Unbeugsame Papierkrieger

12 WIRTSCHAFT
TOBIAS BAYER (2)
DIE WELT
Präsident Silvano Carletto hat sich in der italienischen Kartonfabrik von der Putzhilfe bis zum Präsidenten nach oben gearbeitet
Unbeugsame
Papierkrieger
Im Zuge der schweren Rezession gingen viele
Betriebe in Italien pleite. Weil die Unternehmer
Reißaus nehmen, springen mehr und mehr
Arbeiter in die Bresche. Sie schließen sich zu
Genossenschaften zusammen und retten ihre
Firma. Wie im Fall der Cartiera Pirinoli
Eine Spur der Verwüstung
Insolvenzen, Liquidationen und sonstige gerichtliche Verfahren in Italien
Insolvenz
Geschäftsaufgabe (Liquidation)
Weiterführung des Betriebs unter Auflagen (bsp. Gläubigerschutz)
120.000
96.444
2457
100.000
79.306
80.000
60.000
40.000
14.681
20.000
0
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Quelle: Cerved
I
n 30 Jahren von ganz unten bis
ganz oben. Silvano Carletto fing als
Putzgehilfe in der Fabrik an. 1988
war das. „Ich kam direkt von der
Oberschule. Sie drückten mir Besen und Kehrichtschaufel in die Hand.
Ich war das fünfte Rad am Wagen.“ Später lud er Kartonballen auf Band, bediente das 3,80 Meter breite Maschinenungetüm mit seinen riesigen Zylindern,
schnitt das Papier in Form und steuerte
einen Gabelstapler über den Hof. „Ich
kenne jeden Winkel hier.“
dem Datendienstleister Cerved schlitterten in den Jahren 2008 bis 2015 mehr
als 97.000 Betriebe in die Insolvenz,
über 682.000 wurden aufgelöst. Weil
die Unternehmer Reißaus nehmen,
springt die Belegschaft in die Bresche.
Die Arbeiter schließen sich immer öfter
zu Genossenschaften zusammen und
führen die Firma in Eigenregie weiter.
Sie investieren ihre Abfindungen, das
Arbeitslosengeld und die Ersparnisse.
Weil das Geld meistens nicht ausreicht, werden die Arbeiterunternehmer von Fördertöpfen wie dem Coopfond flankiert. Der Fonds des Genossenschaftsverbands Legacoop hat seit
2008 für 48 „Worker Buyouts“ 13,8 Millionen Euro an Kapital und Darlehen
beigesteuert. „Dieses Jahr werden weitere Betriebe folgen“, sagt CoopfondGeschäftsführer Aldo Soldi: „Das ist ein
Trend.“ Damit eine solche Rettungsaktion gelingt, müssen in einem komplizierten, bürokratischen und gerne zerstrittenen Land wie Italien alle gemeinsam für das Anliegen kämpfen. Nicht
nur die Arbeiter haben geschlossen aufzutreten, sondern auch die Politik. Über
alle föderalen Ebenen hinweg. Gemeinde, Provinz, Region. Alle für einen. Einer für alle. Das lehrt der Fall der Cartiera Pirinoli. Roccavione heißt der Ort.
2800 Einwohner. In den Bergen, ganz
weit links auf der Karte. Gerade noch
Italien, fast schon in Frankreich. Vor
der Bahnstation ist eine Holztafel aufgestellt. „Anschlüsse öffentlicher Nahverkehr.“ Sie ist komplett leer. Auf dem
Hauptplatz ein paar Männer, die grimmig schauen und sich anschweigen. Heruntergelassene Rollläden. Kein Restaurant findet sich zur Mittagszeit. Nur eine Bar, die Tiefgekühltes auftischt.
Die Cartiera Pirinoli ist nicht eine Fabrik. Sie ist die Fabrik in Roccavione.
Mit eigener Straße, die nach ihr be-
VON TOBIAS BAYER
AUS ROCCAVIONE
Heute läuft Carletto, 50, nicht mehr
im Blaumann durch die Halle, sondern
empfängt in einem Büro mit Aktenregal, Ledersessel, Flipchart und einem
gläsernen Kronleuchter an der Decke.
Er reicht seine Visitenkarte über den
Tisch. „Silvano Carletto. Presidente.“
Der Nachname ist gefettet, das Wort
Presidente steht klein und kursiv darunter. Nur nicht angeben.
