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Deutschland
Gekündigt vom Genossen
Gentrifizierung Im angesagten Hamburger Schanzenviertel entmietet ein SPD-Mann ein
alternatives Stadtteilzentrum – entstehen soll ein schickes Designhotel. Von Bruno Schrep
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DER SPIEGEL 12 / 2016
Auch gegen die Kündigungen im Schanzenhof gibt es wütende Proteste. Ziel der
Wut sind die smarten Hamburger Jungunternehmer Maximilian, 31, und Moritz
Schommartz, 27, die gemeinsam die väterliche Immobilienfirma HWS führen. Die
Brüder erwarben den Komplex mit 6600
Quadratmeter Gewerbefläche vor zweieinhalb Jahren. Seit der Kündigung der Mietverträge sind sie für die Anwohner zum
Feindbild geworden. Bei Protestkundgebungen skandieren diese: „Max und
Moritz, ihr seid doof, Hände weg vom
Schanzenhof.“
Maximilian Schommartz, der ältere der
Brüder, vertritt die Firma nach außen. Der
Yuppie mit guten Manieren und lässig-eleganter Kleidung ist seit seinem 18. Lebensjahr Sozialdemokrat. „Ein SPD-Mann, der
sich als Immobilienhai gebärdet, geht gar
nicht“, sagt Jens Meyer, einer der Betreiber des Programmkinos 3001 und Vorstandsmitglied des Schanzen-Mietervereins. „In Hamburg gibt es 10 500 SPD-Mitglieder“, kontert Schommartz, „ich bin
nur eines von ihnen.“
Tatsächlich ist er mehr als ein einfacher
Genosse: Im Juli 2015 wählte die Hambur-
ger Bürgerschaft Maximilian Schommartz
auf Vorschlag der SPD-Fraktion zum Deputierten der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation. Zu seinen Aufgaben
gehört es, an grundsätzlichen Entscheidungen der Behörde mitzuwirken. Die ehrenamtlich tätigen Deputierten befassen sich
auch mit Beschwerden und haben das
Recht zur Akteneinsicht. Der Unternehmer hat sich, wie er sagt, selbst für den
Posten ins Gespräch gebracht.
Nun begräbt der Sozialdemokrat ein sozialdemokratisches Paradeprojekt.
Den gekündigten Mietern gilt Schommartz als skrupelloser und profitgieriger
Geschäftsmann. „Sind Ihnen denn diese
200 Quadratmeter so wichtig, dass Sie deshalb meine Existenz zerstören müssen?“,
fragte ihn die Musikerin Serena Kahnert.
Schommartz kündigte ihr, weil sie eine
Mieterhöhung von 8,50 Euro auf 14 Euro
pro Quadratmeter nicht bezahlen konnte.
Die Klavierlehrerin, seit 25 Jahren in den
Räumen, hat ihren Flügel in einem Möbellager untergestellt. Sie muss künftig im Altarraum einer Kirche unterrichten, in der
ein Klavier steht. Viele ihrer Schüler sind
abgesprungen.
MARIUS ROEER
m Jahr 1990 hatten die Mitglieder des
Hamburger SPD-Senats mal eine richtig gute Idee: Die Stadt kaufte im
Schanzenviertel die alte Fabrik der Füllfederhalterfirma Montblanc, ließ sie renovieren und vermietete die fünf Gebäude
günstig an kleine Gewerbetreibende und
an die Volkshochschule. Im sogenannten
Schanzenhof residierten fortan Dokumentarfilmer, Musiker und Journalisten, mitten
in der Stadt eröffnete ein günstiges Hotel
mit angeschlossenem Restaurant, ein
Sportklub, ein alternatives Reisebüro, ein
Programmkino sowie die Drogenberatungsstelle „Palette“.
26 Jahre später wird das Projekt beerdigt. Die Räume des Boxklubs „Epeios“,
in denen 175 Aktive, darunter viele Migranten, den olympischen Faustkampf trainierten: gekündigt. Das Atelier der Klavierlehrerin Serena Kahnert und das Studio der Sängerin Katriana: gekündigt. Das
50-Betten-Hotel „Schanzenstern“ mit BioGaststätte: gekündigt. Die Etage der Drogenberatung: gekündigt.
Hamburger Szene-Stadtteile wie das
Schanzenviertel, St. Pauli und St. Georg
verändern sich unaufhaltsam. Wo sich jahrelang kleine Läden mit Nischenangeboten
halten konnten, eröffnen zunehmend teure
Geschäfte. Wo sich früher auch Menschen
mit niedrigerem Einkommen eine Wohnung mieten konnten, entstehen luxuriöse
Eigentumsapartments.
Die Umwandlung von ärmeren Stadtteilen in Nobelviertel führt in vielen europäischen Großstädten zu harten Auseinandersetzungen. In Berlin steigen die Mieten inzwischen sogar in Problemvierteln. Selbst
Neukölln, das Quartier mit den meisten
Langzeitarbeitslosen und den meisten Einwanderern, ist in den Fokus der Sanierer
geraten. Alteingesessene Kneipen schließen und werden durch Cafés für eine besser betuchte Klientel ersetzt – trotz erbitterter Gegenwehr von Betroffenen und
deren Unterstützern.
Im Hamburger Schanzenviertel blockierten Ende der Achtzigerjahre Aktivisten den Bau eines Musicaltheaters, stattdessen entstand das alternative Kulturzentrum „Rote Flora“. Der Widerstand gegen die Hotelkette Mövenpick, die einen
ehemaligen Wasserturm zur Luxusherberge umbaute, verhinderte auch, dass der
Schanzenpark, die einzige Grünfläche im
Stadtteil, zumindest teilweise zum privatisierten Erholungsgelände für Hotelgäste
wurde.
