Einführung - Kunsthalle Wien

Kunsthalle Wien
Museumsquartier
The Promise of Total Automation
Einführung von Anne Faucheret
Die Kultur ist im Ungleichgewicht, weil sie bestimmte Objekte wie das ästhetische
Objekt anerkennt und ihnen Bürgerrechte in der Welt der Bedeutung zubilligt,
während sie andere Objekte, und insbesondere technische Objekte, in die
strukturlose Welt dessen abdrängt, was keine Bedeutung besitzt, sondern dem
lediglich ein Gebrauch, eine nützliche Funktion zukommt.
Gilbert Simondon, Die Existenzweise technischer Objekte, 2012
Wenn motorisierte Maschinen das zweite Zeitalter der technischen Maschine
ausmachten, dann bilden kybernetische und informationelle Maschinen ein
drittes Zeitalter, das ein generalisiertes Regime der Unterwerfung nachbildet:
Wiederkehrende und umkehrbare „Mensch-Maschinen-Systeme“ ersetzen die
alten einmaligen und unumkehrbaren Unterwerfungsbeziehungen zwischen
den beiden Elementen; die Beziehung zwischen Mensch und Maschine basiert
jetzt auf interner, wechselseitiger Kommunikation und nicht mehr länger auf
Anwendung oder Betrieb.
In der organischen Zusammensetzung des Kapitals definiert das unbeständige
Kapital ein Regime der Unterwerfung des Arbeiters (menschlicher Mehrwert),
dessen wesentliche Rahmenbedingungen das Unternehmen oder die Fabrik liefert.
Mit der Automatisierung geht jedoch ein fortschreitender Anstieg proportional zum
gleichbleibenden Kapital einher. Wir sehen dann eine neue Form der Sklaverei:
Während sich das Regime der Arbeit verändert, wird der Mehrwert maschinell und
die Rahmenbedingungen weiten sich auf die ganze Gesellschaft aus. Man könnte
auch sagen, dass ein geringes Maß an Unterwerfung uns von der maschinellen
Versklavung befreit hat, dass ein hohes Maß uns jedoch in sie zurückfallen lässt.
Gilles Deleuze, Felix Guatteri, Tausend Plateaus. Kapitalismus und
Schizophrenie II, 1992
Einführung
After all, we create the technology. Yet, as our century shows, we are never fully in
charge of what we create, and technology, by its very nature, produces its effects
through automation. Automation holds a mighty attraction. It can deliver so many
good things. But it also has a darker side. Sometimes technology seems to be
in charge, dictating the conditions under which we live and forcing us to choose
among uneasy alternatives when we feel least prepared to choose.
Michael Heim, Heidegger and Computers, 1990
Objektivität und Subjektivität sind nicht entgegengesetzt, sie wachsen zusammen
und zwar irreversibel. Die Herausforderung für unsere Philosophie, Sozialtheorie
und Moral ist es, politische Institutionen zu erfinden, die diese ganze Geschichte,
diese gewaltige Spiralbewegung, die Bestimmung und dieses Schicksal auffangen
können. Zumindest hoffe ich, Sie überzeugt zu haben, dass – wenn wir unserer
Herausforderung begegnen müssen – dies nicht geschieht, indem wir Dinge als
Artefakte betrachten. Sie verdienen etwas Besseres. Sie verdienen es, in unserer
intellektuellen Kultur als voll anerkannte soziale Akteure aufgenommen zu werden.
Vermitteln Sie unsere Handlungen?
Nein, sie sind wir.
Bruno Latour, Über technische Vermittlung, 1994
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THE PROMISE OF TOTAL AUTOMATION
Ever since the arrival of cybernetics we have entered into the new territory of the
technological condition, which is where the process of experiencing the world
and constructing sense now takes place. The nature of this new territory gradually
becomes clearer precisely through its groundlessness: as a regime of sense
that exposes the originary technicity of sense, that constantly merges human
and non-human actors, that operates before the difference between subject and
object, that is endlessly prosthetic and supplementary, that is immanent rather
than transcendental, and that is to an unheard-of degree distributed and indeed
ecotechnological.
Erich Hörl, The Technological Condition, in Parrhesia, 2015
We urgently need art today because it can be reconfigured to play a productive role
in the reconciliation of human and machine subjectivities. We need art because it
is only through art that we might be able to find a nontrivial cybernetic system for
reestablishing a shared inhuman ethical foundation. This work cannot be automated
and relegated exclusively either to humans or to machines. We ought to fully employ
art, before our excessive humanism destroys the possibility of emergence of an
ethical AI. We ought to teach our machines how to make and understand art and
how its production is crucial in the social process of co-individuation.
