1.2016 Magazin für Prävention, Rehabilitation und Entschädigung Textil Medienerzeugnisse Arbeiten an elektrischen Anlagen Sicherer Durchblick 16 Seminare für Journalisten Anleitung zum Überleben in Krisengebieten 20 PER in Textilreinigungen Messungen geben kaum Hinweise auf unzulässige Konzentrationen 32 Grenzenlose Sicherheit So funktioniert die gesetzliche Unfallversicherung im Ausland editorial Arbeitsschutz ohne Grenzen Ein Hemd für weniger als 10 Euro, eine Jeans für 19,95? Was für uns ein Schnäppchen ist, kann für andere ein persönliches Risiko darstellen. Arbeiterinnen und Arbeiter in den Textilfabriken in Pakistan, Bangladesch und anderswo zahlen mit oft katastrophalen Arbeitsbedingungen den Preis für unsere billige Warenwelt. Olaf Petermann Vorsitzender der Geschäftsführung Das haben Präventionsfachleute der BG ETEM in Pakistan persönlich erfahren. Dort gehören Maschinen ohne Schutzeinrichtungen, ungeschützter Umgang mit Chemikalien oder mangelhafte elektrische Installationen zum Alltag. Und doch gibt es auch Anlass zur Hoffnung. Denn die deutschen Experten haben mit ihren pakistanischen Kollegen erste Lösungen erarbeitet. Die internationale Zusammenarbeit nutzt nicht nur den Menschen in Bangladesch oder Pakistan, sondern auch Ihnen und mir. Wenn global ähnlich hohe Standards für den Arbeitsschutz und für die soziale Sicherheit gelten, schafft das faire Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen in Deutschland. Mehr noch: Sicherheit und Wohlstand entziehen weltweit den Nährboden für Extremisten und Fanatiker. Und nichts braucht eine Exportnation wie Deutschland so sehr wie Frieden und Stabilität im eigenen Land und in allen Teilen der Welt. Ich wünschen Ihnen einen guten und erfolgreichen Start in das Jahr 2016! inhalt 8 Titelthema Bei Arbeiten an elektrischen Anlagen müssen Beschäftigte und Verantwortliche vor Arbeitsbeginn Fragen der Sicherheit klären. Die BG ETEM unterstützt sie dabei. 22 Unfallprävention im Spinnereivorwerk Mit ihren aggressiven Garnituren stellen Walzen in Vorwerksmaschinen eine erhebliche Gefahr dar. Deshalb müssen sie rundum gut gesichert sein. 32 Schutz im Ausland Vor dem Start zum Auslandseinsatz gibt es oft Unklarheiten zum Versicherungsschutz vor Ort. Ein Überblick zu internationalen Regeln zum sozialen Schutz. kompakt 4 Zahlen, Fakten, Angebote Fotos: Viktor Strasse; iStock by Getty Images/Mike_Kiev; Illustration: E. Nohel Meldungen und Meinungen 16Seminar für Journalisten Anleitung zum Überleben 19Notfall-Hotline der BG ETEM gesundheit 28 Schlaftypen und Schichtarbeit Mehr Einklang mit dem Körper Anruf genügt mensch & arbeit 8Arbeiten an elektrischen Anlagen Sicherheit einschalten 11Checklisten zu Sicherheitsregeln Haken dran 12Serie Chefsache Aus Fehlern lernen 15Seminar für Führungskräfte Schlüssel zum Erfolg betrieb & praxis 20PER-Belastung in Textilreinigungen Dem Dunst auf der Spur 22Prävention im Spinnereivorwerk Kein ungesicherter Zugriff 24Zeitungszustellung Lieferung mit Hindernissen 26Lagerung brennbarer Flüssigkeiten, service 31 Vertreterversammlung Ausgaben gesunken 32Unfallversicherung im Ausland Grenzenlose Sicherheit 34Arbeitsschutz als Entwicklungshilfe In einer anderen Welt 35 Impressum Teil 2 Damit‘s nicht kracht etem 01.2016 3 kompakt Vortragsveranstaltung ELEKTROTECHNIK Treffen der Fachleute Süwag gewinnt Arbeitsschutzpreis Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat die Süwag Energie AG für die Idee der Safety-Teams mit dem Deutschen Arbeitsschutzpreis 2015 ausgezeichnet. Arbeitet die Süwag erstmals mit einem Partnerunternehmen zusammen oder soll die bestehende Zusammenarbeit weiter vertieft werden, wird ein Safety-Team gebildet. Dieses setzt sich aus je einem Verantwortlichen und einer Sicherheitsfachkraft der Süwag sowie des Partnerunternehmens zusammen. Die Safety Teams zeigen Wirkung: Die Unfallquote der Partnerfirmen sank bereits im ersten Projektjahr 2013 um 50 Prozent. Ein weiteres Jahr später reduzierte sich diese nochmals um ein Drittel und lag zuletzt bei vier Arbeitsunfällen pro eine Million Arbeitsstunden. Inzwischen kommt das Konzept auch bei Schwesterunternehmen der Süwag zum Einsatz. →→info www.deutscher-arbeitsschutzpreis.de ▪▪ Neue Komponente psychische Belastung (Gefährdungsbeurteilung) In der Gebühr von 300 Euro sind die Kosten für Teilnahme, die Tagungsunterlagen und das Abendprogramm enthalten. In der Nähe des Kongress Palais stehen Hotelkontingente bereit. →→info und anmeldung www.bgetem.de, Webcode 14196882 Kontakt Tagungsbüro: Tel.: 0221 3778-6190 E-Mail: [email protected] Neue Kampagne Ab 2017 werden Berufsgenossenschaften und Unfallkassen für eine bessere Kultur der Prävention in Betrieben, Schulen und öffentlichen Einrichtungen werben. Ziel der auf zehn Jahre angelegten Kampagne soll sein, Sicherheit und Gesundheit zum festen Bestandteil aller Entscheidungen und Abläufe zu machen. Laut einer aktuellen Befragung der DGUV geben nur vier von zehn Betrieben an, dass das Thema in den Führungsleitlinien vorkommt. Das soll sich mit der neuen Kampagne ändern. Ziel ist es, mit einer „Präventionskultur“ Chancen für weitere Verbesserungen von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, in der Bildung und im Ehrenamt zu nutzen. →→info www.dguv.de, Webcode d1070162 Download des Fachkonzepts zur neuen Kampagne 4 etem 01.2016 Fotos: BG ETEM; Oliver Killig; Alexander Paul Englert; Getty Images/Dave and Les Jacobs/Kolostock Am 7. und 8. Juni 2016 ist es wieder so weit: Die BG ETEM lädt zum 18. Mal zur Vortragsveranstaltung ELEKTROTECHNIK im Kongress Palais in Kassel ein. Erfahren Sie mehr über die aktuellen Entwicklungen in unterschiedlichen elektrotechnischen Themenfeldern und treffen Sie Fachleute für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz aus elektrotechnischen Betrieben und der Berufsgenossenschaft zum konstruktiv-kritischen Dialog. Die hohe Beteiligung der letzten Jahre – rund 600 Teilnehmende – spricht für sich. Zum Themenspektrum gehören unter anderem folgende Themen: ▪▪ Neue Gesetze und Vorschriften ▪▪ Aktivitäten in der Präventionsarbeit ▪▪ Neuerungen aus der Reihe VDE 0100 sowie die neue DIN VDE 0105-100 ▪▪ Funktionale Sicherheit, Industrie 4.0, Personen-Erfassung, Arbeitsschutz bei kollaborierenden Robotern ▪▪ Hochspannungsübertragungsanlagen kompakt 4. Fachtagung zur Arbeitssicherheit in Windenergieanlagen Die Berufsgenossenschaftliche Bildungsstätte Linowsee e.V. veranstaltet gemeinsam mit der BG ETEM und der BG Verkehr am 15. und 16. März 2016 die 4. Fachtagung „Arbeitssicherheit in Windenergie-anlagen“. Vortragsthemen werden unter anderem sein: ▪▪ Unfallgeschehen an Windenergieanlagen (WEA) – Beispiele und Analysen ▪▪ Die neue Betriebssicherheitsverordnung – Bedeutung für die Windenergie ▪▪ Inhalte von Arbeitsschutzunterweisungen und Schulungen in der Windenergie – Überarbeitete Module des VDSI ▪▪ Qualifizierung für Arbeiten in/an WEA – Konzepte von Ausbildungsträgern ▪▪ Eignung – Problemstellungen und Ansätze für Untersuchungen ▪▪ Ziel: Offshore-Bauwerk – Personaltransfer und Überstieg ▪▪ Erste Hilfe in Offshore-Windparks – Stand der Dinge ▪▪ Forschungsprojekt Rettungskette Offshore Wind – Erkenntnisse und Entwicklungen bei der praktischen Umsetzung ▪▪ Elektrische Ausrüstung in WEA – Sicherheitstechnische Anforderungen ▪▪ Umspannplattformen – Elektromagnetische Felder →→info www.bgetem.de, Webcode 15261228 Informationen zum Veranstaltungsort, zur Hotelreservierung, zur Teilnahmegebühr und zur Online-Anmeldung. Video: Aufmerksamkeit darf man nicht teilen Der Fahrer war nur kurz abgelenkt. Dann quietschen Bremsen. Das Auto kommt zwar noch zum Stehen. Doch ein Rollerfahrer muss ausweichen und prallt frontal auf einen Radfahrer. Zum Glück passiert das nur im Film. Die BG ETEM hat ihn in Auftrag gegeben, um für mehr Aufmerksamkeit im Straßenverkehr und bei der Arbeit zu sensibilisieren. Denn rund ein Drittel aller Verkehrsunfälle werden durch Ablenkung verursacht. „Auch bei der Arbeit spielt das eine immer größere Rolle“, sagt Geschäftsführer Olaf Petermann. Vor allem E-Mails und Smartphones sorgten für Ablenkungen. Der Videoclip zeigt die Folgen, erhebt aber nicht den Zeigefinger. „Wir möchten, dass der Zuschauer selbst eine Entscheidung trifft“, sagt Holger Zingsheim, Leiter Kommunikation bei der BG ETEM. Das Video setzt die Kampagne „Ein Unfall ändert alles – Du bestimmst das Risiko“ fort. Es ist auf der Webseite der Kampagne und in sozialen Netzwerken zu sehen. Innerhalb kurzer Zeit wurde das Video 1,2 Millionen Mal aufgerufen. 5.800 Userinnen und User entschieden „Gefällt mir“ und 185 kommentierten das Gesehene. →→info www.ein-unfall-ändert-alles.de Deutscher Jugend-Arbeitsschutz-Preis 2016 Innovative Idee? 6.000 Euro beträgt das Gesamtpreisgeld für die ersten drei Plätze beim Deutschen Jugend-Arbeitsschutz-Preis 2016. Die Fachvereinigung Arbeitssicherheit e.V. (FASI) verleiht den Preis alle zwei Jahre bei der „Arbeitsschutz Aktuell“. Junge Erwachsene bis 24 Jahren können bis 30. Juni 2016 teilnehmen. Ausgezeichnet werden kreative und innovative Ideen für mehr Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, die bereits erfolgreich in der Praxis umgesetzt wurden. Die Projekte müssen zwischen 2014 und 2016 begonnen und bis 30. Juni 2016 abgeschlossen worden sein. Die Gewinnerinnen und Gewinner werden bei der Eröffnung der „Arbeitsschutz Aktuell“ am 11. Oktober 2016 in Hamburg ausgezeichnet. →→info www.jugend-arbeitsschutz-preis.de ↓ Termine Aus der Selbstverwaltung →→info www.bg-kliniken.de →→Weitere Termine www.bgetem.de, Webcode 12568821 Workshop Rücken Freie Termine zur Weiterbildung in Sachen „Rücken“ in Augsburg: Dabei wird das Aktionsmobil Gesunder Rücken und dessen Einsatz in den Mitgliedsbetrieben vorgestellt. Das Seminar wendet sich an Beschäftigte, Führungskräfte und Mitglieder des Arbeitsschutzausschusses. Tagungsort ist das Exerzitienhaus Leitershofen. Es bietet die Möglichkeit, Abstand vom Alltag zu gewinnen und sich ganz auf das Seminar zu konzentrieren. Freie Termine in Juni und Juli gibt es unter der Veranstaltungsnummer 249 oder dem Stichwort „Rücken“ in der Seminardatenbank der BG ETEM. →→info www.bgetem.de, Seminardatenbank Mail: [email protected] Fotos: BGETEM, Ralf Bauer; FASI Hans-Peter Kern, Vorstandsvorsitzender der BG ETEM, ist zum Vorsitzenden der Gesellschafterversammlung des Klinikverbunds der Gesetzlichen Unfallversicherung gewählt worden. Die gemeinnützige GmbH ist ein Zusammenschluss aus neun berufsgenossenschaftlichen Akutkliniken, zwei Kliniken für Berufskrankheiten und zwei Unfallbehandlungsstellen. Zu ihren Kernkompetenzen gehören unter anderem die Polytraumaund Schädel-Hirn-Trauma-Versorgung nach schweren Unfällen sowie die Behandlung von Patienten mit Brand-, Rückenmarks- und Handverletzungen. ▪▪ 12.-13.03.2016, Wallau bei Wiesbaden Inter-Schuh-Service ▪▪ 13.-18.03.2016, Frankfurt/Main Light + Building, Messe für Licht und Gebäudetechnik ▪▪ 05.-06.04.2016, Dresden Maschinensicherheits-Tagung ▪▪ 06.04.2016, Bremen Regionale Betriebsärzteversammlung ▪▪ 31.05.-10.06.2016, Düsseldorf drupa, Internationale Fachmesse der Printmedien kompakt Plakatkampagne 2016 Richtig sicher! Die neuen Plakate der BG ETEM zur Betonung des Arbeitsschutzes gibt es unter Telefon 0221 3778-1020 oder im Netz unter www.bgetem.de, Webcode 14822765 Bestell-Nr. P001/2016 Bestell-Nr. P002/2016 Bestell-Nr. P003/2016 Bestell-Nr. P004/2016 Bestell-Nr. P005/2016 Bestell-Nr. P006/2016 Bestell-Nr. P007/2016 Bestell-Nr. P008/2016 Bestell-Nr. P009/2016 Bestell-Nr. P010/2016 Bestell-Nr. P011/2016 Bestell-Nr. P012/2016 etem 01.2016 7 mensch & arbeit Arbeiten an elektrischen Anlagen Strom an! Sicherheit aus? Bei Arbeiten an elektrischen Anlagen ist immer mit Gefahren durch elektrischen Strom zu rechnen. Deshalb müssen sich Beschäftigte und Verantwortliche vor Beginn der geplanten Arbeiten intensiv damit befassen. D er Anteil der Stromunfälle an der Gesamtzahl der meldepflichtigen Unfälle scheint auf den ersten Blick gering. Die Auswirkungen dieser Unfallart sind aber schwerwiegender als der Durchschnitt aller Unfälle. Stromunfälle haben zum Beispiel bei den tödlichen Arbeitsunfällen einen vergleichsweise hohen Anteil. Selbst wenn die Stromunfallopfer nur einen sogenannten Wischer erleiden, kann es trotzdem zu Spätfolgen kommen. Diese können noch Stunden nach der Durchströmung auftreten. Spätfolgen können u. a. gefährliche Herzrhythmusstörungen sein. Aus diesen Gründen ist es wichtig, Stromunfällen gezielt vorzubeugen. Arbeiten an elektrischen Anlagen ohne Gefahren ausführen Wenn geplante Arbeiten gut vorbereitet sind und während der Arbeiten keine unerwarteten Ereignisse eintreten, denken die beteiligten Beschäftigten und Verantwortlichen in der Regel an alle notwendigen Schutzmaßnahmen. Treten bei der Arbeit jedoch Störungen auf, die unter Zeitdruck behoben werden müssen, übersehen die Beschäftigten häufig grundlegende Dinge oder vergessen sie. Deshalb ist es wichtig, auch mögliche Störungen vorherzusehen und die Störungsbeseitigung zu planen. Die DGUV Vorschrift 1 verlangt, dass Arbeiten nur an Personen übertragen werden dürfen, die dazu befähigt sind. Bei 8 Arbeiten an elektrischen Anlagen gibt es deshalb eine