaren berechtigt. Dem
wohl kontextbedingt günstigen Urteil Richters über dieses Werk
(Briefwechsel Scherer-Schmidt, Einleitung, S. 16f.) sei Fringe* Auffassung (1933, 15) gegenübergestellt: »[Die Junggrammatiker]
haben zugleich das Verdienst die Gefahr gebannt zu haben, die von
W. Scherers Geschichte der deutschen Sprache drohte. H. Paul hat
über dies Buch hart geurteüt. Wir wundern uns heute, daß es auf
die Zeitgenossen einen so tiefen Eindruck machte«.
17
Dennoch haben Pauls Ergebnisse die Aufstellung des Vernerschen
Gesetzes maßgeblich vorbereitet, vgl. Streitberg/Michels/Jellinek
1936, 284 f.
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in den späteren lautgeschichtlichen Arbeiten - hervorzuheben sind
vor allem die beiden großen Untersuchungen über den germanischen
Vokalismus, die Paul explizit in den Rahmen des junggrammatischen Programms stellte18 - reichlich ein; viele seiner dort und in
den 1879 bis 1884 erschienenen >Beiträge[n] zur geschiente der lautentwicklung und formenassociation< erzielten Ergebnisse, lautgesetzliche und andere, sind »Gemeinbesitz der germanischen Grammatik geworden und aus ihrem Bestand gar nicht wegzudenken«.19
Das junggrammatische Programm, das Paul in diesen Arbeiten
zunächst vor allem als methodisches begriffen und theoretisch vorbehaltlos propagiert hatte20, stand bekanntlich seit 1876 im Mittelpunkt heftiger Auseinandersetzungen, die in der großen LautgesetzKontroverse Mitte der achtziger Jahre kulminierten.21 An dieser
Auseinandersetzung nahm Paul direkt nicht teil, indirekt aber doch
in doppelter Weise, einmal als Rezensent, wobei er sich vor allem
mit Schuchardt in einen aufschlußreichen Disput verwickelte22, vor
18
Die vocale der flexions- und ableitungssilben in den ältesten germanischen dialekten, PBB 4 (1877), S. 315-475; Zur geschichte des
germanischen vocalismus, PBB 6 (1879), S. 1-256, beide zusammengefaßt als Separatum 1879 erschienen (= GV). Pauls Sicht des
junggrammatischen Programms ist in den jeweiligen Einleitungen
dargestellt; wichtig sind vor allem seine viel zu wenig beachteten
Ausführungen zur methodologischen Rolle der Analogie für die
Lautgesetzfrage (GV, 165ff.).
19
von Kraus 1927, 207. Zur Würdigung dieses Teils von Pauls Werk
vgl. Streitberg 1922/23. Freilich hat die vollständig junggrammatisch bestimmte Handbuchtradition auch manches zum gesicherten Bestand werden lassen, das durchaus fragwürdig ist, so etwa
Pauls Lautgesetz für die nhd. Dehnung und Kürzung (vgl. Reis,
1974).
10
So übernahm Paul zunächst bedenkenlos die Auffassung von Lautgesetzen als Naturgesetzen, entsprechend die Charakterisierung
dee Gegensatzes von Lautgesetz vs. Analogie als physiologisch vs.
psychologisch (GV, 165 und 167). Beides wurde schon in der ersten
Fassung der >Prinzipien< (1880, 55) zurückgezogen, vgl. PSG, 68 f.
21
Hierzu Wilbur 1977, Einleitung. - Wie Paul zu den diese Kontroverse führenden Junggrammatikern (und überhaupt zur junggrammatischen >Partei<) steht, wird in der Forschung (Putschke
1969, Jankowsky 1972, Wilbur 1977) nicht einheitlich dargestellt;
ich verweise deshalb auf die von Paul selbst (RHS, 1-3) gegebene
Darstellung sowie die diesbezügliche >Genealogie< von Behaghel
(1882, 121f.).
21
Paul hat sowohl die Beiträge von Brugmann und Delbrück zu dieser Kontroverse als auch den Beitrag Schuchardts besprochen
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MAKG A REIS
allem aber durch seine von allen Kontrahenten argumentativ benutzten >Prinzipien der Sprachgeschichten Paul hatte sich ja,
anders als viele seiner junggrammatischen Parteigenossen, nicht
dabei beruhigt, daß der Erfolg auf dem Gebiet der sprachwissenschaftlichen, vor allem indogermanischen Einzelforschung ihren
Grundsätzen in jedem Falle recht gebe, also bei einer Art >Inductionsbeweis< (Brugmann 1885, 38). Vielmehr suchte Paul nach einer
theoretischen Rechtfertigung. Es war ihm »[durch den Widerspruch] ein antrieb gegeben, durch zurückgehen auf die grundlagen
alles sprachlebens zur klarheit zu gelangen. Dies war der nächste
anlaß zur entstehung meiner Prinzipien der Sprachgeschichte, die
1880, in zweiter erweiterter aufläge 1886 erschienen. Natürlich
durfte ich mich aber darin nicht auf die gerade umstrittenen fragen
beschränken, sondern mußte alle Seiten der Sprachentwicklung
gleichmäßig berücksichtigen. Dabei suchte ich vor allem zu zeigen,
welche bedeutung die Wechselwirkung der Individuen aufeinander
für die entwicklung der spräche hat« (HPV, 497).
Obwohl die >Prinzipien< im Nachhinein als das »eigentliche [. . .]
Programm der neuen Lehre« (Dittrich 1899, 539), die »Bibel der
Junggrammatiker« (vgl. Wilbur 1977, LI) galten, war ihre Aufnahme in der Fachwelt zunächst durchaus zwiespältig. Daß sie bei
den Gegnern der Junggrammatiker keine Gnade finden würden,
war dabei zu erwarten. Doch auch den Freunden und Gesinnungsgenossen, die die >Prinzipien< summarisch zur theoretischen Recht(RBD und RH8); zu diesem gibt es eine »Erwiderung« von
Schuchardt (LblgrPh 7 [1886], Sp. 80-83), und darauf (ebd., 83f.)
ein kurze Replik Pauls. - Dieser Disput bietet ein gutes Beispiel
für die dogmatischen Auswirkungen von Pauls methodischem
Standpunkt (vgl. o. Anm. 14): Wenn Schuchardt am Beispiel des
Satzes von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze und seiner Voraussetzungen zu Recht einwendet:»[...] unzulässig ist es, ein wissenschaftliches Verfahren mit einem wissenschaftlichen Theorem ohne
weiteres zu identifizieren« (1885, 29f.) und darauf hinweist, daß es
nicht darum gehe, dem Untersuchungsbereich qua Verfahren eine
einfache Gesetzlichkeit von außen aufzuprägen, sondern die ihm
innewohnende Gesetzlichkeit (und sei sie noch so kompliziert) aufzudecken (ebd., 30f.), vermag Paul darin nur das Streben nach
methodischer Lizenz zu erblicken: »der Verf. [. . .] will auch in der
Wissenschaft seine Gedanken spazieren führen dürfen« (RHS, 6).
Den empirischen Gehalt von Schuchardts These der vollständigen
Sprachmischung hat er entsprechend völlig verkannt.
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HEBMANN PAUL
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fertigung ihrer Grundsätze anführten18, blieb Pauls methodisches
Anliegen und sein stark psychologisch durchdrungener theoretischer Ansatz im eigentlichen fremd ;24 sieht man von Wegener (1882)
ab, stammt weder die eingehendste Würdigung noch das wärmste
Lob für die Erstauflage der >Prinzipien< von ausgesprochenen Junggrammatikern, sondern von Misteli (1882) und Schuchardt.25 Möglicherweise ist jedoch Pauls Buch auch schon damals, wie G. Meyer
(1887,215) bemerkt, »mehr gelesen als gelobt worden«; von der zweiten Auflage an war jedenfalls dessen Rang unumstritten, sein Einfluß
als Standardlehrbuch tiefgehend, ja übermächtig.26 Daß angesichts
dieser Leistungen Paul Ende der achtziger Jahre in der germanistischen Öffentlichkeit vornehmlich als Sprachwissenschaftler27
galt, braucht nicht zu verwundern; bereits mit dem bis dahin vorliegenden Werk hatte der Sprachforscher den eher tüchtigen
Literarhistoriker und Philologen Paul auf Dauer in den Schatten
gestellt.28
Der seinen Leistungen angemessene akademische Erfolg blieb
Paul allerdings lange versagt. Zwar wurde er bereits im Mai 1874
» Vgl. etwa Brugmann 1885/1885a, 38, 92 und 125.
24
Zu Sievers* und Braunes Einstellung vgl. Ganz, in diesem Bd., 41 f.,
und Fromm, in diesem Bd., 15f.
25
Vgl. seine bei Brugmann 1885, 38 Anm. l zitierte Bemerkung:
»Indem ich der >Prinzipien der Sprachgeschichte< gedenke, vermag
ich nicht mein Bedauern darüber zu unterdrücken, dass sie bei vielen unserer Sprachforscher eine sehr kühle Aufnahme, bei einzelnen
sogar eine schroffe Ablehnung erfahren haben, doch erkläre ich
mir das mit dem anzüglichen Motto des Vorarbeiters Steinthal:
>Denken ist schwere, sowie Schuchardt 1885, 34: [. . .] »Paula
>Principien<, wo er so tief in das Wesen der Sprache eingedrungen
ist [. . .]«.
" Vgl. hierzu Dittrich (1899, 538). Schon die Rezensionen der zweiten
Auflage, die hier nicht einzeln aufgeführt werden können, sind einhellig positiv, teilweise sogar hymnisch.
17
Dies zeigen auch die gegen Paul wirksamen Vorurteile. Vgl. den
Brief John Meiers an Paul (NHP/Meier, 20. 1. 1889), eine von Paul
als kränkend empfundene Lehrstuhlbesetzung in Marburg betreffend: »Man wollte in Marburg keinen >Lautschieber<, für den
Sie ja nun doch einmal, mit großem Unrecht gelten, die Neigung
gieng bei der Majorität auf einen Literarhistoriker.«
te
Das gleiche Urteil fallen Streitberg (1922/23) und von Kraus (1922,
1927) in ihrer Würdigung von Pauls Werk. Paul selbst sagt einmal,
daß er von Literaturgeschichte nichts verstünde (vgl. Fromm, in
diesem Bd. S. 7 Anm. 7); kritisch zu Pauls methodischem Umgang
mit künstlerischen Aspekten auch schon Heinzel (1889, 777).
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MABGA REIS
als Nachfolger Ernst Martins im Bange eines außerordentlichen
Professors der Deutschen Sprache und Literatur nach Freiburg i.
Br. berufen; 1877 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt.
Aber die dortige Universität stand damals weder in der Gunst der
Studenten noch der badischen Landesregierung;1' entsprechend
waren die finanziellen und fachlichen Verhältnisse äußerst beengt,
zeitweilig fast unzumutbar (vgL HPV, 496). Doch die Aussichten
auf einen angemesseneren und auch renommierteren Wirkungskreis zerschlugen sich immer wieder: Obwohl Paul in Kiel, in Jena,
wieder in Kiel, in Tübingen und schließlich in Halle von der
Fakultät an erster Stelle vorgeschlagen wurde, blieb der Ruf aus;
die dafür wohl maßgeblichen persönlichen Gegnerschaften30 trugen
andernorts dazu bei, daß er gleich von vornherein übergangen
wurde, so beispielsweise in Berlin und in Leipzig.31 Unter diesen
Zurücksetzungen hat Paul, ohnehin von pessimistischer Grundstimmung und zeitweilig von Weltfluchtgedanken geplagt32, schwer
gelitten53. Daß von den wenigen guten Freunden, die sein einsames
Leben begleiteten34, gerade die besten, Sievers und Braune, ihm
*· Vgl. Burkhardt 1976, 7f. und 69. 1876 drohte der Universität wegen
extrem niedriger Studentenzahlen sogar die völlige Schließung.
10
Vgl. hierzu Braune 1922, 502. - Nur im Tübinger Fall scheint der
Fakultätswüle durch rein kultusbürokratischen Oktroi übergangen
worden zu sein (Burkhardt 1976, 23).
31
Schon 1874 kam Paul in Berlin wegen Müllenhoffs heftiger Abneigung nicht in Betracht, vgl. seinen Brief an Scherer vom 18. 2.
1874 (Leitzmann 1937, 530f.); 1884 scheiterte er von vornherein
an Johannes Schmidts Ablehnung, der seit Pauls scharfer Attacke
auf ihn in den PBB 8 (1882) auf diesen nicht gut zu sprechen war
(vgl. Sievers an Paul, NHP/Sievers, 2. 11. 1886). Daß auch in
Leipzig 1891, bei der Zarncke-Nachfolge, die »Berliner Clique«
letztlich Pauls Erfolg verhinderte - Brugmann hatte sich sehr für
ihn eingesetzt -, vermutete Kluge (NHP/Kluge, Brief Nr. 45).
31
»Weltflucht« im Sinne von Rückzug aus dem akademischen Leben.
Daß Paul dies immer wieder erwog, geht aus Briefzeugnissen hervor, vgl. Müllenhoffs Brief vom 18. 2.1874 (Leitzmann 1937, 5 30 f.);
sowie NHP/Braune, 24. 2. 1889; NHP/Brugmann, 18. 10. 1891.
31
Die dies dokumentierenden Briefe (NHP) sind zu zahlreich, als daß
sie aufgeführt werden könnten. - Vgl. auch Braune (1922, 503).
14
Dem Briefwechsel nach zu schließen, gehören zu den wenigen langjährigen Freunden, denen Paul sich öffnete, neben Braune und
Sievers der frühere Freiburger, dann Münchner Rechtshistoriker
Karl von Amira; der frühere Freiburger, dann Heidelberger Romanist Fritz Neumann und Pauls Schüler John Meier. Zu Brugmann blieb das Verhältnis trotz zeitweiliger Kollegenschaft in Frei-
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HERMANN PAUL
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immer wieder vorgezogen wurden, kann für ihn nicht leicht gewesen
sein, obwohl sich beide immer sehr für ihn einsetzten. Pauls berufliche Schwierigkeiten fanden erst 1893 ein Ende, als er durch die Berufung nach München als Nachfolger Matthias von Lexers »befreit
wurde« (Braune 1922, 503).
