e in s ieGener Beim z aren Georg Wilhelm Henning von Artem Berkovich Foto: Archiv Th. Kellner G eorg Wilhelm Henning oder Wilim Iwanowitsch de Gennin, wie er in Russland genannt wird, hatte zu Beginn des XVIII Jahrhunderts einen starken Einfluss auf die Entwicklung des Urals sowie auf den Bergbau in Russland und die russische Industriekultur. Er war der Mitgründer der größten Städte im Ural, Jekaterinburg und Perm, aber auch von anderen industriellen Zentren in der Region Swerdlowsk. Und es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass er zu seiner Zeit eine positive Entwicklung der Region für die nächsten drei Jahrhunderte gesichert hat. Ein herausragender Historiker des XIX Jahrhunderts, Wasilij Kluchewskij, beschreibt Henning als „einen der großmütigsten Angestellten von Peter dem Großen“. Jekaterinburg hat ihm zu Ehren ein Denkmal aufgestellt, eine Straße trägt seinen Namen, russische und deutsche Historiker widmeten ihm einige bedeutende wissenschaftliche Arbeiten.1 Der Vater des zukünftigen Gründers von Jekaterinburg, Johann Henning, wurde 1645 in Hanau geboren, wo er auch studierte. Als Berufsfeld bevorzugte er das Militär – Johann war ein Offizier der Artillerie. Im 17. Jahrhundert herrschten unruhige Zeiten in Deutschland, nicht jedoch für diejenigen, die Karriere beim Militär machen wollten. Mitte der 1670er Jahre waren viele deutsche Gebiete während des Kriegs zwischen Frankreich und Holland okkupiert. Soldaten von Ludwig XIV verwüsteten viele Städte am Rhein, Hanau war umstellt von der französischen Armee, Siegen jedoch blieb vom Kriegsgeschehen verschont. Der Fürst von Nassau-Siegen, Johann Moritz, war als hervorragender Feldmarschall bekannt. Einige Jahre leitete er die holländische Ost-Indische Kompanie in Brasilien und zählte zu den reichsten Menschen seiner Epoche. Er schenkte der Nikolaikirche die goldene Krone – die bis in die heutige Zeit als Wahrzeichen Siegens gilt. Johann Moritz nahm an den wichtigsten Kämpfen des 1/2016 durchblick Holländischen Krieges teil und zu seiner Armee zählten viele erfahrene und herausragende Offiziere. 1674 wurde Johann Henning zum offiziellen Einwohner von Siegen. Georg Wilhelm Henning wurde zum Ende des Holländischen Krieges geboren. Im Verwaltungsamt für kirchliche Angelegenheiten Siegens existiert ein Kirchenbuch, das über die Taufe eines Babys am 11. Oktober 1676 berichtet. Seine Kindheit verbrachte Henning in Hanau, der Ort, an den seine Familie nach dem Krieg hinzog. Als Jugendlicher interessierte er sich für die Artillerie und Architektur, arbeitete in einer Metallgießerei, wo er in der Praxis die Grundlagen der Metallurgie erlangte. Im Alter von 21 Jahren führte ihn sein Schicksal nach Russland. In der Wende vom XVII zum XVIII Jahrhundert holte Russland mit einer leichten Verspätung die technischen Fortschritte Europas nach. 1697 hat ein russischer Zar erstmals die Grenzen seines Landes überschritten und machte sich auf den Weg nach Europa. In der Zeit, in der sich der junge Regent, der zukünftige Peter der Große, mit dem Schiffsbau in Amsterdam vertraut machte, suchten seine Angestellten Spezialisten für verschiedene Bereiche, um in Russland zu arbeiten. Einige Hundert Europäer gingen auf das Angebot des Zaren ein, unter ihnen Georg Wilhelm Henning. 