Reihe von verantwortlichen Personen, die sich miteinander absprechen müssen. Diese werden in der DIN VDE 0105-100 benannt. Verantwortliche Personen Verantwortlich bei Arbeiten an elektrischen Anlagen ist in erster Linie der Anlagenverantwortliche. Er kann die Auswirkungen abschätzen, wenn die vorgesehenen Arbeiten an der elektrischen Anlage durchgeführt werden. Deshalb muss er den Arbeitsverantwortlichen über die Auswirkungen informieren. Der Arbeitsverantwortliche ist der Garant dafür, dass diejenigen, die die Arbeiten ausführen, sicher arbeiten können und dabei gesund bleiben. Zur Arbeit befähigte Personen Arbeiten an elektrischen Anlagen dürfen nur von Elektrofachkräften durchgeführt werden. Als Elektrofachkraft zählt, wer die übertragenen Arbeiten beurteilen und die damit verbundenen Gefahren erkennen kann. Eine Elektrofachkraft muss auch über ausreichende Kenntnis und Erfahrung der übertragenen Arbeiten verfügen. Weiter sind Kenntnisse der anerkannten Regeln der Technik nötig. Das dazu benötigte Wissen wird in der Regel durch eine elektrotechnische Ausbildung erlangt. Bei Arbeiten an elektrischen Anlagen sind manchmal unterstützende Tätigkei- ten nötig. Für diese Tätigkeiten sind nicht unbedingt Elektrofachkräfte erforderlich. Die DGUV Vorschrift 3 lässt dafür auch elektrotechnisch unterwiesene Personen (EuP) unter Leitung und Aufsicht durch eine Elektrofachkraft zu. Die EuP wird durch die Elektrofachkraft und hier im Besonderen durch den Arbeitsverantwortlichen elektrotechnisch unterwiesen. Dadurch ist auch die EuP in der Lage, die unterwiesenen Arbeiten sicher durchzuführen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Elektrofachkraft die Leitung und Aufsicht für die EuP übernimmt. Das heißt, sie ist weisungsbefugt und verantwortlich für die Sicherheit und Gesundheit der elektrotechnisch unterwiesenen Person. In der Praxis bedeuten Leitung und Aufsicht, dass sich Elektrofachkraft und EuP in räumlicher und zeitlicher Nähe zueinander befinden, damit die Elektrofachkraft jederzeit erreichbar ist und kontetem 01.2016 mensch & arbeit rollieren kann, ob die Arbeiten sicher und richtig ausgeführt werden. Zusammenarbeit von Arbeitsund Anlagenverantwortlichen Bei Arbeiten an großen elektrischen Anlagen oder in Netzen koordiniert der Anlagenverantwortliche die Schutzmaßnahmen und spricht diese mit dem Arbeitsverantwortlichen durch. Der Arbeitsverantwortliche muss die Personen auswählen, die die Arbeiten durchführen sollen und vor Arbeitsbeginn über die konkreten Schutzmaßnahmen informieren. Der Arbeitsverantwortliche wird häufig erst vor Ort, kurz vor Arbeitsbeginn, benannt. Trotzdem muss ihm bewusst sein, dass er für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der beteiligten Mitarbeiter verantwortlich ist. Führen Elektrofachkräfte die Arbeiten durch, ist aufgrund ihrer Qualifikation in der Regel eine relativ hohe Sicherheit geetem 01.2016 geben. Kritischer ist die Situation, wenn elektrotechnische Laien erst noch elektrotechnisch unterwiesen werden müssen. Hier übernimmt die unterweisende Elektrofachkraft die Fachverantwortung für diese Personen. Im Elektrohandwerk ist der Arbeitsverantwortliche in der Regel auch der Anlagenverantwortliche. Hier wird vom Arbeitsverantwortlichen eine besondere Verantwortung verlangt, da er in der Doppelfunktion des Arbeits- und Anlagenverantwortlichen ist. Bekommt er erst vor Ort oder kurz vor Arbeitsbeginn Einblick in die Unterlagen, wird diese Aufgabe zusätzlich erschwert. Gefährdungen beurteilen Zur Planung gehört eine Gefährdungsbeurteilung vor Arbeitsbeginn. Im Regelfall existiert die Gefährdungsbeurteilung bereits für eine Vielzahl der Arbeiten. Der Arbeitsverantwortliche muss vor Ort deren Richtigkeit überprüfen und eventuell durch eine ergänzende Gefährdungsbeurteilung vervollständigen. In der Ergänzung wird nur vervollständigt oder abgewandelt, was vom Üblichen abweicht. In der Praxis sind das Besonderheiten, die bei der Arbeitsvergabe besprochen werden. Fehlt eine Gefährdungsbeurteilung für eine Tätigkeit komplett, muss sie in jedem Fall vor Arbeitsbeginn erstellt werden. Wenn spezielle Hilfsmaterialien oder Arbeitsmittel benötigt werden, muss sich der Arbeitsverantwortliche davon überzeugen, dass die beauftragten Beschäftigten wissen, wie diese sicher benutzt werden. Unter Umständen muss der Arbeitsverantwortliche noch Ein- und Unterweisungen vornehmen. Arbeiten im spannungsfreien Zustand Das Arbeitsschutzgesetz verlangt eine Vermeidung von Gefahren. Die DGUV Vor9 mensch & arbeit Arbeiten in der Nähe unter Spannung stehender Teile Häufig liegt ein falsches Verständnis für das Arbeiten in der Nähe unter Spannung stehender Teile (AiN) vor. Die DGUV Vorschrift 3 versteht darunter das Eindringen in die Annäherungszone, ohne die Gefahrenzone erreichen zu können. In der Praxis hört man deshalb oft die Aussage: „Ich pass’ schon auf“ – und meint: „Ich komme nicht an spannungsführende Teile“. Die BG ETEM hat speziell für diese Aussagen auf Messen einen Versuchsstand aufgebaut, an dem die Besucher zeigen können, ob und wie sie aufpassen. Dazu soll eine Öse um einen Draht herum von einer Seite zur anderen geführt werden, ohne den Draht zu berühren. Jedes Berühren ist einer Körperdurchströmung gleichzusetzen. Die Erfahrung zeigt, dass – selbst wenn die Strecke ein- oder zweimal ohne Berühren erfolgreich absolviert wurde – Zeitdruck, Hektik oder Ablenkung zu Berührungen des Drahtes führen. Deshalb lautet die klare Forderung: „... die Gefahrenzone darf nicht erreicht werden können“. Das ist in der Praxis allerdings nur durch einen mindestens teilweisen Berührungsschutz möglich (5. Sicherheitsregel). Arbeiten an unter Spannung stehenden Teilen Arbeiten an unter Spannung stehenden Teilen (AuS) heißt sinngemäß, dass spannungsführende Teile bewusst mit dem Körper oder mit Gegenständen berührt werden. Wenn also die arbeitende Person mit Werkzeugen spannungsführende Teile berührt, ist das AuS. Auch das unbewusste oder unbeabsichtigte Berühren, z. B. beim Abrutschen, wird dem AuS gleichgesetzt. Nach der DGUV Vorschrift 3 §6 ist AuS grundsätzlich nicht zulässig. Der §8 zeigt jedoch Möglichkeiten auf, unter denen AuS möglich sind. Finden AuS statt, müssen – unabhängig von der Spannungshöhe und der Spannungsart – eine gefährliche Körperdurchströmung und die Gefahr eines Lichtbogens immer ausgeschlossen sein. Dies ist allerdings nur in seltenen Fällen durch die Art der Anlage gegeben. In der DGUV Regel 103-011 „Arbeiten unter Spannung an elektrischen Anlagen und 10 Betriebsmitteln“ werden Verfahren zum Durchführen von AuS beschrieben. Dabei ist zunächst eine Gefährdungsbeurteilung nötig. Auf deren Grundlage entscheidet der Unternehmer über die Anwendung der AuS-Arbeitsmethode. AuS dürfen nur durchgeführt werden, wenn die Sicherheit und der Gesundheitsschutz aller an den Arbeiten beteiligten Personen sichergestellt werden kann. In der Regel wird dies nur durch geeignete Arbeitsverfahren sowie mit gut ausgebildetem und ausgerüstetem Personal erreicht. Die Tabelle 5 zum §8 der DGUV Vorschrift 3 gibt eine Übersicht zu den Randbedingungen für die Auswahl des ▪▪ das Heranführen von Spannungsprüfern zum Durchführen der 3. Sicherheitsregel, ▪▪ das Abklopfen von Raureif mit isolierenden Stangen oder ▪▪ das Heranführen von geeigneten Hilfsmitteln zum Reinigen. Bei allen Beispielen legt der Arbeitsverantwortliche die technischen, organisatorischen und persönlichen Sicherheitsmaßnahmen fest. Er ist für die Umsetzung der Schutzmaßnahmen durch die Beschäftigten verantwortlich. Durchführung der Arbeiten Jeder, der an elektrischen Anlagen arbeitet, muss den Zustand der Anlage kennen. Besonders wichtig ist: ▪▪ Wurden die 5 Sicherheitsregeln angewendet? ▪▪ Stehen noch Teile unter Spannung? ▪▪ Welche Fehler bestehen an der Anlage? Der Arbeitsverantwortliche muss deshalb die sichere Durchführung der Arbeiten kontrollieren und bei Abweichungen sofort korrigieren. Über Veränderungen des Schaltzustandes oder das Aufheben einer der 5 Sicherheitsregeln muss er die Arbeitenden informieren. Fazit Sicherheit hat Vorrang: Arbeiten sollten generell im spannungsfreien Zustand stattfinden. Personals bei bestimmten Tätigkeiten. Deshalb ist es u. a. bei folgenden Arbeiten zwingend notwendig, eine schriftliche Anweisung der notwendigen Schutzmaßnahmen mit Erläuterungen zu geben: ▪▪ Sicherungsleisten montieren und demontieren, ▪▪ Abzweigmuffen von Hausanschlusskästen montieren, ▪▪ Montagearbeiten in Hilfsstromkreisen zur Fehlereingrenzung durchführen oder ▪▪ Teilstromkreise überbrücken. Diese Tätigkeiten dürfen nur Elektrofachkräfte mit besonderer Ausbildung und schriftlicher Beauftragung durchführen. Bei Spannungen, die unter 50 V AC bzw. 120 V DC liegen, dürfen auch Laien die Arbeiten durchführen – sofern die Gefährdung durch Lichtbögen ausgeschlossen ist. Beispiel: das Auswechseln von Batterien mit geringer Energie. Folgende Arbeiten können in der Regel auch EuP unter Leitung und Aufsicht einer Elektrofachkraft durchführen: Um an elektrischen Anlagen sicher arbeiten zu können, müssen die Arbeiten geplant werden. Dabei ist zu beachten: ▪▪ Die Gefährdungsbeurteilung zeigt die nötigen Schutzmaßnahmen auf. ▪▪ Der Anlagenverantwortliche muss den Arbeitsverantwortlichen über die Schutzmaßnahmen an der Anlage einweisen. ▪▪ Der Arbeitsverantwortliche setzt die Schutzmaßnahmen vor Ort um, indem er alle Beschäftigte an der Anlage informiert, einweist, notfalls unterweist und kontrolliert. ▪▪ Allen Personen, die an der elektrischen Anlage arbeiten, müssen die Schutzmaßnahmen bekannt sein. Peter Westphal →→Info: ▪▪ Fachgebiet Elektrische Gefährdung, Tel. 0221 3778-6178 ▪▪ Referat Elektrohandwerke im Fachgebiet Elektrohandwerke/ Unternehmermodell, Tel. 0221 3778-2414 ▪▪ Ergänzende Gefährdungsbeurteilung: Papierversion GB 002-B; App für Smartphone oder Tablet: www.bgetem.de, Webcode 13542847 etem 01.2016 Fotos: Viktor Strasse; BG ETEM schrift 3 verlangt deshalb im Allgemeinen Arbeiten im spannungsfreien Zustand. Um den spannungsfreien Zustand herzustellen, sind die „5 Sicherheitsregeln“ anzuwenden (lesen Sie dazu bitte S. 11). mensch & arbeit Umsetzung der 5 Sicherheitsregeln in der Elektrotechnik Haken dran Immer wieder kommt es zu elektrischen Unfällen, weil die 5 Sicherheitsregeln nicht beachtet werden. Daher hat die BG ETEM nun Checklisten entwickelt, mit deren Hilfe die richtige Anwendung dieser Regeln überprüft werden kann. D as Unfallgeschehen bei der BG ETEM ist erfreulicherweise seit Jahren rückläufig. Unerfreulich ist hingegen die Entwicklung bei den Unfällen durch elektrischen Strom (siehe Abbildung „Gemeldete und meldepflichtige Stromunfälle“). Die steigende Zahl der elektrischen Unfälle wirft bei der BG ETEM die Frage auf, welche Maßnahmen sinnvoll sind, um diesen Negativtrend zu stoppen und umzukehren. Etwa 90 Prozent der elektrischen Unfälle sind im Bereich der Niederspannung (bis 1000 V Wechselspannung) zu verzeichnen. Betroffen ist überwiegend Fachpersonal, die Elektrofachkräfte. Unfallursache ist in den meisten Fällen, dass die 5 Sicherheitsregeln nicht oder nur unvollständig angewendet wurden. Daher hat die BG ETEM beschlossen, den Unternehmen und ihren Verantwortli- Die Checkliste „EVU–Arbeiten an Zähleranlagen“ ist eine der neuen BG-Hilfen. chen ein Hilfsmittel anzubieten, mit dem sie vor Beginn elektrotechnischer Arbeiten innerhalb weniger Minuten überprüfen können, ob die 5 Sicherheitsregeln richtig und vollständig angewendet wurden. Da- 2000 mit wird auch überprüft, ob die in der Gefährdungsbeurteilung festgelegten Maßnahmen richtig umgesetzt wurden, also eine ergänzende Gefährdungsbeurteilung vor Ort gemacht wurde. Für die drei Bereiche Energieversorgungsunternehmen (EVU), Industrie und Elektrohandwerk hat die BG „Checklisten zur Arbeitsfreigabe nach den 5 Sicherheitsregeln“ erarbeitet. Unterschieden nach jeweils mehreren typischen Tätigkeitsfeldern, die den größten Teil der elektrotechnischen Arbeiten in der Niederspannung abdecken, stehen insgesamt elf Checklisten zur Arbeitsfreigabe zur Verfügung. Hartmut Oelmann 1500 →→info Gemeldete und meldepflichtige Stromunfälle (Quelle: BG ETEM) 4000 Daten aus dem Unfallregister Meldepflichtige Stromunfälle (≥3 Kalendertage Arbeitsunfähigkeit) 3500 Gemeldete Stromunfälle 3000 2500 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 etem 01.2016 773 3776 802 3334 708 3069 652 2577 599 2354 568 2266 628 2271 479 1997 472 1816 522 1922 491 1828 0 543 1966 500 571 2105 Foto: BG ETEM 1000 2011 2012 2013 2014 Die oben abgebildete und zehn weitere Checklisten können unter www.bgetem.de, Webcode 12201321 (Link anklicken, Rubrik „Praxishilfen/Gefährdungsbeurteilung“) als pdf- und als Word-Dateien heruntergeladen werden. Die Word-Dateien können in eigene Dokumente eingefügt werden. 