Foto: Plattenfirma CALLEJON sind Helden der deutschen Metalszene, von vielen geliebt. ein bisschen prolliger, der haut mehr auf die Mit ihren deutschen Texten begeistern sie Jung und Alt. Gitarrist und Kacke. Die textliche Anstöße kamen eigentlich Gründungsmitglied Bernhard Horn beantwortete mir Frage zum neuen Album. wie immer von Basti. Es ist zwar nicht so, dass Wie sah die Produktion des neuen Albums „Wir Sind Angst“ aus? Im Februar und März letzten Jahres waren wir mit BULLET FOR MY VALENTINE auf Tour und sind direkt danach ins Studio gegangen. Das heißt, dass das ganze Songmaterial schon vorher stand. Wir haben das Album da aufgenommen und produziert, wo wir auch die letzten beiden Alben gemacht haben, im Bochumer Kanal 24 Studio. Es war auf jeden Fall total geil. Wir haben uns diesmal viel Zeit genommen, um alles genau so umzusetzen, wie es unser Plan war. Wir sind mit dem Ergebnis total zufrieden. Wir haben diesmal relativ viel analog gemacht, das heißt, dass wir analog aufgenommen haben, das dann analog mischen ließen usw. Da ist das neue Album bei rausgekommen. Das Albumcover zur neuen Platte ist sehr minimalistisch ausgefallen, wenige Farben, eigentlich nur Rot und Schwarz. Wieso habt ihr euch dafür entschieden? Es erschien uns passend. Wir haben mit dem Album ein eher konzentriertes Album glaube ich aufgenommen. Musikalisch würde ich es nicht minimalistisch nennen, aber es ist sehr kompromisslos. Wir wollten, dass das dann entsprechend im Artwork umgesetzt wird. Wir haben uns für ein puristisches Albumcover entschieden, nicht wirklich viel gezeichnete Grafiken und auch die Farbgebung ist im Signalfarben Stil gemacht. Das Album startet mit dem Intro „Trauma“. Welche Bedeutung hat dieses Intro? Bisher hat keiner gefragt, ob das Intro selbst eine Bedeutung hat. Meinst du jetzt musikalisch oder den Titel? Musikalisch ist das eine eher verstörende Traumkulisse. Es bietet den ersten Zugang zu dem Album, der im ersten Moment befremdlich und verstörend ist. Das war unsere Intention. Es ist kein bombastisches Orchester Intro, sondern bisschen roh und „ungefedert“. 68 Du hast schon gesagt, dass das Album kompromisslos ist, aber ich denke, dass es auch düster und apokalyptisch ist. Wieso habt ihr eine solche Grundstimmung gewählt? Die Stimmung haben wir uns nicht ausgesucht, sie hat sich ergeben. Das gibt die Stimmung wieder, in der wir beim Schreiben waren. Das Album ist musikalisch als auch textlich ein ziemlich düsteres und auch teilweise apokalyptisches Album. Es ist vielleicht das düsterste Album, was wir bisher gemacht haben. Das ist so gekommen, das haben wir uns nicht ausgesucht, es ist einfach das Grundempfinden darüber, was so um uns herum passiert, wie wir die Sachen verstehen und bewerten. Inhaltlich ist das Album sehr direkt, es nimmt an vielem Anstoß und sagt, dieses und jenes läuft alles nicht so gut. Das Album soll jetzt nicht belehrend sein, aber es spricht bestimmte Themen ganz direkt an. Trotz allem ist das Album auch ein emotionales und sehr hoffnungsvolles Album. Wir sind jetzt keine Typen, die sich in einer Inselmentalität dann auf einen absolut zurückgezogenen Punkt flüchten, sondern wir sind eine Band, die versucht, mit den Dingen umzugehen und eine neue Perspektive zu finden. Ich glaube, das kommt trotz aller Düsternis und apokalyptischer Stimmung rüber. Wenn wir schon beim Hoffnungsvollen sind: Wie ich finde, ist „1000 PS“ im Vergleich zum restlichen Album ein sehr rockiger und irgendwie auch „positiver“ Song. Wer hatte die Idee für dieses Song? Das kann ich dir jetzt nicht genau sagen. Die meisten Songs entstehen im Verbund von Basti (Sebastian Sobtzick, Sänger, Anm. d. A.) und mir. Wir haben eigentlich das ganz Songmaterial in dieser „Symbiose“ geschrieben und du hast Recht, dass „1000 PS“ weniger in diese düstere Richtung geht. Ich würde in zwar auch nicht hoffnungsvoll nennen, aber er hat auch ein bisschen subironische Anklänge, vielleicht auch einer die