Mohammad Salemy, Art After the Machine, 2015
Heute: Technologische Abhängigkeit und die Magie der Maschine
Seit dem Millenium leben wir im digitalen Zeitalter. Der Einsatz von Computern,
Mikrochips und die Digitalisierung von Daten haben einen Umbruch ausgelöst
und einen Wandel in der Technik in fast allen Lebensbereichen bewirkt. Aufgrund
der ständigen Leistungssteigerung und flexiblen Automatisierung von Produktion
und Kommunikation markiert die so genannte digitale Revolution nicht nur Brüche,
sondern auch Kontinuitäten.
Einführung
Sie ist auch eine Weiterführung, Neuorganisation und Beschleunigung jenes
technischen Systems, das auf Automation, Information und Kontrolle basiert und
das sich vor mehr als einhundert Jahren unter anderem mit der Erfindung des
Telegrafen, der Radiowelle und der Feedbackschleife entwickelt hat.
Heute sind wir konstant miteinander vernetzt und müssen unser Bedürfnis
nach Vernetzung weiterentwickeln. Aber nicht nur Menschen sind miteinander
verbunden, auch Maschinen und Geräte kommunizieren miteinander und mit ihrer
Umgebung. Ob wir es wollen oder nicht – die Geräte fangen an, eigenmächtig
zu werden und ein Eigenleben zu führen. Bis zu einem gewissen Grad ist das
gesamte technische System sogar zu einer Art autonomer Kraft geworden.
Die Menschheit hat in Maschinen schon immer etwas Magisches oder
Übernatürliches gesehen, das über das Wissen und die Energie hinausging,
die in ihre Erfindung investiert wurden. Jede Maschine definierte die
Beziehungen zwischen Menschen, der von ihnen wahrgenommenen Welt und
dem Unbekannten neu. Technologie wird sowohl als Instrument der Vernunft
verstanden, die linearen Fortschritt bringt, als auch als Prisma, durch welches
Chaos, das Okkulte und Irrationale betrachtet und verstanden werden können.
Franz Anton Mesmer erfand Geräte, mit denen er den „animalischen
Magnetismus“, den er zwischen allen beseelten und unbeseelten Objekten zu
fließen verspürte, kanalisieren wollte. Thomas Edison arbeitete an einer Maschine,
die er „Geistertelefon“ nannte und die Signale von den Toten empfangen
sollte. Nikolai Fedorov entwickelte das Projekt „gemeinschaftliches Werk“ und
spekulierte über Möglichkeiten, die technologischen, politischen und sozialen
Voraussetzungen dafür zu schaffen, alle Menschen, die jemals gelebt haben,
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THE PROMISE OF TOTAL AUTOMATION
wieder zum Leben zu erwecken. Die Geschichte hat gezeigt, dass technologische
Entwicklungen häufig von versehentlichen, unabsichtlichen oder internen
Prozessen geprägt wurden.
Im 20. Jahrhundert – und vor allem nach der Entwicklung der Kybernetik– brach
die moderne Technik mit der Wucht einer Invasion über die menschliche Kultur
herein. Sie belebte die Kommunikation. Sie rüstete die Nationen mit Flugzeugen,
U-Booten und Atomwaffen aus. Und sie eröffnete erste Möglichkeiten, die
gesamte Umwelt mathematisch zu erfassen. Technologie wird seitdem
vorwiegend zum Werkzeug einer Rationalisierung und Normalisierung auf
wirtschaftlicher wie politischer Ebene. In der Zukunft sollten alle Technologien
ineinanderfließen zugunsten eines Ziels: der Optimierung des liberalen Subjekts.
Einführung
Heute dient Technologie hauptsächlich als Instrument kapitalistischer,
rationalisierender Logik. Wie konnte das passieren? Wie konnten technische
Infrastrukturen, Hardware und Software – und mit ihnen die entsprechenden
sozialen und rechtlichen Strukturen – durch eine Ideologie vereinnahmt
werden? Wie ist es dazu gekommen, dass wir zwar vollständig von Technologie
abhängig sind, aber es gleichzeitig nicht vermögen, die Herausforderungen und
Konsequenzen für die Gesellschaft, die sie mit sich bringt, zu verstehen? Wir
können ihrer Logik kaum entkommen, da wir sie durch die Nutzung technischer
Geräte ständig verstärken. Technologie ist dabei keine Feindin der Menschheit,
die per se über einen eigenen Willen verfügt. Sie kann aber auch nicht einfach für
die gesamte Welt technische, politische, soziale und moralische Verbesserungen
in alleiniger Verantwortung bringen. Glitches, Störungen und Schadprogramme
können aber eingespeist werden. Die Herausforderung besteht darin, ein
Zusammenspiel oder eine Hybridisierung menschlicher und nichtmenschlicher
Komponenten zu erzeugen. Es besteht Potenzial für Veränderung.