11 mensch & arbeit Stichwort Zuverlässigkeit Aus Fehlern kollektiv lernen Wie Organisationen Achtsamkeit erwerben und so die Arbeitssicherheit verbessern können. W as haben eine kerntechnische Anlage, eine Intensivstation, ein Flugzeugträger und der internationale Bankhandel gemeinsam? Ihre Organisation erfordert hohe Zuverlässigkeit. Ein Fehler kann katastrophale Ausmaße annehmen. Die Namen Tschernobyl, Bhopal, Harrisburg und Lehman Brothers haben sich in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt. Sie stehen für die verheerenden Folgen, die aus der Fehlfunktion eines komplexen technischen Systems erwachsen können. Das Zusammenwirken unerwarteter Ereignisse mit zunächst unbedeutend erscheinenden Fehlentscheidungen ließen die Systeme außer Kontrolle geraten. Mit verheerenden Folgen für Menschen, Umwelt oder das weltweite Finanzsystem. Eine ganze Forschungsrichtung hat sich seit den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts etabliert, um dem Problem zu begegnen. Die High Reliability Theory (HRT) – zu Deutsch: Theorie der hohen Zuverlässigkeit. Ihre grundlegende Annahme ist es, dass Fehlervermeidung allein nicht ausreicht. Auch nicht mit immer detaillierteren Anweisungen. Vielmehr wird auf hintereinander gestaffelte Sicherungssysteme gesetzt und vor allem auf eine besondere Achtsamkeit gegenüber Fehlern und Abweichungen. Das Gespür der Beschäftigten für problematische Situationen soll genutzt werden. Dafür muss im Unterneh12 men eine Kultur etabliert werden, die diese präventive Sorge aufmerksam aufgreift und in maßgeschneiderte Rituale oder Prozesse bringt und diese ständig optimiert. Viele Unternehmen verstehen sich mittlerweile als High-Reliability-Organisation (HRO) und zeichnen sich durch ihre besondere Achtsamkeit im Umgang mit komplexen Technologien aus. Obwohl manche technische Systeme in ihrer Dynamik prinzipiell nicht vollständig beherrschbar sind oder kleine Fehler überproportional schwerwiegende Folgen haben können, haben sie die Fähigkeit entwickelt, diese nahezu unfallfrei zu betreiben. Was liegt also näher, als ihr Wissen zu nutzen, um der Vision Zero näherzukommen: einer Arbeitswelt ohne Arbeitsunfälle. Dr. Just Mields, Arbeitspsychologe bei der BG ETEM, hat dazu die beiden Experten Dr. Annette Gebauer und Stefan Günther befragt. ?Wie gelingt es einer High-Reliability- Organisation, dass letztlich erwartbare Fehler nicht zu einer Katastrophe führen? Annette Gebauer: Eine Organisation, die sich High-Reliability-Organisation nennt, hat ihren Titel eigentlich schon verspielt. Wenn wir von HRO sprechen, reden wir nicht von der festen Eigenschaft einer Organisation, auf der sie sich ausruhen kann. Vielmehr meinen wir eine fortwähetem 01.2016 mensch & arbeit Im Team lassen sich unerwartete und komplexe Situationen leichter erkennen und durchschauen. rende Aktivität des selbstkritischen Prüfens, Hinterfragens und Lernens in einem komplexen, riskanten Umfeld. ?Was bedeutet das konkret? Annette Gebauer: Das ist vielleicht am besten mit dem fortwährenden Training einer Fußballmannschaft im Spitzenfeld zu vergleichen. Jedes Spiel birgt neue Risiken, auf die sich die Mannschaft vorbereiten muss, ohne genau zu wissen, ob die Taktik von gestern für morgen noch gilt. Hört man mit dem Training, der Analyse von besonderen Gegebenheiten oder des Fitnesszustands des Gegners und auch der eigenen Mannschaft auf, ist der Abstieg sicher. Deshalb sprechen wir auch lieber von High Reliability Organizing oder High Reliability Seeking Organizations. Das Besondere dieser Form des Organisierens besteht darin, sich nicht nur auf solide „standard operating procedures“ zu verlassen, sondern Teams für das Erkennen und den Umgang mit unerwarteten Planabweichungen und undurchsichtigen, komplexen Situationen bewusst vorzubereiten. Gemeint ist eine kollektive Kompetenz der Organisation, die mehr ist als die Fähigkeit der einzelnen Spieler. ?Was kennzeichnet den HRO-Ansatz und welche „Werkzeuge“ haben sich bewährt? Annette Gebauer: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, mit High Reliability Organizing anzufangen. Bewährt haben sich zum Beispiel kurze, in den Alltag eingebaute koletem 01.2016 13 mensch & arbeit ?Wie kann man das im betrieblichen Alltag umsetzen? Annette Gebauer: Ich persönlich halte gute strukturierte Briefing- und Debriefing-Gespräche für sehr wertvoll. Im Briefing-Gespräch gewinnt jedes Teammitglied ein besseres Verständnis von der geplanten Aufgabe, sodass jeder mitdenken kann. Im Debriefing-Gespräch reflektiert das Team, an welchen Stellen es zu Planabweichungen gekommen ist und wie es mit dem Unerwarteten umgegangen ist. Die Fähigkeit des eher geistesgegenwärtigen Handelns im Moment wird damit nicht einfach dem Zufall oder dem Einzelnen überlassen, sondern sie wird zum Gegenstand des Lernens im Team. Eine weiteres Achtsamkeitsritual sind Ereignis- oder Musteranalysen von unerwarteten Fehlern und Ereignissen, die zum Organisationslernen genutzt werden. Hierarchie- und fachübergreifende Teams ergründen vor Ort die Bedingungen und Zusammenhänge des Misslingens. Sie nutzen, wie wir es nennen, ein unerwartetes Ereignis als Fenster zum System. Individuelle Schuldzuweisungen sind hier tabu, und damit erleben die Beteiligten etwas, was sonst meist nur gefordert wird: eine Kultur des offenen Umgangs mit Fehlern. ?Hat der HRO-Ansatz Einfluss auf die Rolle von Management und Führung? Stefan Günther: Führung ist nicht alles, aber ohne Führung ist alles nichts. In dieser Kultur besteht ein Unterschied für Führungskräfte darin, in bestimmten Phasen die hierarchischen Unterschiede auszublenden, Expertise, Wahrnehmungen und Annahmen anderer weder zu dominieren noch abzuwerten oder einzuschüchtern. Wir sprechen auch von Wir-Kultur statt Ihr-Kultur, die sich eher auf Kritik, Appelle, Vorgaben und Sanktionen reduziert. Führungskräfte akzeptieren, dass sie oft Unwissende sind und sie das Wissen anderer zur differenzierten Bearbeitung bestehender Probleme und zukünftiger Risiken zusammenbringen müssen. Sie werden also zu Fragenden, Ermöglichern, Unterstützern und Ermutigern. 14 Zur Person Dr. Annette Gebauer ist Inhaberin der ICL GmbH und auf High Reliability Organizing sowie Kulturund Managemententwicklung spezialisiert. Sie unterstützt Unternehmen wie ThyssenKrupp, BASF, SAP, RWE, Coca-Cola, Commerzbank, Sabic, Boehringer-Ingelheim und andere. ?Das bedeutet auch, Führungskräfte müssen umdenken? Stefan Günther: Ja, die entscheidenden Veränderungen der Führungsrolle zeigen sich immer sowohl im System – zum Beispiel offenes Fragen nach Besonderheiten, Szenarien zur Vorbereitung auf Unerwartetes, Reagieren auf Abweichungen von Standards – als auch in der Arbeit am System. Zum Beispiel die Bedeutung von Sicherheitsverhalten in Beurteilung und Personalentwicklung, Berücksichtigung von Sicherheitsexpertisen in der Planung, Einführen und Sicherstellen neuer Prozesse, Methoden, Werkzeuge. Weitere, erfolgskritische Aspekte von Führung sind die in der Belegschaft wahrgenommenen Entscheidungen der Führungskräfte, wenn es um den Konflikt Sicherheit – Profitabilität/Zeit oder den Umgang mit dem Spannungsfeld Offenheit – Umgang mit Sanktionen geht. Oft haben Führungskräfte die bestehende Kultur mit guten Absichten mitgeprägt, zu deren Veränderung sie jetzt aufrufen. Kurzum: Wenn Führung nicht bereit ist, sich selbst als Bestandteil des Problems und der Lösung zu sehen und zu reflektieren, hat HRO keine echte Chance. ?Lässt sich der HRO-Ansatz auch auf kleine Unternehmen übertragen und welche Tools würden Sie hier empfehlen? Stefan Günther: Aber natürlich, denn hier kann Führung viel schneller ein System in Bewegung bringen, vorausgesetzt, eine kritische Masse sieht darin einen Nutzen und gibt dieser Idee einen Sinn. Ist die Notwendigkeit mal erkannt, kann man die gesamte Führungsmannschaft schneller an den Tisch bekommen und mit weniger beteiligten Schnittstellen, Gremien und einfacheren Entscheidungsstrukturen oft effektiver arbeiten. Damit kommt man besser an die entscheidenden Einflussfaktoren der Organisation. Die Instrumente sind prinzipiell die gleichen wie z. B. Ereignisanalysen, Selbsteinschätzung der Sicherheitsarbeit, Rituale für unsichere Zustände etc. Manchmal muss man jedoch die Instrumente anpassen oder zuschneiden auf die konkreten Bedingungen und die Sprache der Zielgruppen. ?Woran erkenne ich High Reliability Organizing? Stefan Günther: Wenn ich mich als Fremder regelwidrig verhalte, kommt schnell eine Person auf mich zu, die mit mir die Regel aufgreift und mich respektvoll und bestimmt anleitet. Oder ich werde erkennen, dass in der Analyse kleiner Abweichungen oder sogenannter Beinahe-Unfälle kein Schuldiger gesucht wird, sondern die Bedingungen erkundet und die Ursachenbehebung Zeit und Aufmerksamkeit bekommt. ?Wie groß ist der Aufwand, um sich als Unternehmen in Richtung Achtsamkeit und Sicherheitskultur zu bewegen? Annette Gebauer: Die größte Herausforderung ist das Behalten eines langen Atems. Meistens starten Unternehmen aus einer Krisensituation heraus und sind bereit, in die Entwicklung ihrer Achtsamkeitskultur zu investieren. HRO braucht aber ein kontinuierliches Investment in Kommunikation und Information, Training und Prüf- und Lernschleifen. Zur Person Stefan Günther ist Geschäftsführer der WSM GmbH und Netzwerkpartner der ICL GmbH. Als Experte für Management- und Führungskräfteentwicklung, Strategie und Change, Coaching von Schlüsselpersonen, Beraterqualifizierung ist er unter anderem für ABB, EnBW, BASF, ThyssenKrupp oder Lufthansa tätig. etem 01.2016 Fotos: BG ETEM; iStock/Getty Images, Photo_Concepts lektive Achtsamkeitsrituale, in denen bewusst nach Besonderheiten und Abweichungen gefragt wird. Ein zentrales Element des Crew- oder Cockpit Ressource Managements ist das gezielte Üben von Widerspruch gegenüber dem Piloten, ohne den Respekt voreinander zu verlieren. Seminar für Führungskräfte Ein Schlüssel zum Erfolg Zu vorausschauendem Management gehört es auch, die Gesundheit und Motivation der Beschäftigten zu fördern. Ein neues Seminar zeigt Strategien, die sich praktisch bewährt haben. etem – das Magazin für Prävention, Rehabilitation und Entschädigung ▪▪ Steigerung Fotos: Fotolia, kasto; Fotolia, radub85 D er Stellenwert der „Betrieblichen Gesundheitsförderung“ hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Viele Unternehmen haben erkannt, dass es ökonomisch sinnvoller ist, in Gesundheit, Motivation und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu investieren, als hohe Kosten für Krankheit, Produktionsausfall, Ersatz und Wiedereingliederung zu tragen. Wissenschaftliche Studien haben ermittelt, dass für jeden für betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzten Euro im Durchschnitt 2,40 Euro zurückfließen. Dieser Erfolg wird erbracht durch gesunde, motivierte Mitarbeiter, eine hohe Effizienz und geringere Ausfallzeiten. So steigern Betriebe mittel- bis langfristig ihren Gewinn. Die gewinnsteigernden Effekte sind: ▪▪ Motivation der Beschäftigten, ▪▪ Verbesserung des Gesundheitszustandes aller Beschäftigten, ▪▪ Verbesserung der innerbetrieblichen Kommunikation, ▪▪ bessere Produktqualität, ▪▪ höhere Attraktivität des Unternehmens bzw. besseres Image, etem 01.2016 der Produktivität und Flexibilität, ▪▪ langfristige Reduzierung der Fehlzeiten, der Fluktuationsraten und der damit verbundenen Kosten. In dem vorliegenden Seminar wird gezeigt, wie diese Ziele realisiert werden können. Im Einzelnen wird dabei den folgenden Fragen nachgegangen: ▪▪ Wie muss unser Unternehmen organisiert sein, um eine erfolgreiche Gesundheitsförderung und die Work-Life-Balance der Beschäftigten zu verwirklichen? ▪▪ Wie erreichen wir, dass die Mitarbeiter und Vorgesetzten sich wirklich immer richtig verhalten und das Thema Gesundheit verinnerlichen? ▪▪ Wie bekommen wir das Thema Gesundheit in die Köpfe der Beschäftigten? ▪▪ Was können wir noch machen, als immer wieder auf das richtige Verhalten hinzuweisen? ▪▪ Wie können gesunde Angewohnheiten entstehen? ▪▪ Wie können wir die Gesundheit der Mitarbeiter nachhaltig steuern? Um diese Fragen zu beantworten, werden im Seminar pragmatische Lösungen entwickelt. Damit profitierten die Unternehmen ebenso wie Führungskräfte und Beschäftigte. Aufblättern Nachlesen Anwenden Als E -Pa und P per DF im Ne tz jed verfü erzeit gbar . →→info Seminar: Unternehmenserfolg durch gesunde und motivierte Mitarbeiter Termine: 22.07.2016, 10:00-17:00, Bildungsstätte Düsseldorf (999-16-041) 16.12.2016, 10:00-17:00, Bildungsstätte Düsseldorf (999-16-042) www.bgetem.de, Webcode 11326642 www.bgetem.de, Webcode 12484059 mensch & arbeit Seminare Anleitung zum Überleben BG ETEM und Bundeswehr bieten spezielles Training für Journalisten in Krisengebieten. D iese fünf Tage bereiten auf das Schlimmste vor. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden beschossen, aus ihrem Auto gezerrt oder sogar entführt. Das Ziel dieser realistischen Szenarien auf dem Trainingsgelände der Bundeswehr im fränkischen Hammelburg ist es, Reporter auf den Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten vorzubereiten. Bundeswehr-Redakteurin Ulrike Jenssen hat die Ausbildung mitgemacht. Hier Teile ihres Tagebuchs. In Krisenregionen garantiert die Kennzeichnung „Press“ keinen Schutz vor unangenehmen Situationen. 