Musik schreibt und einer den Text, sondern es funktioniert immer in Rücksprache. Es gibt eine zweite kreative Instanz, die das Ganze dann auch bewertet und es wird zusammen erarbeitet. Das passiert bei den meisten Songs von CALLEJON so. „Babel“ ist ein kurzes Instrumental. Bei den letzten Alben kann ich mich nicht daran erinnern, dass ein Instrumental dabei war. Wieso habt ihr euch diesmal für so etwas entschieden? Eigentlich waren wir uns da gar nicht so sicher, dass dieses lange Intro oder Instrumental zu dem Song gehört, der danach kommt, „Raketen“; bis zum Schluss waren wir uns nicht sicher, wie wir es machen wollen, ob wir das einfach in einen Song lassen. Dann hätte der Song „Raketen“ ein langes instrumentales Intro gehabt. Eigentlich wollten wir ein relativ kurzes Intro machen, dann wurde es ein Stück länger, dann haben wir noch eine Gitarrenspur drüber, sodass am Ende ein so komplexes und langes Musikstück entstand, weshalb wir gedacht haben, dass es auch als Instrumental losgelöst von dem Song funktioniert. Wenn die Leute bock haben, nur den Song Raketen zu hören, können sie das Ding überspringen, aber so extensive und lange Intros sind eine Sache, die eine gewisse Tradition auf Metalalben haben. Wir fanden das eigentlich ganz passend. Wenn wir schon bei „Raketen“ sind. Ich finde, dass der Song einen ziemlich kitschigen Refrain hat. Beim Hören hat sich mit die Frage gestellt, welchen Einfluss euer Coveralbum „Man Spricht Deutsch“ auf euer Songwriting hatte. Okay, interessant, dass du das in Verbindung mit „Raketen“ fragst. Aber egal. Wir haben „Man Spricht Deutsch“ als ein plattes, ironisches Partyalbum gemacht und wir haben das ganz bewusst aus dem normalen CALLEJON Kosmos ausgeklammert, weshalb es ja KALLEJON mit K heißt. Das war halt eine Sache, auf die wir schon länger Lust hatten. Wir haben zwei Songs davon ein Jahr oder noch mehr von Veröffentlichung live gespielt. Dann kam die Idee, ein Coveralbum zwischendurch rein zu schieben. Das Album hatte musikalisch nur indirekt einen Einfluss auf das Album, was wir jetzt gemacht haben. Ich glaube, dass wir das so ein bisschen als Gegenpol benutzt. Nachdem wir mit „Man Spricht Deutsch“ auf Tour waren, haben wir uns hingesetzt und gesagt, dass wir schon Bock hätten, klassisches, eigenes Songwriting für CALLEJON zu machen, nichts mit Covern. Ich denke, dass es ganz praktisch für eine Band ist, wenn sie sich ab und zu in anderen Gefilden umhertreibt. Andere Bands machen das ja auch häufig, das einzelne Musiker ein Nebenprojekt oder ähnlich machen. Wir haben dieses Coveralbum gemacht, aber der Fokus von uns liegt auf unseren eigenen Songs. Indirekt hat es aber einen Anteil daran, vor dem neuen Album „Man Spricht Deutsch“ gemacht zu haben. Dann zu „Neonblut“. Es ist ein Song wie auch viele andere von euch, der Bestandteile aus Trance hat. Woher kommt das elektronische Element in eurer Musik? Ich sag mal so: Euer Magazin ist sehr im klassischen Metal zu Hause. Da kann ich natürlich verstehen, wenn man sagt, dass das Album starke elektronische Einflüsse hat. Ich selbst nehme elektronische Musik bei uns eher als Randnotiz wahr. Es hat für uns bei den Songs immer eine unterstützende Wirkung, aber für die Musik, die wir machen und wie wir uns sehen hat das jetzt keine tragende Rolle. Bei einem älteren Song, „Dieses Lied Macht Betroffen“ sind bei einem Stück des Songs tatsächlich elektronische Sounds präsent, sehr akzentuiert und sehr stark im Vordergrund. Aber sonst ist das bei dem Album jetzt und im ganzen Kosmos, denn wir machen, sehr eingeschränkt. „Veni Vidi Vici“ erinnert mich von Inhalt her ein bisschen an „Porn Form Spain“, also ein kleiner Tick Eigenlob in dem Song. Wieso habt ihr einen solchen Songs geschrieben? Das ist einer der frühesten Songs, die für das Album entstanden sind und du hast Recht, dass er textlich mit bisschen Augenzwinkern und Ironie daherkommt. Dieser Song ist, was für CALLEJON typisch ist oder was viele Leute