1698 fuhr er nach Moskau. Die Kenntnisse des jungen Ingenieurs waren während des Großen Nordischen Kriegs zwischen Russland und Schweden von großem Wert. Dieser endete mit dem Sieg Russlands, offenen Wegen zum Baltischen Meer und der Gründung Sankt Petersburgs. Henning brachte den russischen Adligen die Grundlagen der Artillerie bei, leitete die Bauarbeiten an Festungen, beteiligte sich an der Okkupation von Städten und machte sich schnell einen Namen im Wehrdienst. Bereits 1710 wurde Henning zum Oberstleutnant ernannt, bekam ein kleines Anwesen und stand 61 Foto: Archiv Th. Kellner Foto: Archiv Th. Kellner unter dem Schutz von bedeutenden Adeligen, die zum engsten Kreis des Zaren angehörten. 1713 ernannte Peter der Große Henning zum Vorgesetzten der Bergbaubetriebe in Olonez (das heutige Karelien). Diese Betriebe waren die Hauptproduzenten von Kanonen, Kanonenkugeln und Ankern für die russische Armee und die Marine. Der Sieg über die Stadt Poltava und die nun offenen Wege zum Meer konnten den Ausgang des Krieges jedoch nicht vorhersagen. Russland standen noch Kämpfe mit der schwedischen Flotte, der mächtigsten in ganz Europa, bei Gangut und Grengam bevor. Der Sieg erforderte neue und stärkere Waffen. Henning war sehr damit beschäftigt die alten Fabriken neu auszurüsten oder umzubauen. Er ließ neue Hochöfen nach der englischen Technologie aufbauen und eröffnete neue Betriebe. Die Herstellung von Kanonen in den Werken von Olonez erreichte ein für das XVIII Jahrhundert fantastisches Niveau und Perfektion. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften bremste jedoch bald die rapide Entwicklung der Industrie, sodass Henning 1715 die erste Bergbauschule Russlands gründete. Dort wurden russische Arbeiter von gefangengenommenen schwedischen Offizieren in den Bereichen Arithmetik, Technisches Zeichnen, Artillerie und Ingenieurswesen unterrichtet. 62 1716 starb Hennings Ehefrau, Friederike Luise, geborene von Bartig. Ihr Tod nahm Henning so sehr mit, dass er sich Urlaub nehmen musste, um seinen Vater und die Verwandtschaft zu besuchen. „Ich habe sie ganze 18 Jahre nicht gesehen und bekam nicht mal einen Brief, sodass sie nicht einmal wissen, ob ich noch lebe oder nicht“, so Henning. In den Jahren 1716 und 1720 reiste Henning auf die Anordnung des Zaren nach Holland, Sachsen und Preußen. Dort schaute er sich Metallverarbeitende Werke und Bergbaubetriebe an und stellte Spezialisten für die Arbeit in Russland ein. In Berlin bekam er vom preußischen König Friedrich Wilhelm I den Orden de la Generosite verliehen. Später griff Henning immer wieder auf die Kenntnisse und Fertigkeiten zurück, die er auf solchen Reisen erlangt hatte. Als er nach Sankt Petersburg zurückkehrte, heiratete er die Tochter eines holländischen Kaufmanns, die er während seiner Reise kennengelernt hatte. Aus dieser Ehe entstanden eine Tochter, die später im Ural verstarb, und zwei Söhne. Im August 1718 kam Hennings Vater nach Sankt Petersburg. Henning schrieb daraufhin dem Grafen Apraksin in seinem Brief: „Mein Vater wünscht dem Zaren zu dienen, jedoch nicht unter dem Kommando seines Sohnes“. Außerdem bat er darum, seinem Vater eine Stelle an einem militärischen Standort zu geben. Johann Henning starb zu Beginn der Herrschaft von Katharina I und hinterließ dabei seinem Sohn ein kleines Erbe. Im Februar 1722 schickte Peter der Große Georg Wilhelm Henning in den Ural. Im Zentrum Russlands gelegen, erstreckt sich das Uralgebirge vom Arktischen Ozean bis hin zu den Steppen von