Trotz äußerer Widrigkeiten setzte Paul jedoch durch die ganze
Freiburger Zeit seine wissenschaftliche Tätigkeit unermüdlich fort.
Die Lücke von 1886 bis 1891, die sein Schriftenverzeichnis ausweist, ist nur scheinbar. Sie erklärt sich daraus, daß Paul anstelle
von Sievers die Herausgabe des Grundrisses der germanischen
Philologie, nebst der Bearbeitung einiger Teile (vgl. HPV, 497),
übernommen hatte; hierdurch »[wurde ich] von meinen eigenen
planen [. . .] etwas abgezogen« (HPV, 497). Das Schwergewicht
seiner germanistischen sprachwissenschaftlichen Arbeit verschob
sich dabei deutlich. Hatte vorher die Laut- und Formenlehre der
altgermanischen Dialekte im Mittelpunkt gestanden, so richtete
sich Pauls Aufmerksamkeit jetzt mehr und mehr auf das Neuhochdeutsche, dabei vor allem auf Wortschatz, Wortbildung und Syntax. Veranlassung dazu waren einerseits »die Vertretung der neueren
literatur in meinen Freiburger Vorlesungen« (HPV, 498), andererseits die Überarbeitung der >Prinzipien< für die 2. Auflage (1886),
die im Hinblick auf den umfassenden Anspruch des Werkes vor
allem nach der syntaktischen Seite hin stark erweitert werden
mußten. Auch der 1884 erschienenen zweiten Auflage seiner >Mittelhochdeutschen Grammatik< hatte Paul, den Bedürfhissen des akademischen Unterrichts entgegenkommend, einen Abriß der mhd.
Syntax beigegeben. - Als einen grundsätzlichen Kurswechsel hat
Paul diese Veränderung wohl kaum empfunden. Die Beschäftigung
mit den lebenden Sprachen war von jeher Teil des junggrammatischen Programms (und sei es nur, um unter der Annahme der
Gleichförmigkeit lebender und toter Sprachen die sprachgeschichtliche Rolle der Analogie zu beweisen); sie war auf alle Teilbereiche
der Sprachwissenschaft übertragbar.** Aber auch theoretisch schien
bürg achtungsvoll förmlich; die Duzfreundschaft zu Osthoff vollzog sich weitgehend im Fachlichen. - Paul blieb zudem lange Junggeselle; dem von den Freunden seit Jahrzehnten gegebenen Ratschlag zu heiraten folgte er erst im Oktober 1905.
** Siehe hierzu auch die erste mir greifbare Äußerung Pauls zu syntaktischen Fragen in der Rezension von Behagheiß Arbeit (1878):
»Er [= Behaghel] hat eich die Methode zum Muster genommen,
wie sie eich glücklicherweise auf dem Gebiete der Laut- und For-
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MABOA REIS
wenigstens die Syntax von vornherein durch die junggrammatischen Leitvorstellungen abgedeckt: Sie galt für Paul als der Inbegriff analogischer Sprechtätigkeit (vgl. PSG, 110; 121). Daß
Analogie, so auf die Syntax angewandt, etwas ganz anderes bedeutet als in ihrer sprachgeschichtlich üblichen Verwendung, kam
Paul dabei offenbar nicht zu Bewußtsein.3' Ebensowenig finden
wir bei ihm - über die Diskussion der grammatischen Begriffe hinaus, die nach seiner Forderung die Gruppierungen des Sprachgefühls abbüden sollten (PSG, 29ff.; ML, 202) - eine Vorstellung
von syntaktischem einzelsprachlichen System; der Begriff der analogischen Sprechtatigkeit deckt gleichzeitig >Spracherwerbsvorrichtung<, Natur der >faculte de langage< und Funktionieren der
Einzelsprache. Daß damit Paul viele Fragen nicht stellt, die dem
heute arbeitenden Syntaktiker wichtig sind, und entsprechend bei
ihm Antworten auf viele unserer Fragen nicht zu finden sind, versteht sich fast von selbst; Parallelisierungsversuche zwischen dem
Panischen und modernen Ansätzen finden von daher ihre natürlichen Grenzen.87 Wenn trotzdem Pauls syntaktische und allgemein
grammatische Arbeiten, vor allem die einschlagigen Teüe der
>Prinzipien< und seiner >Deutschen Grammatik< auch dem heutigen
Forscher mehr als nur die von Paul so geschmähte »Anregung«38
menlehre immer mehr Bahn bricht. Er will die sprachlichen Veränderungen in ihrem geschichtlichen Werden als psychologische
Prozesse in den Seelen der Volksangehörigen begreifen. Dem entspricht es auch, daß er eich vorzugsweise den jüngeren, genau zu
beobachtenden Entwicklungsphasen zuwendet, die neuhochdeutsche Schriftsprache und die heutigen Volksdialekte in den
Kreis der Betrachtung zieht. Es wäre sehr zu wünschen, daß unsere
Syntaktiker mehr diesem Beispiel folgten. Denn wer nicht bei der
modernen Entwicklung in die Schule geht, wird schwerlich lernen,
die Vorgänge in den älteren Sprachperioden richtig zu beurteilen.«
" Diesen Unterschied hat hingegen Behaghel in seiner Rezension von
Ziemers syntaktischen Untersuchungen sehr klar erkannt (vgl.
Behaghel 1882, 123f.).
17
Ein gutes Beispiel hierzu bietet etwa Hubers Untersuchung von
Pauls kasußgrammatischen Vorstellungen (in diesem Bd.). Es ist
bezeichnend, daß die Parallelen genau da aufhören, wo die eigentlichen syntax-theoretischen Fragen - nach der Hierarchie der Kasus,
nach ihren Auftretensbeschränkungen im Satz, nach der Art und
Systematik der Beziehung von Kasus- und Oberflächenstruktur,
nach der Stellung der kasussemantischen Repräsentation in der
Gesamtgrammatik usw. - erst beginnen.
11
Vgl. hierzu seine Polemik in NPM, 446.
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HERMANN PAUL
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bieten, nämlich viele teils fertige, teils aktualisierbare, immer auf
reiches Material gestützte Argumente und Ergebnisse8·, so spricht
dies für die von v. Kraus (1922, l Sp. 2) an Paul gerühmte syntaktische Begabung: dem sicheren Blick für die dem Material innewohnende komplexe Gesetzlichkeit.
Pauls Veröffentlichungen zum Neuhochdeutschen liegen alle in
der Münchner Zeit; sie bilden in seiner dortigen vielseitigen wissenschaftlichen Tätigkeit den wirklichen Schwerpunkt. Zunächst vollendete er das bereits in Freiburg begonnene >Deutsche Wörterbuch^ das 1896 in der ersten Auflage erschien und auch in den Umgestaltungen der zweiten und dritten Auflage (1908 und 1921) von
ihm betreut wurde. Das damit neu aktivierte theoretische Interesse - nach Paul müssen ja »Einzelforschung und Prinzipienwissenschaft [. . .] stets in innigstem Zusammenhang miteinander stehen«
(VP, 373) - äußerte sich in seiner Abhandlung über die >Aufgaben
der wissenschaftlichen Lexikographie< und in seinem Eintritt in
eine Kontroverse mit Brugmann über >Das Wesen der Wortzusammensetzung^0. Daneben betrieb Paul auch in großem Umfang syntaktische Einzelforschung; ein Beleg dafür ist seine Akademie-Abhandlung über >Die Umschreibung des perfectums im
deutschen mit >haben< und >sein« von 1902. Nachdem somit sämtliche Teilbereiche der deutschen Sprache abgeschritten waren,
»reifte der plan zu einer umfassenden neuhochdeutschen grammatik
auf geschichtlicher grundlage« (HPV, 498), mit dessen Ausarbeitung Paul etwa 1911 begann. Zuvor zwang ihn jedoch das Erscheinen des ersten Bandes von Wundts Völkerpsychologie (2. Aufl.
1904) ein weiteres Mal zu >Prinzipien<-Fragen zurück. Seine ablehnende Haltung gegenüber Wundt hat Paul mehrfach bekundet,
unter anderem in seinem Vorwort zur nochmals umgearbeiteten
vierten Auflage der >Prinzipien< (1909).41
" Hierzu auch Cherubim (1973, 316f.) und u. Abschnitt 2.2.
·· Zu Pauls Wortbildungsarbeiten und Wortbildungstheorie vgl. jetzt
Seppänen (1977, 143-150).
41
Fromm (in diesem Bd., 24 f.) macht zu Recht auf die Gleich stimmigkeit von wissenschaftlicher und (fach)politischer Haltung
in diesem Punkt aufmerksam: Dem wissenschaftlichen Mißtrauen
gegen >Volksgeist<, >Volksseele< etc., gegen >Gemeinschaft< statt
>Gesellschaft< entspricht Pauls nüchterne, jedem Nationalismiis
abholde Bestimmung der >Bedeutung der deutschen Philologie für
das Leben der Gegenwart< (Akademierede, München 1897). Der
nationale Zungenschlag fehlt auch an anderen Orten, wo man ihn
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MAEOA EEIS
Die Zeit von 1893 bis 1912 war sicher die ausgeglichenste Zeit in
Pauls Leben. Es fehlte weder an beruflicher und wissenschaftlicher
Erfüllung noch an privatem Glück.41 Seine Schüler, denen er in der
Freiburger Zeit eine solche Ehrung verwehrt hatte48, widmeten
ihm 1902 und 1906 Festschriften44; für das akademische Jahr 19091910 wurde er zum Rektor gewählt45; die Kgl. Bayer. Staateregierung bedachte ihn mit dem Maximiliansorden und dem Titel
eines Geheimen Hofrats.
Die späten Lebensjahre Pauls waren von schwerem Leiden überschattet. 1914 erblindete er infolge einer plötzlichen Netzhautablösung, was ihn schließlich zur Aufgabe seiner akademischen
Lehrtätigkeit zwang; 1916 wurde er emeritiert. Seine Arbeit an der
>Deutschen Grammatik< nahm er hingegen »mit hülfe fremder
äugen« wieder auf;4' sie wurde noch zu seinen Lebzeiten vollendet.
Seine wissenschaftliche Arbeit setzte Paul, der, genau wie er es einmal über Jacob Grimm gesagt hatte, JKlurch keinerlei Nebeninteresse von seiner wissenschaftlichen Thätigkeit abgezogen [war]«47,
erwarten könnte, so GG, 61 ff. in der Darstellung romantischer
Sprachwissenschaft und der Grimm-Zeit. In AMG, 53 wird, durchaus gleichsinnig mit Pauls Akademierede von 1897, vor dem
patriotischen Mißbrauch geschichtlicher Studien gewarnt.
41
Vgl. Anm. 34. — Zu Pauls erfolgreichem Einsatz für den Ausbau
des Münchner Seminars für Deutsche Philologie vgl. Dünninger
1902, Sp. 181 f. und Hartl 1926.
4
» Vgl. John Meiers Brief an Hermann Paul vom 27.10.1897 (NHP/
Meier). - John Meier hatte bei Paul 1887 promoviert, und war ihm,
dem erhaltenen umfänglichen Briefwechsel nach zu schließen, zeitlebens in respektvoller Freundschaft verbunden.
44
Germanistische Abhandlungen. Hermann Paul zum 17. März 1902
[25jähriges Professorenjubiläum] dargebracht von Andreas Heusler
e.a., Straßburg 1902. (Heusler hatte ebenfalls 1887 bei Paul promoviert.) - Analeota Germanica. Hermann Paul zum 7. August
1906, dargebracht von Anton Glock e.a., Amberg 1906.
" Seine Rektoraterede >Gedanken über das UniversitätsstudiunK
(München 1909) löste wegen des vermeintlich antiklerikalen Einschlags seiner Kritik an der bayerischen Gymnasialerziehung offizielle Entrüstung aus. Für uns ist sie vor allem interessant wegen
der verblüffenden Parallelen zwischen Versuchen germanistischer
Studienreform damals und heute.
4
* Wichtige Hilfe leistete vor allem Rudolf Blümel, einer der wenigen
neunhaften Schüler aus Pauls Münchner Zeit.
47
GG, 69. - Für vorhandene oder gar gepflegte Nebenintereesen finden sich in der Tat nur allerflüchtigste Hinweise, so auf die Musik,
die Zarncke als ein Burdach und Paul einigendes Band ansah
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HEBMANN PAUL
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bis in die letzten Monate seines Lebens fort.48 Am 29. Dezember
1921 starb er in München im Alter von 75 Jahren.
2. Hermann Paul und die moderne Sprachwissenschaft:
Synchronie, Diachronie und Geschichte
2.0. In welchem Verhältnis steht Paul zur modernen Sprachwissenschaft ? - Soweit die Frage auf die im engen Sinne historischen Beziehungen und Einflüsse zielt, will ich es bei wenigen Hinweisen belassen: Mit einiger Sicherheit hat Paul auf den > Begründen der modernen Sprachwissenschaft, F. de Saussure, gewirkt,
der offenbar seine zentralen Ideen in Anlehnung und Kritik an
Panischen Anschauungen entwickelte.49 Einen gewissen Einfluß
übte er auch zunächst auf L. Bloomfield aus, ohne daß dieser allerdings die typischen Kennzeichen Bloomfieldianischer Linguistik
beträfe.60 In den zwanziger Jahren war Pauls Sprachtheorie, wenngleich nicht mehr bestimmend, wenigstens in Deutschland noch
Gegenstand lebhafter Auseinandersetzung. Damit aber ist ihre
historische Wirksamkeit zu Ende;51 daß seither seine >Prinzipien<
über das zum historiographischen Topos gewordene Diktum zur
Identität von Sprachwissenschaft und Sprachgeschichte (PSG, 20)
hinaus weiteren sprachwissenschaftlichen Kreisen bekannt waren,
(NHP/Zarncke, undat. 1877) und auf das Schlittschuhlaufen (NHP/
Meier, 26. 12. 1889).
