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Leipzig: Streit um geplantes Asylbewerberheim | Manuskript
Leipzig: Streit um geplantes Asylbewerberheim
Bericht: Florian Barth, Sebastian Pittelkow
Anwohner:
"Du bist doch nicht sauber im Koppe, dich werde ich aber in Wiederitzsch noch fertig
machen, das sag ich dir! Was du gesagt hast jetzt! Vor dem Herrn Wilhelm. Du kannst doch
nicht zu mir Asylantenfeind sagen…Nu Klar hast Du das gerade zu mir gesagt."
„Wer beschützt unsere Kinder?“
„Alles nur Ausflüchte!“
„Verstehen Sie die Leute hier, die haben alle von dieser Scheiß-Politik die Schnauze voll!“
Erhitzte Gemüter vergangene Woche in Leipzig – hier sollen Flüchtlinge untergebracht
werden. Die Anwohner fühlen sich von den Regierungsvertretern übergangen – Angst und
Fremdenhass liegen nah bei einander.
In diesem Viertel sollen die Flüchtlinge leben – mitten in Leipzig Wiederitzsch, mitten in
einer deutschen Idylle. Auch Dirk Neumann macht gegen das neue Heim mit einer
Bürgerinitiative mobil.
Dirk Neumann:
"Die Ruhe, die wir hier haben soll bitte weiterbleiben, wir wollen keine Verschmutzung und
keine Kriminalität"
Dreck und Kriminelle –Vorurteile in dieser Nachbarschaft. Wohlstand verpflichtet. In
diesem ehemaligen Bundeswehrkrankenhaus will der Freistaat eine sogenannte
Erstaufnahmeeinrichtung mit 350 Plätzen schaffen. Das heißt: Die Flüchtlinge bleiben hier
so lange, bis über ihren Asylantrag entschieden wird. Sie werden registriert, medizinisch
versorgt. Das Gebäude eignet sich sehr gut, steht seit sieben Jahren leer. Zaun an Zaun mit
Asylbewerbern – für BMW-Manager Dirk Neumann unvorstellbar. Gegen Ausländer
grundsätzlich habe man hier natürlich nichts – ABER:
Dirk Neumann:
"Wir stehen hier im Garten eines Nachbarn von mir der direkt am Zaun des ehemaligen
Bundeswehrkrankenhauses sein Haus vor zwei Jahren gebaut hat. Das Problem, dass er
natürlich ein Trampolin hat und das seine Kinder Spielzeug haben das er hier im Garten sitzt
und grillt und auf der anderen Seite - so ist dann zumindest das Bild das in den Köpfen
entsteht - stehen die Flüchtlinge am Zaun und träumen genau davon. Das erzeugt eine
soziale Spannung die wir nicht für gesund halten und für ungut halten. Soziale Unterschiede
führen sehr oft zu Gewalt."
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Das Eigene und das Fremde. In sechs Stunden will Dirk Neumann seine Wohnidylle
verteidigen – am Abend auf einer Bürgerversammlung.
Zeitgleich in Dresden, Innenministerium. Staatssekretär Michael Wilhelm muss sich heute
Abend vor den Wiederitzschern erklären. Er will Ängste ernstnehmen und gleichzeitig
Tatsachen schaffen. Eine letzte Besprechung.
Martin Strunden, Pressesprecher Innenministerium:
„Hallo. Wir kommen noch mal wegen der Anwohnerversammlung heute Abend."
Die Anwohner haben ihm viele Fragen geschickt. Eins stellt er uns gegenüber von Begin an
klar. Als Standort kommt nur das ehemalige Bundeswehrkrankenhaus infrage.