Zentralasien. Das Gebirge markiert die geografische Grenze zwischen Europa und Asien. Die Natur des Urals ist reich an Eisen- und Kupfervorkommnissen, Steinkohle, Platin, Gold und Edelsteinen. In der heutigen Zeit ist Mittelural die größte Industrieregion Russlands und als seine „wahre“ Hauptstadt gilt Jekaterinburg mit über 1,5 Millionen Einwohnern. Als jedoch Henning vor 290 Jahren das erste Mal diese Region besuchte, sah es noch ganz anders aus. Die Industrie des Urals begann sich erst zu Beginn des XVIII Jahrhunderts zu entwickeln, hauptsächlich dank der eigenständigen Industriellen Demidow. Von den Erfolgen der Fabriken hingen schließlich sowohl die Siege des Militärs als auch die Stellung des Landes in der internationalen Politik ab. Henning stand deshalb bevor, die europäischen Ingenieurkenntnisse mit den natürlichen Schätzen der Region zu verbinden, die Effektivität der „geliehenen“ Industrie auf die russische Region zu übertragen und zu festigen, und für immer das historische Schicksal des Urals zu verändern. Jahrhunderte später werden Historiker diesen Prozess als die Modernisierung Russland bezeichnen. durchblick 1/2016 Henning fand die Fabriken des Urals in einem heruntergekommenen Zustand. Mit viel Ehrgeiz schaffte er es, in nur zwei Jahren die Situation der Metallurgie komplett zu ändern. Die alten Werke wurden rekonstruiert und es entstanden weitere acht neue Betriebe. 1723 wurden die Bauarbeiten an dem größten Werk im Ural begonnen, dem Jekaterinburg-Werk, eine Festung und Verwaltungszentrum des Bergbaus. In den Briefen an Peter I beschrieb Henning genau wie Hochöfen, Festungen, Kirchen, Schulen und Krankenhäuser gebaut werden. Die Stadt wurde nach der Ehefrau von Peter dem Großen genannt, der zukünftigen Kaiserin Katharina I. Parallel zum Bau von Jekaterinburg, an dem Ort, wo der Fluss Jagoschiha in die Kama mündet, baute man eine Fabrikanlage und ein Hafen, die letztendlich zur heutigen Stadt Perm wurden. Henning komplettierte die Leitung des Bergbaus. Er mochte keine bürokratischen Arbeiten, sondern beschäftigte sich lieber mit Produktionsfragen. Hennings Kollegen machten während der Arbeit mit ihm unbezahlbare Erfahrungen, aufgrund derer sie anschließend nicht nur zu den Hauptchefs der Fabriken im Ural zählten, sondern sogar leitende Positionen im Bergbaugeschäft und Metallverarbeitenden Betrieben in ganz Russland erhielten. Die Werkanlagen brauchten qualifizierte Fachkräfte und Ingenieure. Henning brachte die besten ausländischen Fachmänner von den Werken in Olonez in den Ural, einige Jahrzehnte später konnten russische Spezialisten jedoch die ausländischen in den wichtigsten Produktionsbereichen ersetzen. Die Ausbildung der Fachkräfte erfolgte in Bergbauschulen und Henning widmete diesen Einrichtungen deshalb viel Aufmerksamkeit. Bei Hofe von Peter I und Katharina I in Sankt Petersburg, wurde viel über die Erträge von privaten Betrieben im Vergleich zu den staatlichen und über die Bedingungen für die Privatisierung der Werke diskutiert. Henning war dafür, die Betriebe in der staatlichen Hand und der Regierung zu lassen. Er versuchte mit der Effektivität seiner Fabriken zu überzeugen und bewies deren Erfolg mit Resultaten aus der praktischen Arbeit. Das größte Problem der staatlichen Werke war, seiner Meinung nach, die Bürokratie und die Vormundschaft der höhergestellten Instanzen. 