als typischen Song für uns erachten, aber im Laufe des Songwriting Prozesses sind diese Elemente immer weniger geworden. Der Song fällt auch deshalb aus dem Rahmen, weil die anderen Songs einen direkten Inhalt vermitteln, anstatt ironisch zu sein. Ansonsten haben wir einfach einen Metalsong geschrieben. Ein Song, der mich persönlich begeistern hat, ist „Krankheit Mensch“. Er beinhaltet eine Westerngitarre. Wieso kam dieses Instrument zum Einsatz? Es war so: Die Idee kam schon vor ein paar Jahren, nicht mit Westerngitarre, aber das man einen Song schreibt, der textlich, von der Bildsprache und von den Metaphern in diese Italowestern, also Anti – Helden Western Richtung geht. Am Anfang des Songs kommt das auch ein bisschen rüber: Z. B. das fahle Pferd, auf dem der Tod reitet. Aber das hat der Albumtitel, „Wir Sind Angst“. Das lehnt ein bisschen an diese Bildheadline „Wir Sind Papst“, zur Zeit von Papst Benedict II an. Diese bescheuerte Form von kognitiver Identität wird von uns hinterfragt und in Frage gestellt. Tiefergehend muss man, wenn man ganz ehrlich ist, zugeben, dass alles am Arsch ist, aber es uns leichter fällt, es unter den Teppich zu kehren und vor uns selbst zu verbergen, anstatt sich diesen Problemen zu stellen. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir mit Musik an dem Unrecht, was in der Welt passiert, nichts verändern. Aber wir haben das Gefühl, dass in unserer Generation gerade überhaupt kein kritisches Bewusstsein für diese ganzen Mechanismen und soziale Strukturen mehr vorhanden ist. Das ist eine Sache, wo wir uns schon fraCALLEJON Wir Sind Angst gen, ob man doch nicht beFour Music wusst Leben und bewusste Es ist vielleicht anzumerken, dass, während ich diese Review schreibe, der November des Jahres Lebensentscheidungen für 2014 gerade zu Ende geht und der Advent besich treffen kann und weginnt. „Wir Sind Angst“ soll aber erst im Januar des folgenden Jahres rauskommen – noch eine nigstens für sich die ganze Ewigkeit hin. Aber eins kann ich jetzt sagen: Sache zu bessern. Dieses Album ist eins meiner Topaufnahmen des sich dann während des Songwriting Prozesses textlich davon weg entwickelt in eine sehr negative, apokalyptische Richtung. Wir fanden das aber ganz cool, einen Westernanklang zu haben, was wir dann in der Musik ungesetzt haben. Das Italo Western Motiv und eine Endzeit Stimmung mit sehr lebensfeindlicher Umgebung liegt ja nah beieinander. Der Textinhalt ist bei „Krankheit Mensch“ sehr sozialkritisch, menschenkritisch. Welche sind deiner Meinung nach die größten Probleme, mit der die Menschheit heutzutage zu kämpfen hat? Das ist ja die große Frage. Das ist keine neue Erkenntnis, dass das Verhalten der angeblich Intelligenzfähigen Spezies Mensch nicht dafür spricht, tatsächlich vernunftbegabt zu sein. Ich bin Jahrgang 1981 und ich kann mich nicht an eine Zeit erinnern, in der nicht irgendwelche globalen Konflikte passiert sind, die furchtJahres 2015. Wieso? Ganz einfach: CALLEJON bleiben sich treu, ohne dabei stehen zu bleiben. „Wir Meine letzte Frage: Bei bares Elend hervorgerufen Sind Angst“ kommt mit einem instrumentalen euren Album zeigt sich haben und auch bestialiIntro namens „Trauma“, sehr düster und perfekt, um dieses „Anti Alles“ Album einzuleiten. Das damit Ausnahme von „Man sche Weise jede Form von rauf folgende „Wir Sind Angst“ kommt so bruSpricht Deutsch“ ein beVernunft beim Menschen tal, so hart, eine weitere Mitsing Hymne, dabei aber sehr aggressiv. „1000 PS“ kommt gut ran, sonderes Schema. Am negiert haben. Manchmal „Dunkelherz“ ist ein typischer CALLEJON Song, einEnde kommt immer eine gängig, aber immer böse. Nach dem geilen Soli fragt man sich, ob die „Babel“ kommt dann das geniale „Raketen“. Was Ballade. Habt ihr vor, dieMenschen einfach zu dumm geht hier ab? Haben die Jungs sich etwa zu sehr an „Major Tom“ orientiert? Dieser Song bleibt so ses Schema weiter beizusind. Es gibt ja auch ein mogut im Ohr, der Refrain ist so Schlager, die Leute behalten oder könnte sich ralisches Bewusstsein beim werden diesen Song vielleicht hassen, sagen: „Was soll das, CALLEJON?