Michael Wilhelm, Staatssekretär:
„Ich möchte in Sachsen, dass diese Menschen, die hierher kommen, Fürchterliches erlebt
haben, dass die freundlich aufgenommen werden, dass die eine Unterkunft bekommen, ein
Dach überm Kopf und kein Zelt. Das ist für mich das A und O, das darf nicht passieren. Und
wenn ich eine Immobilie hab, wo ich das gewährleisten kann, dann MUSS das einfach
akzeptiert werden.“
Sagt´s und macht sich voller Überzeugung auf nach Leipzig-Wiederitzsch. Dort am frühen
Abend. Dirk Neumann auf dem Weg zur Bürgerversammlung. Die ist nur auf Druck der
Anwohner zustande gekommen – sie haben von dem neuen Heim aus der Zeitung
erfahren:
Dirk Neumann:
„Meine Erwartung an die Veranstaltung ist es, dass wir klare Antworten bekommen und
ganz besonders von Herrn Staatssekretär Wilhelm.“
Mit 1.000 aufgebrachten Anwohnern haben die Behörden nicht gerechnet. Staatssekretär
Michael Wilhelm beginnt seine Überzeugungsarbeit mit einer überraschenden Aussage:
Michael Wilhelm, Staatssekretär:
"Sehr geehrte Damen und Herren – vielleicht das Wichtigste vorab als Information: Es ist
noch kein Mietvertrag abgeschlossen.“
Das soll der letzte Applaus für den Staatssekretär bleiben. Entschlossenheit für den
Standort sieht eigentlich anders aus.
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Leipzig: Streit um geplantes Asylbewerberheim | Manuskript
Bürgerproteste gegen Asylunterkünfte nehmen besonders in Sachsen zu. Vor zwei Tagen in
Dresden. Hier laufen 5.500 Demonstranten Sturm gegen muslimische Migranten und
Flüchtlinge.
Ende des Jahres werden im Freistaat etwa 11000 Asylbewerber in über 40 Orten leben. Neue
Unterkünfte sind geplant. Protestiert wird schon heute: In Bautzen ist auch die NPD unter
die Demonstranten. In Ottendorf-Okrilla sind es zuletzt hunderte Wutbürger. Und auch in
Chemnitz gibt es Proteste.
Zurück in Leipzig-Wiederitzsch: Die Stimmung ist aufgeheizt.
Anwohner:
"Ich bin nicht ausländerfeindlich, aber ich mach große Sorgen um unsere Kinder."
Dirk Neumann von der Bürgerinitiative hält sich zurück. Was er denkt, sprechen andere
aus.
Anwohner:
"In der Landwirtschaft kennen sie das was da passiert: die Schweine beißen sich die
Schwänze ab und Puten hacken sich tot. Das passiert den Menschen genauso. Sie kommen
da in Situationen rein, die schwer zu beherrschen sind."
Jetzt versucht Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz zu beschwichtigen und verkündet:
Das Heim bekommt einen eigenen Polizeiposten, rund um die Uhr besetzt. Offenbar ein
Zugeständnis an die wütende Masse. Denn an eine wirkliche Gefahr, glaubt er nicht:
Bernd Merbitz, Polizeipräsident:
„Dass das alles Lumpen, Verbrecher und Sexualstraftäter sind - verwahre ich mich dagegen.
Die Straftaten von Asylbewerbern, die in der Polizeidirektion Leipzig begangen wurden,
beläuft sich auf 0,5 Prozent."
Beruhigen lässt sich der Saal dadurch nicht. Auch Staatssekretär Michael Wilhelm wirkt
inzwischen hilflos:
Michael Wilhelm, Staatssekretär:
"Was soll ich denn ihnen vorlügen, Sie glauben mir sowieso. Das ist erst mal die erste
Feststellung. Die Feststellung können wir mal festhalten. Lassen sie mich ausreden. Sie
glauben mir nix. Was wollt ihr denn hier überhaupt?“
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Nach fast vierstündiger Debatte bleibt die entscheidende Frage offen: Kommt das Heim
nun oder nicht?
Dirk Neumann:
Bin ich nicht deutlich klüger. Ich habe mitbekommen, dass das Innenministerium den
Standort weiter als geeignet ansieht.“
Anwohner:
„Du spinnst wohl.“
Dirk Neumann:
„Oh jetzt wird’s hier etwas lauter hier!“
Anwohner:
„Du bist doch nicht sauber im Koppe. Was du gesagt hast jetzt! Vor dem Herrn Wilhelm. Du
kannst doch nicht zu mir Asylantenfeind sagen…
Nun streiten sich die Wiederitzscher untereinander. Das geplante Heim macht tatsächlich
schon jetzt Probleme – unter alten Nachbarn.
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