Der frühere Putzgehilfe Carletto ist
heute Präsident und Miteigentümer der
Cartiera Pirinoli. Zusammen mit 70 Arbeitern hat er eine Genossenschaft gegründet und die Papierfabrik in der Nähe von Cuneo im Piemont aus der Pleite
geholt. Nachdem die Walzen drei Jahre
lang stillstanden, drehen sie sich seit
August 2015 wieder und spucken täglich
bis zu 350 Tonnen Recyclingkarton aus.
Packungen für Kekse, Nudeln, Reis und
Panettone-Kuchen. Erwarteter Umsatz:
28 Millionen Euro. „Es ist hart. Aber wir
schreiben schwarze Zahlen“, sagt Carletto. Arbeiter an die Spitze, lautet die
Devise in Italien. Die schwerste Krise
seit Jahrzehnten hat in der drittgrößten
Volkswirtschaft der Euro-Zone eine
Spur der Verwüstung hinterlassen. Laut
nannt ist. 1872
wurde sie eröffnet.
Zuerst Papier für die SeidenraupenZucht. Dann Verpackungskartons für
Marken wie Barilla und Riso Scotti. Die
Lichter gingen nie aus. Nicht im Ersten
Weltkrieg. Nicht im Zweiten Weltkrieg.
Und auch nicht 2005, als die Fabrik in finanzielle Schieflage geriet und ein Gericht den Gläubigerschutz verhängte.
Der neue Eigentümer investierte wieder
prächtig. Expansion, Expansion. Zuviel,
zu schnell. Am 22. Juni 2012 ereignete
sich das Undenkbare. Die Bänder wurden abgeschaltet. Zum ersten Mal seit
140 Jahren.
Insolvenzverwalter übernahmen die
Kontrolle. Anzugträger aus dem fernen
Mailand, die den Weg nach Roccavione
scheuten und sich am Telefon rar machten. „Einer von denen ging einfach nicht
ran“, sagt Carletto, damals schon Leiter
der Produktion. Anstatt einen Käufer zu
suchen, der den Betrieb weiterführte,
liebäugelten die Herren Kommissare
damit, den Maschinenpark zu versilbern. Amerikaner, Araber, Inder, Polen,
Russen und Türken reisten an. Carletto
schloss ihnen das Tor auf, führte sie herum, auf Englisch radebrechend. „Das
war kein Vergnügen. Jemanden die Fabrik zeigen, der nur die Maschinen und
sonst nichts will? Die Fabrik, in der meine Kollegen und ich 30 Jahre lang gearbeitet haben? Dank der ich meine Familie ernähren konnte?“, sagt Carletto und
seine Lippe verzieht sich zu einem
Strich: „Ich tat meine Pflicht.“ Eine
Hoffnung gab es noch. Eine Investorengruppe malte die Zukunft rosa. Doch im
letzten Moment, als der Kaufvertrag
schon unterschriftsreif beim Notar lag,
machte sie einen Rückzieher.
In diesem Moment, im Oktober, November 2013, reifte die Idee heran. „Warum machen wir es nicht selbst? Keiner
DIENSTAG, 1. MÄRZ 2016
kennt die Fabrik schließlich so gut wie
wir.“ Carletto schloss sich mit seinem
Kollegen Ferdinando Tavella, damals
Leiter der Verwaltung, im Büro ein. Tagelang brüteten sie über dem BusinessPlan. Ertrag, Kosten. Zahlenkolonnen,
Excel-Tabellen. Woher das Kapital nehmen? Um die Genossenschaft aufzusetzen, die Maschinen zu kaufen und die
Produktion zu starten?
Am Ende baldowerten Carletto und
Tavella einen präzisen Plan aus. 1,2 Millionen Euro von den Arbeitern, also
rund 17.000 Euro pro Kopf, der Großteil
finanziert durch eine Vorauszahlung
der Arbeitslosenhilfe. Weitere 1,2 Millionen Euro von genossenschaftlichen
Fördertöpfen wie dem Coopfond. Und
knapp drei Millionen Euro von der Region Piemont. Auf einer Versammlung
präsentierten sie ihren Kollegen ihr
Zahlenwerk. „Macht ihr mit?“, fragte
Carletto in die Runde. Mit großer Zuversicht. „Ich bin mit allen per du. Wir
sind wie Brüder.“ 70 Arbeiter hoben die
Hand. Um das Geld der Willigen, darunter viele Familienväter, nicht sofort aufs
Spiel zu setzen, beließ es Carletto bei
einer Absichtserklärung. „Ein Ehrenwort, kein bindender Vertrag. Damit ich mich nach einem Jahr nicht umdrehe,
und keiner steht mehr hinter mir.“
Doch für den Antrag
um die Förderhilfen bedurfte es einer Genossenschaft. Und eines
kleinen Kreises an Wagemutigen. Auftritt der
Bürgermeisterin.