«· Pauls letzte Arbeit war die kleine Schrift >Über Sprachunterrichte
(Halle 1921).
49
Siehe Koerner (1973, 107-124 und passim) sowie Koerner 1972.
Zum >junggrammatischen< de Saussure vgl. auch Peeters 1974.
10
Noch stark von Pauls Anschauungen beeinflußt ist Bloomfield in
>An Introduction to the Study of Languages New York 1914 (hierzu auch Schneider 1973, 208ff.), nicht jedoch in den für die Entwicklung der amerikanischen deskriptiven Sprachwissenschaft entscheidenden Abschnitten in > Languages New York 1933. Zu Bloomfields kritischer Würdigung von Pauls >Prinzipien< vgl. ebd., 16f.,
19.
11
Den damals in Deutschland tonangebenden geistes- und kulturgeschichtlichen Richtungen der Sprachwissenschaft schien der
junggrammatische Sprach- und Geschichtsbegrüf eine »Zwangsjacke«; Paul, der dieser Konzeption in den >Prinzipien< die klassische Formulierung gegeben hatte, galt - so Fringe bei einem Vergleich der Gründer dieser Zeitschrift (1933, 17) - »als Sprachdarsteller am ehesten erstarrt«. - Hinweise zu den diesbezüglichen
Auseinandersetzungen bei Heibig (1973, 19-32).
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MABGA REIS
laßt sich bezweifeln.62 Eine gewisse Änderung hierin bewirkte erst
in den sechziger Jahren die generative Richtung: Zwar entspricht
es weniger tatsachlichem Einfluß als historischem Legitimationsbedürfnis, wenn Chomsky an die traditionelle Sprachwissenschaft,
darunter auch an Paul, anknüpft.6* Immerhin hat dies jedoch zur
neuerlichen Beschäftigung mit Pauls Sprachauffassung angeregt ;54
diesen Anstoß hat Weinreichs ausführliche Auseinandersetzung mit
Pauls Sprachwandel-Konzeption an einflußreicher Stelle56 noch
verstärkt. Daß durch die eher wissenschaftsgeschichtliche Reflexion
eine erneute Einflußnahme Paulscher Anschauungen auf die
Theoriebildung vorbereitet würde, ist freilich derzeit nicht absehbar.
Mein Interesse gilt hier primär der systematischen Seite der Ausgangsfrage : Welche Parallelen und Unterschiede bestehen zwischen
der Sprachauffassung Pauls und der Moderne ? Anders gefragt:
Inwiefern sind die betreffenden Ansätze, gleich ob durch sprachwissenschaftliche Kontinuität oder durch unabhängige >Neuschöpfung< bedingt, deckungsgleich ? Unter >der Moderne< will ich
dabei, wie üblich, die Schulen und Forscher verstehen, die sich in
die Nachfolge de Saussures stellen66, oder mit ihm mindestens die
61
Schon Bloomfleld verweist auf die Vernachlässigung der >Prinzipien< durch die jüngere Generation — »to their disadvantage« (1933,
16); daß nach der 5. Auflage von 1920 erst I960 eine Wiederauflage
der >Prinzipien< notwendig wurde, spricht gegen einen hohen Beschäftigungsgrad mit Pauls Werk auch in europäischen Kreisen. - Un kenntnis ist auch in der Sprachwissenschaftsgeschichtsschreibung
dieser Jahrzehnte die Regel: Beeinflußt von der meist indogermanistischen oder strukturalistischen Perspektive der jeweiligen
Autoren (oder ihrer Quellen) wird Paul häufig nicht oder nur unter
dem Vorzeichen des besagten Zitats erwähnt (Belege dazu bei
Koerner 1973, 107).
" Chomsky 1964, 51; Bezug genommen wird ebd. auf PSG, 109 f.
14
Das zunächst vorrangige antietrukturalistische Motiv - Motto:
die (>traditionellem) Gegner des (>8trukturali8tischen<) Gegners sind
die besten Verbündeten - hat dabei zunehmend einem unparteilichen Interesse an der sog. traditionellen Sprachwissenschaft
Platz gemacht, vgl. Cherubim (1973 und 1975a, Ein!.).
·· Weinreich/Labov/Herzog 1968, 104-119; diese Studie hat die
intensivierte sprachgeschichtliche Forschung der letzten Jahre ganz
entscheidend gefördert und geprägt.
" Die Formulierung trägt dem Umstand Rechnung, daß eine Reihe
der zur Moderne zählenden strukturalistischen Schulen erst nachträglich de Saussure als ihren >Gründer< adoptiert zu haben schei-
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HERMANN PAUL
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explizite Anerkennung der Antinomien Synchronie: Diachronie und
Langue: Parole teilen. Vor allem am Beispiel der ersten dieser
Rahmenbestimmungen werde ich auch die Ausgangsfrage zu beantworten suchen.
Es bleibt noch die Frage nach dem dabei einzuschlagenden Verfahren. Die einschlägige Forschung ist hier wenig hilfreich. Sie bietet zwar, Hermann Pauls Verhältnis zur Moderne betreffend, eine
reiche Vielfalt von Meinungen. Doch da diese weder auf Unterschiede im benutzten Material noch auf die in Grenzen unvermeidliche Subjektivität wissenschaftsgeschichtlicher Deutung57 zurückzuführen sind, dokumentiert sich darin nur, daß die notwendigen
Urteilsmaßstäbe fehlen. Dies betrifft sowohl die Bewertung des
Zeugnisses der Theorie als auch der Praxis als auch deren gegenseitiges Verhältnis. So führt die gleiche theoretische Basis - in aller
Regel Pauls Überlegungen in den ersten Kapiteln der >Prinzipien< zu ganz unterschiedlichen Urteilen: Wilbur etwa läßt keinen Zweifel daran, daß Paul sowohl das Langue- wie das Synchronie-Konzept
gefehlt habe, mit dem Resultat eines Widerspruchs von Theorie und
Praxis (1977, LI-LVEH); nach Ivio (1965, 61 f.), Putschke (1969,
46f.) und Heibig (1973, 18f.) hingegen enthält Pauls Werk die
modernen Anschauungen bereits im Keim; für Maas sind zwischen
den Junggrammatikern einschließlich Paul und de Saussure keinerlei Unterschiede erkennbar (1973, 72f.). Schließlich behauptet
Cherubim den »methodologischen Primat der deskriptiven Sprachwissenschaft« für Paul (1973, 313); Koerner, noch radikaler, den
»Primat des deskriptiven [.. .] Standpunkts« schlechthin, woraus
dann Pauls Modernität unmittelbar gefolgert wird (1972, 285). Mit
dieser »Rehabilitation« (ebd., 275 und 305) verwickelt Koerner
allerdings sowohl Paul (vgl. ebd., 285) als auch sich selbst in
Widersprüche: In seiner Arbeit über de Saussure (Koerner 1973)
erscheint - bei wesentlich gleicher Materialbasis - Paul von de
Saussure durch einen Paradigma Wechsel, das heißt per definitionem
17
nen, und dementsprechend der >Cours< primär nicht als Quelle,
sondern als Anlaß sekundärer Überformung ihrer Anschauungen
zu werten ist. Auf diesen »de Saussure-Kult« und die damit verbundenen historiographischen Probleme hat meines Wissens erstmals Percival (1977, 392f.) hingewiesen.
Zu unvermeidlich subjektiven Aspekten sprachwissenschaftlicher
Geschichtsschreibung, die einerseits im Material, andererseits im
sprachwissenschaftlichen Standpunkt des jeweiligen Betrachters
liegen, siehe Percival (1976, 290f.) und Reis (1974, 37-39).
12 Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache, Band 100/2
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MABOA REIS
durch eine Revolution (im Sinne von Kühn 1976), von der sprachwissenschaftlichen Moderne getrennt; in Koerners jüngster Interpretation, in der der junggrammatische Ansatz als »mere extension
of the Schleicherian Paradigm« (1976, 699) rechnet, wird die
epochale Trennung sogar zur unüberbrückbaren Kluft. Immerhin
hat Koerners Widersprüchlichkeit einen erkennbaren Grund, nämlich die Befangenheit in dem für diesen historiographischen Z\veck
offenbar ungeeigneten Kuhnschen Paradigma-Modell." Doch auch
Cherubim, obwohl von solchen Vorurteilen frei und in seiner Interpretation der >Prinzipien< überaus sorgfaltig, akzentuiert in widersprüchlicher Weise: Neben dem Primat der deskriptiven Sprachwissenschaft sieht er gleichzeitig auch die Synchronie der Diachronie untergeordnet (1973, 318f.; 1975, 21; vgl. auch Jankowsky
1972, 148f.). Ganz unterschiedlich benutzt wird in der Frage der
Zuschreibung des Synchronie: Diachronie-Gegensatzes auch das
Zeugnis der Paulschen und allgemein junggrammatischen Praxis:
Bei Wilbur oder Koerner bleibt es außer Betracht; für Maas hingegen ist es ausschlaggebend; für Cherubim gewinnen Pauls synchrone Beschreibungen eigenständigen Wert. Damit einher geht
eine ganz offensichtlich je verschiedene Bereitschaft, Widersprüche
zwischen Paulscher Theorie und Praxis zuzulassen. Einheitlich ist
im Grunde nur das Schweigen über die jeweilige Entscheidungslogik; offenbar wird eine Selbstverständlichkeit der jeweiligen
*8 Dieses Modell läßt allmähliche, fließende Übergänge zwischen einander ablösenden Paradigmen nicht zu; genau solche scheinen jedoch in vieler Hinsicht zwischen den Schleicherschen, den junggrammatischen und den de Saussureschen Anschauungen zu bestehen. Die Frage nach deren gegenseitiger Abgrenzung hat demnach mit Notwendigkeit keine klaren Antworten und entsprechend,
wo sie illegitimerweise in sie-et-non-Manier gestellt wird, schwankende Antworten. Diese Schwankungen werden durch das Paradigma-Modell, das in jedem Fall totale, abrupte Übergänge fordert,
zu den bei Koerner anzutreffenden Widersprüchen verschärft. Zur Kritik an der Anwendung dieses Modells auf die Sprachwissenschaft vgl. Hymes 1974; Percival 1976; 1977, 386-389, sowie Wilbur 1977, XlXff. Ihrer Option für ein lediglich mit Fokusverschiebungen (»cynosure«) rechnendes Modell schließe ich mich an;
auf diesem Hintergrund sind auch die folgenden Überlegungen zu
sehen. - Daß sinnvolle Arbeit unter dem Vorzeichen des >Paradigmawechsels< z.B. bei Huber (in diesem Bd.) geleistet wurde, ist dazu
kein Gegenargument; der Begriff des > Paradigmas < wird dort offensichtlich in dem schwächeren Sinn von »cynosure« verstanden.
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HEBMANN PAUL
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Maßstäbe vorausgesetzt, die die geschilderte Meinungsvielfalt
widerlegt - selbst bei der Paul fast durchweg zuerkannten synchronen Praxis erhebt sich ja angesichts der augenfälligen Unterschiede
zwischen junggrammatischem und heutigem Arbeiten die Frage,
was genau >synchrone Praxis< eigentlich ausmacht.
Dieser Befund ist zweifellos ein methodisches Ärgernis: »Das
Wesen wissenschaftlicher Methode besteht eben darin, daß man
genaue Rechenschaft über das eingeschlagene Verfahren zu geben
vermag, und sich der Gründe, warum man so und nicht anders verfahrt, deutlich bewußt ist« (ML, 159). Wichtiger als Forschungsschelte ist jedoch, einen Rahmen zu entwickeln, der der eigenen
Beschreibung einen höheren Grad von Verbindlichkeit sichert. Ich
sehe geeignete Ansatzpunkte (a) in der sorgfaltigeren Bestimmung
des Untersuchungsgegenstands - dies betrifft sowohl die Synchronie: Diachronie-Unterscheidung als auch die Frage des Verfügens
über sie; (b) damit im Zusammenhang in einer Bestimmung des
argumentativen Werts der Praxis, und (c) in einer stärkeren Einbindung der Untersuchung in den Kontext der Panischen Theorie,
vor allem seiner Geschichtsauffassung. Zu (a) und (b) vorab einige
Überlegungen:
Im Sinne der heutigen Sprachwissenschaft liegt die Synchronie:
Diachronie-Unterscheidung vollinhaltlich dann vor, wenn Synchronie wie Diachronie als prinzipiell unabhängige Gesetzmäßigkeitsdimensionen der Einzelsprache - bezogen aufs Ganze wie auf
die Teile - in Theorie und Praxis anerkannt sind.59 Die Komplexität der Bestimmung macht deutlich, daß es beim historischen Vergleich nicht notwendig um ein Entweder-Oder geht: Zwischen dem
Leugnen und der im modernen Sinne vollständigen Anerkennung
des fraglichen Gegensatzes sind viele, nach Art und Umfang verschiedene Zwischenstufen möglich. Entsprechend ist der Nachweis,
daß Paul in irgendeiner Form in irgendeinem Punkt die Synchronie
neben der Diachronie konsistent anerkennt, nicht auch schon ein
ausreichender Beweis seiner diesbezüglichen >Modernität<. Vielmehr
hat man hierfür Pauls Anschauungen von vornherein auf die gesamte Skala möglicher inhaltlicher Abweichungen vom heutigen
" Siehe hierzu Reis 1974, 49f. Mit der Explikation von Synchronie:
Diachronie als unabhängiger Gesetzlichkeitsdimension wird die
Festlegung auf Realitäts- vs. bloß methodologischen Status dieser
Unterscheidung umgangen, vgl. ebd., 18-22 einschl. Anm.