16 ung in der Truppendem Frühstück Tag 1: Ohne Deck ch Na r. te ch si nächst im Hörchlafene Ge tlich um 7 Uhr zu nk Ich blicke in vers pü ag st ng ga menden Tagen r erste Lehr uns in den kom küche beginnt de rd wi er nt we De ationen der nant Volker d praktischen St un saal. Oberstleut en ch tis re eo r auf allen th als Hörsaalleite d welchen Scha eiten. gl n von Minen un Ausbildung be pe Ty ne rde Ve ie s ch ispiel da ärt er vers ien wie zum Be Ausführlich erkl ir gehen Szenar W . en ationen einer nn tu kö Si n en verschiedene e den sie anricht di rn te ile ör er h, oints durc Vor- und Nachte Details, wie die halten an Checkp en ch re sp be d . elnahme un n Kulturräumen möglichen Geis unterschiedliche in n Hollywoodge it in m er Eh rd n wi en Autos en des Tragens vo ss ho sc be s Fahrzeugtür wird tigung eine Bei der Besich l durchlöcherten ta to r r de k ic bl wehr im Stile de mt. Beim An er Maschinenge Mythen aufgeräu od e ol st Pi h rc i Beschuss du anders Schutz. schnell klar: Be st man besser wo t ch su e m werden zunäch Fil “m Lehrplan. Wir „Stirb langsam de f au r e Nu nd . ku ht t gemac eht Waffen eswehr vertrau Nachmittags st nd Bu r de n ei en er aff faust od chlichsten W an, eine Panzer mit den gebräu en das Angebot hm ne n für zu bekomge da lle hl Ko , um ein Gefü wenige meiner en hm ne zu nd ob Glas, Holz, Be hr in die Ha r Waffen: Egal, Maschinengewe de g un r irk he W frü e end ist di lien geben men. Beeindruck zu alle Materia he Na l: al et M ton oder . indgängern in oder später nach rengfallen und Bl Sp n vo en pp tra n, gibt es den Als wir At Feld finden solle en ch tli ch si er inen-Dummies einem unüb ll. Mehr als 30 M fa en ch is Zw en teckt. Dass wir ersten fiktiv ils sorgfältig vers te , ch tli r ch si en uckzünder eine sind teils off theit auf den Dr er m m t kü is be n, Un te ine tre in unserer n Antipersonenm rte zie at pl r, eg wi W en rn neben dem absichtigt. So le n Ausbildern be n lauern ße ra St n natürlich von de te der befestig its se ab en hr ion gibt und die welche Gefa ine echte Explos ke es nn we ch en. können. Au e Lektion gesess mmy war, hat di Mine nur ein Du etem 01.2016 mensch & arbeit Tag 2: Achtung Granate! Viele von uns tragen an diesem Morgen das erste Mal eine ballistische Schutzweste der sogenannten Schutzklas se 4, wie sie auch die Bundes wehrsoldaten in den Einsatzgebieten tragen. Die We ste wiegt zwölf Kilogramm, weil sie mit schweren Platten aus einem speziellen Verbun dwerkstoff verstärkt ist. Außerd Arme schön hochhalten. Die Rollenspieler sind em bekommen wir einen Hel m nicht zimperlich. und lernen, dass der ledigli ch vor Splittern, aber nicht zwi ngend vor direktem Beschuss schützt. Wir sollen den Bürgermeiste r eines kleinen Dorfes in einer Krisenregion interviewen. Mit meiner kleinen Gru ppe – dem Tonassistenten, der Kamera frau und der Produzentin – laufe ich dur ch das Dorf. Plötzlich fallen Schüsse. Granate! Sie fällt vor meine Füße. Ich hab e Panik und renne weg. Das sagt mir me in Instinkt. Soldaten wissen natürlich, dass ich mich in den maximal drei Sekunden, bis eine scharfe Handgranate in einem echten engeg der in das „Kris Szenario explodiert wäre, kau Tag 3: Carjackin ir morgens wie w en hr ht; m hätte umfa ac n br se Kleinbus ress“ ange drehen können. Und schon Mit den weißen ar das Schild „P tb ch si ergar nicht hätte t ch gu Si t it is Fahrzeug ngigkeit m ich es geschafft, mich aus dem tische Unabhä biet“. Auf dem lis na r ur jo zu Gefahrenrare rte se n eine Ka e wird un dius in Sicherheit zu bringen n vor Fahrtbegin doch auch heut be ha enir . Ich hätte mich is W Kr n. r de de ge-Tag in ektiert wer einfach nur hinschmeißen soll heit nicht resp rfekten Reporta pe n ne ite en. Liebes Taei Se r r Fü zu . Fahrer kommen gebuch: Schon am zweiten mittler und ein Orientierung be Tag des Lehrem ein Sprach rd ße au s un n gangs bin ich das erste Mal region werde en tot. e Durchsuchung Nachmittags fahren wir auf iert werden. Di gestellt. ss e pa si n n se en die Schießüs w m n, auch kpoints bahn. Mit Gefechtsmunition Mehrere Chec über uns ergehe z an ill st w Di r wird über unsere r de le ie el w Immer profession Köpfe hinweggeschossen. Anlass geben. lassen wir mit Wir sollen heraus; bloß keinen en nn ze zwischen Be kö en in Gr se e hören, wo sich die Schützen unangenehm wir wollen. Di in oh w aufhalten und ob d un er wir sind wir uns vor oder hinter der man wissen, w ser Schusslinie befind. in sind, wird un rhör ist fließen Ve den. Das ungeübte Gehör fragung und nem Presseterm ei nd zu si hat zunächst keine s eg to W Au m auf de ing! Die Chance, aber wir werden imm Als wir gerade zingelt. Carjack um rn hrc ne du er besser. än t M ad n waffnete chsten St den Wald zur nä Fahrzeug von be h rc ei du w ß be Fu ck zu hi gsgesc üssen uns n wir Verhandlun weg und wir m se üs ill w m , us ch is ha gl st h noch En nzigen Ga schlagen. Im ei ht weder Deutsc bt es sen. Man spric Für viel Geld gi n. aber Bares sehe kalt t is en Der Betonbod wenig Luxus: ig äß m r nu hkeiten sind und die Räumlic tbe ld Fe n wir uns auf de beheizt. Bevor n. ei n he ac , teilen wir W ten niederlassen . Sicher ist sicher Autodiebe überfallen den Presse-Konvoi. etem 01.2016 17 mensch & arbeit Vermummte stürmen in die Herberge der Journalisten. Tag 5: Sensibilisie rt Der letzte Tag im Hörsaal: Ein Sani tätsfeldwebel gi uns praktische Tip bt ps zur Wundschne llversorgung und erklärt, wora uf es ankommt, wenn man Schuss und Brandverletz ungen versorgen muss. Und wie lautet eigentlich die Notrufnumm er in diesem oder jenem Land? Wo ist das nächste Kr ankenhaus? Es sind einfache Fra gen, die man be re its vor der Reise in das Krisengeb iet beantworten kö nnen sollte. Zeit für ein Fazit. Viele fühlen sich nun für künftige Reisen in Kriseng ebiete besser vo rb er eitet. Einige meiner Kollegen sagen, dass sie di e Gefahr zuvor un terschätzt und je tzt einen geschu lteren Blick für De tails hätten. Es st immt: Sensibilisie rt fahre ich nach Hause und aufm erksamer als sons t betrachte ich den Wegesrand. 18 Journalisten in Krisenregionen Die BG ETEM versichert auch viele Journalisten. Daher bietet sie dieses Seminar zusammen mit dem Bundesverteidigungsministerium. Es wendet sich ausschließlich an Journalistinnen und Journalisten, die aus beruflichen Gründen in Krisen- und Kriegsgebieten tätig sind oder sich auf Einsätze in diesen Regionen vorbereiten. Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten, des Personenschutzes oder von gemeinnützigen Organisationen sind nicht zugelassen. Ziel des Seminars Die Veranstaltung vermittelt in fünf Tagen grundlegende Kenntnisse zum Umgang mit potenziellen Gefahren für die Arbeit in Krisen- und Kriegsgebieten. Konkrete Gefährdungen sollen bewusst gemacht und mögliche Vermeidungsstrategien aufgezeigt werden. Darüber hinaus bietet der Lehrgang eine Erste-Hilfe-Ausbildung und Hilfen zur Stressverarbeitung. Inhalt des Seminars ▪▪ Wirkung von Waffen, Munition, Kampfmitteln und Schutzmaßnahmen ▪▪ Erkennen und Vermeidung von Gefahren durch Minen und Sprengfallen ▪▪ Verhalten in komplexen Situationen, einschließlich Gefangennahme ▪▪ Lebensrettende Erstversorgung Verwundeter ▪▪ Zusammenarbeit zwischen Streitkräften und Journalisten im Einsatzland ▪▪ Begleitung der Truppe bei Patrouillen und Schutzaufgaben ▪▪ Psychische Belastungen und Prävention von Traumatisierungen ▪▪ Versicherungsschutz durch die BG im Inund Ausland Anmeldung [email protected] Veranstaltungstermine 2016 im April, Juli, November und Dezember. Ort: Ausbildungszentrum der Bundeswehr in Hammelburg. →→Info www.bgetem.de, Webcode 14363753 Seminardatenbank: Veranstaltungsnummer 146 etem 01.2016 Fotos: Bundeswehr/Vennemann, Getty Images/Gregor Schuster it der Ungewisshe orgens Tag 4: Stunden et, freuen sich m Nacht gezeichn n ge hi r Herru de un in r k de Von Frühstüc Kaffee und das en iß nicht he n ng ne hu ei f sc ra alle au nächste Über e di ss da t, is ar e geberge, obwohl kl um ist der Kaffe n lassen wird. Ka rte wa Alle r. ch si ue f fe au hr lange hon Gewe draußen auch sc r wi ng n tu re ch hö Ri , in en trunk und rennen stückstisch auf üh ht. Fr ic m re er vo g n nu ge sprin schnell ge rd jedoch nicht wi r im De s. its er re nk be t des Bu rmummte is erbewaffnete Ve e, Ein Dutzend schw t die Geiselnahm nn gi stürmung be Er er es di it M : Haus it … Stelle: Psydie Ungewisshe erheit an erster ch Si e di t eh st reit, Als es vorbei ist, sleiter stehen be und der Lehrgang r te vertä zu ni Sa am , ns en ei cholog ten und gem er uw sz au s un mit t und um das Erlebte mental gefestig hlauf, fühlen sich wo nd Zeit, t si is le Al ds . en stehen aßen fit. Ab ch noch einigerm is ausys ch ph si d ch un au sind ordnen die Eindrücke zu s Da . en ch zutaus – bt ei bl e Erlebt cherebenfalls aus Si heitsgründen – ilnehzwischen den Te cht mern und wird ni . berichtet Notfall-Hotline der BG ETEM Anruf genügt Auch wer beruflich im Ausland unterwegs ist, kann auf den Schutz durch die BG ETEM zählen. Eine Notfall-Hotline sichert Erreichbarkeit rund um die Uhr. W ährend der Dienstreise im Ausland geschieht ein Unfall: Erste Hilfe ist gefragt, gegebenenfalls müssen Versicherte zudem ärztlich versorgt werden. Doch wie kommt man auf kürzestem Weg zum Arzt oder ins Krankenhaus? Um auch im Ausland optimale medizinische Versorgung gewährleisten zu können, hat die BG ETEM für ihre Versicherten gemeinsam mit der DRK Assistance einen 24-Stunden-Notruf eingerichtet. Ein Anruf genügt, um etwa die schnelle Verlegung in ein geeignetes Krankenhaus vor Ort oder einen Krankenrücktransport zu organisieren. Die DRK Assistance bietet ein weltweites Netzwerk von Ärzten und Dienstleistern und kann nach der Unfallmeldung sofort Kontakt mit dem behandelnden Arzt vor Ort aufnehmen. So lassen sich Fragen zur Diagnose, Qualität der Behandlung oder Kostenübernahme kurzfristig klären. Welches geeignete Arzneimittel steht im Ausland zur Verfügung und wo sind deutsch- oder englischsprachige Ärzte zu finden? Auch dazu können Versicherte über die Notfall-Hotline qualifiziert beraten werden. Medical Report Im Medical Report dokumentiert der behandelnde Arzt eine ärztliche Behandlung im Ausland. Er dient auch als Beweismittel für spätere Ansprüche gegenüber der Sozialversicherung. Es empfiehlt sich, betroffenen Mitarbeitern die Formulare zur Verfügung zu stellen. Bezug: Kepnerdruck GmbH, www.kepner.de/A_20_Medical_ Report.pdf Damit die Notrufnummer immer griffbereit ist, bietet die BG ETEM spezielle Visitenkarten an (Bezugsmöglichkeiten unter info). Betriebe können diese an ihre Beschäftigten vor Auslandsaufenthalten verteilen. Dokumentation Grundsätzlich muss die Berufsgenossenschaft über meldepflichtige Unfälle sofort informiert werden – auch wenn sie im Ausland passieren. Das gilt ebenfalls bei begründetem Verdacht auf eine Berufskrankheit. Arbeitgeber nutzen dazu dieselben Formulare wie im Inland. Schwere oder gar tödliche Unfälle sind telefonisch zu melden. Nach der Rückkehr Wenn Beschäftigte nach ihrer Rückkehr noch medizinische Behandlung brauchen oder sie weiterhin arbeitsunfähig sind, müssen sie direkt den Durchgangsarzt aufsuchen. Dabei empfiehlt es sich, diesem sämtliche ärztlichen Berichte aus dem Ausland (wie z. B. den Medical Report, siehe Infokasten links) vorzulegen. Nur so kann sich der Arzt ein Bild über die bisherige Versorgung machen und die Folgebehandlung darauf abstimmen. Wichtiger Hinweis: Einige Krankheiten machen sich möglicherweise erst nach der Dienstreise bemerkbar, manchmal sogar erst Monate später. Bei Symptomen, wie beispielsweise ungeklärtem Fieber oder anhaltenden Durchfällen, Hautveränderungen, Gelenkschwellungen, Kopfschmerzen, starkem Gewichtsverlust oder Lymphknotenschwellungen, die etwa nach einem Tropen-Aufenthalt auftreten, heißt es: sofort zum Arzt! Nancy Schmidt → info Fotos: BG ETEM; Fotolia/brat82 Visitenkarte mit Notrufnummer der BG ETEM (siehe oben): als Download unter www.bgetem.de, Webcode 11234792 oder per E-Mail unter [email protected] etem 01.2016 19 betrieb & praxis PER-Belastung in Textilreinigungen Dem Dunst auf der Spur Perchlorethylen, kurz „PER“, sorgt in Textilreinigungen für saubere Ware. Der Stoff steht jedoch im Verdacht, Krebs zu erzeugen. Wie hoch ist die Belastung für die Beschäftigten? M it organischen Lösungsmitteln wird in Textilreinigungen die Ware maschinell gereinigt. Verwendet wird dazu in Deutschland noch immer überwiegend Tetrachlorethen, in der Branche unter seinem Trivialnamen „Perchlorethylen“, kurz „PER“, bekannt. Prinzipiell ist eine Textilreinigungsmaschine ein geschlossenes System. Allerdings können kleine Mengen PER beim Be- und Entladen aus der gereinigten Ware ausdünsten und so in die Raumluft gelangen. Bei Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten sowie bei Leckagen können höhere Immissionen auftreten. Im Rahmen eines gemeinsamen Projekts haben die Messstellen verschiedener Bundesländer die aktuelle PER-Exposition in Textilreinigungsbetrieben erfasst. Anlass war, dass der Arbeitsplatzgrenzwert für PER 2011 von ehemals 345 mg/m3 (50 ppm) auf 138 mg/m3 (20 ppm) gesenkt wurde. Die Messungen wurden in 97 Betrieben von 2012 bis 2013 durchgeführt: Das Spektrum reichte von kleinen Ladenbetrieben bis zu einer großen Reinigung, in der Anlagen mit 50 kg Fassungsvermögen laufen. Die Anzahl der Chargen lag zwischen drei und sechs pro Tag. Gemessen wurde personenbezogen während des normalen Betriebs: zum einen bei den Beschäftigten, die die Maschinen bedienen, zum anderen beim Bügeln. Wartungs- und Reparaturarbeiten wurden nicht erfasst. Die Ergebnisse des Projekts wurden in einer Handlungsanleitung zur guten Arbeitspraxis zusammengefasst. Der Abschlussbericht ist im Internet veröffentlicht (mehr siehe info). 