Seit
2004 ist Germana Avena
im Amt. Die pensionierte
Lehrerin ist ein typisches
Kind ihrer rauen Heimat. Herzlich, aber auch misstrauisch und
stur. Eine, die kein Nein hinnimmt.
„Wir tun alles, um die Papierfabrik zu
retten“, versprach sie. Täglich wurde sie
daran erinnert. „Beim Bäcker fragten
mich die Leute: 'Was ist mit der Cartiera?'“ Neun Personen benötigte Carletto
für seine Mini-Genossenschaft. Er
trommelte mehrere Rentner zusammen, die früher einmal in der Fabrik gearbeitet hatten. Dann klopfte er bei Avena an. Die Bürgermeisterin sagte Ja und
wurde zur Genossin. „Das war schon
ein Risiko“, sagt sie. „Aber ich musste
etwas für meine Leute tun. Das empfand ich als meine moralische Pflicht.“
Der Wettlauf mit der Zeit begann.
Nachdem die Papierfabrik im Januar
2014 offiziell für pleite erklärt wurde,
kam der Maschinenpark unter den
Hammer. Der Versteigerungstermin
rückte immer näher. Carletto und seine
Mitstreiter brauchten dringend das
Geld von der Region Piemont. Ein langwieriges Verfahren, weil die EU-Kommission zustimmen muss.
Doch sie hatten Glück. Mit Giovanna
Pentenero übernahm eine Schnellrednerin und Schnelldenkerin das eilige
Dossier. „Für mich war es der erste
Fall“, sagt Pentenero, in der Regionalregierung Piemont zuständig für die Ressorts Arbeit und Bildung. „Doch dank
meines Stabs hielten wir alle Fristen
ein“, sagt sie. Mit einem Lachen fügt sie
an: „Der Scheck, den wir überreichen
konnten, war gedeckt.“
Am 16. April 2015 war es dann soweit.
Um 9.30 Uhr betrat Carletto die Räume
des Istituto Vendite Giudiziarie im Industrieviertel im Norden Turins. Hier
wird das, was nach einer Pleite übrig
bleibt, an den Meistbietenden veräußert. Er legte als einziger den Scheck
auf den Tisch und sicherte sich den Zuschlag. Umgehend rief er in Roccavione
an: „Wir haben es.“
Der menschliche Faktor
Maßgeschneiderte Nachrichtenauswahl kündigt Upday an. Das haben schon viele Smartphone-Apps versprochen. Doch die Samsung-Software hat einen Vorteil
A
uf seinem neuen SmartphoneFlaggschiff Galaxy S7 zeigt Samsung, wie Android-Tuning aussehen kann. Mit Upday, einer App, die
maßgeschneiderte Nachrichten aus verschiedenen Quellen für den User zusammenstellen will, ergänzt der südkoreanische Hersteller die SmartphoneSoftware noch weiter. Das Ziel: sich
noch klarer von der restlichen AndroidKonkurrenz, die die Standardversion
anbietet, absetzen.
VON BENEDIKT FUEST
Zwar haben bereits andere Apps dem
Nutzer eine individuelle Nachrichtenauswahl versprochen. Doch Upday hat
der Konkurrenz voraus, dass nicht
Computer allein, sondern auch menschliche Redakteure die Nachrichtenflut
filtern. „Bei uns kuratieren Journalisten
die Topnachrichten“, erklärt UpdayProduktchef und Chefredakteur Jan-
Eric Peters. Die App Upday wird von der
Upday GmbH herausgebracht, die zum
Medienkonzern Axel Springer (unter
anderem Herausgeber von „Welt“ und
„Bild“) gehört.
Drei Top-News werden immer im
Startbildschirm der App dargestellt.
„Upday-Nutzer können sicher sein, dass
sie wirklich wichtige Nachrichten nicht
verpassen werden. Wir verhindern, dass
der Nutzer in seiner eigenen Filter-Bubble verschwindet – auch wenn er vielleicht nur Sport und Wirtschaft als Interessen angegeben hat, werden wir ihm
wichtige politische Ereignisse anzeigen“, sagt Peters. Die Upday-Redaktion
bedient sich dazu aus über 300 Nachrichtenquellen in Deutschland.