“ Ich sage aber: Geil, geil, geil. das auch mal ändern? Menschen. Oder liegt es in Der zweite Höhepunkt nach dem Titeltrack. „Unter Also wir haben das noch nie ihrer Natur, letztendlich Tage“ ist dann ein guter Song, irgendwie TOKIO HOTEL, aber doch mehr EMIL BULLS, schön. Dann bewusst als Schema wahrdestruktiv zu sein? In der kommt noch ein Höhepunkt: „Neonblut“ ist der genommen oder das nach Natur gibt es keine andere wohl partytauglichste Song, weckt die Vorfreude auf ein Konzert, dann noch das düstere Elektro diesem Schema versucht Spezies, bei der Artgenossen Outro. Dass kommt ein Aquivalent zum „Porn durchzusetzen. Diesmal From Spain“ Duo: „Ich lehne leidenschaftlich solche Vernichtungsschläge ab“, so geil Anti, so böse, mit Gangshout und eiist „Disneyland“ ein sehr gegeneinander ausfühner Ansage, die CALLEJON zum Topact der deutschen Metalszene machen. Nach dem harten „Veni balladesker Song, der als ren. Ob man jetzt Kriege Vidi Vici“, was eine Lob Hymne auf die Band ist letzter Song kommt, bei in allen möglichen, östli(sie hypen sich als neue Generation, mutig, mutig) kommt dann der Titeltrack, der für mich der „Blitzkreuz“ war es „Kind chen Ländern nimmt, ob Höhepunkt über allen Höhepunkt dieses Albums im Nebel“. Ich glaube aber man jetzt IS nimmt, den ist. „Krankheit Mensch“, nicht so hektisch und brutal wie die anderen Songs, doch die Strophe ist nicht, dass das zwingend Bürgerkrieg in Syrien oder so episch, der Refrain so böse, so genial und der der Fall sein muss. Ich weiß die Mechanismen des gloText, ich könnte mir vorstellen, dass dieser Song die Jugendschützern sauer aufstoßen lassen wird. auch nicht, ob das auf dem balen Kapitalismus als Aber verdammt: „Krankheit Mensch, wir haben die nächsten Album so in diese Krone nicht verdient, Krankheit Mensch, zur Hölle Beispiel anführt: Das sind mit uns , falls es sie gibt“ und dann noch das Ende Richtung geht. Wir haben ja alles Sachen, die ir„Ich bin ein Mensch“. So geil, deshalb liebe ich CALLEJON. Was es beim letzten Album das geniale überlegt, ob wir diesen gendwo auf der Welt nega„Atlantis“ und früher mal „Sommer, Liebe, Kokain“, Song auf das Album drauf tive Auswirkungen haben. so ist es diesmal „Krankheit Mensch“. Dann noch der Protest Song „Schreien Ist Gold“ und die wunnehmen, oder ihn doch lieSie rücken einerseits immer derschöne Ballade „Erst Wenn Disneyland Brennt“, ber weglassen und ein ganz näher, da wir immer stärker die dieses Album perfekt abschließen. Ich bin mir sicher, dass dieses Album zwar an manchen Stellen konzentrierte Metalalbum globalisiert und vernetzt hinter „Videodrom“ oder „Blitzkreuz“ für viele zuzu haben. Wir haben uns sind, aber auch Medien zur rückbleiben wird, so ist es für mich ein Album, auf das ich seit drei Jahren warte. Scheiß auf „Man aber dann doch dafür entVerfügung haben, die uns Spricht Deutsch“, es lebe „Wir Sind Angst“. D.G. schieden, den Song drauf ständig Informationen zur zu lassen, weil er themaVerfügung stellen können. Man hat das Gefühlt, gleichzeitig nehmen das tisch ganz gut in das Album passt. Es ist zwar die Leute hier in unserer westlichen Welt im- recht, dass der Song eine Ballade ist. Aber es mer weniger als Teil ihrer Realität wahr. Das ist ja ein Song, der einen relativ großes Spagat sind halt irgendwelche Sachen, die passieren macht zwischen dem, was musikalisch passiert irgendwo, man guckt die Nachrichten und es und dem, was eigentlich Inhalt des Textes ist. ist nicht mehr fassbar, was auf der Welt pas- Dieses Spannung fanden wir ganz interessant siert. Es ist ein ganz zentrales Thema, welches und als passenden Abschluss für das Album. das Album beinhaltet, dass man versucht, sich Aber das heißt nicht, dass wir pro Album eine das wieder bewusst zu machen. Deshalb auch Ballade machen werden. Text: David G. 69
© Copyright 2024 ExpyDoc