Ein Blick zurück: Abstrakte Maschinen, technologische Objekte und das
posthumane Subjekt
Als die Technik nach und nach in alle Bereiche der Realität vordrang, stellten
neue philosophische Überlegungen die westliche Tradition infrage. Technik sollte
nicht länger als reines Werkzeug, sondern eher als Struktur begriffen werden: Im
gleichen Maße wie der Mensch die Technik erschaffen hat, erschafft die Technik
auch ihn. Unsere Individuation ist mit tekhnai verbunden. Unsere Fähigkeit,
die Welt wahrzunehmen, ist auch durch das Instrumentarium des technischen
Systems bedingt.
Da technische Geräte das Subjekt inzwischen sogar völlig umgehen, wird klarer,
dass sich unsere Erfahrung, unsere Kognition, unsere Subjektivität drastisch
verändert haben. In der technologischen Kondition ist die Trennung zwischen
Subjekt und Objekt nicht mehr gültig. Das aktive Subjekt, das Gestalt und
Bedeutung verleiht, das die Maschine bedient und die Welt verändert, und das
passive, rein materielle Objekt ohne Gestalt und Bedeutung können nicht länger
separat betrachtet werden. In dieser Konstellation sind andere Anwendungen
von und Visionen über Technologie und technologische Objekte möglich, im
alltäglichen Leben wie auch in der politischen Imagination.
1956 erklärte Gilbert Simondon die uns umgebenden Maschinen zu kulturellen
Objekten, die sich nicht nur durch ihren technischen Nutzen auszeichnen, sondern
auch durch ihre Fähigkeit, Sinn zu erzeugen. Simondon wollte die technischen
Objekte in die traditionelle Welt der Bedeutung einbinden und versuchte daher,
die ursprüngliche Existenzweise technischer Objekte zu bestimmen. Es ging ihm
dabei nicht darum, Gegensatzpaare auszumachen (wie z. B. Subjekt/Objekt),
sondern Verbindungen zwischen den vermeintlichen Gegensätzen aufzuzeigen.
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THE PROMISE OF TOTAL AUTOMATION
Auch beschrieb er den Wandel von „geschlossenen“ zu „offenen Maschinen“, also
zu technischen Ensembles oder maschinellen Netzwerken, die eine Gemeinschaft
technischer Geräte bilden. Der Mensch übernimmt in diesen Systemen eine Art
Dolmetscherfunktion. In den nächsten Jahrzehnten folgten einige Künstler und
Philosophen Simondons Ansichten, er konnte sich damit allerdings nie vollständig
durchsetzen.
Bereits 1980 zitierten Gilles Deleuze und Félix Guattari Simondon in Tausend
Plateaus, um auf die maschinelle Dimension des Kapitalismus hinzuweisen.
Maschinen sind nicht nur technische Konstrukte, sondern auch soziale,
ökonomische und ästhetische Maschinen und dienen dem kapitalistischen
System, indem sie das Individuum unterwerfen und versklaven. Sie wirken im
Innersten der menschlichen Subjektivität. Für Deleuze/Guattari ist Subjektivität
als Verbindung zwischen menschlichen Gruppen, sozioökonomischen Maschinen
und informationellen Maschinen neu zu erfinden, um gegenüber einer Apparatur
ausschließlich im Dienst der Macht Widerstand zu leisten.
Einführung
Künstlerische Praxis ist ein privilegierter Raum für diese neue Art der
Individuation. Die in der Ausstellung vertretenen Künstler/innen gehen von einer
posthumanen Gesellschaft aus, die aus voneinander abhängigen Objekten,
Technologien und Geschöpfen besteht, um ihren Erkundungen von Begierde,
Affekt und Fantasie, von Ästhetik, Ethik, Wissensübertragung und politischer
Verantwortung nachzugehen. Im Kern ihrer künstlerischen Praxis stehen die
„dezentralisierte Handlungskraft der lebendigen Materie“ (Jane Bennett), eine
„strukturelle Koppelung von Mensch und Technik” (Bernard Stiegler) oder die
„kritische Entweihung einer Maschine“ (Giorgio Agamben). Sie versuchen in ihrem
Denken die üblichen Dichotomien von Leib/Seele, Geist/Materie, Subjekt/Objekt,
Individuum/Umwelt, Himmel/Erde und Rationalität/Chaos zu überwinden. Die
Begegnungen im Ausstellungsraum sind Begegnungen zwischen Menschen und
Kompositkonstrukten, die aus sogenannten menschlichen und nichtmenschlichen
Verbindungen bestehen. Rituelle Artefakte, Produktionsmaschinen, technische
Objekte, Bilder und Kunstwerke, die sowohl aus der Entstehungsgeschichte
des digitalen Zeitalters, als auch auf Fantasien einer technologischen Zukunft
herrühren, bevölkern den Raum. Sie erschaffen einen Raum der Unbestimmtheit,
in dem die Beziehungen zwischen Dingen über ihren festen Identitäten stehen.