Das Galaxy S7 wird erst ab März ausgeliefert – doch wer ein SamsungSmartphone mit Android Version 4.4
oder höher besitzt, kann Upday bereits
jetzt installieren: Die App steht im Android-Appstore sowie in Samsungs Ga-
sie etwa nur Nachrichten über Fußball
oder nur über ihren Lieblingsverein anfordern. „Wir arbeiten daran, immer feinere Filterkategorien anzubieten“, erklärt Jan-Eric Peters. Auf Basis dieser
Einstellungen kuratiert der Upday-Algorithmus eine erste News-Auswahl.
Danach wertet die App aus, wie die
Nutzer das Angebot annehmen, ob sie
etwa bestimmte Themen, Nachrichtenquellen oder Autoren bevorzugen, und
passt die „My News“-Auswahl entsprechend an. Zudem können die Nutzer ihre Auswahl auch später noch verändern.
Dazu müssen sie auf dem Homescreen
oben rechts auf „Mehr“ klicken und unter „Meine Interessen“ individuelle
Nachrichtenfilter definieren. Ist die
Auswahl erst einmal getroffen, scrollt
ein Wisch nach oben durch die einzelnen Nachrichten. Die Top-News werden von den Upday-Redakteuren in wenigen Sätzen zusammengefasst. Will
der Nutzer mehr als nur diese Zusam-
laxy Apps Store kostenlos zum Download bereit. Ist sie auf dem Smartphone
vorinstalliert, startet ein einfacher
Wisch nach rechts den Newsreader –
andernfalls reicht ein Klick auf die App.
Der Homescreen von Upday ist einfach unterteilt: Oben steht eine ständig
wechselnde Grußnachricht der Redaktion, darunter zwei oder drei Topnachrichten sowie die individualisierte
Nachrichtenauswahl, schließlich eine
Navigationsleiste. Diese Leiste steht innerhalb der App immer unten am Bildschirmrand, sie bringt den Nutzer jederzeit zurück zum Homescreen der
App, zu den Top-News oder zu seiner
individuellen Nachrichtenauswahl.
Nach der ersten Installation fragt die
App nach Präferenzen: Unter dem
Stichwort „My News“ können die Nutzer zuerst Oberthemen wie Tech, Sport
oder Vermischtes wählen und dann ihre
Interessen genauer spezifizieren: Statt
allgemeiner Sportnachrichten können
+
menfassung lesen, öffnet ein Klick auf
die News die Originalquelle, also etwa
welt.de oder „Handelsblatt.de“. Von
dort führt jederzeit ein Pfeil (oben
links) wieder zurück zur Upday-App.
Wer unten rechts auf das „Teilen“-Symbol klickt, kann die Nachricht per EMail, als SMS oder WhatsApp-Nachricht verschicken, sie in sozialen Netzwerken posten oder den Link speichern.
Nach den Top-News zeigt die App die
„My News“-Auswahl. Hier fallen die Zusammenfassungen kürzer aus, da kein
Redakteur mehr Hand anlegt – der Algorithmus trifft die Auswahl, und zeigt
Schlagzeilen und Unterzeilen an. Den
Algorithmus kann der Nutzer durch
Rückmeldungen trainieren – unter jeder
Nachricht fragt die App „Interessant?“.
Wer bejaht, bekommt mehr Nachrichten zum selben Thema, wer verneint, entsprechend weniger. Die Auswahl der My News ist theoretisch unbegrenzt – der Nutzer kann immer wieder
nach oben wischen und wird immer
weitere Nachrichten angezeigt bekommen. Die App merkt sich dabei, welche
Nachrichten der Nutzer bereits gelesen
hat, und vermeidet Doppelungen. Sortiert wird nicht allein nach dem Erscheinungsdatum einer Nachricht, sondern auch nach dem Interesse. Ist gerade keine ganz neue News zum Lieblings-Fußballverein auf dem Markt,
zeigt die App auch ältere Berichte.
Upday bietet nicht nur deutsche
Nachrichten, auch eine französische,
polnische oder englische Ausgabe gibt
es. Wer unter „Einstellungen“ die Sprache ändert, bekommt sofort eine Nachrichtenauswahl von englischen oder
französischen Nachrichtenquellen. Dabei merkt sich die App die Präferenzen,
die der Nutzer für die deutsche Ausgabe
festgelegt hat. Nur ein direkter Mix
zweier Sprachen – etwa von deutschen
und englischen Quellen – in einer Ausgabe ist noch nicht möglich.