1734 kehrte Henning als General-Leutnant und ausgezeichnet mit dem Orden des Heiligen Alexander Newski aus dem Ural zurück. Sein Buch „Die Beschreibung der Fabriken im Ural und in Sibirien“ umfasste die Resultate einer ganzen Epoche der Industriegeschichte im Ural und war ein Lehrbuch für mehrere Generationen der BergbauIngenieure. 1737 baute Henning eine Kupferschmelzfabrik in Tula und leitete später die Waffenfabrik in Sestrorezk in der Nähe von Sankt Petersburg. Aus zahlreichen Dokumenten, die in den Archiven erhalten geblieben sind, erfährt man zwar viel über das Leben Hennings, jedoch kaum etwas über sein Gefühlsleben. Was für ein Mensch war er, wie hat er all die Wendungen in seinem Leben empfunden? Georg Wilhelm Henning wuchs in einer protestantischen Familie zu einer Zeit auf, in der der Glaube trotz der religiösen Kriege immer stärker wurde. Die protestantische Ethik und die Moral waren nicht nur leere 1/2016 durchblick Worte für ihn, aus ihnen entstanden Werte, die unter russischen Beamten selten existierten - Ehrlichkeit und Bescheidenheit, und die sogar heutzutage selten verstanden werden. Henning nahm aus Prinzip niemals Bestechungsgeld an. Das Wichtigste für ihn war das Geschäft, dem er sein ganzes Interesse widmete; Dienstgrad, Vergütung und Auszeichnungen sah er als Zeichen der Anerkennung für seine Mühe. Die Bedeutung von „Rang“ stellte er gleich mit der Bedeutung von „Ehre“: „Jeder Mensch sucht nach Ehre und möchte in seinem Rang steigen“.1) Henning konnte mit mächtigen Persönlichkeiten streiten und diskutieren und sogar gegen seine persönlichen Interessen handeln, wenn er der Meinung war im Recht zu sein: „…Christus hat es auch nicht allen Recht gemacht. Allerdings habe ich mir nichts zuschulden kommen lassen, weder vor Gott noch vor seiner Majestät.“ In Russland hatte man jedoch zu der Zeit ein anderes Denken: „Und ich sehe, wer einem Honig ums Maul schmiert und sich benimmt wie ein listiger Fuchs, der lebt in Wohlstand und genießt seine Ruhe. Ich jedoch, muss wie ein Hund, um ein einfaches Stück Brot kämpfen.“2) Henning starb am 12. April 1750 im Alter von 74 Jahren. Vor seinem Tod brachte er Ordnung in all seine Dokumente und Geschäfte, schrieb ein Testament, in dem er detailliert seine Wünsche zur Beerdigung beschrieb. Er wollte sich auf eine „sehr leise Weise“ verabschieden: kein Feuer aus Kanonen oder Gewehren, kein Baldachin für das Pferd, das seinen Sarg fahren würde, der Sarg selbst sollte mit schlichtem, schwarzen Stoff bedeckt sein. Georg Wilhelm Henning wurde neben seiner ersten Ehefrau auf der Wyborgskaja Seite neben der Sampsoniewski Kathedrale in Sankt Petersburg begraben. Sein Grab blieb leider nicht erhalten. G.W.Henning. Briefwechsel mit Peter I und Katharina I im Ural (ed. M. Akischin) – Jekaterinburg, 1995; Korepanow N. Henning im Ural – Jekaterinburg, 2006; Schandra A. W. Administrative und organisatorische Tätigkeiten G. W. Hennings – Jekaterinburg, 2007; Luck A. Georg Wilhelm Henning // Siegerland. Band 48. 1971. S. 9-24. 1 Berh V. Biographie und Leben des general-leutnants G. W. Hennings, Gründer der Bergbaufabriken und metallurgischer Fabriken in Russland // Bergbau Magazin. 1826. #1. S. 105. 1 Chupin N. Berichterstattung G. W. Hennings an Graf F. M. Apraksin über die Errichtung der Stadt Jekaterinburg // Artikelsammlung bezüglich Perm. #1. 1841-1881 – Perm.1882. S. 38-41 1 63
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