20 Messergebnisse Bis auf eine Ausnahme lagen die PER-Konzentrationen bei den Beschäftigten an den Maschinen unterhalb des Arbeitsplatzgrenzwertes. Beim Bügeln war in jedem Fall der Arbeitsplatzgrenzwert eingehalten. Bei der überwiegenden Zahl der Betriebe lag der ermittelte Stoffindex (Index = Messwert/Grenzwert) unter 0,5 an den Maschinen und unter 0,2 beim Bügeln. In Textilreinigungsbetrieben kommt es beim Be- und Entladen der Reinigungsma- schinen kurzzeitig zu Expositionsspitzen. Die Konzentrationen, die während des Projekts ermittelt wurden, lagen unterhalb des zulässigen Kurzzeitwerts. Der Abschlussbericht der Länder zieht folgendes Fazit: Erfüllen Betriebe die Anforderungen der 2. Bundes-Immissionsschutzverordnung (BImSchV) und der DGUV Regel 100-500, Kapitel 2.14 („Betreiben von Chemischreinigungen“), wird der PER-Grenzwert beim Maschinenbedienen und Bügeln eingehalten. Auf Grundlage etem 01.2016 betrieb & praxis der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 402, die sich mit inhalativer Gefahrstoffexposition beschäftigt, könnten die Schutzmaßnahmen damit als ausreichend bewertet werden. Zur Minimierung der Emissionen werden folgende Maßnahmen empfohlen: ▪▪ tägliche Leckstellensuche, ▪▪ regelmäßige Wartung und jährliche Überprüfung der Maschine und lüftungstechnischen Anlage, ▪▪ jährliche Sachverständigenprüfung der Maschine nach 2. BImSchV. Die Ergebnisse des Länderprojekts bestätigen auch die Erfahrungen der BG ETEM, deren messtechnischer Dienst mittels eigener Messungen festgestellt hat, dass der Arbeitsplatzgrenzwert für PER in Textilreinigungen eingehalten wird (siehe MEGA-Auswertung unten). In Annahmestellen („kalter Laden“) geraten Beschäftigte nicht direkt mit PER in Kontakt. Aus der angelieferten, gereinigten Ware kann jedoch Lösungsmittel ausdünsten, sodass minimale PER-Konzentrationen in die Raumluft gelangen. Messungen der BG ETEM ergaben Konzentrationen unterhalb von 2 mg/m³. Biomonitoring Fotos: BG ETEM/A. Kaya Bei Messungen von PER in der Raumluft wird erfasst, inwieweit die Atemwege belastet sind. Will man die gesamte PERExposition ermitteln, also über Atemwege, Haut und Nahrung, wird das sogenannte Biomonitoring durchgeführt. Dabei werden Schadstoffe oder deren Stoffwechselprodukte in Körperflüssigkeiten oder der Ausatemluft bestimmt. Die TRGS 903 „Biologische Grenzwerte (BGW)“ weist nur einen biologischen Grenzwert für PER im Blut aus. Beschäftigte empfinden es allerdings als weniger unangenehm, wenn statt Blutproben Atemproben genommen werden. Im Zuge der Messaktion hat sich die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) daher einem speziellen Projekt gewidmet und ein Biomonitoring-Verfahren in der Praxis erprobt, mit dem sich PER in der Ausatemluft bestimmen lässt. Zur Bewertung wurde der Biological Exposure Index (BEI) der American Conference of Bei sachgerechter Arbeitsweise wird der Arbeitsplatzgrenzwert für PER zuverlässig eingehalten. Governmental Industrial Hygenists (ACGIH/ USA) herangezogen. Bei Beschäftigten, die Maschinen bedienen, wurden höhere Werte gefunden als bei anderen, die beispielsweise bügeln. Alle ermittelten Werte lagen unterhalb des BEI. Auch die Ergebnisse des Biomonitoring bestätigen eigene Erfahrungen aus einem früheren Forschungsprojekt: Im Rahmen einer Pilotstudie hatte die BG ETEM bei 13 Beschäftigten aus fünf Textilreinigungsbetrieben die PER-Konzentration im Blut bestimmt. Die Werte lagen zwischen 3,5 und 262 µg/l. Der biologische Grenzwert für PER beträgt 1 mg/l bzw. 1.000 µg/l. Praxishilfen Der Bericht der Länder stellt zwar fest, dass der Grenzwert für PER in Textilreinigungsbetrieben eingehalten wird. Bemängelt wird aber auch, dass einige Unternehmen grundlegende organisatorische Arbeitsschutzmaßnahmen nur unzureichend umsetzen. Beispielsweise konnte in einigen Reinigungen die Gefährdungsbeurteilung nicht vorgelegt werden oder die Betriebsanweisung für Tätigkeiten mit PER waren nicht bekannt. Auswertung der Expositionsdatenbank MEGA des Instituts für Arbeitsschutz (IFA) der DGUV Zeitraum Anzahl Betriebe Anzahl Messwerte 50 %-Wert [mg/m3] 95 %-Wert [mg/m3] 2000-2014 20 92 6,2 43,4 etem 01.2016 Um diesen Unternehmerpflichten einfacher nachzukommen, bietet die BG ETEM Praxishilfen an. In ihrem Online-Medienshop gibt es für Tätigkeiten mit PER beispielsweise Muster für eine Gefährdungsbeurteilung und eine Betriebsanweisung sowie Unterweisungshilfen und Prüflisten (mehr unter info). Dr. Siegfried Hoffmann →→info ▪▪ „Leitfaden zur Gefährdungsbeurteilung nach Gefahrstoffverordnung“ (S 017) ▪▪ Prüfliste „Tägliche Sichtprüfung von Textilreinigungsmaschinen mit PER“ (PL 045) ▪▪ Prüfliste „Jährliche Prüfung von Textilreinigungsmaschinen mit PER“ (PL 046) ▪▪ Betriebsanweisung „Chemischreinigungsmaschine – Be- und Entladen – Perchlorethylen (PER)“ (B 050) Diese und weitere Materialien zu Tätigkeiten mit PER im Medienshop: www.bgetem.de, Webcode 11205644 ▪▪ Projektbericht „TetrachlorethenExposition in Chemischreinigungen“ ▪▪ Handlungsanleitung zur guten Arbeitspraxis „Tetrachlorethen (PER) – Exposition von Beschäftigten bei Tätigkeiten in Chemischreinigungen“ Beide Medien erhältlich unter: www.laendermessstellen.de > Projektarbeit > Expositionsbeschreibungen 21 betrieb & praxis Unfallprävention im Spinnereivorwerk Kein ungesicherter Zugriff Mit ihren aggressiven Garnituren stellen Walzen in Vorwerksmaschinen eine erhebliche Gefahr dar. Deshalb müssen sie rundum gut gesichert sein. A n einer Produktionslinie für Vliesstoffe verstopfte der Feinöffner, weil sich Fasern angehäuft hatten. Um den Stau zu beheben, stellte der Anlagenführer zunächst die Maschine ab. Dann öffnete er einen Wartungsschieber und griff in den Materialschacht, um die überschüssigen Fasern herauszuholen. Er geriet mit der Hand an die Arbeitswalze, die noch nachlief: Dabei verletzte er seine Finger schwer. Der Wartungsschieber befand sich so nah an der gefährlichen Öffnerwalze, dass diese mit gestreckter Hand noch erreichbar war. Deshalb hätte der Schieber mit Verriegelung und Zuhaltung gesichert sein müssen. Von Walzen, die mit Sägezähnen, Messern, Stiften, Häkchen oder ähnlichen Garnituren versehen sind, geht eine erhebliche Verletzungsgefahr aus. Meist handelt es sich um große Walzen mit hoher Drehzahl. Aufgrund ihrer Masse laufen sie nach dem Abschalten lange nach. Daher verlangt die harmonisierte Norm „Textilmaschinen – Sicherheitsanforderungen“ seit 1995 als Stand der Technik, dass diese Maschinenelemente durch feste Verkleidungen gesichert werden. Dort, wo es für den Betrieb der Anlage nötig ist, darf der Zugriff ausschließlich über bewegliche, trennende Schutzeinrichtungen mit Zuhaltung und Verriegelung möglich sein (mehr dazu im Infokasten auf der rechten Seite). Vorhängeschloss nicht ausreichend Aber nicht nur das technische Regelwerk zur Maschinenrichtlinie fordert derartige Schutzmaßnahmen. Schon die Unfallverhütungsvorschrift von 1977 „Maschinen, Anlagen und Apparate der Textilindustrie (Textilmaschinen)“ sah Zuhaltung und Verriegelung für solche Gefahrstellen vor. Der Betrieb aus dem eingangs geschilderten Unfallbeispiel hatte die Gefährdung bereits vor vielen Jahren erkannt. Statt Zuhaltung und Verriegelung nachzurüsten, war der Wartungsschieber lediglich mit einem Vorhängeschloss versperrt worden. 22 etem 01.2016 betrieb & praxis Das erfüllte aber schon zu dieser Zeit nicht die Forderungen der damaligen Unfallverhütungsvorschrift und entspricht ebenso wenig dem heutigen Stand der Technik. Denn bei der Schutzwirkung eines Vorhängeschlosses spielt der Faktor Mensch eine entscheidende Rolle: ▪▪ Ein Aufsperren bei laufender Anlage ist möglich. ▪▪ Nach einer Wartungsmaßnahme kann vergessen werden, das Schloss wieder rechtzeitig anzubringen. ▪▪ Der Schlüssel kann in falsche Hände gelangen. ▪▪ Das Wissen über den Zweck der Schutzmaßnahme kann im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Und was war im beschriebenen Fall passiert? Das Vorhängeschloss war im Begriffserklärungen Verriegelung Bei einer Verriegelung ist die bewegliche, trennende Schutzeinrichtung (Schutztür oder – in diesem Unfallbeispiel – Wartungsschieber) so mit der Steuerung gekoppelt, dass der Antrieb beim Öffnen abschaltet. Bei offener Schutzeinrichtung kann der Antrieb nicht gestartet werden. Zuhaltung Eine Zuhaltung wird z. B. benötigt, wenn Walzen nach dem Abschalten durch ihre Schwungmasse nachlaufen. Währenddessen hält sie Schutztür (oder Schieber) fest geschlossen. Erst wenn die Maschine vollständig zum Stillstand gekommen ist, gibt die Steuerung die Schutztür frei. Sicherheitsabstände Um zu verhindern, dass Beschäftigte Gefahrstellen durch Öffnungen im Gehäuse erreichen, müssen Sicherheitsabstände eingehalten werden. Diese sind in der harmonisierten Norm „Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsabstände gegen das Erreichen von Gefährdungsbereichen mit den oberen und unteren Gliedmaßen“ festgelegt. Diese Norm definiert u. a., wie weit man durch Öffnungen greifen kann – abhängig von ihrer Größe. Daraus ergibt sich, wie weit eine Gefahrstelle entfernt sein muss, damit sie nicht erreichbar ist. Eine ausführliche Übersicht über Mindestabstände zu Gefahrstellen an Maschinen bietet die Merkkarte „Sicherheitsabstände“ (068 DP). Sie ist im Medienshop erhältlich unter www.bgetem.de, Webcode 15169732. Was bedeutet „harmonisiert“? Technische Regeln helfen dabei, sichere Maschinen zu bauen. Harmonisiert sind Normen, wenn sie europaweit mit dem Ziel gelten, die grundlegenden Sicherheitsanforderungen der europäischen Maschinenrichtlinie zu erfüllen. Die EU führt diese Normen in einer Liste und veröffentlicht sie regelmäßig in ihrem Amtsblatt. Werden solche europäischen Normen eingehalten, darf man davon ausgehen, dass auch die Anforderungen der Maschinenrichtlinie erfüllt sind (Konformitätsvermutung). Illustration: E. Nohel; Fotos: BG ETEM/M. Nähler Ein Vorhängeschloss erfüllt die Sicherheitsanforderungen nicht und führte hier zum Unfall. Laufe der Zeit verloren gegangen. Der Mitarbeiter konnte somit ungeschützt in den Gefahrbereich greifen, um die Störung zu beseitigen. Und es kam zum Unfall, weil er den Nachlauf und die Distanz zur gefährlichen Walze unterschätzt hatte. Der Betrieb hat aus diesem schweren Unfall die Konsequenzen gezogen und am Wartungsschieber sofort Zuhaltung und Verriegelung nach dem aktuellen Stand der Technik nachgerüstet. Außerdem wurden alle Maschinen in der Faseraufbereitung auf ähnliche Gefahrenquellen überprüft. Gefahrstellen prüfen Vorbildlich nachgerüstet: Wartungsschieber mit Zuhaltung und Verriegelung etem 01.2016 Jedes Unternehmen, das Vorwerksmaschinen betreibt, sollte diese wiederholt prüfen: Wurden eventuell ungeschützte Zugriffsmöglichkeiten übersehen, wie leicht demontierbare Sichtfenster oder Wartungsöffnungen? Störungen und drohende Produktivitätseinbußen können dazu führen, dass Beschäftigte leichtsinnig dort eingreifen, wo es nicht vorgesehen ist. Das müssen Betriebe unbedingt verhindern, und zwar durch ein gutes technisches Sicherheitsniveau, gute Ausbildung und Einarbeitung sowie regelmäßige Unterweisungen. Denn Finger wachsen nicht nach. Martin Steiner →→info ▪▪ Unterweisungshilfen – Ausgabe Textil und Mode (PU 021) ▪▪ Betriebsanweisung: „Bedienen von Vorwerksmaschinen mit besonders gefährlichen Arbeitselementen“ (B 152) Download der Materialien unter www.bgetem.de, Webcode 15777881 23 betrieb & praxis Zeitungszustellung Lieferung mit Hindernissen Ob Dunkelheit, Rutschgefahr oder angriffslustige Vierbeiner: Beim Zustellen von Zeitungen drohen tagtäglich zahlreiche Unfallgefahren. Wie lässt sich vorbeugen? B ei der Zeitungszustellung geschehen häufig Unfälle, insbesondere Stürze, bedingt durch Witterungseinflüsse, wie Schnee oder Glatteis. Die Folgen: menschliches Leid für die Betroffenen, erhebliche Kosten für die Unternehmen und Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. So mussten allein für die Heilbehandlung in den vergangenen Jahren regelmäßig mehrere Millionen Euro ausgegeben werden. Deshalb bestand Handlungsbedarf, um durch präventive Maßnahmen die Unfallzahlen zu senken. Diese präventiven Maßnahmen stehen im Mittelpunkt der neu herausgegebenen DGUV Information 208-046 „Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Zeitungszustellung“. In dieser Information wird erstmalig das Augenmerk auf den Arbeitsund Gesundheitsschutz von Zeitungszustellern gerichtet. Als erster Schritt müssen die Gefahren im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelt und bewertet werden. Die DGUV Information gibt Wetterfeste, gut sichtbare Kleidung schützt Zusteller bei jeder Witterung. 