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MABOA EEIS
Synchronie: Diachronie-Verständnis hin zu befragen und einzuordnen - angefangen von der Frage der Unabhängigkeit beider Dimensionen bis zu ihrer Berücksichtigung in sämtlichen Teilbereichen
eines Sprachsystems in Theorie und Praxis.
Differenziert werden muß auch die Frage des Verfügens über ein
Konzept; ich stelle dies hier, mangels eines einschlägigen Terminus,
unter das Stichwort der >Geltung<. Ich möchte hierbei drei Stufen
unterscheiden: (1) DasfraglicheKonzept K - etwa >Synchronie< steht im Mittelpunkt des leitenden Forschungsinteresses der Zeit;
(2) K steht nicht im Mittelpunkt des leitenden Forschungsinteresses der Zeit, wird aber als Hilfsinstrument für die Verfolgung des
Leitinteresses anerkannt und entwickelt; (3) K steht nicht im
Mittelpunkt des Forschungsinteresses; seine Relevanz, ja Notwendigkeit wird möglicherweise sogar ausdrücklich geleugnet. Die Geltungsweisen (1) und (3) sind dabei als Endpunkte eines Spektrums klar voneinander abgehoben, im Gegensatz zu (2). Wenn ich
(2) dennoch als Zwischenstufe absondere, so hat das folgenden
Grund: Ohne sie wären einerseits möglicherweise graduelle Verschiebungen in der Geltung eines Konzepts nicht nachzuzeichnen60,
andererseits unfruchtbare Prioritätskontroversen nicht von vornherein zu vermeiden, wie die historische Erfahrung lehrt.61
69
61
Damit soll nicht impliziert sein, daß diese Zwischenstufe in der
Entwicklung jedes einmal zur Geltungsstufe (1) gelangten Konzepts auftauchen muß - für das den Strukturalismus beherrschende
distinktive Prinzip ist das beispielsweise nicht der Fall, ebenso
nicht bei dem der Transformation -, sondern nur, daß es auftreten
kann.
Man denke etwa an den Prioritätenstreit um das Konzept der ausnahmslosen Lautgesetze, das die Junggrammatiker ganz als ihr
Eigentum ansahen, ihre Gegner jedoch schon für Schleicher reklamierten ; diese gegensätzlichen Positionen schlagen sich noch heute
in der Geschichtsschreibung nieder. Den Fakten angemessener ist
sicher eine dritte Position, die auch den Prioritatenstreit entschärft:
Anzuerkennen ist, daß das Konzept der ausnahmslosen Lautgesetze
bereits in den sechziger Jahren explizit und präzisiert wurde, daß
sich seine Geltung aber noch von der in junggrammatischer Zeit
unterschied: In den sechziger Jahren war es (bzw. wurde es zum)
Hilfskonzept im Sinne von (2). (Diese Interpretation wird plausibel,
wenn man Kiparsky 1974 darin folgt, daß sich um I860 das leitende
historisch-etymologische Interesse von der idg. Grundsprache weg
auf die Tochtersprachen - mit einer zwangsläufig stärkeren Beachtung formaler Korrespondenzen - verlagerte). Erst durch die
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In der Regel wird die so unterstellte Gradualität der Geltungsdimensionen ebenso verkannt wie die Natur von Stufe (3) -jedenfalls
sobald es um Konzepte geht, die nach heutiger Überzeugung zur
Beschreibung der sprachlichen Realität absolut notwendig sind,
was für Synchronie (vs. Diachronie) genau wie für >synchrones
System< zweifellos der Fall ist.'2 Dieser Stufe entspricht ja keineswegs, daß das betreffende Konzept nie verwendet wird, sondern
daß es nur ad hoc oder nur bei solchen Gelegenheiten zum Tragen
kommt, wo es die schiere Beschreibungsnotwendigkeit in Verfolgung des Leitinteresses verlangt. Die Folgen für die hier interessierende Fragestellung liegen auf der Hand: Zum einen kann es beim
Vergleich zwischen Pauls und der heutigen Sprachwissenschaft
nicht um das Haben vs. Fehlen des Konzepts >Synchronie< (vs.
>Diachronie<) gehen, sondern nur um unterschiedliche Weisen des
>Habens< - seine Geltung im Sinne von (1) bis (3). Zum anderen
sind die einschlägigen Belege in bezug auf diese Stufen zu bewerten,
wobei nicht nur das Ausmaß des theoretischen Interesses, sondern
auch die Praxis Bewertungsmaßstäbe liefert: Besitzt ein Konzept
nur Geltung im Sinne von (3), bleibt es für die Beschreibungspraxis
unfruchtbar; steht es im Zentrum des Interesses nach (1), wird es
von vornherein nicht nur bei der Lösung jeder Art von Beschreibungsproblemen in Rechnung gestellt, sondern steuert auch deren
Auswahl. Daß die heutige Sprachwissenschaft über >Synchronie<
(und synchrones System) im Sinne von (1) verfügt, ist demnach
klar. Inwieweit Hermann Paul über diese Konzepte im modernen
Sinn verfügt, ist somit - verbunden mit der inhaltlichen Überprüfung - auch und nur daran zu messen, inwieweit sein Gebrauch
dieser Konzepte in Theorie und Praxis Stufe (1) entspricht. Der
bloße Hinweis auf inhaltliche Parallelen genügt zum Nachweis diesbezüglicher Modernität ebensowenig wie das häufige - lediglich auf
Stufe (3) deutende - Argument, Pauls diachrones Interesse setze
die Anerkennung und Beschreibung synchroner Sprachzustände
voraus: Denn von Verfügen in einem ernsthaften Sinn kann damit
noch keine Rede sein.
Junggrammatiker geriet es jedoch ins Zentrum des Interesses. Der
Prioritätsanspruch der VorJunggrammatiker ist somit gerechtfertigt in bezug auf Stufe (2) - der ersten, auf der ernsthaft von
einem Verfügen über Konzepte gesprochen werden kann -, der Anspruch der Junggrammatiker in bezug auf Stufe (1).
" Siehe hierzu auch Baumgärtner 1968, 52 f.
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MABGA BEIS
2.1. In der berühmten Passage des Einleitungskapitels der >Prinzipien< leugnet Paul jede Mehrdimensionalität der Sprachbetrachtung und damit auch ihres Gegenstandes:
Es ist eingewendet, daß es noch eine andere wissenschaftliche Betrachtung der Sprache gäbe, als die geschichtliche. Ich muß das in
Abrede stellen. Was man für eine nichtgeschichtliche und doch
wissenschaftliche Betrachtung der Sprache erklärt, ist im Grunde
nichts als eine unvollkommen geschichtliche, [...]· Sobald man
über das bloße Konstatieren von Einzelheiten hinausgeht, sobald
man versucht den Zusammenhang zu erfassen, die Erscheinungen
zu begreifen, so betritt man auch den geschichtlichen Boden, wenn
auch vielleicht ohne sich klar darüber zu sein (PSG, 20).
Damit ist klar - so weit ist dies Diktum für Pauls Anschauung
durchaus repräsentativ63 -, daß in Pauls Theorie ein antinomisch
aufgefaßter Gegensatz von Synchronie vs. Diachronie keinen Platz
hat. Ebenso klar, und auch nicht sinnvoll bezweifelbar, kündigt sich
darin der Geltungsvorrang der diachronen Perspektive an. Noch
nicht geklärt ist damit jedoch die inhaltliche Frage, in welcher
Form Pauls Theorie den fraglichen Gegensatz anerkennt, das heißt:
wie und in welchem Umfang seine Theorie die im heutigen Sinne
synchronen und diachronen Realitäten systematisch einzubeziehen
erlaubt. Welche Antwort, wenn überhaupt, Pauls Verabsolutierung
der geschichtlichen Betrachtungsweise beinhaltet, hängt einmal
davon ab, wie Paul das sprachliche Objekt begreift, dessen einzige
Realdimension die geschichtliche sein soll, vor allem aber davon,
was >geschichtlich< in Pauls Sinne bedeutet. Gerade hier bestehen
zum Teil entscheidende Unklarheiten und Mißverständnisse.
Ein erstes: >geschichtlich< im Paulschen Sinne ist nicht gleichzusetzen mit >empirisch<, wie gelegentlich unter Verweis auf die
Nähe beider Konzepte in der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts vorgeschlagen wurde.·4 Ob diese Nähe je anders denn als
" Die Passage, der das Zitat entstammt - sie ist Pauls Antwort auf
die von Misteli (1882,230ff.) in seiner Rezension der Erstauflage der
>Phnzipien< geäußerten Einwände und wurde von der zweiten Auflage an unverändert beibehalten —, ist wohl die pointierteste Formulierung von Pauls Standpunkt. Inhaltlich wird jedoch die ausschließlich sprachgeschichtliche Bestimmung der Sprachwissenschaft in allen theoretischen Schriften — man vergleiche etwa ML,
200-223 und VP, 366 ff. - in gleicher Weise vertreten.
·' So beispielsweise von Koerner (1972, 284 und Anm. 21 a), in Anlehnung an die Auffassungen Telegdis (1967, 226f.).
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HEBMANN PAUL
181
pragmatische gegeben war, bleibe hier dahingestellt; für Paul jedenfalls sind die Begriffe nicht bedeutungsgleich: Eine solche Interpretation von >geschichtlich< - unter der natürlich die zitierte Stelle
jede Aussagekraft für die Synchronie: Diachronie-Frage verlöre paßt weder zur zweiten Hälfte des Zitats noch zu dessen weiterem
Kontext noch zu dem vielerorts von Paul vertretenen Geschieht«·
begriff ; durch folgende Stelle wird sie fast explizit widerlegt:» Am
allerwenigsten darf man diesem allgemeinen Teile der Sprachwissenschaft den historischen als den empirischen gegenüberstellen.
Der eine ist gerade so empirisch wie der andere« (PSG, 1). Der als
unberechtigt empfundene Historismusvorwurf gegen Paul muß
also, wenn überhaupt, anders entkräftet werden.
Mißverständlich, und in der Regel auch mißverstanden, ist auch
das von Paul angenommene Verhältnis von »geschichtlicher« und
»allgemeiner« Perspektive von Sprachbetrachtung. Nach dem angeführten Diktum faßt Paul beides zweifellos unter >Sprachgeschichte< zusammen. Damit setzt er sich jedoch terminologisch
über Wissenschaftsgrenzen hinweg, die er sonst durchaus anerkennt. Dieser Widerspruch - den auch Dittrich schon monierte,
Paul aber leugnete (PSG, 21 Anm. 1) - wird greifbar, wenn man
(worauf Dittrich wohl hinauswollte) sorgfaltiger als Paul zwischen
praktischer Symbiose und tatsächlicher Einheitlichkeit von Wissenschaften scheidet. Im wesentlichen geht es dabei um die Stellung
von Pauls sogenannter »Prinzipienwissenschaft« (gleich: allgemeiner SprachWissenschaft <<e) einerseits zur sprachlichen Einzelforschung, andererseits zu den allgemeinen Wissenschaften Physiologie und vor allem Psychologie. Der sprachgeschichtlichen Einzelforschung ist die Prinzipienwissenschaft nur ihrem Zweck nach zugeordnet: Als Hilfswissenschaft hat sie die »Bedingungen des geschichtlichen Werdens« zu erklären, die Möglichkeit »geschichtliche^] Entwicklung unter Voraussetzung konstanter Kräfte und
Verhältnisse« (PSG, 2f), wobei »die daraus gezogenen Schlüsse bestimmt sind, auf die geschichtliche Einzelforschung zurückzuwirken« (ebd. 21, Anm. 1). Ihrer Natur nach gehört sie jedoch den genannten Allgemeinwissenschaften an, und zwar - so betont Paul
ausdrücklich - nicht als eigenes Fach >Sprachpsychologie< (gleiches
"
Vgl. über PSG, 1-22 hinaus etwa ML, 160-166 und AMG, passim.
M
Dieser Terminus wird in den >Prinzipien< nicht gebraucht; daß er
für Paul aber dasselbe wie »Prinzipienwissenschaft« bedeutet, geht
aus VP, 366 hervor.
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gälte wohl auch für >Sprachphysiologie<), sondern als deren integraler Bestandteil: »Es gibt nur eine Sprachwissenschaft [das ist:
Sprachgeschichte], aber auch nur eine Psychologie« (ebd.). Daß
auch für Paul beide Bereiche im Grunde gegenseitig autonom sind,
wird ganz deutlich in seiner Auseinandersetzung mit Wundts diesbezüglich >integrativer< Position (PSG, Vif.; VP, 371 f.): Dort behauptet er, gegen Wundt und mit Recht, daß die sprach(geschicht)lichen Gesetzmäßigkeiten nicht auf psychologische Gesetzmäßigkeiten (und umgekehrt) reduzierbar seien; dies aber ist immer untrügliches Indiz für die Unabhängigkeit eines Bereichs gegenüber
einem ändern. Wenn Paul dennoch sprachgeschichtliche Einzelforschung wie Prinzipienwissenschaft unter >Sprachgeschichte< subsumiert, schafft er demnach in dieser Hinsicht nur eine terminologische Einheit. Sie ändert nichts daran, daß die derart zusammengespannten Wissenschaften zwei grundsätzlich verschiedene Perspektiven der Sprachbetrachtung verkörpern: die historische vs.
die allgemeine (psychologische/physiologische).67 Dieser Kontrast
zu >allgemein< bestimmt im übrigen wesentlich Pauls Begriff von
»geschichtlich« wie auch sein >Synchronie<verständnis - und dessen
Rekonstruktion; dies wird noch zu sehen sein.
