pdf-Datei - Deutsch-Russische Brücke Bad Homburg eV

Taunuszeitung 29/2/16
Eleonora Hummel liest in der
Stadtbibliothek Die Geschichte ist ihr
Lebensthema
29.02.2016 Von MURIEL LARISSA FRANK Die russlanddeutsche Schriftstellerin Eleonora
Hummel las jüngst in der Stadtbibliothek aus ihrem dritten Roman „In guten Händen, in
einem schönen Land“. Darin erzählt sie – klar und kunstvoll zugleich – das Drama einer
durch den sowjetischen Staat zerrissenen Familie.
Autorin Eleonora Hummel war zu Gast in der Stadtbibliothek.
Bad Homburg.
Zwei Mal schon hat Eleonora Hummel Romane mit autobiografischem Hintergrund
geschrieben. „Ich wollte mich davon lösen, etwas ganz anderes schreiben. Vielleicht einen
Wenderoman, auf den die Welt noch wartet. Doch dann fiel mir durch Zufall das Interview
einer ukrainischen Schauspielerin in die Hände; ein Stoff, von dem ich wusste, dass er
prädestiniert ist für einen Roman“, erzählt die gebürtige Kasachin mit deutschen Wurzeln, als
sie auf Einladung der Deutsch-Russischen Brücke in der Stadtbibliothek gastiert.
Vier Jahre hat sie an ihrem dritten Roman „In guten Händen, in einem schönen Land“
gearbeitet, sich bei ihren Recherchen vor allem auf öffentlich zugängliche Quellen
beschränkt. „Der Roman beruht zwar auf einer wahren Begebenheit und die drei Hauptfiguren
haben reale Vorbilder, dennoch habe ich kein persönliches Gespräch geführt, um mir meine
künstlerische Freiheit nicht nehmen zu lassen“, sagt Hummel, die mit ihrer Geschichte in die
Sowjetunion des 20. Jahrhunderts entführt, wo es gängige Praxis war, politisch unliebsame
Personen in Arbeitslager – zum Beispiel ins Gulag in Kasachstan – zu schicken und ihnen die
Kinder zu entfremden, um aus denen gute Sowjetbürger zu machen.
Das widerfährt auch Hummels Hauptfigur Viktoria, Spitzname Vika, die im Heim aufwächst,
weil ihre Mutter Olessia, eine Schauspielerin, im Arbeitslager sitzt. Olessia befreundet sich
während ihrer Gefangenschaft mit Nina und gibt dieser den Auftrag, nach Vika zu suchen und
sich um sie zu kümmern. Als auch Olessia nach 17 Jahren freikommt, treffen alle drei Frauen
aufeinander, es kommt zum Konflikt, weil beide Mütter Anspruch auf das Kind erheben.
Der Leser lernt Vika als junges Mädchen kennen, das gern am Fenster steht und hinausstarrt,
als gebe es etwas zu sehen, das weiß, dass seine Mutter nicht kommen wird, und das seiner
Mutter, sollte es ihr jemals begegnen, nur eines zu sagen hat: „Du kommst zu spät.“ „Bei
Viktoria ist es mir am leichtesten gefallen, mich in die Gedankenwelt zu versetzen. Ich habe
mir vorgestellt, wie es für mich wäre, im Heim ohne Eltern aufzuwachsen, welche
Überlebensstrategie ich anwenden würde“, erzählt die Russlanddeutsche.
Roman verbrannt
Ihre ersten literarischen Versuche startete Hummel im Alter von 10 Jahren. „Seit der ersten
Klasse habe ich den Bücherschrank meines Vaters durchgelesen. Ich dachte mir, das kann ich
auch“, entsinnt sie sich. Also begann sie, ohne Plan, ohne Konzept ihren ersten Roman zu
schreiben, der nach zehn Seiten ein jähes Ende fand. „Als ich ihn nach einer Lagerfrist von
einer Woche noch einmal las, befand ich ihn für schlecht und verbrannte ihn“, berichtet die
heute 45-Jährige.
Dann folgte eine lange kreative Schaffenspause. Erst zogt Eleonora Hummel mit ihrer
deutschstämmigen Familie in den Nordkaukasus, 1982 dann nach Dresden. Sie ließ sich zur
Fremdsprachenkorrespondentin ausbilden, gab dann schließlich dem Drang nach,
Schriftstellerin zu werden.
Dann geht es um Nina, darum, wie sie im Lesesaal ihren Mann, einen Architekten mit guten
Beziehungen zum Kreml, kennenlernt, wie sie heiratet und im fortgeschrittenen Alter
überraschend ein Baby, eine Tochter, bekommt. Und darum, wie Ninas Leben sich zum
Besseren zu wenden scheint, bis sie schließlich, für Nina völlig unerwartet, ins Arbeitslager
gesteckt wird. Und dann ist da noch Olessia, die in eine adlige, wohlhabende Familie geboren
wurde, deren Vater von den Roten als Kontrarevolutionär erschossen wird, die nach
Leningrad flieht, um an der Schauspielschule zu studieren, und schließlich ebenfalls im
Arbeitslager landet, wo sie dann doch noch ihre Bühne findet. „Diese Figur war mir sehr
wichtig, gleichwohl hatte ich zu ihr die größte Distanz. Der Grund ist, dass ich großen
Respekt davor hatte, was sie erlebt hat“, so Hummel.
Ob sie bereits ein weiteres Werk in Arbeit hat, will das Publikum zum Schluss wissen? Sie
bejaht. Wieder widmet sie sich einem Thema, das im weitesten Sinn mit ihrer Geschichte zu
tun hat. „Ich habe akzeptiert, dass das wahrscheinlich mein Lebensthema ist“, sagt sie.
Diesmal drehe sich die Geschichte um das deutsche Theater in Kasachstan, das auf einen
Erlass der Sowjetregierung zurückgeht, der eine Förderung der Minderheiten durch ein
muttersprachliches Theater vorsah, verrät sie.