24 Beim Transport mit dem Fahrrad müssen alle Lasten gleichmäßig verteilt werden. dazu Hilfestellungen und zeigt Wege auf, um die in einer Gefährdungsbeurteilung ermittelten Maßnahmen umzusetzen. Wetterfeste Ausrüstung Da Zeitungszustellerinnen und -zusteller häufig im Dunkeln unterwegs sind, laufen sie stärker Gefahr, umzuknicken oder ungünstig aufzutreten. Zudem kann die jeweilige Witterung Stolper-, Rutsch- oder Sturz-Unfälle begünstigen, besonders bei nassem Laub, Schnee- und Eisglätte. Deshalb ist es notwendig, zweckmäßiges und festes Schuhwerk zu tragen (siehe Infokasten auf S. 25). Damit lassen sich eine Vielzahl von Arbeitsunfällen, wie Knochenbrüche, Verstauchungen, Sehnenund Bänderverletzungen, verhindern. Die BG ETEM hat die praktische Anwendung von Sicherheitsschuhen mit rutschhemmender Sohle untersucht – mit dem Ergebnis, dass bei konsequentem Tragen Unfälle seltener passieren und die Unfallschwere abnimmt. Nicht jeder Sicherheitsschuh eignet sich jedoch für die Zustellung, die meisten sind für Arbeiten in Innenräumen optimiert. Zustellerinnen und Zusteller arbeiten auch bei widrigen Witterungsbedingungen. Dabei sind sie häufig Kälte und Nässe, Wind und Regen oder Schnee ausgesetzt. Atmungsaktive, wasserdichte Jacken haben sich dann bewährt. Sie sollen gut sichtbar sein, möglichst in Signalfarben, und mit Reflektoren ausgestattet. Aber auch das eigene Verhalten jedes Einzelnen trägt immens zur Arbeitssicherheit bei. Deshalb ist es wesentlich, sich mit den möglichen Gefahren auf einer Tour auseinanderzusetzen sowie Verhaltensregeln zu beachten, bereitgestellte Sicherheitsausrüstung zu benutzen und Mängel zu melden. Zeitungen werden oft vor Tagesanbruch ausgetragen, die Haus- und Straßenbeleuchtung reicht häufig für gute Sicht nicht aus. Daher sollten Betriebe eine geeignete Taschenlampe zum Ausleuchten dunkler Wegstrecken zur Verfügung stellen. Als praktisch haben sich Stirnlampen mit LED-Technik erwiesen, welche die Hände bei der Zustellung freilassen. Verschiedene Transportmittel Je nach Zustellbezirk und örtlichen Gegebenheiten werden verschiedene Hilfsmittel eingesetzt. Man unterscheidet die Zustellung zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Auto, um nur die gebräuchlichsten Transportarten zu nennen. Dabei gilt es, die jeweilig optimale Situation für die Zustellung zu schaffen. etem 01.2016 betrieb & praxis Für bessere Sicht in den frühen Morgenstunden sorgt eine LED-Stirnlampe; die Hände bleiben frei. Fotos: K. Eggers; anders.art Um Stolper-, Rutsch- oder Sturzunfällen vorzubeugen, sind Sicherheitsschuhe das A und O. Bei der Zustellung zu Fuß spielt das Tragen von Zeitungen oder Zeitungspaketen eine wesentliche Rolle. Die Belastungen werden durch folgende Faktoren bestimmt: ▪▪ Gewicht und Größe der Zeitungspakete ▪▪ Anzahl der Hebevorgänge ▪▪ eingenommene Körperhaltung ▪▪ Länge und Beschaffenheit des Transportweges Wird ein Fahrrad genutzt, muss es verkehrssicher sein und den Vorschriften der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung entsprechen. Die richtige Sattelhöhe ist eingestellt, wenn die Fußballen beider Füße bei gestreckten Beinen den Boden erreichen. Leuchten mit Standlichtfunktion sind besonders empfehlenswert, weil sie etem 01.2016 bei Fahrtunterbrechungen mehrere Minuten genauso hell leuchten wie während der Fahrt – bei Rückleuchten sogar bis zu 30 Minuten. Speichenreflektoren müssen vorhanden sein. Die eingesetzten Packtaschen sollten zusätzlich reflektierende Streifen aufweisen. Das Fahrrad muss sich für den Transport schwerer Lasten eignen, besonders der Gepäckträger muss entsprechend stabil sein. Gegebenenfalls muss ein spezielles Lastfahrrad mit Packtaschen verwendet werden. Die Lasten der Packtaschen sollen gleichmäßig verteilt werden. Ein Helm mindert Risiko und Schwere von Verletzungen bei einem Unfall erheblich. Auch bei der Zustellung mit dem Kraftfahrzeug müssen selbstverständlich die Regeln des Straßenverkehrs eingehalten werden. Zustellerin und Zusteller brauchen eine gültige Fahrerlaubnis und ihr Auto muss der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung entsprechen. Unternehmen sollten das regelmäßig überprüfen. Fahrzeuge müssen so beladen werden, dass die Ladung nicht verrutschen kann. Diese ist entsprechend zu sichern. Ungesicherte Ladung gehört nicht auf den Beifahrersitz. Wichtig ist, dass man umsichtig aussteigt, Haltegriffe benutzt und nicht herausspringt. Sturzgefahr und Hundebisse Neben den beschriebenen Gefahren ergeben sich noch einige besonders gefährliche Situationen, etwa auf schlecht beleuchteten Baustellen. Deshalb ist dort besondere Aufmerksamkeit erforderlich. Wenn vorhanden, müssen gekennzeichnete Wege benutzt werden. Manchmal ist eine gefahrlose Auslieferung nicht möglich, zum Beispiel wegen fehlender Beleuchtung. Dann muss die Zustellung auf eine Tageszeit verschoben werden, zu der der Baustellenbereich gefahrlos betreten werden kann. Nicht wenige Zeitungszustellerinnen oder -zusteller werden jährlich durch Hundebisse verletzt. Betriebe sollten ihnen daher schon bei der Einstellung erklären, wie sie sich gegenüber Hunden verhalten sollen, und zwar anhand einer Unterweisung. Bewährt haben sich Hundemerkkarten, die wichtige Informationen zu potenziell gefährlichen Hunden Ralf Bezdek enthalten. →→info DGUV Information 208-046 „Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Zeitungszustellung“ im Medienshop unter www.bgetem.de, Webcode 12282701 Sicherheitsschuhe Sicherheitsschuhe sollten folgende Anforderungen erfüllen: ▪▪ rutschfeste, profilierte und biegeweiche Sohlen, geeignet für Schnee und Glatteis ▪▪ Schutz gegen Nässe durch wasserabweisende oder wasserdichte Ausführung ▪▪ anatomisch geformtes Fußbett mit guten Dämpfungseigenschaften ▪▪ den Fuß umschließendes Schuhwerk in knöchelhoher Ausführung mit gepolstertem Rand ▪▪ geringes Gewicht ▪▪ atmungsaktiv, hoher Trage- und Laufkomfort ▪▪ Innenfutter als Kälteschutz für die Wintermonate 25 betrieb & praxis Lagerung brennbarer Flüssigkeiten, Teil 2 Damit’s nicht kracht Beim Lagern entzündbarer Flüssigkeiten müssen Druckereien vielfältige Schutzmaßnahmen beachten, vor allem aber explosionsgefährdete Bereiche festlegen. D ruckereien verwenden diverse entzündbare Flüssigkeiten, z. B. im Offsetdruck, Verpackungstief- und Flexodruck oder im Siebdruck. Bei deren Lagerung müssen sie eine Reihe von Anforderungen erfüllen (siehe etem 5/2015). Besonders wichtig ist es, explosionsgefährdete Bereiche festzulegen. Den Geräten, die in diesen Bereichen verwendet werden, wie Lampen, Ventilatoren oder Fasspumpen, gilt darüber hinaus ein besonderes Augenmerk. Die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) definiert – zusammen mit der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 720 – explosionsfähige Atmosphäre als ein Luft/Dampf-Gemisch, das sich entzündet und in dem sich der Verbrennungsvor26 gang dann auf das gesamte unverbrannte Gemisch überträgt. Je nach Ausmaß der Gefahr werden explosionsgefährdete Bereiche in die Zonen 0, 1 oder 2 eingeteilt (mehr zur Zoneneinteilung siehe info auf Seite 27). Diese gelten im Regelfall für brennbare Flüssigkeiten mit einem Flammpunkt unter 60 °C. Aerosole oder brennbare Flüssigkeiten, die in der Nähe ihres Flammpunktes oder darüber erwärmt werden, müssen gesondert beurteilt werden. Diese Sonderfälle werden hier nicht betrachtet. Passive Lagerung Bei der passiven Lagerung werden Gefahrstoffe stets verschlossen aufbewahrt, sie werden weder aus den Behältern Vermeidbare Zündquellen ▪▪ Zone 2: Zündquellen, die bei normalem störungsfreien Betrieb auftreten können (betriebsmäßig zu erwartende Zündquellen) ▪▪ Zone 1: Zusätzlich zu Zündquellen der Zone 2 auch Zündquellen durch Betriebsstörungen, mit denen man üblicherweise rechnen muss (häufiger auftretende Betriebsstörungen) ▪▪ Zone 0: Zusätzlich zu Zündquellen der Zone 1 auch Zündquellen durch selten auftretende Betriebsstörungen etem 01.2016 betrieb & praxis entnommen noch umgefüllt. Damit sich keine gefährliche explosionsfähige Atmosphäre bilden kann, müssen Lagerräume ausreichend belüftet sein – auch in Bodennähe. Werden reine brennbare Flüssigkeiten mit einem Flammpunkt über 35 °C bzw. Gemische über 45 °C gelagert, gilt der Lagerraum nicht als explosionsgefährdeter Bereich. Betriebe müssen sicherstellen, dass sich die Flüssigkeiten dabei nicht über 30 °C erwärmen können. Anders verhält es sich bei brennbaren Flüssigkeiten mit Flammpunkten unter 35 °C für reine Stoffe (z. B. Isopropanol, kurz IPA) bzw. unter 45 °C für Gemische (z. B. Testbenzin): Dann hängt die Zoneneinteilung von der Größe des Lagerraumes und der Luftwechselrate ab. Gleiches gilt auch für Lagertemperaturen über 30 °C. Alle fest installierten Betriebsmittel, wie Lampen, Ventilatoren etc., sollten mindestens der Gerätekategorie 3G entsprechen (GefStoffV Anhang 1 Nr. 1.8). Davon können Betriebe nur in Einzelfällen nach Gefährdungsbeurteilung abweichen. Aktive Lagerung Werden in Lagerräumen Gefahrstoffbehälter geöffnet, beispielsweise um sie zu reinigen oder Flüssigkeiten umzu- füllen, handelt es sich um aktive Lagerung. Im Falle von brennbaren Flüssigkeiten mit Flammpunkten kleiner 60 °C gilt ein solcher Bereich als Zone 1, unabhängig von der Art der Abfüllung und der abgefüllten Menge. Räume mit Abfüllplätzen unterliegen der TRGS 722 „Vermeidung oder Einschränkung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre“. Schutzmaßnahmen Alle Geräte und Betriebsmittel, die in explosionsgefährdeten Bereichen eingesetzt werden, müssen die Anforderungen des Anhangs 1 Nr. 1.8 der Gefahrstoffverordnung erfüllen (siehe Grafik unten). In unmittelbarer Nähe von Zone 0 und 1 und oberhalb aller explosionsgefährdeten Bereiche dürfen Geräte, die als Zündquellen wirken können, nicht verwendet werden. Das bedeutet, dass dort weder Feuerstätten betrieben werden dürfen (Funkenflug) noch mit Feuer oder glühenden Gegenständen hantiert werden darf (Rauchen). Auch Beleuchtungskörper, die bei mechanischem Defekt Zündquellen erzeugen können, sind tabu (Glühwendel muss aufgefangen werden). Welche Arten von Zündquellen in welchen Zonen zu vermeiden sind, zeigt der Infokasten auf Seite 26). Weitere wirksame Zündquellen, die in der Nähe explosionsgefährdeter Be- Zulässige Betriebsmittel für unterschiedliche Zonen Explosionsgefährliche Atmosphäre tritt auf Zone 0 Zone 1 Zone 2 häufig nie Fotos: BG ETEM/M. Zapf; Fotolia, bilderzwerg 1G Im Normalbetrieb bei anzunehmenden und bei seltenen Störungen Diese werden durch elektrostatische Aufladungen verursacht und müssen durch geeignete Maßnahmen verhindert werden: ▪▪ Materialien mit geringer elektrischer Leitfähigkeit vermeiden ▪▪ Geeignete Materialien für den Fußboden (Ableitwiderstand < 108 Ohm) auswählen ▪▪ Ableitende Schuhe (Ableitwiderstand < 108 Ohm) tragen, vorzugsweise ESD-Schuhe ▪▪ Zone 1: Lüftungs- und Saugrohre innen und außen leitfähig oder ableitfähig sowie geerdet bzw. mit Erdkontakt versehen ▪▪ Elektrostatische Aufladungen beim Befüllen von Behältern vermeiden ▪▪ Mit Erdungsmaßnahmen Aufladen leitfähiger und ableitfähiger Teile verhindern (für das Aufladen isolierender Teile oder Flüssigkeiten nicht möglich!) ▪▪ Leitfähige Bauteile: elektrisch verbunden und geerdet reiche nicht auftreten dürfen, sind u. a. heiße Oberflächen, mechanisch erzeugte Funken, elektrische Anlagen und statische Aufladung. Betriebe müssen dafür Sorge tragen, dass in Einmündungen und Schutzrohren für Kabel und Rohrleitungen keinerlei brennbare Flüssigkeiten und deren Dämpfe eindringen können. Dr. Axel Mayer →→info ▪▪ BG Infoblatt Es gibt keine Zündquellen durch Betriebsmittel Gefährliche Entladungsvorgänge 2G Im Normalbetrieb bei anzunehmenden Störungen 3G Im Normalbetrieb Nr. 402 „Lagerung brennbarer Flüssigkeiten im Bereich Druck und Papierverarbeitung – Gefahrstofflager“: www.bgetem.de, Webcode 11205644 ▪▪ Gefahrstoffverordnung: www.baua.de ▪▪ Technische Regeln für Gefahrstoffe zur Lagerung sowie explosionsfähiger Atmosphäre (TRGS 510, TRGS 720, TRGS 721, TRGS 722): www.baua.de ▪▪ Übersicht zur Zoneneinteilung bei aktiver und passiver Lagerung sowie Informationen zur Gerätekennzeichnung: www.bgetem.de, Webcode 15117823 G = Gas, 1 – 3 Gerätekategorie nach „ATEX-Produktlinie“ (= Wahrscheinlichkeiten, dass Zündquellen wirksam werden) etem 01.2016 27 gesundheit Schlaftypen und Schichtarbeit (Teil 2) Mehr Einklang mit dem Körper Dieser Beitrag stellt die Erfahrungen eines Unternehmens vor, das den Schlaftyp seiner Mitarbeiter analysiert und seinen Schichtplan auf diese Schlafbedürfnisse abgestimmt hat. D ie Leistungsfähigkeit eines Menschen ist unter anderem davon abhängig, ob er die täglichen Herausforderungen möglichst optimal mit seinem persönlichen Tagesrhythmus („Biorhythmus“) in Einklang bringen kann (siehe auch „etem“ 6/2015). Dies ist in Betrieben mit Wechselschicht nicht der Fall. Hier muss jeder Schichtarbeiter regelmäßig zu Zeiten arbeiten, in denen sein Tagesrhythmus auf Tiefschlaf eingestellt ist. So hatte auch die in Gelsenkirchen ansässige Fa. thyssenkrupp Electrical Steel – wie die meisten Unternehmen mit Schichtarbeit – ein Wechselschichtsystem. Hier sind die Nachteile und die finan- ziellen Vorteile der Schichtarbeit für alle Beschäftigten gleich. In dem Unternehmen werden von Montagmorgen bis Samstagabend Elektrobänder für Transformatoren und Umspannwerke hergestellt. Schichtsystem nach Biorhythmus In der Vergangenheit wurde an 6 Tagen die Woche in einem 4-Schicht-System produziert (Grafik 1, Schichtplan A). Dieses Schichtsystem sollte unter Beteiligung des Schlafforschers Prof. Dr. Till Roenneberg von der Universität München im Einklang mit dem biologischen Rhythmus gestaltet werden, indem der Schlaftyp berücksichtigt wird. Um den Schlaftyp von jedem der 114 Schichtarbeiter festzustellen, führte jeder Teilnehmer ein Schlaftagebuch. Zudem wurden ein Fragebogen und das Aktimeter, das die Bewegungen des Handgelenkes misst, ausgewertet und miteinander verglichen. Danach wurden die Teilnehmer entsprechend ihrer Schlafenszeit an freien Tagen in vier gleich große Gruppen aufgeteilt: So. Sa. Fr. Do. Mi. Di. Mo. So. Sa. Fr. Do. Mi. Di. Mo. So. Sa. Fr. Do. Mi. Di. Mo. So. Sa. Fr. Do. Mi. Di. Mo. Grafik 1: Die Schichtpläne bei thyssenkrupp Electrical Steel G 1* G 2* G 3* G 4* So. Sa. Fr. Do. Mi. Di. Mo. So. Sa. Fr. Do. Mi. Di. Mo. So. Sa. Fr. Do. Mi. Di. Mo. So. Sa. Fr. Do. Mi. Di. Mo. A: Ursprünglicher 2-2-2-Plan. Alle Beschäftigten hatten die gleiche Schichtfolge. Hellgrün: Frühschicht (6:00 – 14:00 Uhr), grün: Spätschicht (14:00 – 22:00 Uhr), schwarz: Nachtschicht (22:00 – 06:00 Uhr), weiß: Freischicht. *G (= Gruppe) 1-4 F 1** F 2** S 1** S 2** B: An den Schlaftyp angepasster Schichtplan: Die anstrengendsten Schichten wurden für extreme Schlaftypen abgeschafft (Nachtschicht für die frühen Lerchen, Frühschicht für die späten Eulen). ** F 1 + 2 = Frühe und späte Lerchen, S 1 + 2 = frühe und späte Eulen 28 etem 01.2016 gesundheit Anteil der Teilnehmer in % Grafik 2: Verteilung der Schlaftypen (Skizze) späte Lerchen 40 30 20 frühe Lerchen frühe Eulen 10 späte Eulen 0 22:00 6:00 0:00 8:00 2:00 10:00 4:00 12:00 Schlafzeiten an freien Tagen Wer dauerhaft gegen seinen Schlaftyp arbeitet, muss mit Folgen für die Gesundheit rechnen. 