Das gravierendste Mißverständnis liegt allerdings in der Gleichsetzung von Paulschem >geschichtlich< mit >diachronisch<. Wie weit
verbreitet es ist, bezeugt das Avancement von Pauls berühmtem
Diktum zum historiographischen Topos68: Nur wenn >Geschichte<
wie >Diachronie< verstanden wird, ist damit ja der Historismusvorwurf gegen Paul und die Junggrammatiker, den es belegen soll,
auch in theoretischer Hinsicht schlagend belegt. Denn dann - und
nur dann - kann man Pauls Auffassung, daß die einzige sprachwissenschaftliche Perspektive die geschichtliche sei, nicht anders
97
Diese Auffassung wird von Paul (PSG, 21 f.) unwillkürlich bestätigt,
indem er unter den einzigen Möglichkeiten »nichtgeschichtlicher
Betrachtung! - im wesentlichen in unserem Sinne Parole-Fragestellungen - auch »allgemeine Reflexionen [. ..] über das Verhalten
des Einzelnen zum allgemeinen Sprachusus« aufführt, die ihm
andernorts (PSG, 33) als Frage gelten, »[um die sich] die ganze
Prinzipienlehre der Sprachgeschichte [. . .] konzentriert«!
" Vgl. Anm. 4. - >Diachronischer< Sinn wird >geschichtlich< in bezug
auf diesen Topos allerdings auch von ernster zu nehmenden Interpreten unterlegt, so etwa von Rensch (1967, 77); Cherubim (1973,
313); Putschke (1969, 44); Jankowsky (1976, 279); die Stelle ist
auch noch mißverstanden in Reis (1974, 51 Anm. 32).
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HEBMANN PAUL
183
als anti-synchronisch und anti-modern verstehen, nämlich so, daß
er die in unserem Sinn synchronen Realitäten auslasse oder leugne.
Das aber ist nicht der Fall: In Pauls Verabsolutierung des >Geschichtlichem wird nicht die Synchronie als solche negiert, sondern
lediglich, daß sie von der Diachronie kategorial verschieden sei;
beides, das Funktionieren der Sprache wie ihre Veränderung, gilt
ihm nur als zwei Seiten derselben - und einzigen - sprachlichen
Realität, der menschlichen Sprechtätigkeit. Da diese nur eine
Dimension hat, nämlich die geschichtliche, stellt >geschichtlich< die
Kategorie der Aufhebung des Diachronie: Synchronie-Gegensatzes
dar; und das heißt, entgegen der üblichen Auffassung: Pauls >geschichtlich< begreift in unserem Sinne diachrone wie synchrone
Fakten gleichermaßen mit ein. Pauls Position, wie ich sie verstehe,
wäre damit bis in den Geschichtsbegriff hinein die gleiche wie die
von Coseriu vertretene, nach welcher »für die Sprache das Funktionieren (>Synchronie<) und das Zustandekommen oder der Wandel
(>Diachronie<) nicht etwa zwei Momente, sondern nur ein einziges
sind« (1975,138), Sprachwandel seinem Wesen nach nichts anderes
als eine Modalität des Funktionierens darstellt (ebd., 145), insofern
beide »in der Wirklichkeit zusammenfallen« (ebd., 138); und diese
Wirklichkeit ist auch für Coseriu »die historische Entwicklung der
Sprache« selbst. Unter diesem Gesichtspunkt steht dann auch »die
Beschreibung [>Synchronie<] nicht als Gegenbegrüf der Geschichte
gegenüber, da sie schon in letzterer enthalten ist«.69
Daß Pauls Geschichtsbegriff so und nicht anders zu verstehen ist,
wird bei näherer Betrachtung seiner Sprachauffassung deutlich.
Ich beschränke mich auf die Heraushebung der wesentlichen Momente : Bekanntlich gelten für Paul als das einzige und »wahre Objekt für den Sprachforscher [.. .] sämtliche Äusserungen der
Sprechtätigkeit an sämtlichen Individuen in ihrer Wechselwirkung
aufeinander« (PSG, 24). Diese Äußerungen der Sprechtätigkeit
»fliessen aus diesem dunklen Räume des Unbewussten in der Seele«,
in dem »alles [liegt], was der Einzelne von sprachlichen Mitteln zur
0
Ebd., 148, wobei Coseriu bemerkenswerterweise fortfährt: »und in
diesem Sinne kann man auch H. Pauls Gleichung wiederbeleben
Sprachwissenschaft ist gleich Sprachgeschichten« - Zu Coserius
Auffassung vgl. vor edlem Coseriu 1974, 206-247. Ebd., 226 wird
auch auf Pauls Geschichtsbegriff verwiesen, allerdings ohne die
weitgehenden Parallelen zur eigenen Position zu sehen oder zu ziehen.
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MABOA REIS
Verfügung hat«, und zwar »als ein höchst kompliziertes psychisches
Gebilde, welches aus mannigfach untereinander verschlungenen
Vorstellungsgruppen besteht« (PSG, 25). Verstanden werden diese
psychischen Organismen als Produkt der gesamten vom jeweiligen
Individuum erlebten Sprechtätigkeit (PSG, 26). Da aber durch
»jede Tätigkeit des Sprechens, Hörens oder Denkens etwas Neues
hinzugefügt [wird]«, befinden sich diese Organismen »bei jedem
Individuum in stetiger Veränderung« (PSG, 27). Dieses für Paul
»ebenso bedeutsam[e] wie selbstverständlich[e]« Faktum wird in
unserem Zusammenhang erst eigentlich bedeutsam dadurch, daß
Paul nur diese individuellen psychischen Mechanismen als »die
eigentlichen Träger der historischen Entwickelung« anerkennt
(PSG, 28). Wäre dieser der kollektive >Sprachusus<, könnte von
stetiger Veränderung keine Rede sein, da diese von der eher als
Regel- denn als Ausnahmefall anzusehenden Bedingung abhängt,
daß die Verschiebungen in den individuellen Organismen sämtlich
in die gleiche Richtung wirken (PSG, 32). Da Paul aber den Usus
für eine Abstraktion - für eine bloße Durchschnittsbildung über
den Einzelorganismen - hält (PSG, 24 u. 29; GV, 13), und somit
Feststellungen über diesen auch keine Realfeststellungen sein können, folgt tatsächlich bereits »aus der Beachtung der unendlichen
Veränderlichkeit eines jeden einzelnen Organismus [. . .] die Notwendigkeit einer unendlichen Veränderlichkeit der Sprache im
ganzen« (PSG, 28). Der unleugbare Stabilitätsunterschied zwischen
Kinder- und Erwachsenensprache, ein Unterschied, der kollektiv
wie individuell relevant ist, ist für Paul kein Gegenbeispiel; ihm
gilt er seinem Wesen nach als nur graduell (PSG, 29, 34 und 115).
Macht diese Sichtweise die Anerkennung einer unabhängig wirksamen Synchronie schon so gut wie unmöglich, so vertritt Paul
darüber hinaus jene >kreative< Auffassung der Sprechtätigkeit,
welche die oben beschriebene Ineinssetzung von Veränderung und
Funktionieren der Sprache in der Geschichte erst >denk<bar macht:
Sprechen, gleich ob es dem Usus konform ist oder nicht, besteht für
Paul nur zum Teil aus bloß gedächtnismäßiger Reproduktion des
früher Aufgenommenen (PSG, 109f; VP, 369); mindestens ebenso
wesentlich ist es, wie Paul in ausdrücklicher Anknüpfung an Humboldts Charakterisierung des Sprechens als immerwährendes
Schaffen betont, »eine kombinatorische Tätigkeit« (PSG, 110) oder,
allgemeiner, eine »schöpferische Tätigkeit« (PSG, 112; GV, 13). Sie
wird von ihm als analogische Tätigkeit - das heißt: als ein Prozeß
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HERMANN PAUL
185
der >Erzeugung< sprachlicher Form nach proportionalen Regeln beschrieben: »Es liegt nach dem gesagten auf der hand, dass jeder,
indem er spricht, in einem fort analogiebildungen schafft. Reproduction aus dem gedächtnis und neubildung durch combination
sind dabei [. . .] gleich mächtige factoren« (GV, 12; vgl. auch
PS6, 110-120). In dieser analogischen Tätigkeit aber, und das ist
hier entscheidend, ist ein Unterschied zwischen >synchronischer<
Verwendung - i.e. >Wiederherstellung< - und >diachronischer< Veränderung der Sprache - i.e. >Neuherstellung< - nur vom späteren
Betrachter-Standpunkt aus zu machen; real fallen beide in eins zusammen :
Es ist eine nicht zu bezweifelnde Tatsache, daß eine Menge Wortformen und syntaktische Verbindungen, die niemals von außen in
die Seele eingeführt sind, mit Hilfe der Proportionengruppen nicht
bloß erzeugt werden können, sondern auch immerfort zuversichtlich erzeugt werden, ohne daß der Sprechende ein Gefühl dafür hat,
daß er den festen Boden des Erlernten verläßt. Es ist für die Natur
dieses Vorgangs ganz gleichgültig, ob dabei etwas herauskommt,
was schon früher in der Sprache üblich gewesen ist, oder etwas vorher nicht Dagewesenes. Es macht auch an und für sich nichts aus,
ob das Neue mit dem bisher Üblichen in Widerspruch steht; es genügt, daß das betreffende Individuum keinen Widerspruch mit dem
bisher Erlernten empfindet (PSG, 110).
Es ist von hier aus nur folgerichtig, wenn Paul auch die zu seiner Zeit
übliche Heraushebung der sprachverändernden Analogie als
»falsche Analogie« zurückweist:
[.. .] diese [= die falsche Analogie] ist tatsächlich durch ausnichts
anderes als die >richtige<, [. . .], und wirkt genau mit derselben
psychologischen notwendigkeit. Wir tragen durch diese Unterscheidung einen gesichtspunkt in die betrachtung hinein, der für
den wirklichen Vorgang vollkommen irrelevant ist. Schafft der
sprechende nach analogic eine form, die schon vor ihm in der spräche
üblich gewesen ist, oder die sich nach den lautgesetzen correct aus
einer form der Ursprache oder überhaupt einer älteren sprach periode hätte entwickeln können, so hat er dabei nicht mehr bewustsein von den ursprünglichen gesetzen der formenbildung, als
wenn er eine form hervorbringt, die sich mit den letztern nicht verträgt. (GV, 15)
Mir scheint es unbezweifelbar, daß Pauls Diktum, »die eigentliche Ursache für die Veränderung des Usus [sei] nichts anderes
als die gewöhnliche Sprechtätigkeit« (PSG, 32), sich weniger auf
das Faktum der unmerklichen Verschiebung materieller Realisierung >der Sprache< bezieht, wie man von der heute üblichen de
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MABOA REIS
Saussureschen Sicht aus anzunehmen versucht ist, als auf seine
eben skizzierte Anschauung von der Natur dieser Sprechtätigkeit,
in der Verwendung und Veränderung der Sprache eines sind. »Daß
die Sprache in einem beständigen Wandel begriffen ist, ist etwas
von ihrem Wesen Unzertrennliches« (VP, 369). Und nimmt man
seine Annahme unaufhörlicher Veränderung der Sprache hinzu,
kommt als Aufhebungskategorie dieses Gegensatzes von Verwendung und Veränderung in der Tat nur eine in Frage: die geschichtliche.
Deutet man Pauls »geschichtlich« (wie auch das von ihm gleich
verwendete »historisch«) in dieser Weise, erscheint nicht nur Pauls
vielzitierte Gleichsetzung von Sprachwissenschaft mit Sprachgeschichte in einem anderen - und besseren - Lacht; es schwindet
auch zugleich der Schein von Widersprüchlichkeit, den ein als
>diachronisch< verstandenes »geschichtlich« an vielen Stellen erzeugt. Man vergleiche etwa folgenden Ausschnitt aus Pauls Argumentation für die genannte Gleichsetzung
[. . .] Vergleicht man z.B. die verschiedenen Bedeutungen eines
Wortes [auf einer bestimmten Entwicklungsstufe] untereinander,
so sucht man festzustellen, welche davon die Grundbedeutung ist,
oder auf welche untergegangene Grundbedeutung sie hinweisen.
Bestimmt man aber eine Grundbedeutung, aus der andere abgeleitet sind, so konstatiert man ein historisches Faktum. Oder man vergleicht die verwandten Formen untereinander und leitet sie aus einer
gemeinsamen Grundform ab. Dann konstatiert man wiederum ein
historisches Faktum. Ja man darf überhaupt nicht einmal behaupten, daß verwandte Formen aus einer gemeinsamen Grundlage abgeleitet sind, wenn man nicht historisch werden will. (P3G, 21)
mit späteren Aussagen, in denen Paul die ältere Forschung dafür
tadelt, daß sie »die Bedeutung eines Wortes nach seiner Etymologie
bestimmt, während doch jedes Bewusstsein von dieser Etymologie
bereits geschwunden [. . .] ist« (PSG, 31); oder mit der Feststellung,
daß in einer ganzen Reihe von Fällen - so etwa bei nhd. Tadel,
Kopf, Rat - die etymologische Grundbedeutung eines Wortes nicht
mit der gegenwärtigen Hauptbedeutung zusammenfallt, sondern
sogar umgekehrt »unser heutiges Sprachgefühl« die vorhandenen
»Reste älterer Bedeutung an die jüngere, jetzt zur Hauptbedeutung
gewordene [anlehnt], so dass sie als Ableitungen aus dieser gefasst
werden« (PSG, 249).70
70
Analoge Aussagen und augenscheinliche >Widersprüche< finden sich
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HERMANN PAUL
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Fällt >historisch< mit >diachronisch< (oder, was hier auf das Gleiche hinausläuft, mit >etymologisch<) zusammen, stehen diese Aussagen in klarem Widerspruch, der sich in keiner Weise wegdiskutieren ließe; er ließe sich allenfalls als unvermeidlich darstellen.71 Versteht man jedoch >historisch< im oben geltend gemachten
Sinn, tritt ein Widerspruch zwischen den verschiedenen Aussagen
überhaupt nicht auf. Unter Rückgriff auf Pauls Konzeption der
Sprechtätigkeit wird dies sofort einsichtig: Ableitungsbeziehungen
zu beschreiben, heißt ja in Pauls Sinn immer, Vorgänge der analogischen Sprechtätigkeit zu beschreiben. Da es, wie oben belegt,
für die Natur dieser Vorgänge gleichgültig ist, ob die vom Sprecher
vorgenommene Bestimmung »eine[r] Grundbedeutung, aus der
andere abgeleitet sind«, auf die etymologische Grundbedeutung
führt oder nicht, sind die in den späteren Aussagen angesetzten
>synchronen< Ableitungen in dem im ersten Zitat mehrfach verwendeten Begriff von Ableitung enthalten. Indem sie aber als solche
Vorgänge der Sprechtätigkeit sind, sind sie eo ipso auch geschichtlich - in dem für Paul charakteristischen Sinn, in dem einerseits in
diesen Vorgängen Verwendung und Veränderung von Sprache zusammenfallt, andererseits jeder BetätigungsVorgang als minimaler
geschichtlicher Prozeß innerhalb eines Prozesses unaufhörlicher Veränderung gilt. Damit aber ist die Vereinbarkeit der verschiedenen
Aussagen gezeigt: Mit jeder Ableitungsbeziehung behauptet man
in der Tat ein im Sinne Pauls historisches Faktum. Die für uns
kategorialen Unterschiede zwischen >diachronischen< und >synchronischen< Feststellungen schrumpfen auf bloße Unterschiede in
den Zeitspannen zusammen, in denen die Betrachtung erfolgt >geschichtlich< sind sie beide.