Demonstration gegen Grundstücksspekulation 2015: „Immobilienhaie zu Fischmehl“
JOTO
Umkämpfte Immobilie Schanzenhof
Sozialdemokratisches Paradeprojekt
Die Gesangspädagogin Katriana, die
auch komponiert und textet, fürchtet seit
der Kündigung um ihr Auskommen. Während eines Telefonats, bei dem sie um eine
niedrigere Miete bat, habe ihr Schommartz
knapp erklärt: „Das ist für mich keine emotionale, sondern eine rein wirtschaftliche
Entscheidung.“
In ihrer Existenz bedroht fühlen sich
auch die Betreiber des Hotels Schanzenstern, wo Gäste schon ab 19,50 Euro nächtigen konnten – ein prima Preis in der teuren Hamburger Innenstadt. Weil ihnen
Schommartz eine Verlängerung des Mietvertrags avisiert habe, hätten sie schon
neue Bäder eingebaut, erklären die beiden
Geschäftsführer.
Die Verhandlungen seien jedoch nur
zum Schein geführt worden, um im Bezirk
keine Unruhe entstehen zu lassen. Tatsächlich sei sich der Vermieter schon mit einem
Betreiber von Designhotels einig gewesen,
um eine höhere Pacht zu erzielen – eine
Version, die der Immobilieneigner bestreitet. Das Verbleiben des Schanzensterns sei
vielmehr gescheitert, weil die Betreiber
eine Bürgschaft nicht rechtzeitig vorgelegt
hätten.
Schommartz wehrt sich gegen die Darstellung, er sei ein herzloser Kapitalist. Die
Volkshochschule und das Programmkino,
die beide noch langfristige Verträge besitzen, hätten nichts von ihm zu befürchten.
Er verlange auch keine Wuchermieten, nur
das, was der Markt hergebe. Der Drogenberatung „Palette“, deren neue Räume
noch nicht bezugsfertig sind, habe er großzügig Aufschub gewährt.
Dass Schommartz überhaupt solchen
Einfluss bekommen konnte, liegt an einer
Privatisierungswelle der CDU-Regierung,
die 2001 in Hamburg an die Macht gekommen war und 2006 ein riesiges Immobilienpaket aus städtischem Besitz verkaufte,
um den maroden Haushalt zu sanieren.
Für den Schanzenhof erhielt die Stadt 3,5
Millionen Euro.
Käufer war die Deutsche Immobilien
Chancen-Gruppe (DIC), die mit Erfolg auf
Wertsteigerung lauerte. Keine zwei Jahre
später zahlten der dänische Immobilienspekulant Bent Jensen und sein deutscher
Geschäftspartner Mario Stephan für die
Liegenschaft angeblich schon rund sieben
Millionen Euro. Sie erhöhten die Mieten
und sanierten wenig.
Wie viel seine HWS bezahlte, will Maximilian Schommartz nicht verraten. Der
Betrag sei jedoch viel höher als die kolportierten 8,5 Millionen Euro. Die Immobilie sei für ihn kein Spekulationsobjekt,
denn eine weitere hohe Wertsteigerung
könne in absehbarer Zeit nicht erwartet
werden. Er habe sich für die ehemalige Fabrik mit ihren historischen Gebäuden begeistert und die Vorbesitzer jahrelang zum
Verkauf gedrängt. „Ich will den Schanzenhof lange behalten“, versichert er.
Viele Anwohner fürchten genau das. Sie
glauben, dass der Unternehmer den Stadtteil nach seinen Vorstellungen umzukrempeln versucht. Seiner Firma gehören noch
zwei weitere, seit Jahren leer stehende
Mietshäuser. Die Anwohner fordern deshalb, dass der längst wieder sozialdemokratisch geführte Senat den Schanzenhof
auf Staatskosten zurückkauft – bei der
Haushaltslage in Hamburg ein frommer
Wunsch.
Die Fronten sind verhärtet. Schanzenbewohner zogen mit Schmähparolen („Immobilienhaie zu Fischmehl“) durch ihr
Viertel und vor das Büro der Firma. Ende
2015 versuchten Aktivisten, die Büroräume zu stürmen, mehrere Protestierende
wurden festgenommen. Die Eindringlinge
schwören, sie hätten nur Konfetti gestreut,
Flugblätter verteilt und höchstens ein bisschen geschubst. Schommartz spricht von
heftiger Gewalt. Zwei seiner Angestellten
seien erheblich verletzt worden. Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen
sechs Protestler wegen Hausfriedensbruchs
und gefährlicher Körperverletzung.
Aus Solidarität mit den gekündigten
Mietern ist das links-alternative Schanzenfest, das sonst im Spätsommer gefeiert
wird, auf den Ostersamstag vorverlegt worden – passend zum Termin, an dem die
Rausgeworfenen ihre Räume endgültig verlassen müssen. Die Veranstalter erhoffen
sich davon bundesweite Sympathien für
den Kampf gegen weitere Gentrifizierung.
In den vergangenen Jahren geriet das
Fest regelmäßig in die Schlagzeilen. Allerdings nicht wegen des tagsüber friedlichen
Miteinanders von Zehntausenden Besuchern, sondern weil nachts Kämpfe zwischen militanten Linksextremen und der
Polizei begannen, weil Barrikaden brannten, Schaufensterscheiben eingeschlagen
und Autos angezündet wurden. Solche
Krawalle würden den Schanzenbewohnern
mehr schaden als nutzen.
360°-Foto: Der Schanzenhof
im Panoramafoto
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