1. Frühe Lerchen (Früh-1-Typ) 2. Späte Lerchen (Früh-2-Typ) 3. Frühe Eulen (Spät-1-Typ) 4. Späte Eulen (Spät-2-Typ). Foto: Getty Images/iStockphoto, KatarzynaBialasiewicz Entsprechend der Einteilung der Beschäftigten wurde der Schichtplan umgestellt. Im ursprünglichen Schichtplan hatte jede Gruppe in vier Wochen jeweils drei 2-tägige Früh-, Spät-, Nacht- und Freischichten. Im angepassten Schichtsystem hatte jede Gruppe drei Freischichten und ▪▪ Frühe Lerchen (Früh-1-Typ): 7 Frühschichten, 2 Spätschichten ▪▪ Späte Lerchen (Früh-2-Typ): 3 Früh-, 4 Spät- und 2 Nachtschichten ▪▪ Frühe Eulen (Spät-1-Typ): 2 Früh-, 4 Spät- und 3 Nachtschichten ▪▪ Späte Eulen (Spät-2-Typ): 7 Nachtschichten und 2 Spätschichten Ergebnisse nach 5 Monaten im angepassten Schichtplan In ihren Schlaftagebüchern dokumentierten die Teilnehmer, wann sie schlafen gingen, aufstanden, die Qualität ihres Schlafs und ihr Wohlbefinden. Sie führten die Bücher jeweils vier Wochen ▪▪ im alten Schichtsystem, ▪▪ direkt nach der Umstellung in den angepassten Schichtplan und ▪▪ 4 Monate nach der Einführung des angepassten Schichtplans. etem 01.2016 Die „extremen Gruppen“, also die frühen Lerchen und die späten Eulen, profitierten am meisten vom angepassten Schichtplan. An den Arbeitstagen schliefen sie ca. 25 Minuten länger und ihre Schlafqualität verbesserte sich deutlich. Zudem fühlten sie sich deutlich besser. Diese Effekte waren bei den späten Eulen umso ausgeprägter, je später ihre natürliche Schlafenszeit war. Außerdem konnten die Teilnehmer ungefähr zu den gleichen Zeiten schlafen, die ihrem Schlaftyp entsprachen. Die erzwungene Verschiebung der Schlafzeiten nahm um ca. 1,5 Stunden ab. Die Zufriedenheit mit der Zeit für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nahm für die frühen Lerchen zu, für die anderen Schlaftypen aber ab. Dies hatte mehrere Ursachen: ▪▪ Die Produktion wurde während der Untersuchung deutlich gesteigert, sodass an einigen Wochenenden Überstunden geleistet werden mussten. ▪▪ Jede Änderung der Arbeitszeit bedeutet für Schichtarbeiter einen massiven Eingriff in das Privatleben, der noch nicht verarbeitet war. ▪▪ Die späten Lerchen und die frühen Eulen mussten jeweils eine Spätschicht mehr leisten. Diese Tageszeit ist für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben aber besonders wichtig. ▪▪ Die späten Eulen mussten an drei von Anteil der Teilnehmer entsprechend ihrer Schlafzeiten an einem freien Tag und ihre Einteilung in die entsprechende Gruppe. vier Freitag- und Samstagabenden arbeiten. Diese Zeiten sind besonders für das Privatleben junger Leute, bei denen dieser Schlaftyp oft anzutreffen ist, wichtig. Grenzen der Untersuchung Die Untersuchung zeigt deutlich, dass eine Schichtplangestaltung unter Beteiligung des Schlaftyps große Vorteile für die Schlafdauer, die Schlafqualität und das Wohlbefinden der Betroffenen hat. Es müssen aber weitere Untersuchungen folgen, weil die Studie einige Grenzen hatte: ▪▪ Es nahmen fast nur Männer teil. ▪▪ Die Teilnehmerzahl war mit 114 Personen relativ klein. ▪▪ Finanzielle Nachteile wurden von der Firma ausgeglichen, wenn in weniger Nachtschichten gearbeitet wurde. ▪▪ Der neue Schichtplan hat weniger Schichtwechsel. Es kann sein, dass dies positive Einflüsse auf das Wohlbefinden hatte. Christian Hiller →→info Eine Zusammenfassung der wissenschaftlichen Studie, die diesem Beitrag zugrunde liegt, ist zu finden unter: www.cell.com/current-biology/abstract/ S0960-9822(15)00128-1 (englisch) 29 gesundheit Interview „Durchmischung der Schichten war wichtig“ ? Warum wollten Sie einen neuen Schichtplan einführen? Bei der arbeitsmedizinischen Betreuung der Mitarbeiter zeigte sich, dass diese sehr verschiedene Biorhythmen haben. Um die gesundheitlichen Belastungen durch Schichtarbeit zu verringern, wollten wir auf diese Unterschiede Rücksicht nehmen. Dazu haben wir Prof. Dr. Till Roenneberg um Hilfe gebeten. Er hat den Schlaftyp der einzelnen Schichtarbeiter bestimmt. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde der neue Schichtplan entwickelt. ?Waren die Mitarbeiter direkt von dem neuen Schichtplan begeistert? Nein. Tatsächlich waren nach der Ankündigung der neuen Schichtpläne insbesondere die Kollegen, die in die Spät-2Schicht eingeteilt wurden, zuerst von der Anzahl der zu leistenden Nachtschichten nicht begeistert. Für die anderen Schichtgruppen änderte sich ja entweder relativ wenig (Früh-2 und Spät-1) oder es ergab sich eine sehr positiv wahrgenommene Veränderung (Früh-1). Hier wurde entsprechend der Wechsel des eigenen Schichtrhythmus nicht so negativ gesehen. ?Was war für die Akzeptanz der neuen Schichtgruppen entscheidend? Für eine Vielzahl von Mitarbeitern aller Schichtgruppen war entscheidend, dass die Zusammensetzung der Schichten durchmischt wurde. Dies wurde unabhängig von den künftigen Arbeitszeiten im Vorfeld wesentlich kritischer gesehen. Die mit dem eingeführten Schichtplan verbundene „Durchmischung“ der früheren Schichten führte letztendlich aber unseres Erachtens zu einer verbesserten Kom- 30 Dr. Jörg Augustin, Leiter des Betriebsärztlichen Dienstes der thyssenkrupp Electrical Steel GmbH Jens Roßkothen, Betrieblicher Gesundheitsmanager der thyssenkrupp Steel Europe AG munikation unter den Mitarbeitern, die auch nach Beendigung des Projektes und Rückführung der Mitarbeiter in das „alte“ Schichtsystem heute noch spürbar ist. ?Welche Vorteile ergaben sich durch die Schichtplanänderung? Ein großer Vorteil der veränderten Schichtenplanung lag für alle Mitarbeiter in der teilweise deutlichen Reduzierung sogenannter kurzer Wechsel, die sonst im Übergang der jeweils letzten Nachtschicht zur ersten Frühschicht entstehen und die einen Großteil der Belastung des normalen Schichtmodells ausmachen. ?Warum sind Sie zum alten Schichtplan zurückgekehrt? Das Projekt Chronobiologie war nur für insgesamt fünf Monate geplant. Dies war zuvor festgelegt und in einer Betriebsvereinbarung verankert worden. Wir mussten daher in jedem Fall zur alten Schichtform zurückkehren. Das Projekt sollte lediglich zeigen, ob die Chronobiologie überhaupt berücksichtigt werden sollte, wenn es zukünftig darum geht, neue Schichtformen zu generieren. Bisher war dies noch nie in der Praxis erprobt worden. Daher auch die Empfehlung, ein ggf. erneutes Projekt mit einer längeren Laufzeit durchzuführen. ?Die meisten Teilnehmer beklagten, dass sie weniger Zeit für Freunde und Familie hätten. Woran lag das? Gibt es Lösungsmöglichkeiten? Im Rahmen chronobiologischer Schichtsysteme bleibt immer der Konflikt zwischen den Arbeitszeiten, die das Schlafverhalten möglichst positiv beeinflussen, und den Arbeitszeiten, die „sozialkompatibel“ sind. Manchmal ist es wichtiger, sein soziales Leben zu gestalten als ausgeschlafen zu sein. Da alle Mitarbeiter individuelle Bedürfnisse und Vorlieben haben, ist es letztlich schwer, einen Schichtplan zu erstellen, der alle zufrieden stellt. So war es leider auch hier. Einige wenige hatten Probleme, ihr Privatleben, vor allem die Kinderbetreuung, mit dem neuen Schichtplan in Einklang zu bringen. So mussten wir zum alten zurückkehren, da wir vorher vereinbart hatten, den neuen Plan nur bei einhelliger Zustimmung beizubehalten. Dabei hatte die Mehrheit von ihm sehr profitiert. ?Was empfehlen Sie Nachahmern, wo- vor warnen Sie? Sollte ein Projekt zum Thema Chronobiologie noch einmal durchgeführt werden, so würden wir unbedingt eine längere Projektlaufzeit empfehlen, um die Ergebnisse zu konkretisieren. Für das Projekt sollte genügend Vorlaufzeit eingeplant werden, damit das Projektteam die Mitarbeiter über die Hintergründe ausführlich informieren und eine hohe Akzeptanz erzielen kann. Zum Start jedoch sollten alle betroffenen Mitarbeiter über grundsätzliche Inhalte des Projektes möglichst zeitnah und gemeinsam informiert werden, um „Gerüchte und Flurfunk“ zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist auch die frühzeitige Einbindung der Arbeitnehmervertretung unbedingt erforderlich. etem 01.2016 Fotos: privat Betriebsarzt Dr. Jörg Augustin und Betrieblicher Gesundheitsmanager Jens Roßkothen, die den ersten Test eines an den Schlaftyp angepassten Schichtplans von betrieblicher Seite begleiteten, über ihre Erfahrungen. service Einstimmig nahm die Vertreterversammlung die Jahresrechnung 2014 ab. Vertreterversammlung Ausgaben gesunken Um 0,45 Prozent sanken die Ausgaben der BG ETEM im Jahr 2014. Gleichzeitig stiegen die Einnahmen um sechs Prozent. Diese erfreuliche Bilanz nahm die Vertreterversammlung der Berufsgenossenschaft im Dezember vergangenen Jahres in Köln ab. Fotos: BG ETEM/Lothspeich D ie Beschlüsse dürften den je 30 Versicherten- und Arbeitgebervertretern nicht schwergefallen sein – denn die Solidargemeinschaft der BG ETEM steht finanziell blendend da. Der Abschluss der Jahresrechnung 2014 weist Ausgaben in Höhe von knapp 1,36 Milliarden Euro aus. Das entspricht einem Rückgang um 0,45 Prozent gegenüber 2013. Gleichzeitig stiegen die Einnahmen um mehr als sechs Prozent auf rund 87,9 Millionen Euro. Vor allem der nur moderate Anstieg der Entschädigungsleistungen, die rund 60 Prozent der Ausgaben der BG ETEM ausmachen, begünstigte das Ergebnis. Ausschlaggebend für das Minus waren aber die starken Rückgänge im Bereich der Lastenverteilung, also der Unterstützung anderer Berufsgenossenschaften, und der Vermögensaufwendungen. Einstimmig nahm die Vertreterversammlung die Jahresrechnung der BG ETEM ab und erteilte Vorstand und Geschäftsführung für das Geschäftsjahr 2014 Entlastung. Ebenso einstimmig beschloss die Vertreterversammlung den Haushaltsplan für das Jahr 2016. Er sieht Ausgaben von 1,38 etem 01.2016 Das Podium (v.l.n.r.): Olaf Petermann, Vorsitzender der Geschäftsführung, Dr. Bernhard Ascherl, stellv. Vorstandsvorsitzender, Dr. Heinz-Willi Mölders, Vorsitzender der Vertreterversammlung, Karin Jung, stellv. Vorsitzende der Vertreterversammlung, Hans-Peter Kern, Vorstandsvorsitzender Milliarden Euro bei Einnahmen von rund 70 Millionen Euro vor. Gegenüber dem Vorjahresplan bedeutet dies einen Anstieg des Haushaltsausgleichs von nur 0,5 Prozent. Mit Kosten von rund 858 Millionen Euro rechnet die BG ETEM im Bereich der Entschädigungsleistungen. 