Damit soll nicht gesagt sein, daß dies umfassende Verständnis
von >geschichtlich< an jeder Stelle wichtig wird, an der Paul diesen
Begriff verwendet, wohl aber, daß es sich mit jeder Verwendung
dieses Begriffes verträgt. So tritt zwar etwa PSG, 29 ff. - Paul geht
es dort um die Veränderungen vor allem des Usus und deren Be-
71
auch für den Bereich von Laut· und Formenlehre, vgl. PSG, 21 mit
PSG, 117f., bzw. mit PSG, 31.
Pauls Haltung zur >Synchronie< wäre dann in der für die unterste
Geltungsstufe eines Konzepte charakteristischen Weise zu deuten,
daß die Verfolgung des diachronen Hauptinteresses systematisch
die Anerkennung der synchronen Realitäten erzwänge, die er in
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MABGA REIS
Schreibung, wobei die Beschreibung von Sprachzuständen die
»Unterlage für die historische Betrachtung« darstellt - ein diachrones Verständnis von >historisch< zunehmend in den Vordergrund.
Diese Bedeutungseinschränkung ist jedoch voll aus dem Kontext
erklärlich, da der Usus, wie bereits gezeigt, keinem stetigen Veränderungsprozeß unterliegt. Solche Belege widersprechen also weder der hier vertretenen Deutung von geschichtlich<, noch bieten
sie der üblichen >diachronischen< Deutung eine ausreichende Stütze.
Sie erklären allenfalls, zusammen mit dem auch für Paul unbestreitbaren GeltungsVorrang diachroner Fragestellungen, wie es zu diesem Mißverständnis seiner Geschichtsauffassung kam.
2.2. Wenden wir uns der Hauptfrage zu: In welchem Umfang hat
Hermann Paul über die moderne Synchronie: Diachronie-Unterscheidung verfügt? Akzeptiert man die hier vertretene Deutung
von Pauls >geschichtlich<, liegt eine Antwort in einer Hinsicht bereits vor: Synchronie wird in Pauls Theorie als unabhängige, eigengesetzliche Dimension des Sprachlebens nicht anerkannt. Daß
Paul großes Gewicht auf die genaue Abgrenzung und Charakterisierung von Sprachzuständen legt72, widerspricht dem nicht: Soweit es um »Sprachzustände« der psychischen Einzelorganismen
geht (PSG, 29f.), geht es wohl um eine Realität, aber um eine bloß
punktuelle und damit in keiner Weise eigenständige Realität angesichts der total geschichtlichen Natur des Objekts können
Sprachzustände mit Notwendigkeit nichts anderes sein als >Momentandurchschnitte< durch dessen unaufhörlichen geschichtlichen
Entwicklungsprozeß.78 Dies ist zwar nicht notwendig der Fall, wenn
seiner theoretischen Verabsolutierung der Diachronie leugnet. Daß dies im wesentlichen der Standpunkt der Forschung ist, geht
aus dem in 2.0 Berichteten hervor; die daraus gezogenen widersprüchlichen Schlußfolgerungen hangen, wie ebd. gezeigt, mit der
Vernachlässigung von >Geltungsunterschieden< zusammen.
71
PSG, 29-32; diese Stelle gut und dient gewöhnlich (so bei Putechke,
Cherubim und Koerner, vgl. Abschnitt 2.0) als entscheidender Beleg dafür, daß Paul oder die Junggrammatiker pauschal über die
Synchronie : Diachronie-Unterscheidung verfügt hätten. Wie man
auch dazu steht, in jedem Fall aufschlußreicher für Pauls Vorstellungen von deskriptiver Sprachbeschreibung sind seine - bezeichnenderweise im Kontext seiner Methodenlehre stehenden Ausführungen zu »Sprachzustand« ML, 200-203.
7
* Der in junggrammatischer Zeit geläufige, auf Delbrück zurückgehende Terminus >Momentandurchschnitt< (vgl. auch Techmers
Rezension von Pauls >Prinzipien<, 1887, 403) findet sich bei Paul
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HEBMANN PAUL
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sich »Sprachzustand«, wie an sich üblich, auf den kollektiven
Sprachusus bezieht (PSG, 30f., ML, 200ff.), da dann Sprachzustände (von Pauls Standpunkt aus zufallig) von gewisser Dauer sein
können. Aber dann kommt >Sprachzustand< schon von vornherein
keine Realität zu, weil auch das >zuständige< Objekt keine hat; der
Usus, »das eigentlich Normale in der Sprache« (PSG, 29), ist ja für
Paul nur eine Durchschnittsbildung über ihrerseits punktuellen
individuellen Realitäten. In jedem Fall also kann innerhalb der
Panischen Theorie ein Sprachzustand nur als Reflex (und damit
als total abhängig von) der jeweiligen Vorgeschichte der EinzelOrganismen begriffen werden; den Status einer unabhängig wirksamen synchronen Größe erreicht er, bzw. das derart abstrahierte
>synchrone Sprachsystem<, nie. Redeweisen wie diese, »daß der Usus
die Sprache des Einzelnen bis zu einem gewissen Grade beherrschte]«
(PSG, 29 und 33), besagen keineswegs das Gegenteil; nach dem
Kontext zu schließen, umschreibt Paul hier nur das mehrfach beschworene statistische Faktum neu, daß in die Durchschnittsbildung nicht alles je Individuelle, sondern nur das Gemeinsame
eingeht.74 Daß alle Individuen in einer Verkehrsgemeinschaft an
die gleiche Sprache »gebunden« sind, findet zudem für Paul seine
ausreichende Erklärung in den Gegebenheiten des Spracherwerbs:
»Hier [= bei der Sprache] ist die Gebundenheit des Einzelnen durch
die Verkehrsgemeinschaft besonders deutlich. Es kann sich seine
Sprache nicht willkürlich schaffen, sondern muß sie von älteren
Angehörigen dieser Gemeinschaft erlernen, wodurch dann [. . .]
eine bestimmte Gruppierung der Vorstellungswelt bedingt ist«
(AMG, 30).7S Der Annahme eines gegenüber der geschichtlichen
Entwicklung unabhängig >wirksamem synchronen Systems bedarf
74
78
nicht; zur >punktuellen< Auffassung von (u.a.) Sprachzuständen
vgl. jedoch AMG, 36f.
Eine andere Auffassung vertritt (in Kritik an Weinreichs Deutung
[1968, 106f.], die mit der hier vertretenen konform geht) Cherubim
(1975, 18f.).
Darüber hinaus unterstellt Paul natürlich explizit oder implizit ein
Konformitätsstreben zwischen den Angehörigen einer Verkehrs gemeinschaft, das, zusammengenommen mit der ohnehin gegebenen psychophysischen Ähnlichkeit sämtlicher Individuen und der
Gleichheit der Lebensumstände für diese Verkehrsgemeinschaft,
die relative Stabilität des Sprachusus der Erwachsenen erklären
soll, vgl. z.B. PSG, 19 und 189; AMG, 28-31; dazu kritisch Weinreich (1968, 112f.).
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MABGABEIS
es zur Erklärung der Gemeinsamkeiten nicht; erst recht fremd ist
Paul entsprechend die Vorstellung einer Synchronie als unabhängiger, auf die Diachronie einwirkender Kraft. Nur an einer einzigen Stelle kommt er solchen Vorstellungen explizit nahe, wenn
er im Kontext der Auseinandersetzung mit Wundts Völkerpsychologie formuliert: »[.. .] mit jedem besonderen Sprachzustande sind
besondere Tendenzen zu bestimmten Veränderungen gegeben« (VP,
371). Bückwirkungen auf Pauls Sprachtheorie hat dieses klarerweise vom Kontext abgenötigte Zugeständnis jedoch nicht.
Man kann von daher mit Recht sagen, daß Paul Sprachzustände
im wesentlichen als bloße Punkte der geschichtlichen Entwicklungslinien der Sprechtätigkeit verstand - so wie de Saussure umgekehrt Geschichte als bloße Abfolge von Sprachzuständen (unter
Ausschaltung der Sprechtätigkeit) betrachtete.7· Die große Aufmerksamkeit, die diesem Konzept bei Paul geschenkt wird, hat
nicht theoretische, sondern methodische Gründe: Sprachzustände
>gelten< (im oben erläuterten Sinn) als unentbehrliche Hilfsmittel
bei der Verfolgung des diachronen Leitinteresses. Gleich, welche
Aufgabe der Geschichtsschreiber sich stellt, »der Beschreibung von
Zuständen [kann] er nicht entraten« (PSG, 29).
Diese theoretische Einstellung setzt auch Pauls synchroner Beschreibungspraxis ihre Grenzen. Sie sind allerdings anders und
weiter gesteckt, als man gemeinhin, ausgehend von einem >diachronischem Geschichtsverständnis, unterstellt. Was von diesem
aus dann zu erwarten wäre - die zeitweilige Vermischung synchronischer und etymologischer Fakten, die Hervorhebung der diachronischen als der eigentlichem Realitäten -, unterläuft zwar den
junggrammatischen Zeitgenossen und Nachfahren77, nicht aber
74
77
Vgl. de Sauesure (1916, 93ff.). Damit ist auch de Sauesuree Synchronie : Diachronie-Unterscheidung, gemessen an der in Abschnitt 2.0
gegebenen Bestimmung, im modernen Sinn nicht vollgültig, weil
nun die Diachronie keine eigenständige Dimension mehr darstellt
(vgl. Reis 1974, 19). Vgl. auch Anm. 86 und 98.
Das wissenschaftsgeschichtlich bedeutsamste Beispiel hierfür ist
Brugmanns und Osthoffs Verwechslung eines gesetzlichen Lautwandels mit einem synchronen LautWechsel, vgl. Weinreich (Weinreich/Labov/Herzog 1968, 115f.). Weitere Beispiele u. Anm. 80
sowie für den Bereich der Lautlehre in meiner Dissertation (1974,
9f.), in der ich auch junggrammatische und strukturalistische
Sprachauffassung unter phonologischem Blickwinkel verglichen
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HEBMANN PAUL
191
Paul selber78. Was andererseits dann nicht zu erwarten wäre (und
entsprechend oft übersehen oder mit unverkennbarer Überraschung
registriert wird), liegt bei Paul durchaus vor, nämlich die in vieler
Hinsicht adäquate Erfassung synchroner Gegebenheiten. Nehmen
wir als Beispiel seine Beschreibung der nhd. Wortbildung :79 Natürlich ist Pauls Darstellung insofern diachronisch bestimmt, als wir
in jedem Fall die Herkunft der behandelten Bildungsmuster erfahren. Auch werden die Affixe teilweise nach ihrer germanischen
Gestalt gruppiert, wodurch manchmal für das nhd. Sprachgefühl
Zusammengehöriges getrennt dargestellt wird, andererseits nhd.
klar zu Trennendes sich unter einer Rubrik behandelt findet; ein
Beispiel für beides bietet die heutige (von Paul als solche erkannte)
Gliederung der ge . . . ( )-Bildungen (WB, 56 f. und 78). Dennoch
ist eine dazu gegenläufige Ausrichtung auf die synchronen Gegebenheiten unverkennbar; in vielem gewinnt sie als Darstellungsprinzip die Oberhand: So behandelt Paul, der zwischen produktiven (»den noch schöpfungskräftigen lebendigen«) Suffixen und unproduktiven (»toten«) Suffixen unterscheidet, »im wesentlichen nur
die lebendigen Ableitungstypen« (WB, 47); ihrer heutigen Geltung
entsprechend stehen Bildungen auf -turn, -schaft, -bar etc. nicht bei
den Zusammensetzungen, sondern bei den Ableitungen; die heutige
Zwischenstellung von Bildungen mit -iverk, -vott etc. wird erwähnt
71
7f
habe. Von den Vergleichsergebnissen bezüglich der Synchronie:
Diachronie-Unterscheidung mache ich im folgenden, ohne es durchweg im einzelnen anzumerken, wesentlichen Gebrauch.
Daraus folgt fast unvermeidlich, daß Paul die eindimensionale Geschichtlichkeit anders auffaßte als die anderen Junggrammatiker,
bzw. daß Paul auch von diesen xliachronisch< mißverstanden wurde.
Dies scheint mir nicht unwahrscheinlich: Pauls theoretische Interessen wurden, wie oben angemerkt, von den wenigsten geteilt; und
das Mißverständnis konnte schon deshalb unbemerkt bleiben, weil
es für die hauptsächlich von diachronischen Fragestellungen bestimmte Praxis keine Rolle spielte. Man beachte, daß sich auch die
sonstige unbekümmerte Verkürzung von >Erklärung< auf xiiachronische Herleitung< - »Eine Sprache, deren Gang uns die Denkmäler auf lange Zeit hin vor Augen führen, erklärt sich, je mehr wir
uns der Gegenwart nähern, aus ihrer in der Überlieferung überschaubaren Vergangenheit« (Brugmann 1885, 26f.) - bei Paul nicht
findet.