Diese Begegnungen sind Meilensteine bei der Untersuchung der Subjekte, der
Objekte und ihrer Handlungskraft im technokratischen Kapitalismus.
Die automatisierte Zukunft: Allgegenwart und Kontrolle
Ingenieure und Wissenschaftler des Kapitalismus träumen von einer sich
stets im Wandel befindlichen, transparenter werdenden Welt. In dieser
Welt greifen ausnahmslos alle Objekte (Geld, Güter, Arbeit, die Erde, aber
auch der menschliche Körper) ohne subjektives Moment, ohne einen
kontrollierenden menschlichen Agenten ineinander und wirken aufeinander ein.
Manuelle und intellektuelle Arbeit werden komplett an Maschinennetzwerke
delegiert. Vollständiger Austausch, Interoperabilität sowie eine endlose
Kombinationsmöglichkeit der drei von Marx definierten „Bewegungsstadien des
Kapitals“ (Produktion, Zirkulation, Monetarisierung) werden damit erreicht.
Dieser Traum vom Kapital wird momentan teilweise Realität. Dies geschieht
nicht nur in der automatisierten Güterproduktion, sondern auch im „Internet der
Dinge“ und beim Ausbau der Data-Mining-Technologien. Offene Maschinen tun
für uns das, was wir von ihnen wollen, aber gleichzeitig sammeln, berechnen und
versenden sie von uns unbemerkt Daten. Bald schon sind alle unsere Geräte und
Maschinen Teil eines Netzwerkes und kommunizieren mit uns und miteinander.
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THE PROMISE OF TOTAL AUTOMATION
Dabei werden sie von der technischen Industrie und von Geschäftsinteressen
gesteuert. Sie haben Teil an der Vermessung einer Parallelwelt, an der Schöpfung
einer totalen Allgegenwart von Menschen, Tieren und Dingen, an der absoluten
Übereinstimmung von Zeit und Raum, an einem Prozess, der die gesamte Umwelt
betrifft.
Die zentrale Tätigkeit des Systems wird die Ausübung von Kontrolle. Die zentrale
Tätigkeit des Individuums wird das wiederholte Durchlaufen vorherbestimmter
Szenarien. Automation herrscht über Produktion und Verhaltensweisen.
Das „neoliberale“ Versprechen individueller Freiheit steht im Gegensatz zu
kybernetischer Kontrolle und der Regulierung sozialer Verhaltensmuster.
Was tun? Wie ist das technische System, in dem wir leben, zu dem geworden,
was es ist? Bedroht die zunehmende Automatisierung von Objekten und
Umwelt die freie Entfaltung des Subjekts, das politische und emotionale
Handeln des Menschen? Wie ist es um ein Subjekt bestellt, das keine Arbeit und
keine Selbstreflexion mehr braucht, das ein über-kontrolliertes Leben in einer
abgesicherten und „wohlbehütenden“ Umgebung führt?
Haben uns die Geräte, die ursprünglich unsere Bedürfnisse befriedigen sollten,
bereits zu ihren Dienern gemacht? Werden sie uns am Ende versklaven?
Oder eröffnen sie lediglich neue Wege zu denken, kreativ zu sein, die Welt zu
gestalten und Dinge, die wir erst noch erforschen müssen, kulturell, politisch und
gesellschaftlich zu konfigurieren?
Wird der Glaube an Dinge und technische Objekte einen echten
emanzipatorischen Bruch mit der kapitalistischen Tradition bedeuten oder wird er
diese zugunsten des Kapitals und seiner wenigen Nutznießer noch verstärken?
Das Versprechen der totalen Automation war der Schlachtruf des Fordismus, die
techno-mediale Apparatur seine Waffe. Produktion, Kommunikation, Kontrolle
und Selbstoptimierung waren seine Ziele. In der Ausstellung werden Automation,
Improvisation und das Wunderbare nicht als Gegensätze präsentiert, sondern
spielen miteinander, um die radikale Vorstellungskraft zu unterstützen und eine
politische Ökologie der Dinge herauszufordern.
Einführung
Probieren wir aus, zugleich Humanisten und Maschinisten, zugleich intersubjektiv
und interobjektiv zu sein!
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