118 Millionen Euro werden in die Verhütung von Arbeitsund Wegeunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren investiert. Finanziert werden damit vor allem die Beratung und Aufsicht der Unternehmen, Weiterbildungsmaßnahmen, Information und Werbung für Arbeitssicherheit sowie Prüf- und Zertifizierungsmaßnahmen. Die Verwaltungskosten betragen voraussichtlich 98 Millionen Euro und bleiben damit nahezu unverändert. Die Vertreterversammlung stimmte zudem dem Beitritt der Unfallversicherung Bund und Bahn und der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe zur gemeinsamen Einrichtung der Auslandsversicherung zu, beschloss eine neue Prüfungsordnung für Aufsichtspersonen, neue Laufbahnrichtlinien und eine neue Entschädigungsregelung für die Mitglieder der ehrenamtlichen Organe und der Organausschüsse der BG ETEM. Positiv bewertete die Vertreterversammlung die anstehende Sanierung und den Umbau der Bildungsstätte Bad Münstereifel. Der Vorstand der BG ETEM hatte zuvor beschlossen, in der Bildungsstätte u. a. die baulichen Voraussetzungen für Praxisfelder zu schaffen und die Barrierefreiheit zu verbessern. Holger Zingsheim →→info www.bgetem.de, Webcode ... ▪▪ 11790284: Selbstverwaltung ▪▪ 12961956: Zahlen und Fakten ▪▪ 13795046: BS Bad Münstereifel ▪▪ 11590941: Auslandsversicherung 31 service Unfallversicherung und Schutz im Ausland Grenzenlose Sicherheit Für viele Mitarbeiter von BG ETEM-Mitgliedsbetrieben ist es selbstverständlich, dass sie Teile ihres Arbeitslebens im Ausland verbringen. Wie es dann mit dem Unfallversicherungsschutz aussieht, sorgt vor der Abreise oft für Fragen. F ür die deutsche Sozialversicherung gilt generell das Territorialitätsprinzip (auch Beschäftigungslandprinzip genannt). Demnach sind alle Personen, die in Deutschland in einem Beschäftigungsverhältnis stehen und hier arbeiten, gegen die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten versichert. Dieses Prinzip wird aber aufgrund bestimmter Regelungen des Sozialgesetzbuchs IV „durchbrochen“, das heißt der Versicherungsschutz kann grenzübergreifend erweitert werden. Tätigkeiten außerhalb Deutschlands können aufgrund besonderer Vorschriften versichert sein. Dazu gehören die Regelungen des Rechts der Europäischen Union (EU – überstaatliches Recht), der zweiseitigen Sozialversicherungsabkommen (zwischenstaatliches Recht) und über die sogenannte Ausstrahlung. Grundsätzlich ist jeder Arbeitnehmer, der im Rahmen eines deutschen Arbeitsvertrags ins Ausland entsandt wird, gesetzlich unfallversichert, wenn der Auslandseinsatz im Voraus zeitlich begrenzt ist. Der Versicherungsschutz im Ausland ist auch davon abhängig, in welches Land der Arbeitnehmer entsandt wird. Zunächst ist dabei zu prüfen, ob es sich bei dem Entsendeland um einen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) – das sind alle EU-Staaten, Norwegen, Liechtenstein, Island und die Schweiz – oder eines Abkommensstaates handelt. EWR- und Abkommensstaaten Um zu vermeiden, dass bei grenzüberschreitenden Beschäftigungen unklar ist, ob und welches nationale Recht gilt, wur32 den über- und zwischenstaatliche Regelungen getroffen. ▪▪ Für die Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) gelten nach Beschluss des Europäischen Parlaments die EG-Verordnungen 883/2004 und 987/2009. ▪▪ Mit allen übrigen Staaten kann Deutschland Sozialversicherungsabkommen schließen. Diese Abkommen können unterschiedliche Bereiche der Sozialversicherung umfassen. Das bedeutet, dass nicht jedes Abkommen den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung einbezieht. Aktuell sind mit folgenden zwölf Ländern Abkommen geschlossen, die die gesetzliche Unfallversicherung mit einschließen: Bosnien-Herzegowina, Brasilien, Israel, Kanada (nur Provinz Quebec), Kosovo, Marokko, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Türkei, Tunesien und Uruguay. Die über- und zwischenstaatlichen Regelungen sorgen dafür, dass ein Arbeitnehmer, der in Deutschland von einem Unternehmen beschäftigt wird, auch dann den deutschen Regelungen über die soziale Sicherheit unterliegt, wenn die Tätigkeit in einem Land des EWR oder einem Staat ausgeübt wird, mit dem ein Sozialversicherungsabkommen besteht. Bei allen EWR- und Abkommensstaaten muss für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz geklärt sein, dass die Entsendung ▪▪ im Rahmen eines in Deutschland bestehenden Arbeitsverhältnisses erfolgt und ▪▪ infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist. Bei den Abkommensstaaten können auch weitere Voraussetzungen gefordert sein. Krankenversicherung entscheidet Ob die deutschen Sozialversicherungsregeln weiter gelten, entscheidet der für den Beschäftigten zuständige Krankenversicherungsträger. Dort muss der Arbeitgeber im Vorfeld der Entsendung die Entsendebescheinigung A1/E101 einholen. Bei den EWR-Staaten ist vorgesehen, dass die voraussichtliche Dauer der Beschäftigung 24 Monate nicht überschreiten soll. Im Einzelfall kann diese Frist aber überschritten werden. Hierzu kann ein entsprechender Antrag auf Sondervereinbarung bei der DVKA (Pennefeldsweg 12c, 53177 Bonn) gestellt werden. In den Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und den Abkometem 01.2016 service Auch wer zeitweise für seinen Arbeitgeber im Ausland arbeitet, ist in aller Regel unfallversichert. Im Einzelfall kommt es auf die Art des jeweiligen staatlichen Abkommens an. rung (AUV) an. Die AUV ist eine freiwillige Versicherung und erfasst vor allem die Fälle, in denen das inländische Beschäftigungsverhältnis während der Auslandstätigkeit ruht oder aufgrund der Länge des Entsendezeitraums kein Versicherungsschutz im Rahmen des EU- bzw. Abkommensrechts zustande gekommen ist. Bei der AUV handelt es sich um eine Versicherung „auf Antrag“. Der Antrag muss vor Aufnahme der Auslandstätigkeit bei der BG ETEM gestellt werden (siehe „info“). Mit dem Abschluss einer AUV erwirbt der Arbeitnehmer gesetzlichen Unfallversicherungsschutz. Stefan Flohr/Sebastian Widiger mensstaaten können unterschiedliche Zeiträume und Verlängerungsmöglichkeiten vereinbart sein. Foto: iStock by Getty Images/Mike_Kiev Ausstrahlung Zählt das Land, in das der Arbeitnehmer entsandt wird, weder zu den EWR- noch zu den Abkommensstaaten, kann der Versicherungsschutz über die sogenannte Ausstrahlung bestehen. Bei einer Ausstrahlung wird ein Mitarbeiter eines deutschen Unternehmens für einen im Voraus begrenzten Zeitraum ins Ausland entsandt – entweder aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder infolge der Eigenart der Tätigkeit (z. B. Montage einer Maschine). In diesen Fällen gilt während des Auslandsaufenthalts das deutsche Sozialversicherungsrecht weiter. Im Unterschied zum zwischen- und überstaatlichen Recht gibt es hier aber keine zeitliche Höchstgrenze für den Ausetem 01.2016 landsaufenthalt. Das Unternehmen muss die entsandten Mitarbeiter auch der BG ETEM nicht extra melden, da der Versicherungsschutz automatisch gewährleistet ist. Ob die für eine Ausstrahlung notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind, kann die zuständige Einzugsstelle (Krankenkasse des Arbeitnehmers) auf Antrag des Arbeitgebers prüfen und feststellen. Im Einzelfall kann es dennoch zu einer Doppelversicherung kommen – wenn der Versicherungsschutz nach deutschem und ausländischem Recht vorliegt. Separate Auslandsversicherung über die BG ETEM möglich Wenn weder über das EU-Recht noch das Abkommensrecht noch das Ausstrahlungsrecht für eine Auslandstätigkeit Versicherungsschutz besteht, bietet die BG ETEM eine separate Auslandsversiche- →→info Das Antragsformular für eine Auslandsversicherung der BG ETEM und weitere Informationen finden Sie unter: www.bgetem.de, Webcode 11887337 Hinweis für die Lohnnachweis-Meldung Bitte beachten Sie, dass Entgelte von entsandten Mitarbeitern im Lohnnachweis weiterhin gemeldet werden, wenn der Versicherungsschutz auch im Ausland gilt. Bei der separaten Auslandsunfallversicherung (AUV) dürfen die Entgelte dagegen nicht im Lohnnachweis gemeldet werden. Der Beitrag zur AUV wird separat nach Anzahl der Auslandsmonate berechnet. 33 service Arbeitsschutz als Entwicklungshilfe In einer anderen Welt Experten der BG ETEM helfen bei der Implementierung des Arbeitsschutzes in Textilfabriken Pakistans. E s ist ein Projekt, das schnell Früchte trägt: Entwicklungsorganisationen fragen bei der BG ETEM an, ob sie bei der Implementierung des Arbeitsschutzes in Pakistan mit ihrem Know-how helfen kann. Es folgt ein erstes Treffen im Februar 2015 in Pakistan. Kaum sieben Monate später bildet die BG ETEM erste pakistanische Fachkräfte in Aspekten des Arbeitsschutzes aus. Doch der Reihe nach: Beim ersten Besuch geht es vor allem darum, Handlungsfelder auf dem Gebiet des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu ermitteln, um daraus ein abgestimmtes Schulungsprogramm für Arbeitsschutzverantwortliche aus den Betrieben zu entwickeln. Dazu werden zahlreiche Gespräche mit Vertretern des Arbeitsministeriums, der Textilverbände und der Zertifizierungsunternehmen sowie den Arbeitsschutzverantwortlichen geführt. Um sich ein Bild von den Arbeitsbedingungen zu verschaffen, werden auch Strickereien, Färbereien, Nä34 hereien und Druckereien besucht. Es sind die Visiten vor Ort, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen: „Wir haben gesehen, wie Arbeiter Jeans mit Schmirgelpapier den bei uns so beliebten ,used-look‘ verpassten. Sie trugen keine Atemmaske, es gab keine Absaugeinrichtung und sie atmeten einen Teil der Flusen ein“, erinnert sich ein Mitreisender. Auch fehlende Schutzeinrichtungen an Maschinen oder -ausrüstungen beim Auftragen von Chemikalien alarmierten die Experten. Es wird allen Beteiligten klar: Es muss gehandelt werden, dringend. Die BG ETEM entschließt sich, die Ausbildung von Arbeitsschutzexperten in Pakistan als fachlicher Partner zu unterstützen. Dabei arbeitet sie Hand in Hand mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Entwicklungsorganisation Sequa – deren Gesellschafter die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft und die GIZ sind. Hintergrund ist ein Projekt, initiiert von der Europäi- schen Union, der Niederländischen und Norwegischen Botschaft sowie der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Sozialstandards, Qualifizierung von Arbeitsinspektoren und Weiterbildungen von verantwortlichen Akteuren im Arbeitsund Gesundheitsschutz. „Unsere Arbeit wird nicht aus Beiträgen, sondern von Entwicklungsfonds finanziert“, erklärt Olaf Petermann, Vorsitzender der Geschäftsführung der BG ETEM. Er nahm selbst an der ersten Reise teil. Anfang September reisen schließlich drei Mitarbeiter der Präventi- Experten der BG ETEM bildeten in zwei Workshops Inspektoren und Multiplikatoren aus. etem 01.2016 service on für eine Woche nach Lahore, der Hauptstadt Pakistans. Vor Ort führen sie zwei Workshops durch: ▪▪ Einen dreitägigen Workshop für Arbeitsschutzinspektoren und ▪▪ einen viereinhalbtägigen Workshop für die Referenten der staatlichen Bildungsstätte „Centre for the Improvement of Working Conditions and Environment“ (CIWCE). Neben den fachlichen Themen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz werden auch die beiden nationalen Arbeitsschutzsysteme miteinander verglichen, über das Rollenverständnis der deutschen und pakistanischen Inspektoren sowie deren jeweilige Präventionsansätze diskutiert. Ein weiteres wichtiges Thema war die Organisation von Schulungen. Auch hier werden die Vorgehensweisen der BG ETEM und des CIWCE verglichen. Es geht vor allem um Aspekte wie Qualifikation von Referenten, Entwicklung, Durchführung, qualitative Absicherung sowie Öffentlichkeitsarbeit. Ziel ist es, mit den Experten vor Ort neue Ideen und praktikable Lösungsansätze zu erarbeiten und zu diskutieren. Gesetze und Kontrolle nötig Schnell wird deutlich, dass sich an den schlechten Arbeitsbedingungen nur dann wirklich etwas ändern wird, wenn in den Bereichen des technischen und sozialen Arbeitschutzes gesetzliche Regelungen geschaffen werden und deren Nichteinhaltung geahndet wird. Die Kontrolle der Betriebe durch die staatlichen Inspektoren ist hier unbedingt erforderlich. Die Umsetzung und Zertifizierung von Sozialstandards, beispielsweise SA 8000 Standard (Social Compliance) oder Erste Ansätze für mehr Arbeitssicherheit: Ein Sicherungskasten mit Abdeckung. OSHAS 18001, ist ein wesentlicher Bestandteil für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Die Zertifizierung darf aber auf keinen Fall die Tätigkeit der staatlichen Inspektoren ersetzen. Dazu kommt auch, dass diese Standards nur bei Betrieben eingeführt werden, die von deren westlichen Kunden und Händlern dazu angehalten werden. Akute Lebensgefahr Der größte Teil der Textil- und Bekleidungsindustrie produziert jedoch für den heimischen Markt oder beliefert die nicht westlich orientierten Exportbetriebe. Hier herrschen nach unserem Werteverständnis oft unzumutbare Arbeitsbedingungen. Aufgrund der desolaten elektrischen Installation, der nicht vorhandenen Schutzeinrichtungen und dem sorglosen Umgang mit Chemikalien besteht in vielen Bereichen akute Gesundheits- und Lebensgefahr. Ein Bewusstsein für die Gefährdungen besteht oft nicht. Es gibt aber auch Betriebe, wo die Unternehmer die Problematik erkannt haben und von sich aus, zum Teil mit einfachen Maßnahmen, zur Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes beitragen (siehe Bild vom Sicherungskasten). Eine staatliche Unfallversicherung „Punjab Employees Social Security Institution“ (PESSI) ist vorhanden. Versichert Leuchtende Textilfarben: Welche Chemikalien werden eingesetzt? sind aber nur die registrierten Beschäftigten. Der größte Teil der Arbeiter in den Betrieben ist jedoch nicht registriert, bzw. ist im informellen Sektor tätig und somit nicht durch PESSI versichert. Ein weiteres großes Problem ist die fehlende Übersicht über das Unfallgeschehen. Weder die einzelnen Betriebe noch der Staat erfassen die Unfälle. Somit sind gezielte Präventionsmaßnahmen zurzeit fast unmöglich. Die pakistanischen Arbeitsschutzexperten haben sich begeistert und engagiert an den Workshops beteiligt. Die BG ETEM steht weiterhin mit ihnen im Austausch. Es hängt jetzt von den verantwortlichen Behörden in Pakistan ab, ob eine Basis für bessere Arbeitsbedingungen geschaffen wird. Weitere Workshops sind für die Zukunft geplant. Florian Kraugmann Fotos: BG ETEM, Florian Kraugmann Impressum etem – Magazin für Prävention, Rehabilitation und Entschädigung. 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