Gegeben in Teil IV: Wortbüdungslehre (= WB) seiner >Deutsche[n] Grammatik< (Halle 1916-20); theoretische Grundlagen
hierzu bietet vor allem Kap. XIX der >Prinzipien< (PSG, 325-351).
Siehe auch o. 8. 171.
13 Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache, Band 100/2
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MABOA REIS
(WB, 88; 108f.). Auch -heu, -keü (mit Variante -igkeit) erscheinen
von vornherein als zwei Suffixe; umgekehrt werden die nhd. Reste
alter Suffixbildungen, die möglicherweise noch strukturell analysierbar sind, ohne daß der zweite Bestandteil jedoch wegen seiner Vereinzelung als Suffix gelten dürfte, synchron konsequent als Falle
eines Typs (sozusagen >Bildungen mit unikalem Zweitmorphem<)
zusammengefaßt (WB, 80f.). Die sonstigen Gliederungsverschiebungen und Suffixspaltungen zum Nhd. hin werden in jedem Fall
als solche verzeichnet (so etwa bei -er/-fer/-ner, -chen/-elchen und
-era, vgl. WB, 50f.; 61 f.; 88f.). Was andere synchronische Fragestellungen angeht, so tritt in Pauls Beschreibung die heutige funktionelle Binnengliederung der Ableitungstypen klar zutage (vgl.
etwa WB, 61 f., 84ff. zu -er, -schaft, -heit); auf Suffixkonkurrenzen,
mögliche formale Ableitungsbasen und auf die (auch in formaler
und funktionaler Hinsicht zu differenzierende) Produktivität einzelner Typen wird vielfach, wenngleich nicht systematisch hingewiesen. - Ein ähnliches Bild bietet Pauls Darstellung der Komposition. Sein Klassifikationsprinzip ist durchaus ahistorisch: Zusammensetzungen werden im wesentlichen beschrieben nach der
Wortart des Zweitgliedes, sodann der Art des »logischen« Bezugs
zwischen Erst- und Zweitglied, schließlich der (Wort-)Art des Erstglieds; in diesem Rahmen werden die synchronisch vorhandenen
Bildungstypen und -möglichkeiten im wesentlichen vollständig und
zutreffend erfaßt (WB, 5-47). Wiederum bleiben frühere Komposita, die heute als Worteinheit empfunden werden, von vornherein
außer Betracht (WB, 32); der diachronische Zungenschlag, wie ihn
die Termini >eigentliche< vs. >uneigentliche< Zusammensetzungen
u.a. dokumentieren, fehlt durchweg.80 Damit soll nicht behauptet
sein, daß Paul eine vollständig adäquate Analyse der nhd. Kompo•° Paul verwirft diese Termini sogar explizit (WB, 16), wogegen sie in
der späteren, in der junggrammatischen Tradition stehenden Wortbildungslehre von Henzen bedenkenlos wieder verwendet werden
(vgl. ders. 1957, 36ff). Auch eine die genetischen Verhältnisse als
die >eigentlichen< hervorhebende Aussage wie die folgende - es geht
dabei um sog. >Rückbildungen< - ist für Paul so gut wie undenkbar:
»Entgegen dem natürlichen und anerzogenen Sprachgefühl handelt
es sich bei diesen Substantiven also um eigentliche Ableitungen.
Sie erweisen sich als eine Sonderart der Analogiebildung; Rückbildung ist nur aus Analogie denkbar. In vielen Fällen ist die
Täuschung des Sprachempfindens weniger vollkommen [. . .]« (ebd.
241).
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HEBMANN FAUL
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sition bietet. So kann man durchaus darüber streiten, ob seine
Klassifikation81 dem Gegenstand in allen Punkten angemessen ist,
das heißt: Pauls eigener Forderung gemäß (PSG, 29ff.) genau die
im Sprachgefühl gegebenen Gruppierungen abbildet.81 Und auf
jeden Fall kritisch gegenüberstehen wird man wohl Pauls Behandlung der morphologischen Form substantivischer Erstglieder, vgl.
Schweinebraten, Augapfel, Augenbraw, Diebsgesindel, AussicJUsturm, Bücherschrank, wahrheitsliebend, Dachgeschoß etc., deren nhd.
einheitlicher Stammcharakter verkannt, zumindest nicht akzentuiert wird (WB, 8-14).88 Aber, und das ist hier wohl entscheidend,
diese Schwächen der synchronischen Analyse wurzeln nicht primär
in einem einseitig diachronischen Standpunkt: Im ersten Fall geht
es offensichtlich um die Angemessenheit der zugrundegelegten
Wortbildungstheorie und damit der Auffassung des Sprachsystems;
aber auch die zweite Unzulänglichkeit ist nicht primär diachronisch
motiviert: Paul beschreibt die nhd. Fakten, sowohl das Verhältnis
der Erstglieder zu den einschlägigen Flexionsformen als auch ihre
syntaktische Beziehung zu den Zweitgliedern als auch die nhd.
Verwendung des auffälligsten Fugenelements -s-, völlig korrekt;
auch strukturelle Analogie (Parallelität) zwischen sog. »genitivischen« und stammhaften Zusammensetzungen wird von ihm erkannt und erklärend genutzt (PSG, 346; WB, 12f.); er verfehlt
nur, aus all dem den richtigen Schluß auf die nhd. Neugliederung
der Verhältnisse zu ziehen.84
Es erhebt sich jedoch die Frage, ob nicht synchronische Beschreibungslücken wie diese durch Pauls geschichtlichen Standpunkt
mitbedingt sind. Und genau hier ist es an der Zeit, sich die bereits
behaupteten Grenzen von Pauls Synchronieverständnis zu ver11
Diese Klassifikation ist noch heute gängig, vgl. etwa Fleischer 1975.
" Diesbezügliche Kritik an Paul übt Moteoh (1970, 210f); daß sie
Paula Vorstellungen nicht gerecht wird, zeigt Seppanen (1977,
139ff.).
81
In den heutigen Wortbildungslehren wird diese Problematik unter
dem Stichwort >Kompoeitionefüge<, >Fugenelemente< abgehandelt
(vgl. etwa Fleischer 1975,121-131). Daß die betreffenden Elemente,
mit der möglichen Ausnahme des -*-, konsequent als Stammbildungselemente zu behandeln sind, zeigt Wurzel (1970, 25ff.).
14
Das heißt, seine Darstellung der Verhältnisse ist im Sinne von
Chomsky (1964, 62-64) nur beobachtungsadäquat, aber nicht deskriptiv adäquat.
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MABOA BUS
gegenwärtigen. Von dem Paul hier zugeschriebenen GeschichteVerständnis aus ist von vornherein weder eine Verwechslung synchronischer und diachronischer Fakten zu erwarten noch die Beschreibung synchroner Fakten vollständig ausgeschlossen; sie steht
lediglich unter dem theoretischen Vorzeichen >historisch< und, da es
um den Usus geht, auch >Abstraktion<. Aus der punktuellen Natur
der >Synchronie< in Pauls Sinne ergibt sich jedoch von vornherein
eine wichtige Einschränkung: Synchronische Fakten werden nur
insoweit adäquat erfaßt, als sie statische Gegebenheiten, bloße Reflexe der jeweiligen Vorgeschichte sind. Sobald es um Erkennen
und Beschreibung synchronischer Regeln geht, sind hingegen
Schwierigkeiten zu erwarten, da Paul in seiner einheitlich geschichtlichen Auffassung der Sprechtätigkeit zwischen regelgeleiteter und
regelverändernder Kreativität nicht unterscheidet; synchrone
Dynamik ist innerhalb seiner Geschichtsauffassung ein Widerspruch in sich.85
Das Wortbildungsbeispiel bestätigt diese Vorhersage durchaus:
Erstens sind alle adäquat erfaßten synchronischen Fakten statische
Fakten. Aber umgekehrt sind nicht alle gar nicht oder falsch repräsentierten synchronischen Fakten von >Regel<-Natur. Dies hat
sicher zum Teil keinen systematischen Grund; es gibt theorieunabhängige Auslassungen und Fehler. Aber zu einem Teil spielt
doch der Gesichtspunkt unterschiedlicher >Geltung< von Synchronie
und Diachronie mit hinein: Wer sich primär für Entwicklung interessiert, wird zwar auf jeden Fall konstatieren müssen, daß sich mhd.
•heu und -sere nhd. in formal je drei Suffixe aufgespalten haben; ob
darüber hinaus das synchronisch wichtige Faktum in den Blick
gerät, daß -igkeitl-keit nhd. nur Varianten, -er und -ler aber je
eigenständige Suffixe sind, hängt vom Zufall ab; systematisch danach gefragt wird nicht. Ähnliches gilt für die oben angesprochene
nhd. Umstrukturierung stammbildender Elemente; daß sie bei
einem Blick, der auf Entwicklung gerichtet ist, genau so schnell
auflallt wie in synchroner Sehweise, ist wenig wahrscheinlich. Daß
" In Coseriufl parallelem Ansatz wird der parallel entstehende Widerspruch durch die Einführung einer höheren (über Norm und System
stehenden) Ebene des Type aufgefangen, von dem aus dann
>synchrone Dynamik< vorstellbar wird (Coseriu 1975, 143; zur Kritik daran Reis 1974, 30, Anm. 29). Bei Paul findet sich, der fehlenden Abgrenzung von spezifisch sprachlichem Vermögen auf allen
Ebenen entsprechend, eine solche Vorstellung nicht.
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HERMANN PAUL
196
hierfür die fehlende (oder, wo sie fragmentarisch greifbar ist: unterschiedliche) Konzeption des synchronen Systems vielfach mitverantwortlich ist, ist ebenso evident wie selbstverständlich:86 Wo
etwa nicht systematisch zwischen Varianz und Eigenständigkeit
unterschieden wird, sind entsprechende synchrone Fragen weder
in Lautlehre noch Morphologie zu erwarten.87 Aber immer ist das
nicht der Fall, so etwa nicht für das Beispiel der nhd. >Stamm<Komposita: Weder war Paul der Gedanke einer Gliederungsverschiebung fremd (vgl. ML, 222), noch fehlte es an ihm vertrauten
Parallelerscheinungen (vgl. etwa WB, 8f.). Hier tritt, wenn überhaupt, nur die bloß zweitrangige >Geltung< von Synchronie erklärend ein.
Zweitens treten auch die vorhergesagten Probleme mit synchronen Regeln auf. In der Wortbildung werden sie zunächst virulent
in der Beziehung, die Paul zwischen Kompositum und ihm entsprechender syntaktischer Fügung herstellt (vgl. PSG, 326ff.).
Zwischen der synchronischen (sozusagen >transformationellen<) und
diachronischen Deutung dieser mit >wird zu<, >entsteht aus< u.a.
charakterisierten Beziehung bleibt Paul schwankend88 oder vage;
damit wird er jedoch weder den synchronen noch den diachronen
Fakten ganz gerecht.89 Ebenso ist bei ihm unentschieden, ob der
" Das gilt auch noch in einem zweiten, viel unmittelbareren Sinn als
dem im Text angesprochenen: Bestimmte Konzeptionen des
Sprachsystems setzen die gleichzeitige Anerkennung eigenständiger
Synchronie notwendiger voraus als andere. So ist de Saussures Vor·
Stellung des sprachlichen Systems als eines Systems negativer,
distinktiver, sich gegenseitig begrenzender Einheiten notwendig
gleichzeitig synchronisoh. Es ist nicht übertrieben zu behaupten,
daß diese distinktive Syetemvorstellung überhaupt das einzige
wirkliche Argument ist, das de Saussure für seine Forderung nach
eigengesetzlicher Synchronie hat. In allen anderen relevanten
Punkten geht er in der Avisformung eines vollgültigen Synchronie:
Diachronie-Gegensatzes über Pauls Vorstellungen nicht hinaus
(vgl. Reis 1974, 62; 132f. Anm. 16, 35, 36; 155f.; Peeters 1974).
87
Zur von der modernen sehr verschiedenen junggrammatischen
Konzeption von (Einheit vs.) Varietäten vgl. Reis (1974, 62-65).
88
Hierzu Seppänen (1977, 143f.).
" Das gilt auch, wenn wir Paul einen eher lexikalistischen als transformationeilen Wortbildungsstandpunkt unterstellen, wie folgende
charakteristisch synchron -diachron schwankende Feststellung
(PSG, 326) nahelegt: »Die Lebendigkeit des Gefühls für die Komposition zeigt sich besonders in der Fähigkeit eines Kompositums,
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MABGA BEI8
unzweifelhafte Bedeutungsunterschied von Kompositum und entsprechender freier Fügung eine diachronische Vorbedingung zur
Entstehung von Komposita ist (so eher PSG, 330f.) oder eine mit
der Komposition eo ipso, gleichzeitig gegebene, damit >synchrone<
Eigenschaft (so eher WB, 11) darstellt. Lediglich in der Unterscheidung von lebendigen und toten Suffixen wird implizit >Regel<haftes anerkannt; aber dies ist fast typisch, ist doch für die Produktivität auch am wenigsten geklärt, inwieweit bei ihr regelgeleitete und regelverändernde Kreativität überhaupt auseinandergehen. Die hier synchronisch wichtige Frage der Norm wird bei
Paul in jedem Fall übersprungen.90
Ein ähnliches Bild bietet die Lautlehre. Hier sind an sich die
Voraussetzungen für die Anerkennung synchronischer Regeln am
günstigsten, da Paul in der Theorie sorgfaltig zwischen totem und
lebendigem Lautwechsel unterscheidet (ML, 201; PSG, 68, 108,
vor allem 117ff.); tote Lautwechsel sind bloße Reflexe vorangegangenen Lautwandels, lebendige sind Fälle sog. lautlicher Analogie ;91 diese steht dem Konzept synchroner Regeln nahe.92 Nimmt
man hinzu, daß Lautwandel und Analogie im geschichtlichen Kontext junggrammatisch immer in antinomischem Gegensatz gesehen
werden - Lautwandel als zerstörerische, Analogie als reorganisierende Kraft -, scheint es von Pauls Auffassung zur Anerkennung
von Synchronie und Diachronie als zwei eigengesetzlichen Sprach-
M
ale Muster für Analogiebildungen zu dienen. Wenn wir die Komposition aus der Syntax abgeleitet haben, so soll damit keineswegs
gesagt sein, daß jedes einzelne Kompositum aus einem syntaktischen Komplex entstanden ist. Vielmehr sind vielleicht die meisten
sogenannten Komposita in den verschiedenen Sprachen nichts
anderes als Analogiebildungen nach solchen, die im eigentlichen
Sinne Komposita zu nennen wären.« - Die Frage nach den tatsächlich nhd. vorhandenen Wortbildungsregeln stellt sich damit ebenso wenig wie die nach der diachronen Veränderung dieses Regelsystems.
Vgl. etwa WB, 15: »Die Möglichkeit zur Bildung von Zues. aus zwei
Substantiven ist unbegrenzt. Ob solche aber wirklich gebildet werden, hängt natürlich vom Bedürfnis ab.«
91
Pauls Begriff von lautlicher Analogie unterscheidet sich von dem
Schuchardts (1885) infolge der ganz unterschiedlichen Einstellung
zur Sprachmischung erheblich, worauf er selbst hinweist (RHS, 5).
" Die begriffliche Parcdlelisierung von Pauls »Lautwandel« mit
>phonetic rule< und »Lautwechsel« mit >alternation<, die Weinreich
(Weinreich/Labov/Herzog 1968, 116f.) vornimmt, scheint mir
irreführend.
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HEBBiANN FAUL
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dimensionen nur noch ein kleiner Schritt zu sein. Wenig davon wird
jedoch in der praktischen Beschreibung wirksam: Daß es im Neuhochdeutschen synchronische phonologische Regeln wie etwa die
Auslautverhärtung, die -tcA/-ocA-Laut-Regel etc. gibt, läßt sich aus
dem der Lautlehre gewidmeten Teil von Pauls >Deutscher Grammatik (teilweise im Gegensatz zu PSG, 118f.) schwer erkennen; die
Lautverhältnisse des Neuhochdeutschen werden in der Hauptsache
im Sinne des punktuell statischen Sprachzustandsbegriffs als Reflexe der geschichtlichen Entwicklung greifbar. Auch im weiteren
Verlauf der Diskussion in den >Prinzipien< wird nur noch »toter«
Lautwechsel behandelt (vgl. PSG, 191).
Auch hier mögen Geltungsgesichtspunkte im Spiel sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß »lautliche Analogie« eine ad hoc-Ausdehnung des Analogie-Konzepts darstellt, deren systematische
Implikationen - weil von der Theorie zu wenig abgestützt - für
Paul nicht sichtbar sind. Der ad hoc-Charakter erhellt auch daraus,
daß Paul, über erste Ansätze hinaus (PSG, 117), der Frage nicht
weiter nachgeht, die von seinem geschichtlichen Ansatz her an sich
vordringlich ist, nämlich wie sich lebendige Lautwechsel und im
Vollzug befindliche Lautgesetze zueinander verhalten. Die Folgen
dieser Unterlassung sind allerdings günstig für die Stabilität seiner
Theorie: Seine einheitlich geschichtliche Auffassung der Sprechtätigkeit, wenn auf diesen Punkt hin überprüft und konsequent zu
Ende gedacht, führte notwendig dazu, beide gleichzusetzen.93 Damit aber wäre die Frage von einheitlich geschichtlicher Perspektive
vs. synchron :diachroner Doppelperspektive an einen Punkt gebracht, wo sie überprüfbar wird - und sich zugunsten der Doppelperepektive entscheidet: Denn da es zu synchronischen Regem
eben in Wirklichkeit nicht immer gleich formulierbare diachronische Lautgesetze gibt und umgekehrt94, sind ceteris paribus9* Synchronie und Diachronie als prinzipiell unterschiedliche Gesetzmäßigkeitsdimensionen anzuerkennen. Anders formuliert: Es gibt
·* So konsequent bei Coseriu (1974, Kap. III), der daraus eine Erklärung für die Regularität des Lautwandels ableitet.
94
Beispiele hierzu im Kontext der Auseinandersetzung mit Coserius
Standpunkt bei Reis 1974, 19f.
91
Ob dieser Schluß in jedem Fall - beispielsweise auch, wenn man
ein konsequent heterogenes Modell des Sprachsystems im Sinne
Labovs (vgl. Weinreich/Labov/Herzog 1968) zugrundelegt - gültig
ist, habe ich noch nicht überprüft.
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KABOA REIS
nicht nur geregelte geschichtliche Vorgänge, auch Regeln haben
ihre Geschichte.
Diese Formulierung weist darauf hin, daß auch an diesem Punkt
die Unterscheidung von Synchronie: Diachronie und die je zugrundegelegte Konzeption von Sprachsystem zueinander in Beziehung stehen. >Regeln< als synchrone Systemgrößen anzuerkennen, setzt eine mehrschichtige und damit in jedem Fall generative
Konzeption des einzelsprachlichen Sprachsystems voraus. Eine
solch generative Auffassung des psychischen Organismus war für
Paul jedoch offensichtlich nicht vorstellbar oder als Vorstellung
nicht durchzuhalten: generativ konnte letzten Endes doch nur die
Sprechtätigkeit sein; diese aber war in seinem Sinne gleichzeitig
geschichtlich. Dies zeigt sich deutlich an den doch sehr verschiedenen Verwendungsweisen, die das entsprechende Konzept der Analogie hat: Ist bei Pauls Ausführungen zur Syntax (PSG, 110f.)9e seine
Interpretation als generative Vorrichtung im Sinne von Sprachsystem möglich, so wird wenige Seiten weiter (PSG, 114-116) die
Analogie praktisch im Sinne einer allgemeinen Spracherwerbsvorrichtung verstanden, deren Bolle um so geringer wird, je starker
im Prozeß der Spracherlernung der Anteil der dem Gedächtnis eingeprägten Formen zunimmt. An anderen Stellen wiederum97 ist
analogische Tätigkeit dem Sprachsystem entgegengesetzt, wodurch
ihr sprachverändernder Aspekt fast allein akzentuiert wird. Damit
99
»Ohne weiteres wird man zugeben müssen, dass die wenigsten Sätze,
die wir aussprechen, als solche auswendig gelernt sind, dass vielmehr die meisten erst im Augenblicke zusammengesetzt werden.
[. . .] die Regel [wird] unbewusst aus den Mustern abstrahiert.
Eben, weil keine Regel von außen gegeben wird, genügt nicht ein
einzelnes Muster, sondern nur eine Gruppe von Mustern, deren
spezieller Inhalt gleichgültig erscheint. Denn nur dadurch entwickelt sich die Vorstellung einer Allgemeingültigkeit der Muster,
welche dem Einzelnen das Gefühl der Berechtigung zu eigenen Zusammenfügungen gibt.« Zu Pauls Syntaxbegriff siehe auch die Bemerkungen o. S. 170.
7
• Vgl. AMG, 30f.: »Bei der Gebundenheit [durch den Usus] bleibt
dem Einzelnen aber doch ein gewisser Grad von Freiheit. Die Aussprache behält [. . .] immer individuelle Besonderheiten [. . .]. Die
mit dem Wortlaut verbundenen Vorstellungen sind nicht bei allen
Individuen völlig gleich. [. . .] Die Wortformen werden nicht nur
rein gedächtnismäßig reproduziert, sondern auch durch Kombination von Elementen, die in anderen Verknüpfungen gegeben sind,
neu geschaffen.«
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HERMANN PAUL
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aber hat man sich denkbar weit von der generativen Auffassung
des Sprachsystems entfernt, die allein die Annahme synchroner
Regeln, in welchem Teilbereich des Sprachsystems auch immer, ermöglicht.
Andererseits besteht jedoch an der bloße Sprachverwendung
mit einbeziehenden Bedeutung von >analogischer Sprechtätigkeit<
kein Zweifel. Wie stark diese dabei gerade durch die übliche Kontrastierung von Lautwandel mit Analogie als gegen Veränderung
gerichteter, durch Erneuerung >konservierender<, damit aber synchron wirkender Kraft gefaßt wurde, ist bekannt (vgl. PSG, 198).
In diesem Sinne könnte man möglicherweise durchaus davon sprechen, daß Paul eine eigenständig wirksame, der Diachronie entgegengesetzte Synchronie anerkannt habe. Aber vollgültig im heutigen Sinne liegt die Synchronie: Diachronie-Scheidung damit dennoch nicht vor. Erstens betrifft sie nicht alle Teilbereiche der
Sprache: Da Analogie nur im Bereich der Form, nicht aber der
Substanz wirken kann, haben wir statt durchgängigem Kontrast
eine komplementäre Verteilung; die Phonologie ist ganz der Diachronie zugeordnet, die Formenlehre (mit der Syntax) der Synchronie.88 Zweitens aber steht der ausgesprochene Gegensatz unter
anderen Vorzeichen als in der Moderne. Das wird deutlich, wenn
wir danach fragen, in welchem Sinn beide Seiten des Gegensatzes
als Gesetzlichkeitsdimensionen ausgewiesen sind: Die >Diachronie<,
d.h. der Lautwandel, ist einzelsprachlichen Gesetzen unterworfen,
die raum-zeitlich gebunden sind; die >Synchronie<, d.h. die Analogie, hingegen ist einzelsprachlich gesehen gesetzlos;" ihre einziPauls oben erwähnte Ausdehnung der Analogie auf die Lautseite,
die sich bei de Saussure im übrigen nicht findet (vgl. auch dessen
Leugnung synchron befehlender Gesetze 1916, 108 ff.), lasse ich,
weil gänzlich folgenlos für die Praxis und damit wohl als ad hocKonzept einzustufen, hier außer Betracht.
Darauf wies schon Tobler in Auseinandersetzung mit Pauls Konzeption des Lautwandels hin: »Wie soll man sich das Nebeneinander, die Vertheilung und doch auch wieder die Berührung der beiden Principien [seil. Lautgesetz und Analogie] denken? Sollen
beide, weil sie heterogen und indifferent gegen einander sind, gleichzeitig und in gleichem Range neben einander bestehen oder ist eine
von vornherein das constitutive, vorherrschende, das andere nur
das ergänzende, ausgleichende ?[...]. In der physikalischen Natur
wird ein Gesetz durch ein anderes eingeschränkt, aber von positiven,
>zwingenden< Gesetzen der Analogie ist nirgends die Rede, sie soll
ja in der Sprache das Moment oder Element der Freiheit vertreten,
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200
MABOA BEIS
gen Gesetze sind die allgemein psychologischen, nach denen sich
Vorstellungsgruppen organisieren; diese aber bleiben sich durch
Zeit und Raum für alle Sprachen gleich. Das heißt aber, insofern
>Eigengesetzlichkeit< das wahre Kennzeichen unabhängiger Bereiche darstellt, daß nicht >Synchronie< mit >Diachronie< und daneben >einzelsprachlich< mit >universal (allgemein)< kontrastierten,
sondern daß diese beiden Gegensätze, bei Paul wie den anderen
Junggrammatikern, auf den einen Gegensatz >geschichtlich< :>allgemein< verkürzt sind. Entsprechend ist >Analogie< zwar nicht diachronisch, aber damit auch nicht gleichzeitig synchronisch aufzufassen.100 Sie fallt in den universalen Bereich, und zwar in doppelter
Hinsicht, einerseits insofern sie Parole ist, andererseits insofern sie
das junggrammatische Pendant zur >faculte de langage< darstellt,
das aber ganz in der allgemein psychologischen Fähigkeit aufgeht.
Daß das antinomische Denken der Junggrammatiker und Pauls
in diese Richtung ging, ist überall spürbar und vielfach belegbar.101
Damit ist aber auch klar, worin, von allen vorher aufgewiesenen
inhaltlichen und Geltungsunterschieden abgesehen, der Hauptunterschied zwischen Pauls Ansatz und dem der Moderne liegt: Er
besteht nicht darin, daß Paul über keinen Gegenbegriff zu >geschichtlich< verfügte, sondern daß für ihn im Nichtgeschichtlichen
das sprachlich Besondere und das Einzelsprachliche vom Allgemeinen noch nicht zu trennen sind.
das rein Psychische, obwohl Psychologie >Geeetze8wissenschaft< ist!
Es ist überhaupt seltsam und unnatürlich, dass man das einheitlich
lebendige Wesen der Sprache entzwei schneiden und die Laute
>Gesetzen< unterwerfen will, von denen die Formen, Bedeutungen
und Verbindungen der Wörter frei sein sollen« (Tobler 1881, 123f.).
"' Dies wird völlig verkannt z.B. bei Jankowsky (1976, 278f.).
191
Auf die Lautlehre bezogene Belege hierfür finden sich wieder bei
Reis (1074, 52f., 133). Daß Paule Denken genau von diesem einen
Gegensatz historisch: psychologisch (edlgemein) beherrscht ist,
wird an sich durch die >Prinzipien< in toto schlagend belegt. Der
Nachweis von Details fällt schwer, vgl. aber etwa die Kontrastierung historische: allgemeine Sprachwissenschaft (P8G, 1) und die
Übersphngung von Norm und System von Kompositionsgegebenheiten zugunsten historisch belegter vs. allgemein möglicher Komposition (s. Anm. 90). Daß Paul die übliche unrestringierte Auffassung von Analogie im Kontext diachroner Fragestellungen vertritt,
bedarf keines gesonderten Nachweises, vgl. Anm. 99.
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HERMANN PAUL
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